T 1196/97 () of 27.4.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T119697.20010427
Datum der Entscheidung: 27 April 2001
Aktenzeichen: T 1196/97
Anmeldenummer: 93119836.0
IPC-Klasse: C21C 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 41 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mittel zur Entschwefelung, Entphosphorung, Entsilicierung und Entstickung von Roheisen-, Gußeisen-, Ferrochrom- und Ferromanganschmelzen sowie Verfahren
Name des Anmelders: Freissmuth, Alfred, Dr.-Ing.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 116(1)
Schlagwörter: Neuheit (ja) - nach Änderung
Erfinderische Tätigkeit (ja) - nach Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0088/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 3. November 1997, mit der die europäische Patentanmeldung 93 119 836.0 auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10, eingereicht am 7. Mai 1997 mit Schreiben vom 5. Mai 1997 zurückgewiesen wurde.

II. Die Prüfungsabteilung befand den Gegenstand der Ansprüche 1 bis 10 als nicht neu und - falls bei anderer Auslegung des Anspruchswortlauts die Neuheit anerkannt werden sollte - auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gegenüber der Druckschrift

D2: JP-A-51 054016 (Original und Übersetzung in englischer Sprache).

Im Prüfungsverfahren wurden noch die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen:

D1: EP-A-0 225 560

D3: DE-A-3 008 950

D4: Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Auflage, Band 9, Seite 77

D5: Industrielle Anorganische Chemie, W. Büchner et al., Verlag Chemie, Seiten 346, 347, 434, 435

D6: Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, Band 1, Seiten 63, 64, 307

D7: Gießerei-Lexikon, 14. Auflage, 1988, Fachverlag Schiele und Schön, Seite 807.

III. In seiner Beschwerdebegründung vom 1. Dezember 1997 hat der Anmelder noch auf die Druckschriften

D8: DE-A-2 252 796

D9: DE-A-2 252 795

D10: DE-A-2 342 405

hingewiesen. Er vertritt die Auffassung, daß der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 und des entsprechenden Verfahrensanspruchs 9 in seiner definierten Zusammensetzung eindeutig klar sei. Ein Entschwefelungsmittel aus den Bestandteilen Calciumcarbid (technisch oder eutektisch) plus Kalk plus mindestens einem der genannten mineralischen Rohstoffe sei vom Stand der Technik weder vorgeschrieben noch dadurch nahegelegt. Auch sieht der Beschwerdeführer seine während des Prüfungsverfahrens angebotene Bereitschaft, der Prüfungsabteilung den anmeldungsgemäßen Sachverhalt mündlich darzustellen, gleichbedeutend mit einem Antrag auf eine mündliche Verhandlung und sich somit in seinem Anrecht auf rechtliches Gehör beschnitten.

IV. In seiner Antwort auf den Bescheid der technischen Beschwerdekammer vom 14. Dezember 2000 und einer weiteren telefonischen Rücksprache reicht der Anmelder am 22. März 2001 geänderte Unterlagen ein. Er beantragt:

- Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 3. November 1997 über die Zurückweisung des Patents aufzuheben,

- das Patent mit den mit Schreiben vom 22. März 2001 eingereichten Unterlagen zu erteilen und

- die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

V. Die geltenden unabhängigen Ansprüche 1 und 9 lauten:

"1. Mittel zur Entschwefelung, Entphosphorung, Entsilizierung und Entstickung von Roheisen-, Gußeisen-, Ferrochrom- und Ferromanganschmelzen, bestehend aus (Summe aller Komponenten = 100 Gewichtprozent)

30. bis 60 Gewichtsprozent technisches Calciumcarbid

oder eutektisches Calciumcarbid,

10. bis 30 Gewichtsprozent Calciumoxid sowie

10. bis 60 Gewichtsprozent eines oder mehrerer der folgenden mineralischen Rohstoffe:

- alkalihaltige Plagioklase, z. B. Na-Feldspat (Albit)

- alkalihaltige Orthoklase, z. B. Kali-Feldspate, Nepheline, Nephelin-Syenit,

- Perlite,

- Bentonite,

- Vermiculit,

- Muskovit,

- Zeolith,

wahlweise noch

5. bis 40 Gewichtsprozent Eisenoxide in Form von Eisenerzen, Zunder, Chrom- oder Manganerz,

5. bis 20 Gewichtsprozent eines Tonerdeträgers."

"9. Verfahren zur Behandlung von Eisen-, Ferrochrom- und Ferromanganschmelzen mit einem Mittel gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das Mittel durch Einblasen über eine Tauchlanze in die Schmelze eingebracht wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Anspruch 1 beruht auf den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 3 und auf den Ausführungsformen der Erfindung auf Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, Absatz 2. Da aus der Anmeldung insgesamt und insbesondere aus den Beispielen zu ersehen ist, daß sich alle Bestandteile auf 100 Gew.-% ergänzen müssen, leitet sich rechnerisch eine maximale obere Grenze für die mineralischen Rohstoffe von 60 Gew.-% ab. In gleicher Weise ergibt sich der untere Grenzwert von 10 Gew.-% aus dem ursprünglichen Anspruch 1. Die Änderung der unteren Grenze auf "10 Gewichtsprozent" in Anspruch 4 basiert auf der Beschreibung, Seite 8, Absatz 3, Zeile 5. Der geänderte Wortlaut von Anspruch 8 beruht auf den Ausführungen in der Beschreibung, Seite 7, Absatz 3. Das Ersetzen des Begriffs "Schlacke" durch "Schmelze" in Anspruch 9 stützt sich auf die Beschreibung, Seite 5, Absatz 4 und Seite 7, Absatz 1. Die Ansprüche 2, 3, 5 bis 7 und 10 entsprechen den jeweiligen ursprünglichen Ansprüchen. Die vorliegenden Ansprüche sind deshalb formal nicht zu beanstanden.

Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche in geeigneter Weise angepaßt und enthält eine Würdigung des nächstkommenden Standes der Technik.

Die vom Anmelder eingereichten Unterlagen genügen somit den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ.

3. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

Der Wortlaut von Anspruch 1 zeigt, daß das beanspruchte Mittel mindestens aus den drei Komponenten CaC2 und CaO und wenigstens einem der aufgezählten mineralischen Rohstoffe in den jeweils genannten Gehaltsbereichen bestehen muß. Falls es die betrieblichen Umstände erforderlich machen, können noch als weitere Wahlkomponenten entweder Eisenoxide oder Tonerdeträger einzeln oder gemeinsam zugemischt werden. Da die Summe aller genannten Bestandteile 100 Gewichtsprozent ergibt, ist die Zusammensetzung des Mittels klar definiert. Der Anspruchsgegenstand entspricht somit den Erfordernissen von Artikel 84 EPÜ. Dies gilt auch für den Verfahrensanspruch 9, der das Einblasen des beanspruchten Mittels über eine Tauchlanze in die Schmelze vorsieht.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 und 10 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des beanspruchten Mittels bzw. des beanspruchten Verfahrens und sind hinsichtlich Artikel 84 EPÜ nicht zu beanstanden.

4. Neuheit

Das beanspruchte Mittel zum Behandeln von Roheisen unterscheidet sich vom Stand der Technik gemäß den Druckschriften D1 bis D3 und D8 bis D10 dadurch, daß es aus mindestens den drei Komponenten Calciumcarbid, Kalk und einem mineralischem Rohstoff der aufgezählten Gruppen besteht. Es ist dabei klar, daß unter den genannten Anteilen von 10 bis 30 Gew.-% Kalk nicht die im technischen oder eutektischen CaC2 enthaltenen und gebundenen Kalkanteile zu verstehen sind, sondern es sich vielmehr um eine eigene Komponente, d. h. separat zugesetztes CaO handelt. Das Entschwefelungsmittel gemäß Druckschrift D1 ist - im Gegensatz zum beanspruchten Mittel - Calciumcarbid-frei, und das in Druckschrift D2 genannte Mittel enthält keinen separat zusetzten Kalk. Ein Entschwefelungsmittel aus CaC2-CaO-Ca(OH)2 wird in Druckschrift D3 vorgeschlagen, wohingegen Druckschrift D8 ein Entschwefelungsmittel, das aus technischem Calciumcarbid, Diamidkalk und Polyäthylen zusammengesetzt ist, offenbart. Gemäß Druckschrift D9 wird ein Entschwefelungsmittel aus CaC2, Ca(OH)2 und Kohlenstoff vorgeschlagen, während gemäß Druckschrift D10 mit einer Mischung aus Calciumcarbid, Diamidkalk und einem Erdalkaliborat, insbesondere Colemanit entschwefelt wird.

Auch die übrigen im Recherchenbericht genannten Druckschriften zeigen kein Entschwefelungsmittel mit der beanspruchten Zusammensetzung.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit neu.

5. Erfinderische Tätigkeit

Aus der Druckschrift D2, die den nächstkommenden Stand der Technik bildet, ist ein Roheisen-Entschwefelungsmittel bekannt, das aus 70 bis 99. Anteilen technischem CaC2 und 1 bis 30 Anteilen eines kristallwasserhaltigen Aluminiumsilikats, z. B. Kaolinit, Montmorillonit, Asbest, Glimmer (mica) usw. besteht und das in die Roheisenschmelze über ein Trägergas eingeblasen wird.

Ausgehend von der Lehre in Druckschrift D2 besteht die Aufgabe der Erfindung darin, ein in seiner Wirkung verbessertes Behandlungsmittel zum Entschwefeln, Entphosphoren, Entsilizieren und Entsticken bereitzustellen,

- das die negativen Einflüsse der während der Entschwefelungsreaktion in der Schmelze ablaufenden Fest-Flüssig-Reaktion günstig zu beeinflussen vermag,

- das je nach den vorliegenden Betriebsbedingungen entweder in die Eisenschmelze eingerührt oder eingeblasen werden kann und

- welches vielseitig einsetzbar ist, z. B. auch in Ferrochrom- und Ferromanganschmelzen entschwefelnd und entphosphorend wirkt, und das zudem noch kostengünstig und ökologisch unbedenklich ist (siehe z. B. Beschreibung, Seite 6, Absatz 2).

