T 0929/97 () of 3.4.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T092997.20010403
Datum der Entscheidung: 03 April 2001
Aktenzeichen: T 0929/97
Anmeldenummer: 88100373.5
IPC-Klasse: D04H 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung einer Faserdämmstoffbahn und Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens
Name des Anmelders: Deutsche Rockwool Mineralwoll-GmbH
Name des Einsprechenden: (I) RHI AG
(II) Paroc Oy AB
(III) Grünzweig + Hartmann AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 13. Januar 1988 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 21. Januar 1987 eingereichte europäische Patentanmeldung 88 100 373.5 wurde das europäische Patent 0 277 500 erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legten die Beschwerdegegnerinnen I bis III (Einsprechende 01 bis 03) gestützt auf die Gründe des Artikels 100 a), b) und c) EPÜ Einspruch ein und beantragten den Widerruf des Patents.

III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 1997 verkündeten Entscheidung. Die schriftliche Begründung wurde am 1. Juli 1997 zur Post gegeben.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des erteilten Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausging. Zumindest das Merkmal, "daß die losen Mineralfasern in der Sammelkammer zusätzlich mit einem Imprägniermittel versehen werden", sei in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht enthalten (Artikel 123 (2) EPÜ).

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 23. August 1997 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit der am 30. Oktober 1997 eingereichten Beschwerdebegründung hat sie zusätzliche Ansprüche gemäß einem ersten und zweiten Hilfsantrag vorgelegt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer Mitteilung vom 20. Juli 2000 auf die Problematik des Artikels 123 (2) EPÜ in Bezug auf Haupt- und Hilfsantrag I und des Artikels 123 (3) EPÜ hinsichtlich Hilfsantrag II hingewiesen.

VI. Am 3. April 2001 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der am 30. Oktober 1997 als Hilfsantrag II eingegangenen Patentansprüche 1 bis 16, deren Anspruch 1 wie folgt lautet:

"Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung einer Mineralfaser-Dämmstoffbahn zur Wärme- und Schalldämmung von Gebäuden oder Industrieprodukten, bei dem:

- die losen Fasern mit Binde- und Imprägniermitteln versehen und in einer Sammelkammer (1) zu einem Primärvlies (2) gesammelt werden,

- das Primärvlies anschließend kontinuierlich weitergefördert und vorverdichtet und im Bereich zwischen der Sammelkammer (1) und einem Härteofen (5) durch einen oder mehrere horizontale Schnitte in zwei oder mehrere Teilbahnen (7, 8) aufgespalten wird,

- mindestens eine Teilbahn (8) abgehoben und unter Ausrichten der Fasern durch Druck (9, 10) senkrecht zu den großen Bahnoberflächen stark komprimiert wird,

- im Bereich zwischen der Sammelkammer (1) und dem Härteofen (5) die abgehobene Teilbahn (8) zwecks Verhinderung einer Rückfederung in die Teilbahn (8) durch ein viskoses, kontinuierlich eingepreßtes Bindemittel oder ein auf der Innenfläche der Komprimierten Teilbahn aufgebrachtes feuchtigkeitsundurchlässiges Sperrmittel oder durch auf der Außen- und/oder Innenfläche der komprimierten Teilbahn aufgebrachtes luftdurchlässiges und thermisch stabiles Verstärkungsmittel, insbesondere dünne Vliese, Gewebe, Geflechte oder durch auf der Außen- und/oder Innenfläche der komprimierten Teilbahn aufgesprühte mit anorganischen Bindemitteln, insbesondere Wasserglas und dessen Derivate oder Kieselsäure-Ester kolloidaler Kieselsäure versehenen Metall- oder Keramikfasern so verstärkt wird, daß die Teilbahnen (7, 8) unterschiedliche Festigkeitseigenschaften aufweisen,

- die komprimierte Teilbahn (8) der oder den übrigen Teilbahnen (7) wieder zugeführt und mit diesen gemeinsam in dem Härteofen (5) ausgehärtet wird, und

- die wieder zusammengeführten Teilbahnen (7, 8) unter Druck (18) auf die großen Oberflächen durch den Härteofen (5) geführt werden."

