European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2000:T107897.20001212 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Dezember 2000 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1078/97 | ||||||||
Anmeldenummer: | 88105895.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | C12N 15/22 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Konstruktion einer animalen Zellinie für die Herstellung von humanem Interferon-beta | ||||||||
Name des Anmelders: | Dr. Rentschler Biotechnologie GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | BIOGEN Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag - nein Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag - ja |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 22. August 1997, das europäische Patent Nr. 0 287 075 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Konstruktion einer animalen Zellinie für die Herstellung von humanem Interferon-beta " mit 9 Ansprüchen für alle benannten Vertragsstaaten gemäß Artikel 102 (1) EPÜ zu widerrufen.
II. Die Kammer erließ eine Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, in der sie zur mündlichen Verhandlung lud und eine vorläufige, nicht bindende Stellungnahme abgab.
III. In der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) anstelle aller vorliegenden Anträge einen Hauptantrag und einen Hilfsantrag vor.
Die Ansprüche 1 und 5 bis 8 des Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Rekombinantes DNA-Molekül pSVtss-AsuIFN (DSM 4078P) mit der in Figur 2 angegebenen Restriktionskarte."
"5. Rekombinante Zellinie BIC 8622 (ECACC 87040301)."
"6. Verfahren zur konstitutiven Herstellung von humanem IFN-ß1, bei dem man eine rekombinante Zellinie nach einem der Ansprüche 2 bis 5 züchtet und das IFN-ß1 aus dem Zellüberstand isoliert."
"7. Verfahren nach Anspruch 6, weiterhin umfassend die Verwendung des erhaltenen humanen IFN-ß1 zur Herstellung eines Arzneimittels."
"8. Verfahren nach Anspruch 7 zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Virusinfektionen."
Die Ansprüche 2 bis 4 waren auf rekombinante Zellinien gerichtet, die das DNA-Molekül des Anspruchs 1 enthielten.
Der Hilfsantrag umfaßte die Ansprüche 5 bis 8 des Hauptantrags als neue Ansprüche 1 bis 4 mit entsprechend neu numerierten Rückbeziehungen in den Ansprüchen 2 bis 4.
IV. Die folgenden Dokumente werden in dieser Entscheidung erwähnt:
(1): Chernajovsky, Y. et al., DNA, Band 3, Nr. 4, Seiten 297 - 308, 1984
(1a): US 4 808 523
(2): Gross, G. et al., Nucleic Acids Res., Band 9, Nr. 11, Seiten 2495 - 2507, 1981
(5): Reiser, W. und Hauser, H., Arzneim. Forsch./Drug Res. 37 (1), Nr. 4, Seiten 482 - 485, 1987
(15): von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28. Februar 2000 eingereichter Versuchsbericht 1
(16): von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28. Februar 2000 eingereichter Versuchsbericht 2
(17): von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28. Februar 2000 eingereichter Versuchsbericht 3
(21): von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 19. Juli 2000 eingereichter Versuchsbericht 4
(22): von der Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2000 eingereichter Versuchsbericht
V. Die von der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) schriftlich und während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente, die für diese Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag
Artikel 123 (2) EPÜ; Ansprüche 7 und 8
Eine Stütze für den Gegenstand der Ansprüche 7 und 8 sei in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung durch eine Kombination der Lehren auf Seite 1, Zeilen 1 - 4 über Interferone als antiviral wirksame Stoffe, und Seite 12, 2. Absatz, Zeilen 1 - 2 über ein Verfahren zur Herstellung von Interferon ohne Amplifikation von Interferon-DNA und des Anspruchs 7 zu finden.
Artikel 56 EPÜ; Anspruch 1
- Nächstliegender Stand der Technik für den Gegenstand des Anspruchs 1 sei das Dokument (1), in dem ein Vektor zur Herstellung von IFN-ß1 in Hamsterzellen beschrieben werde, der das IFN-ß1-Gen in Form eines HincII-HincII-DNA-Fragments (pSVEIF, Abb. 1) enthalte. Zwischen diesem Vektor und dem beanspruchten Vektor bestünden substantielle Unterschiede: letzterer enthalte eine geringere Menge SV40-DNA, der Abstand zwischen dem 5'-Ende der RNA und dem ATG-Codon des IFN-ß1-Gens sei größer, und am 3'-Ende dieses Gens liege ein zusätzliches Polyadenylierungssignal vor.
