European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2001:T068397.20010727 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 Juli 2001 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0683/97 | ||||||||
Anmeldenummer: | 89109137.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | A46B 3/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von Borstenwaren | ||||||||
Name des Anmelders: | CORONET-Werke Gesellschaft mit beschränkter Haftung | ||||||||
Name des Einsprechenden: | M+C Schiffer GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - ja Erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende I) hat gegen die am 15. April 1997 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 0 346 646 die am 19. Juni 1997 eingegangene Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 25. August 1997 eingegangen.
II. Die folgenden Dokumente haben im Beschwerdeverfahren eine Rolle gespielt:
A1 bis
A23 Anlagen für eine behauptete offenkundige Vorbenutzung (Frisetta GmbH Kunststoffwerke)
E1 US-A-2 227 126
E2 US-A-2 488 873
E3 US-A-2 066 068
E5 US-A-2 664 316
E6 US-A-3 355 839
E9 US-A-764 898
E10 US-A-3 596 999
E14 DE-A-2 000 433
E15 Bock, E.: "Bürsten und Pinsel. Die vielfältigen Erzeugnisse des Bürsten- und Pinselmachergewerbes und ihre wichtigsten Bestandteile", Selbstverlag des Zentralverbands der Bürsten- und Pinselhersteller u.a., 1983, Bechhofen a.d.H., Seiten 1 bis 240
E17 DE-C-3 718 811
E18 US-A-2 647 019
E19 Prospekt: "Premium Quality Paintbrushes with DuPont Tapered Filaments. Tynex® Orel® Chinex®", DuPont Filaments, USA, 2408805, 14 Seiten
E20 EP-A-0 142 885
G1 Gutachten angefertigt von Herrn Prof. Dr.-Ing. Thomas Gries unter Mitwirkung von Herrn Dipl.-Ing. R. Ramakers, Aachen
M1 Prospekt des Deutschen Pinsel- und Bürstenmuseums, Bechhofen, undatiert
M2 vier Fotos von Büchsen, in die Borsten eingesetzt und aufgestoßen werden, vor der Befestigung an einem Borstenträger, undatiert
M3 Erklärung von Herrn J. W. Th. Vermunt, 12. Februar 1997
III. Am 27. Juli 2001 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Im Verfahren vor der Beschwerdekammer hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 und die Vorrichtung gemäß Anspruch 9 gegenüber einer offenkundigen Vorbenutzung der Firma Frisetta GmbH Kunststoffwerke bzw. gegenüber verschiedenen Druckschriften und dem allgemeinen Fachwissen nicht mehr neu oder zumindest bar jeden erfinderischen Schrittes seien.
Außerdem hat die Beschwerdeführerin Zeugen zur Feststellung des Fachwissens und der Vorbenutzung auf dem Gebiet des Streitpatentes angeboten.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat dem Vorbringen der Beschwerdeführerin widersprochen und vorgetragen, daß die zum Stand der Technik genannten Druckschriften und Lehren weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit zum beanspruchten Verfahren und zur beanspruchten Vorrichtung führen könnten.
IV. Während der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 vor, die wie folgt lauten:
"1. Verfahren zur Herstellung von Borstenwaren aus Kunststoff mit Borsten, deren nutzungsseitige Enden verrundet sind und in einer von der borstenseitigen Oberfläche des Borstenträgers abweichenden Kontur liegen und an ihren gegenüberliegenden Enden an einem Borstenträger befestigt sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Borsten mit den nutzungsseitigen Enden in einer Ebene liegend mit Abstand von diesen Enden mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt und an ihren nutzungsseitigen Enden durch mechanische oder chemische Bearbeitung verrundet, anschließend aus der Einspannung gelöst, daraufhin axial gegeneinander verschoben und schließlich mittels der Klemmeinrichtung in Wirklage mit einer Befestigungseinrichtung gebracht und mit den gegenüberliegenden Enden am Borstenträger befestigt werden."