Diese Aufgabe wird durch das in Anspruch 1 beschriebene Mittel gelöst. Die genannten mineralischen Bestandteile sind bei den Roheisentemperaturen im wesentlichen flüssig, wodurch die inhärenten Probleme der Reaktion fester Wirkstoffe mit der Roheisenschmelze umgangen werden. Außerdem setzen die Rohstoffe, während sie auf die Schmelztemperatur aufgeheizt werden gasförmige Phasen frei, die für eine kräftige Durchmischung der Schmelze sorgen und dadurch die Entschwefelungsreaktion bzw. die Entphosphorung der Schmelze günstig beeinflussen. Das beanspruchte Mittel bietet den weiteren Vorteil, daß auf ein besonders feines Aufmalen verzichtet werden kann, wodurch beim Einblasen des Mittels nach dem Tauchlanzenverfahren ein stoßweises Fördern des Gutes und Auswurf weitgehend vermieden werden kann. Die auf den Seiten 12 und 13 sowie in Figur 1 dargestellten Versuchsergebnisse der Erfindung belegen, daß die höchsten Entschwefelungsgrade mit einem Mittel aus den drei Bestandteilen CaC2 (technisch oder eutektisch) + CaO + einem mineralischen Rohstoff erzielt wurden (Versuche 1 bis 4, 7), wodurch der günstige Einfluß jeder einzelnen Komponente und ihr synergistischer Effekt im Zusammenwirken mit den anderen Bestandteilen auf das Gesamtergebnis nachgewiesen ist.

Druckschrift D1 offenbart zwar bereits ein Entschwefelungsmittel aus 75 bis 85 Gew.-% CaO und 15 bis 25 Gew.-% Nephelin, Nephelin-Syenit, Orthoklas, Feldspat und Alkalien. Sie enthält jedoch keinerlei Anregungen an den Fachmann, dieser Mischung auch noch technisches oder eutektisches Calciumcarbid in den erfindungsgemäßen Mengen zuzufügen, um auf diese Weise die entschwefelnde Wirkung des Mittels noch zu steigern (siehe D1, Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, Absatz 2). Selbst wenn ein Fachmann, obwohl dafür kein Grund besteht, die Lehren der Druckschriften D2 und D1 miteinander kombinieren würde, so würde eine solche Kombination nicht in naheliegender Weise zum Anspruchsgegenstand führen.

Dies gilt auch für die Lehre von Druckschrift D3, wonach zum Entschwefeln ein CaC2-CaO Kristallgemenge vorgeschlagen wird und wobei ein Teil des CaO zu Ca(OH)2 hydratisiert wurde. Auch die Zusammenschau der Lehren der Druckschriften D2 und D3 legt somit die Zusammensetzung des beanspruchten Mittels nicht nahe.

Die übrigen Druckschriften einschließlich D8 bis D10 liegen noch ferner, da sie auf Entschwefelungsmittel anderer Zusammensetzungen (z. B. solche mit Polyäthylen (D8), Koksstaub (D9) oder Boraten (D10)) gerichtet sind oder aber lediglich zum allgemeinen technischen Hintergrund zu zählen sind (D4 bis D7).

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht somit auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Da das Mittel zum Behandeln von Schmelzen als solches die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfüllt, so gilt dies gleichermaßen für die Anwendung dieses Mittels gemäß dem in Anspruch 9 definierten Verfahren.

6. Die vom Anmelder vorgelegten geänderten Unterlagen, die den Erfordernissen des EPÜ genügen, wurden in intensiver schriftlicher und telefonischer Kommunikation mit dem Anmelder erarbeitet. Aus der mit Eingabe vom 16. März 2001 erteilten Zustimmung ergibt sich konkludent der Verzicht des Anmelders auf seinen ursprünglichen Antrag auf mündliche Verhandlung.

7. Rechtliches Gehör

Der Hinweis im Schreiben des Anmelders vom 18. August 1997, Absatz 3:

"Sollten bei der Bearbeitung über die Entscheidung einer Patenterteilung offene Fragen entstanden sein, bin ich jederzeit bereit, für ein erläuterndes Gespräch nach München zu kommen."

kann nicht als die Stellung eines eindeutigen und vorbehaltlosen Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gewertet werden (siehe dazu insbesondere Entscheidung T 0088/87; sowie Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 3. Auflage, 1998, VI-C 3 und 3.1, Seite 297). Ein Verstoß der Prüfungsabteilung gegen Artikel 113 (1) ist somit nicht erkennbar. Dessen unbenommen wäre es jedoch zweckmäßig gewesen, den Anmelder um eine klärende Stellungnahme zu bitten, um so festzustellen, ob die obigen Ausführungen als Antrag auf eine mündliche Verhandlung zu werten sind.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit den folgenden, mit Schreiben vom 22. März 2001 eingereichten Unterlagen zu erteilen:

Ansprüche: 1 bis 10

Beschreibung: Seiten 1 bis 6 mit Einschub Seite 4a auf Seite 4, 6a, 7 bis 16

Zeichnungen: Blatt 1/1.

Quick Navigation