- Es habe für den Fachmann keine Veranlassung gegeben, IFN-ß1 gerade aus dem beanspruchten AsuII-HindIII-Fragment zu exprimieren. Hätte er versucht, ein anderes DNA-Fragment zu verwenden, zum Beispiel das in der nachveröffentlichten Druckschrift (5) offenbarte NcoI-HindIII-Fragment, so hätte er weniger Interferon erhalten als mit dem HincII-HincII-Fragment (Druckschrift (5), Tabelle 1, Expression in LTK- oder BHK21-Zellen). Bei der Auswahl des erfindungsgemäßen Vektors handle es sich um einen glücklichen Griff, der ein starkes Indiz für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sei.
- Der beanspruchte Vektor habe einen höheren Sicherheitsstandard als der im Dokument (1) offenbarte pSVEIF-Vektor, da er viel weniger SV40-DNA enthalte.
- Eindeutige Vorteile weise der beanspruchte Vektor auch hinsichtlich der Ausbeute an IFN-ß1 auf, wie aus den vier von der Beschwerdeführerin vorgelegten Berichten ersichtlich sei (Dokumente (15) - (17) und (21)).
Aus den Dokumenten (15) - (17) gehe hervor, daß die Produktion von Interferon bei Expression in mit dem beanspruchten Vektor transfizierten Wirtszellen fünfmal so hoch sei wie bei mit pSVEIF transfizierten Wirtszellen. Es sei gerechtfertigt gewesen, den Vergleichstest ohne Zugabe von Methotrexat zum Kulturmedium der letztgenannten Wirtszellen durchzuführen. Weder im Dokument (1) noch in der entsprechenden US-Patentanmeldung, Druckschrift (1a), werde nämlich gelehrt, daß dem Kulturmedium Methotrexat zuzugeben sei. Außerdem seien die mit pSVEIF transfizierten Wirtszellen nicht in einem methotrexathaltigen Medium eingelagert worden.
Aus dem Dokument (21) sei ersichtlich, daß Zellen, die ein Plasmid mit dem gleichen HincII-HincII-Insert wie pSVEIF enthielten, eine geringere Produktionsleistung von IFN-ß1 aufwiesen als Zellen, die IFN-ß1 aus dem beanspruchten Konstrukt exprimierten.
Eine Überprüfung der Kopienzahl der Plasmide in den jeweiligen Wirtszellen sei nicht notwendig gewesen, da unerheblich sei, warum das beanspruchte Plasmid zu einer höheren Produktionsleistung von IFN-ß1 führe. Desgleichen habe es sich in beiden Fällen erübrigt, die Zahl der lebenden transformierten Zellen zu überprüfen, da es keinen Grund zu der Annahme gegeben habe, daß es zu Zelltod kommen würde.-Die nachveröffentlichte Druckschrift (5) (Tabelle 1) zeige, daß in CHO-Zellenmehr Interferon durch Expression aus einem Plasmid mit dem AsuII-HindIII -Fragment als durch Expression aus einem Plasmid mit dem HincII-HincII-Fragment produziert werde.
Aufgrund seiner unerwarteten vorteilhaften Eigenschaften sei der Vektor aus Anspruch 1 erfinderisch.
Hilfsantrag
Erfinderische Tätigkeit; Anspruch 1
Der beanspruchte hinterlegte Stamm aus Anspruch 1 produziere bei Kultivierung in Abwesenheit von Methotrexat im Kulturmedium 2,5 mal soviel Interferon wie der im Dokument (1) offenbarte Stamm (MEIF-5, hinterlegt unter der Nummer I-340) in Anwesenheit von 50. nM Methotrexat. Somit weise er nicht nur eine bessere Produktionsleistung, sondern auch ohne jeden Selektionsdruck eine hohe Stabilität auf.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, der beanspruchte hinterlegte Stamm sei instabil, da laut den Dokumenten (15) - (17) unterschiedliche Mengen IFN-ß1 exprimiert worden seien, sei nicht stichhaltig, da diese Abweichungen lediglich auf unterschiedliche Versuchsbedingungen zurückzuführen seien.
Aufgrund seiner unerwarteten Eigenschaften sei der beanspruchte hinterlegte Stamm erfinderisch.