"9. Vorrichtung zur Herstellung von Borstenwaren aus Kunststoff mit einem Borstenträger und daran befestigten Borsten, deren nutzungsseitigen Enden verrundet sind und in einer von der befestigungsseitigen Oberfläche des Borstenträgers abweichenden Kontur liegen, mit einer die Borsten an einer Bearbeitungsstelle positionierenden Halterung, einer an den nutzungsseitigen Enden der Borsten zur Wirkung bringbaren Einrichtung zum Verrunden dieser Enden und einer Einrichtung zum Befestigen der gegenüberliegenden Enden der Borsten an dem Borstenträger, dadurch gekennzeichnet, daß als Halterung eine Klemmeinrichtung (5) vorgesehen ist, mittels der die Borsten (10) einzeln oder gruppenweise mit Abstand von ihren in einer Ebene liegenden nutzungsseitigen Enden (12) an der Bearbeitungsstelle einspannbar und zunächst in Wirklage mit der Einrichtung (13) zum Verrunden und nach Lösen der Klemmeinrichtung und axialem Verschieben der Borsten gegeneinander in Wirklage mit der Befestigungseinrichtung bringbar sind."
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Basis der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 und 9, und der Ansprüche 2 bis 8 und 10 bis 20 wie erteilt aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
2.1. Verglichen mit dem erteilten Anspruch 1 enthält der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruch 1 das zusätzliche Merkmal, daß "die Borsten ... mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt werden" und daß die Borsten "mittels der Klemmeinrichtung in Wirklage mit einer Befestigungseinrichtung gebracht werden", siehe Seite 10, Zeilen 19 bis 26 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht und Spalte 6, Zeilen 49 bis 55 der Beschreibung wie erteilt.
2.2. Verglichen mit dem erteilten Anspruch 9 erklärt der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruch 9, daß "als Halterung eine Klemmeinrichtung (5) vorgesehen ist". Außerdem wird der Begriff "Bearbeitungseinrichtung (13)" in den spezifischeren Begriff "Einrichtung zum Verrunden (13)" geändert. Auf dieser Weise wird eine unterschiedliche Terminologie im Oberbegriff und im kennzeichnenden Teil des Anspruches vermieden.
2.3. Die Beschreibung ist diesen geänderten Ansprüchen lediglich angepaßt worden. Die Zeichnungen bleiben wie erteilt.
2.4. Da das Patent im Beschwerdeverfahren weder in der Weise geändert wurde, daß sein Gegenstand über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123 (2) EPÜ), noch der Schutzbereich des erteilten Patents erweitert wurde (Artikel 123 (3) EPÜ), sind die vorgenommenen Änderungen zulässig. Die Beschwerdeführerin hat keinen Einwand gegen die Änderungen erhoben.
3. Ansprüche 1 und 9
3.1. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß die Schritte im erteilten Anspruch 1 zeitlich ungenau definiert wären und gewissermaßen nicht "in einem Zuge" durchgeführt werden müßten, so daß die Verrundung der Borsten und ihre nachträgliche Konturierung durch Axialverschieben vor der Befestigung am Borstenträger in verschiedenen Vorrichtungen durchgeführt werden könnten.
Diese Argumente treffen jedoch auf den vorliegenden Anspruch 1 nicht zu, da nach diesem Anspruch "die Borsten ... mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt und ... verrundet" werden und schließlich mittels der(selben) Klemmeinrichtung "in Wirklage mit einer Befestigungseinrichtung gebracht und mit den gegenüberliegenden Enden am Borstenträger befestigt" werden, siehe auch Spalte 6, Zeilen 45 bis 55 der Beschreibung wie erteilt. Die Kammer geht deshalb davon aus, daß die Verfahrensschritte im Kennzeichen des Patentanspruchs 1 in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zueinander stehen, d. h. daß die Verfahrensschritte nacheinander in einem Zuge durchgeführt werden.