Die Beschwerdeführerin trug dazu vor, die geänderten Ansprüche seien von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt und seien daher auch mit Artikel 123 (3) EPÜ vereinbar. Wenn in der erteilten Fassung des Patents im Oberbegriff des Anspruchs 1 ein Bindemittel und im kennzeichnenden Teil ein Imprägniermittel vorgesehen seien, so könnten diese beiden Substanzen in einem neuen einteiligen Anspruch zusammengefaßt im Plural ausgedrückt werden. Der Aussagegehalt bleibe für den Fachmann derselbe, denn er verstehe ohne weiteres, daß nach wie vor ein Bindemittel und ein Imprägniermittel gemeint seien.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Sie vertraten die Auffassung, der geänderte Anspruch 1 sei wegen Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig, und verwiesen auf die US-A-3 824 086 (D4) und Seite 1956 aus RÖMPP CHEMIE LEXIKON. Der Fachmann verstehe unter "Binde- und Imprägniermitteln" gleichermaßen homogene Mischungen von Binde- und Imprägniermitteln oder auch Substanzen, die als Bindemittel wirkten und durch Imprägnierung in die losen Fasern gelangten. Nachdem sich der Schutz des erteilten Anspruchs nur auf zwei getrennte Substanzen erstrecke, sei durch eine zusätzlich mögliche Kombination von zwei Substanzen oder zweier Wirkungen eines Mittels als ein Binde- und Imprägniermittel der Schutzbereich erweitert. Die Verwendung des Plurals für nur eine Substanz sei in der Fachsprache üblich, weil normalerweise aus einer Anzahl von vielen möglichen Binde- und Imprägniermitteln das geeignete ausgewählt würde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Anspruchs 1

2.1. Gemäß Artikel 123 (3) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents im Einspruchsverfahren nicht in der Weise geändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird.

2.2. Um den Schutzbereich des erteilten Patentanspruchs 1 zu definieren, ist zunächst dessen Gegenstand aus dem Blickwinkel des einschlägigen Fachmannes zu ermitteln. Dieser Anspruch ist gemäß Regel 29 (1) EPÜ in der zweiteiligen Form aufgebaut, wobei im Oberbegriff ausgesagt ist, daß bei dem beanspruchten Verfahren "die losen Mineralfasern mit einem Bindemittel versehen und in einer Sammelkammer zu einem Primärvlies gesammelt werden". Im kennzeichnenden Teil des Anspruchs heißt es dann weiter, "daß die losen Mineralfasern in der Sammelkammer zusätzlich mit einem Imprägniermittel versehen werden".

Aus diesem Wortlaut ergibt sich für den fachkundigen Leser, daß die losen Mineralfasern sowohl mit einem Bindemittel als auch mit einem Imprägniermittel versehen werden, die unzweideutig und zweifelsfrei zwei verschiedene Substanzen darstellen. Gestützt wird dieses Verständnis des Anspruchs 1 auch durch die Beschreibung des Patents (Spalte 7, Zeilen 27 bis 30 und Zeilen 45 bis 47), wonach die losen Mineralfasern unter gleichzeitigem Aufsprühen von Bindemitteln in der Sammelkammer gesammelt werden und in der Sammelkammer eine Vorrichtung zum zusätzlichen Aufsprühen von Imprägniermitteln bzw Schmälzmitteln vorgesehen ist. Zwar ist nicht gesagt, mit welcher Vorrichtung die Bindemittel aufgesprüht werden, jedenfalls muß eine Vorrichtung zum zusätzlichen Aufsprühen der Imprägniermittel vorhanden sein, womit ebenfalls klar ist, daß es sich um zwei verschiedene Substanzen handelt.

2.3. Gemäß dem geänderten Anspruch 1 werden nun die losen Fasern mit Binde- und Imprägniermitteln versehen und in einer Sammelkammer zu einem Primärvlies gesammelt. Rein sprachlich betrachtet besagt dieser Plural-Ausdruck "Binde- und Imprägniermittel" nach Überzeugung der Kammer entweder,

- daß er ein oder mehrere Bindemittel und ein oder mehrere Imprägniermittel umfaßt,

oder,

- daß es sich um eine oder mehrere Substanzen handelt, die gleichzeitig die Eigenschaften eines Bindemittels und eines Imprägniermittels haben.

Letzteres ergibt sich zB auch aus der D4 und der RÖMPP-Textstelle, wo Kunstharze als Bindemittel erwähnt sind, mit denen Mineralfaserprodukte oder Vliese imprägniert werden. Diese mehrfachen widerspruchsfreien Deutungsmöglichkeiten zeigen, daß der geänderte Anspruch 1 jedenfalls mehr umfaßt als ein Verfahren, bei dem die losen Mineralfasern mit einem Bindemittel und einem Imprägniermittel versehen werden. Sein Schutzbereich ist daher erweitert worden, so daß er mit der Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ nicht im Einklang steht.

3. Die Kammer ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, daß der Anspruch 1 nicht zugelassen werden kann. Das gleiche gilt für die Ansprüche 2 bis 16, die das Schicksal des Anspruchs 1 teilen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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