VI. Die von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) schriftlich und während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente, die für diese Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag
Artikel 123 (2) EPÜ; Ansprüche 7 und 8
Das Argument der Beschwerdeführerin, die Ansprüche 7 und 8 würden in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung durch eine Kombination der Lehren von Seite 1, Zeilen 1 - 4, Seite 12 und des damaligen Anspruchs 7 gestützt, sei nicht überzeugend, da die erste dieser Lehren eine allgemeine Bemerkung über Interferone als antiviral wirksame Stoffe sei und die beiden letzteren kein Verfahren zur Herstellung eines Interferon enthaltenden Arzneimittels ohne Amplifikation der IFN-DNA offenbarten, sondern lediglich ein derartiges Verfahren zur Herstellung des Interferon-Polypeptids.
Mithin enthielten die Ansprüche 7 und 8 einen Gegenstand, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, und seien nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht gewährbar.
Artikel 56 EPÜ: erfinderische Tätigkeit
- Nächstliegender Stand der Technik sei das Dokument (1). Die strukturellen Unterschiede zwischen dem beanspruchten Vektor und dem in diesem Dokument beschriebenen pSVEIF seien unerheblich, denn weder mit den unterschiedlichen Längen der 5'-Enden noch mit dem Vorliegen eines zusätzlichen Polyadenylierungssignals sei eine Wirkung verbunden. In der nachveröffentlichten Druckschrift (5) werde gesagt, daß die zusätzlichen nicht codierenden 3'-Sequenzen die Expression von IFN-ß1 nicht verbesserten.
- Die in pSVEIF zusätzlich vorhandene SV40-DNA sei nicht tumorigen, somit sei dieser Vektor genauso sicher wie der beanspruchte Vektor.
- Die in den Dokumenten (15) - (17) aufgezeigten Ergebnisse seien nicht aussagekräftig, da die Beschwerdeführerin das mit dem beanspruchten Plasmid erreichte Expressionsniveau von IFN-ß1 nicht mit demjenigen verglichen habe, das mit dem besten Plasmid aus Dokument (1) (Seite 308) erzielt worden sei. Zudem habe sie das "Zwischen"-Plasmid nicht unter den Bedingungen kultiviert, die laut Dokument (1) (Tabelle 1) zur größten Ausbeute an Interferon führten. Im übrigen sei der Versuch nicht relevant, weil die Kopienzahl der Plasmide pro Zelle nicht überprüft worden sei; eine solche Überprüfung sei jedoch unabdingbar, um nachzuweisen, daß die angebliche verbesserte Wirkung auf das beanspruchte Plasmid als solches und nicht auf die spezifische Kombination dieses Plasmids mit den Wirtszellen zurückzuführen sei.
- Die Beschwerdegegnerin habe einen Versuchsbericht (Entgegenhaltung (22)) eingereicht, dem zufolge durch Expression des auf dem beanspruchten und des auf dem pSVEIF-Vektor liegenden Gens in CHO-Zellen die gleiche Menge Interferon produziert worden sei, wobei man die Expression des letzteren, wie im Dokument (1), Seite 308 angegeben, in Anwesenheit von 300 nM Methothrexat durchgeführt habe.
- Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (z. B. T 197/86, ABl. EPA 1989, 371) müsse ein Vergleich zwischen dem Stand der Technik und dem beanspruchten Gegenstand angestellt werden, um eine überraschende Wirkung gegenüber diesem Stand der Technik nachzuweisen. Die von der Beschwerdeführerin im Dokument (21) angeführten Ergebnisse seien nicht relevant, da der zum Vergleich mit dem beanspruchten Vektor herangezogene Expressionsvektor gar nicht pSVEIF gewesen sei, sondern nur dasselbe HincII-HincII-DNA-Fragment wie pSVEIF enthalten habe (Dokument (21), Seite 1). Auch die Ergebnisse der nachveröffentlichten Druckschrift (5) seien nicht relevant, da sich der Vektorteil der darin untersuchten rekombinanten Plasmide von dem des beanspruchten Vektors unterscheide. Sollten diese Ergebnisse dennoch berücksichtigt werden, so zeige Tabelle 3, daß bei der Expression des AsuII-HindIII-Fragments weniger Interferon produziert werde als mit dem HincII-HincII-Fragment. Deshalb sei die Verwendung des ersten Fragments keineswegs vorteilhaft.
- Der Vektor aus Anspruch 1 sei nicht erfinderisch, da er keine überraschenden Merkmale aufweise.