3.2. Auch in Anspruch 9 wird durch die funktionellen Merkmale im Kennzeichen deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die beanspruchte Vorrichtung mit Hilfe der Klemmeinrichtung imstande sein soll, die angegebenen Funktionen in derselben Vorrichtung nacheinander durchzuführen.
4. E17
4.1. Aus der E17 sind zwei unterschiedliche Verfahren zur Herstellung von aus Borstenträger und Borsten bestehenden Borstenwaren aus Kunststoff bekannt. In einem ersten Verfahren werden die Borsten und Borstenträger im weichplastischen Zustand zusammengeführt (siehe Anspruch 1, Spalte 1, Zeilen 18 und 19). In einem zweiten Verfahren werden die Borstenenden in einen Form eingeführt, in der der Borstenträger durch Spritzen oder Aufschäumen hergestellt wird (siehe Anspruch 7, Spalte 2, Zeilen 12 bis 16).
4.2. Im ersten bekannten Verfahren (siehe Fig. 3a und b) werden die Borsten mit den nutzungsseitigen Enden in einer Ebene liegend mit Abstand von diesen Enden mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt (Fig. 3a: Takte 1 und 2; und Spalte 17, Zeile 67 bis Spalte 18, Zeile 10). Bevor die Borstenendenheizung stattfindet kann die Klemmeinrichtung gelöst werden und daraufhin die Borsten axial gegeneinander verschoben werden (siehe Fig. 3a, Takte 2 bis 4; Spalte 13, Zeilen 38 bis 43). Die Borsten werden dann mittels der Klemmeinrichtung mit ihren den nutzungsseitigen Enden gegenüberliegenden Enden am Borstenträger befestigt (siehe Fig.3a, Takte 9 bis 12; Spalte 18, Zeilen 34 bis 43).
4.3. Danach, d. h. nach Befestigung der Borsten am Borstenträger, erfolgt in diesem ersten bekannten Verfahren gegebenfalls eine Nachbearbeitung der Borstenenden z. B. ein Abrunden (siehe Spalte 18, Zeilen 47. bis 51 und Takt 15 in Fig. 3b, oder Spalte 13, Zeilen 32. bis 37).
4.4. Im Unterschied dazu erfolgt beim vorliegenden Anspruch 1 und indirekt beim Anspruch 9 die Verrundung der Borsten bereits vor der axialen Verschiebung. Dieses Merkmal ist in der E17 weder ausdrücklich noch implizit offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1, bzw. des Anspruchs 9, ist daher gegenüber dem Inhalt der E17 neu.
4.5. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß in der E17 eine Reihe von Ausführungsbeispielen erläutert wird, die nicht den in den Zeichnungen wiedergegebenen Ausführungsformen entsprechen, und daß das Abrunden nach Befestigung der Borsten am Borstenträger in E17 nur ein vorteilhafter, nicht aber ein zwangsläufiger Schritt sei (siehe E17, Spalte 17, Zeile 32: "Gemäß einem weiteren Ausführungsbeispiel ..." und Spalte 10, Zeile 52: "Ferner kann vorgesehen sein ...").
Dies impliziert nach Meinung der Kammer aber nicht, daß die beanspruchte Reihenfolge der Herstellungsschritte auch offenbart oder impliziert ist.
4.6. Nach Meinung der Beschwerdeführerin entnimmt der Fachmann der E17, daß vor der Heizeinrichtung (49 auf Fig. 3a) beliebige Vorarbeiten oder Vorbehandlungen an den eingeklemmten Borsten vorgenommen werden könnten, d. h. die Borsten vorbereitet und zugerichtet werden könnten, wobei unter dem Zurichten der Borstenenden z. B. ein Abrunden zu verstehen sei. Die Beschwerdeführerin hat dafür verschiedene Textstellen in der E17 zitiert.