Hilfsantrag
Erfinderische Tätigkeit, Anspruch 1
Der Stamm, mit dem der beanspruchte BIC-8622-Stamm zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit verglichen werden sollte, sei nicht I-340, sondern dessen Derivat, das laut Dokument (1) (Seite 308) bei Kultivierung in Anwesenheit von 300 nM Methotrexat 106 Einheiten pro Tag je ml Kultur produzieren könne. Verglichen mit dem letzteren Stamm, der in einem 300 nM Methotrexat enthaltenden Medium kultiviert werde, sei der beanspruchte hinterlegte Stamm weder ausgesprochen stabil noch besonders produktiv. Die mangelnde Stabilität sei daraus ersichtlich, daß in den Dokumenten (15) - (17) verschiedene Interferonausbeuten genannt würden. Im Dokument (22) habe die Beschwerdegegnerin gezeigt, daß es keine signifikanten Unterschiede zwischen den von den BIC-8622-Zellen und den vom I-340-Derivat produzierten Mengen an IFN-ß1 gebe. Der hinterlegte Stamm sei nicht erfinderisch, da er keine überraschenden Merkmale aufweise.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag oder der Ansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag, beide eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2000.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
Artikel 123 (2) EPÜ, Ansprüche 7 und 8
1. Die Ansprüche 7 und 8 sind insbesondere auf ein Verfahren zur Herstellung eines IFN-ß1 enthaltenden Arzneimittels gerichtet, wobei dieses Interferon durch rekombinante Zellinien ohne Amplifikation der IFN-ß1-DNA produziert wird. Ein solches Verfahren wird in der Anmeldung in der eingereichten Fassung nicht expressis verbis offenbart. Jedoch heißt es im letzten Absatz auf Seite 1, der sich auf Seite 2 fortsetzt, daß der medikamentöse Einsatz von IFN-ß1 durch die schwierige Herstellung in großen Mengen eingeschränkt werde. Im darauffolgenden Absatz wird festgestellt: "Diese Situation hat schon sehr früh die Suche nach alternativen Herstellungsmethoden stimuliert und war damit einer der wichtigsten Antriebe für die Entwicklung moderner gentechnologischer Verfahren überhaupt." Auf Seite 12 der Anmeldung wird dann offenbart, daß IFN-ß1 in rekombinanten Zellinien ohne Amplifikation der IFN-ß1-DNA produziert werden kann.
2. Insgesamt betrachtet stellt diese Lehre eine implizite, aber eindeutige Offenbarung dar, daß Interferon zur Verwendung in einem Arzneimittel durch ein Verfahren hergestellt werden kann, das keinen Amplifikationsschritt umfaßt. Somit wird in der Anmeldung in der eingereichten Fassung ein Verfahren zur Herstellung von IFN-ß1 einschließlich der Verwendung dieses Interferons zur Herstellung eines Arzneimittels offenbart, wobei dieses Verfahren nicht den Schritt der Amplifikation der IFN-ß1-DNA umfaßt. Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind erfüllt.
Artikel 56 EPÜ; Anspruch 1
3. Nächstliegender Stand der Technik ist das Dokument (1). Darin wird offenbart, daß das IFN-ß1-Gen auf einem 1,83 kb EcoRI-Fragment, genauer gesagt auf einem 770 bp HincII-HincII-Fragment liegt (Seite 298). Es wird die Konstruktion des Vektors pSVEIF beschrieben, in dem die 770 bp HincII-HincII-DNA flußabwärts des SV40-Promotors eingesetzt wird (Abb. 1). Es wird gezeigt, daß rekombinante CHO-Zellen, die diesen Vektor enthalten, IFN-ß1 produzieren (Tabelle 1). In Abb. 2 des Dokuments (1) wird auch die Sequenz des 5'-Endes der IFN-ß1-DNA dargestellt.
4. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik besteht die zu lösende Aufgabe darin, einen weiteren rekombinanten Vektor zu erhalten, der nach Transfektion in CHO-Zellen zur Expression von IFN-ß1 führt.
5. Diese Aufgabe wird durch den beanspruchten pSVtss-AsuIFN-Vektor gelöst. Diesen Vektor erhält man, indem man ein von dem 1,83 kb EcoRI-DNA-Fragment abgeleitetes AsuII-HindIII-Fragment, das die in pSVEIF vorhandene HincII-HincII-DNA enthält, flußabwärts des SV40-Promotors einsetzt (Streitpatent, Abb. 1 und 2).