4.6.1. Erstens, gemäß Spalte 13, Zeilen 38 bis 43, "kann vor der Heizeinrichtung ... eine Einrichtung vorhanden sein, mittels der das Borstenbündel am Nutzungsende der Borsten konturiert wird." Die Heizeinrichtung 49 ist in Figur 3a, Takte 2-4 zu sehen, wobei sich das abgetrennte Borstenbündel in der Klemmeinrichtung 36 eingespannt mit den nutzungsseitigen Enden plan und in einer Ebene freiliegend befindet.
Diese Textstelle gehört aber zur Beschreibung des ersten Verfahrens (ab Spalte 12, Zeile 8 bis Spalte 14, Zeile 44), wobei die Verrundung der Borsten ausdrücklich erst nach dem Fertigstellen der Bürste erfolgt (in Takt 15 auf Fig. 3b, siehe auch Spalte 13, Zeilen 33 bis 37). Darüber hinaus gibt diese Textstelle an was unter "konturiert" zu verstehen ist, nämlich ein "Schüsseln". Dies hat aber nichts mit einem Verrunden zu tun. Hier ein Verrunden zu implizieren, wäre nur als Folge einer rückschauenden Betrachtung möglich.
4.6.2. Zweitens, gemäß Spalte 15, Zeilen 14 bis 16, gestattet die Klemmeinrichtung "beliebige Vorarbeiten oder Vorbehandlungen an den Borsten."
Diese Textstelle betrifft das zweite Verfahren (Spalte 14, Zeile 45 bis Spalte 16, Zeile 13), in dem die Borstenenden in den Borstenträger durch Spritzen oder Aufschäumen eingebettet werden (die Textstelle befindet sich in der Beschreibung zwischen Wiederholungen der Ansprüche 22 und 23, die abhängig von Anspruch 7 sind). Im übrigen betrifft diese Textstelle die Übergabe an die Spritzgießformen und der Fachmann würde daraus nur solche Vorarbeiten oder Vorbehandlungen entnehmen, die in einem technischen Zusammenhang mit dem nachfolgenden Spritzgießen stehen. Dem Fachmann wird kein Hinweis in Richtung einer Arbeit an den nutzungsseitigen Enden der Borsten gegeben. Die einzige realistischen Behandlungen und Bearbeitungen die in Betracht kommen und die auch in Anspruch 22 (Spalte 4, Zeilen 51 bis 53: Bezugszeichen 49 und 50) erwähnt werden, scheinen das Heizen (Bezugszeichen 49 in Fig. 6 und Anspruch 24) und das Formen (Bezugszeichen 50 in Fig. 6 und Anspruch 25) zu sein, und dies umsomehr, als ein Verrunden auch in diesem Verfahren erst am Ende stattfindet (Fig. 6, Bearbeitungsstation 65; Spalte 20, Zeilen 43 bis 45).
4.6.3. Drittens, in Spalte 11, Zeilen 17 bis 25 wird hervorgehoben, "daß die die Borsten aufnehmende Klemmeinrichtung von einer Bewegungsbahn, auf der die Borsten vorbereitet und zugerichtet werden können, auf die andere Bewegungsbahn mit den Spritzguß- oder Schäumformen überführt ... werden."
Auch diese Textstelle betrifft das zweite Verfahren (Spalte 10, Zeile 57 bis Spalte 11, Zeile 65), da sie sich in der Beschreibung zwischen Wiederholungen der Ansprüche 7 und 8 befindet. Somit offenbart diese Passage nicht allgemein eine Vorbereitung oder Zurichtung von Borsten vor der Durchführung anderer Arbeitsschritte, sondern nur im Kontext mit der Übergabe an die Spritzgießformen. Außerdem wird dort nicht ausdrücklich das Verrunden angegeben. In der Tat hat das Vorbereiten und Zurichten in dieser Textstelle mit der Bearbeitungs- bzw. Behandlungsstation in Anspruch 7 zu tun (Spalte 2, Zeilen 27 und 28 und Spalte 11, Zeilen 5 bis 16), d. h. mit dem Heizen (Anspruch 8 und Spalte 11, Zeilen 43 bis 51) und dem Formen (Anspruch 9 und Spalte 11, Zeilen 51 bis 55). Demgegenüber macht Anspruch 10 und die damit verbundene Beschreibung (Spalte 11, Zeilen 61 bis 65) deutlich, daß ein Verrunden ganz am Ende des Verfahrens durchgeführt wird.
4.6.4. Viertens, gemäß Spalte 18, Zeile 50, wird unter dem Zurichten der Borstenenden z. B. ein Abrunden verstanden.
Es trifft zu, daß der Begriff "Zurichten" den Begriff "Abrunden" deckt, die Begriffe sind aber keine Synonyme. Darüber hinaus wird das Abrunden als Beispiel für ein Zurichten, in der Station 15 durchgeführt, d. h. am Ende des Verfahrens.
4.7. Folglich würde der Fachmann, ausgehend von dieser Druckschrift E17, erstens nicht dazu angeregt werden durch diese Druckschrift ein Verrunden der Borsten am Anfang des Herstellungsverfahren durchzuführen, und zweitens durch diese Druckschrift nicht zum beanspruchten Verfahren oder zur beanspruchten Vorrichtung geführt werden.
5. Nächstkommender Stand der Technik, Aufgabe und Lösung
Als nächstkommender Stand der Technik wird die E17 angesehen. Ausgehend von der Lehre dieser Druckschrift wird die Aufgabe darin gesehen, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Verfügung zu stellen, die ein einwandfreies Verrunden der Borstenenden mit gleichbleibender und reproduzierbarer Qualität sowie ein Konturieren einzelnen Borstenbündel oder des gesamten Borstenbesatzes in einfacher Weise ermöglichen.
Die Aufgabe wird durch die Merkmale der Ansprüche 1 und 9. gelöst. Danach hat man ein Verfahren, bzw. eine Vorrichtung, die es ermöglicht in einem Zug innerhalb einer Vorrichtung die Borstenwaren einfach herzustellen.
6. Die behauptete offenkundige Vorbenutzung
6.1. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß die Einsprechende II (Frisetta GmbH Kunststoffwerke - die ihren Einspruch zurückgenommen hat), vor dem Prioritätstag sogenannte "Interdentalpinsel" nach dem Herstellungsverfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 hergestellt und in Verkehr gebracht habe. Zur Herstellung solcher Bürsten hätten entsprechende Mittel gemäß dem erteilten Anspruch 9 verwendet werden müssen. Zur Stützung ihrer Argumente nannte die Beschwerdeführerin die Anlagen A1 bis A23.
6.2. In der Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung hat die Kammer zum Ausdruck gebracht, daß sie keinen Anlaß sah anzunehmen, daß das verwendete Herstellungsverfahren bei der Firma Frisetta GmbH Kunststoffwerke sowie die verwendete Vorrichtung zur Herstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die Kammer sah das Angebot der Zeugen Strohmeier, Adam, Faschian und Böhler als nicht relevant, da sie nur für die Verfahrensführung bei der Herstellung angeboten worden waren, nicht aber für die Zugänglichkeit des Herstellungsverfahrens bzw. der Herstellungsvorrichtung für die Öffentlichkeit.
Weitere Beweise oder Zeugen, die die Zugänglichkeit hätten belegen können, sind aber nicht mehr genannt worden. Deswegen braucht die Kammer nicht weiter darauf einzugehen.
6.3. Darüber hinaus erhob die Kammer in der Anlage die Frage, ob es mittels einer verkauften Interdentalbürste möglich wäre, den unmittelbaren, zeitlichen Zusammenhang der Verfahrenschritte bzw. der funktionellen Merkmale eindeutig abzuleiten.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, der Fachmann sehe aus der Abrundungsqualität der Filamente der fertigen Interdentalpinsel, z. B. in den Anlagen A9 und A23, daß die Filamente zunächst gleichmäßig abgerundet worden seien (dies gehe nur, wenn die Spitzen zunächst in einer Ebene gehaltert werden) und dann zu der Kegelspitze (axial) verschoben und schließlich befestigt worden seien.