6. Das Vorliegen einer HindIII-Restriktionsstelle flußabwärts der HincII-Stelle am 3'-Ende des IFN-ß1-Gens war bereits am Prioritätstag in der Fachwelt bekannt (Dokument (2), Abb. 4); die Existenz einer AsuII-Restriktionsstelle rund 45 bp flußaufwärts des Beginns der IFN-ß1 codierenden Sequenz läßt sich direkt aus der im Dokument (1) angegebenen Sequenz ableiten. Da AsuII und HindIII an den jeweiligen Enden der IFN-ß1 codierenden Sequenz liegen, kommen sie natürlich für die Klonierung der genannten Sequenz in Frage. Sie auszuwählen erforderte noch keine erfinderische Tätigkeit, ebensowenig wie die Wahl des SV40-Promotors, da dies der Promotor ist, von dem aus bei pSVEIF die Transkription von IFN-ß1 eingeleitet wird.
7. Die Beschwerdeführerin argumentierte, daß man durchaus diese oder andere flußauf- und flußabwärts des IFN-ß1-Gens gelegene Restriktionsstellen zur Klonierung des IFN-ß1-Gens hätte auswählen können, es aber nicht zu erwarten gewesen sei, daß sich gerade die Wahl von AsuII und HindIII als vorteilhaft erweisen würde, genauer gesagt, daß der beanspruchte Vektor sicherer als pSVEIF wäre und zu einer höheren Ausbeute an IFN-ß1 führen würde.
8. In bezug auf die Sicherheit wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, daß die in pSVEIF vorhandene SV40-DNA nichts mit der tumorigenen Wirkung von SV40 zu tun habe und ihr Vorliegen im rekombinanten Vektor daher keine Risiken in sich berge. Die nicht tumorigene Wirkung dieser DNA wurde von der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen. Nach Auffassung der Kammer kann das DNA-Fragment nur dann als potentiell unsicher angesehen werden, wenn feststeht, daß es einen tumorigenen Einfluß hat oder Teil einer Sequenz ist, die einen solchen Einfluß hat. Da dies hier nicht der Fall ist, gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß pSVEIF weniger sicher als der beanspruchte Vektor sein soll.
9. Hinsichtlich der Interferonausbeute legte die Beschwerdeführerin vier Versuchsberichte vor. Aus den ersten drei Berichten (Dokumente (15) - (17)) geht hervor, daß die Ausbeute an IFN-ß1 in mit dem beanspruchten Vektor transfizierten CHO-Zellen fünfmal so hoch war wie in mit pSVEIF transfizierten CHO-Zellen (Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 2001, Seite 4). Bei diesen Versuchen wurde jedoch die Kopienzahl der rekombinanten Plasmide in den jeweiligen Wirtszellen nicht überprüft. Es läßt sich daher nicht feststellen, ob die unterschiedliche Ausbeute an IFN-ß1 tatsächlich daher rührt, daß das beanspruchte Konstrukt IFN-ß1 effizienter exprimiert, und nicht etwa daher, daß in den Zellen jeweils unterschiedlich viele Moleküle des Plasmids vorhanden waren. Die letztgenannte Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, da die Kopienzahl der Plasmide in einer rekombinanten Wirtszelle stark variieren kann. So ist aus Dokument (1), Seite 303, bekannt, daß mit pSVEIF transfizierte CHO-Zellen, die in Anwesenheit von 50 nM Methotrexat kultiviert werden, 15mal mehr Kopien des IFN-ß1-Gens enthalten und dann bis zu 20mal mehr Interferon produzieren. Demnach sind die in den Dokumenten (15) - (17) angeführten Versuche zwar geeignet, die Leistungsfähigkeit der rekombinanten CHO-Zellen unter identischen Versuchsbedingungen zu vergleichen, taugen aber nicht dazu, die Effizienz des beanspruchten Vektors im Vergleich zum Stand der Technik zu bewerten.
10. Im Dokument (21) verglich die Beschwerdeführerin die Produktionsleistung des beanspruchten Vektors mit derjenigen eines Vektors, der das HincII-HincII-DNA-Fragment von pSVEIF enthält, aber eine andere Struktur aufweist (Dokument (21), Seite 1, Zielsetzung). Die Ergebnisse sind daher für die Bewertung der relativen Eignung des beanspruchten Vektors und von pSVEIF zur Steuerung der Synthese von IFN-ß1 unbrauchbar.