6.4. Im Hinblick auf die Frage der Erkennbarkeit der Abfolge der Verfahrensschritte am fertigen Produkt, insbesondere das vorherige oder nachträgliche Verrunden der Borstenspitzen, reichte die Beschwerdeführerin kurz vor der mündlichen Verhandlung das Gutachten G1 ein.
Gemäß Abschnitt 3.1 auf Seite 14 dieses Gutachten wurden Licht- und rastermikroskopische Untersuchungen "an handelsüblichen Endprodukten" unternommen. Untersucht waren Bürsten mit Borsten, die vor der Profilierung verrundet wurden und auch Bürsten mit Borsten, die nach der Profilierung verrundet wurden. Es wurde von der Beschwerdeführerin nicht behauptet, daß diese Endprodukte aus der Zeit vor dem Prioritätstag stammten.
Als Beispiel, gemäß Abschnitt 3.2 auf Seite 14 sollte die Tatsache, daß alle Borsten in Abbildung 6 des Anhanges ein gleichmäßig, symmetrisch verrundetes Ende aufweisen, eindeutig auf die Herstellungshistorie schließen lassen.
6.5. Selbst wenn die Kammer akzeptieren würde, daß der Fachmann aus der Qualität der Verrundung der Borsten weiß, ob die Borsten vor oder nach der Profilierung verrundet wurden, würden die Fragen offen bleiben, wie die Borsten verrundet wurden und wie die Bürste hergestellt wurde.
6.6. Diese Fragen, soweit sie die im Gutachten gezeigten Borsten betreffen, brauchen natürlich keinen Antwort, da diese Borsten aus der Zeit nach dem Prioritätstag stammen. Die Fragen betreffen somit nur die Bürste der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung d. h. den Interdentalpinsel.
Von der Beschwerdeführerin wurde kein Beweis geliefert, daß das beanspruchte Verfahren oder die beanspruchte Vorrichtung vor dem Prioritätstag, bei der Firma Frisetta GmbH Kunststoffwerke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Laut den vorliegenden Ansprüchen 1 und 9 erfüllt die Einspannung mittels einer Klemmeinrichtung eine Doppelaufgabe, nämlich eine Funktion während der Verrundung der Borsten sowie eine Funktion während deren Befestigung an dem Borstenträger. Verrundete Borstenpacks als Zulieferteile waren seit langem auf dem Markt (siehe Seite 15, Absatz 4 der Beschwerdebegründung) und diese hätten der Grundstoff für den Interdentalpinsel sein können. In diesem Fall wären aber, selbst wenn die Borsten mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt und verrundet wären (um als verrundete Borstenpacks geliefert werden zu können), und wenn die Borsten mittels einer zweiten Klemmeinrichtung am Borstenträger befestigt wären (nach Lieferung), zwei verschiedene Klemmeinrichtungen nötig, anstatt der einen gemäß den vorliegenden Ansprüchen 1 und 9. Ein solches Vorgehen würde auch zwei völlig unterschiedliche Vorrichtungen implizieren, die kein Verfahren in einem Zug erlauben würden.
7. Das Gutachten G1
7.1. Im Gutachten G1 wird außerdem mit Hilfe einer konstruktionssystematischen Analyse (Seiten 4 bis 13) erörtert, ob die Art der Hauptfunktionen des beanspruchten Verfahrens und ihre spezifische Reihenfolge in der Funktionssynthese naheliegend, wenn nicht sogar zwingend erforderlich ist. Unter Beachtung der generellen, aus dem Stand der Technik bekannten Verfahrensweise wird die Frage untersucht, ob es zur Auffindung des beanspruchten Verfahrens eines besonderen, vom üblichen abweichenden Vorgehens bedurfte.
Im Gutachten heißt es dazu (Seite 13) "Fazit mit Hilfe der praxisüblichen systematischen Vorgehensweise in Entwicklung und Konstruktion von neuen Produkten. Es lassen ... Einfache praxisübliche Überlegungen müssen daher zu der Hauptfunktionsabfolge, die in Abbildung 4.2 dargelegt ist, führen." (Abbildung 4.2 skizziert das Verfahren wie erteilt).