11. Die Beschwerdeführerin wies die Kammer auch darauf hin, daß in den in der nachveröffentlichten Druckschrift (5) beschriebenen Versuchen durch Expression des AsuII-HindIII-Fragments mehr IFN-ß1 hergestellt worden sei als durch Expression des HincII-HincII-Fragments. Aus Tabelle 1 dieses Dokuments ist in der Tat ersichtlich, daß Pools von CHO-Zellen, die mit Superhelix-AsuII-HindIII-DNA transfiziert wurden, in 24. Stunden 500 Einheiten IFN-ß1 pro 106 Zellen exprimierten, während Pools von CHO-Zellen, die mit Superhelix-HincII-HincII-DNA transfiziert wurden, in 24 Stunden 300 Einheiten IFN-ß1 pro 106 Zellen produzierten. Aus Tabelle 3 geht jedoch hervor, daß Pools von CHO-Zellen, die mit linearer AsuII-HindIII-DNA transfiziert wurden, weniger IFN-ß1 produzierten als Pools von CHO-Zellen, die mit linearer HincII-HincII-DNA transfiziert wurden. Somit läßt die Druckschrift (5) keine eindeutigen Schlüsse auf die relative Eignung der beiden DNA-Fragmente zur Expression von IFN-ß1 zu.
12. Weiter betonte die Beschwerdeführerin die strukturellen Unterschiede zwischen dem beanspruchten Plasmid und pSVEIF. Da diesen Unterschieden jedoch keine direkte Wirkung zugeschrieben werden kann, sind sie für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit unerheblich.
13. Aus diesen Feststellungen wird geschlossen, daß die Konstruktion des beanspruchten Vektors kein erfinderisches Zutun erforderte und daß der Vektor keine überraschenden oder unerwarteten Merkmale aufweist. Daher wird der Hauptantrag wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen.
Hilfsantrag
Erfinderische Tätigkeit; Anspruch 1
14. Nächstliegender Stand der Technik ist das Dokument (1), in dem ein Stamm MEIF-5 (hinterlegt unter der Nummer I-340, Dokument (1a)) offenbart wird, der in der Lage ist, in Abwesenheit von Methotrexat konstitutiv Interferon mit Titern von 6,103/Tag/ml zu erzeugen, wobei die Titer in Abhängigkeit von der im Kulturmedium vorhandenen Menge an Methotrexat steigen.
15. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik besteht die zu lösende technische Aufgabe darin, einen alternativen rekombinanten CHO-Stamm zu isolieren, der Interferon produziert.
16. Diese Aufgabe wird durch den beanspruchten BIC-8622-Stamm gelöst, der in Abwesenheit von Methotrexat bis zu 50mal soviel IFN-ß1 erzeugen kann wie I-340 (Streitpatent, Seite 8 und Dokument (1), Tabelle 1), d. h. BIC 8622 kann ebensoviel IFN-ß1 produzieren wie I-340, das unter den besten Bedingungen zur Optimierung der Plasmidkopienzahl (300 nM Methotrexat) kultiviert wird. Dieses Ergebnis impliziert, daß BIC 8622 eine sehr große Zahl von Plasmidmolekülen stabil in sein Genom integriert hat. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin in Frage gestellt, weil die in den Dokumenten (15) - (17) genannten Interferonausbeuten des BIC-Stamms unterschiedlich waren, was sie als Beleg für mangelnde Plasmidstabilität wertete. Die in den Dokumenten beschriebenen Versuche wurden jedoch unter unterschiedlichen Versuchsbedingungen durchgeführt (Medium, Größe der Kulturgefäße etc.), was hinreichend erklärt, warum nicht immer dieselbe Interferonausbeute erzielt wird.
17. BIC 8622 hat den unerwarteten Vorteil, in Abwesenheit eines Selektionsmittels die gleiche Menge Interferon zu produzieren wie der im Stand der Technik offenbarte Stamm. Somit wird eine erfinderische Tätigkeit zuerkannt. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ werden vom Gegenstand des Anspruchs 1 und der von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 4 erfüllt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche gemäß dem am 12. Dezember 2000 in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag aufrechtzuerhalten.