7.2. Die Kammer möchte nur darauf aufmerksam machen, daß erstens der Stand der Technik, der doch durch Fachmänner geschaffen wurde, nicht zu einem solchen Verfahren oder einer solchen Vorrichtung geführt hat, obwohl gemäß Gutachten dies doch hätte naheliegend sein sollen, und daß zweitens das Gutachten sich nicht über die konkrete Gestaltung der Erfindung (Klemmeinrichtung-Doppelfunktion) geäußert hat.
Darüber hinaus verfährt die Kammer bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem Konzept "Aufgabe-Lösungs-Ansatz", der sich in drei Phasen gliedert, nämlich die Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik (d. h. was schon am Prioritätstag bekannt war), die Bestimmung der zu lösenden technischen Aufgabe (wobei objektive Kriterien maßgebend sind) und die Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre. Weitgehende Abstraktionen, die vom konkreten Denken des Fachmanns wegführen, sind dabei zu vermeiden.
7.3. Die Vorgehensweise im Gutachten bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wird von der Kammer dagegen als ungeeignet angesehen und kann deswegen von der Kammer auch nicht übernommen werden, weil sie erstens von der technischen Realität im Sinne des nächstkommenden Stands der Technik absieht, und sich zweitens für die Aufgabenstellung auf das angefochtene Patent stützt. Die Kammer sieht dies als eine Ex-post-facto Betrachtung an, die sich darüber hinaus auch noch vom technischen Rahmen loslöst, der normalerweise vom Ausgangs-Stand der Technik vorgegeben wird. Eine solche abstrahierende theoretische Annäherung kann einer technischen Betrachtung durch einen Fachmann im betreffenden technischen Gebiet nicht gleichgestellt werden.
8. M1 bis M3, E2, E5, E9, E15 und E20
8.1. Gemäß der Erklärung M3 sei es seit langer Zeit für die Herstellung von Pinseln und Bürsten üblich, das jeweilige Borstenbündel vor dem Befestigen an dem Griffstück zuerst einer Anspitzungsbehandlung zu unterwerfen, danach durch Aufstoßen des nutzungsseitigen Endes des Borstenbündels gegen eine konkave Gegenfläche zu konturieren, um dadurch ein axiales Verschieben der Borsten zu bewirken, und es erst dann mit seinem Befestigungsende an dem Griffteil zu verankern.
Da die Kammer diese Tatsachen nicht bezweifelte, sah sie keinen Grund die für diese Tatsachen angebotenen Zeugen Vormund, Ströhlein und Zahn zu laden.
Die Benutzung derselben Klemmeinrichtung (innerhalb eines einzigen Verfahrens oder einer einzigen Maschine) während der Anspitzungsbehandlung und während der Befestigung am Griffteil ist diesen Tatsachen jedoch nicht zu entnehmen.
8.2. Die M1, M2, E2, E5, E9, E15 und E20 kommen dem Gegenstand des Patents nach Meinung der Kammer nicht näher als M3.
8.3. Das allgemeine Fachwissen und die obengenannte Druckschriften konnten den Fachmann deshalb nicht zu dem Verfahren gemäß Anspruch 1 oder zu der Vorrichtung gemäß Anspruch 9 führen.
9. E14 oder E19 mit E10 oder E17
9.1. Figuren 2 und 3 der E14 zeigen eine Haltevorrichtung 3 zum Halten von Fäden- oder Borstenelementen 12. Die Fäden drehen sich auf der Haltevorrichtung 3 während ihrer Fortbewegung unterhalb einer endlosen Schleifleinwand 9, siehe Seite 7, Zeilen 4 bis 6. Die Enden der Fäden werden in eine abgerundete glatte Form geschliffen und poliert und erhalten die in Figur 5 dargestellte halbkugelige oder halbellipsoide Form, siehe Seite 7, Zeilen 12 bis 15. Anschließend werden die Fäden selbsttätig aus der Haltevorrichtung entfernt, siehe Seite 7, Zeilen 15 und 16. Es wird aber nicht offenbart oder impliziert, wie die Fäden weiterbearbeitet werden, da es sich hier ausschließlich um eine Vorrichtung zum kontinuierlichen Schleifen und Polieren handelt.
9.2. E10 beschreibt das axiale Verschieben der Borsten in einer Haltevorrichtung vor dem Befestigen der Borstenbündel am Borstenträger (d. h. Konturieren), siehe Figuren 8 bis 10 und Spalte 4, Zeilen 43 bis 55.
Die Haltevorrichtung 3 der E14 kann nicht den Zweck der Haltevorrichtung 31 gemäß E10 erfüllen und die Kammer sieht überhaupt keinen Grund anzunehmen, daß der Fachmann auf die Idee kommen könnte, daß die Haltevorrichtung 3 der E14 auch während der Befestigung der Borstenbündel am Borstenträger im Verfahren gemäß E10 aktiv sein könnte. Ein Zusammenlegen der unterschiedlichen Verfahrenschritte, die nach E14 (Verrunden) und E10 (Konturieren und Befestigen) wesentlich sind, in einem Verfahren und in einer Vorrichtung wird in diesen Druckschriften weder angegeben noch suggeriert.
9.3. In dem Verfahren gemäß E17 wird ein Endlosstrang 22 an die Vorrichtung herangeführt (Anspruch 11; Spalte 11, Zeile 66 bis Spalte 12, Zeile 7), das Borstenbündel wird von dem Strang in der gewünschten Länge abgeschnitten und dann weiterverarbeitet, einschließlich des Verrundens. Das Verfahren gemäß E14 liefert dagegen abgeschnittene Fäden, die schon verrundet sind. Es ist der Kammer nicht klar, wie der Fachmann diese beiden Verfahren kombinieren könnte, da sie in Prinzip inkompatibel sind. Es sei denn man verwendet zwei unterschiedliche separate Vorrichtungen mit einem Zwischenlager für die verrundeten abgeschnittenen Fäden. Dies ist aber nicht die Lehre der Ansprüchen 1 und 9.
9.4. Das auf Seite 6 der E19 offenbarte Schleifverfahren ist nicht relevanter als das Verfahren der E14.
10. E6 und E18
10.1. Während des Schleifverfahrens gemäß der E6 wird das Borstenbüschel lose gehalten ("loosely holding": Anspruch 1, 13 und 15 bis 22), wobei eine Drehbewegung und eine querseitige Bewegung der Borsten relativ zueinander in dem Büschel bewirkt wird, siehe auch die Zusammenfassung in Spalte 1. Diese Druckschrift kann den Fachmann deshalb nicht zu dem beanspruchten Verfahren führen, in dem die Borsten während der Verrundung mittels einer Klemmeinrichtung eingespannt werden, geschweige denn zu einem Verfahren wo in einem Zuge noch konturiert und befestigt wird, und das auch noch mit Hilfe einer einzigen Klemmeinrichtung.
10.2. Die Beschwerdeführerin schreibt auf Seite 16 der Beschwerdebegründung, daß die Borsten im Verfahren gemäß Figur 5 der E6 beidseitig beschliffen werden, um deren spätere Verwendung beim Bürstenhersteller zu erleichtern. Dies spricht klar gegen die Verrundung, Konturierung durch Axialverschieben und Befestigung am Borstenträger in einer einzigen Vorrichtung wie es im Anspruch 1 definiert wird.
10.3. Zwar offenbart die E6 in Zeilen 41 bis 44 der Spalte 7, daß die Borsten am Borstenträger installiert werden können, so daß nicht planare, nutzungsseitige Endkonfigurationen vorliegen. Es gibt jedoch keinen Grund anzunehmen, daß die nutzungsseitige Enden in einer von der borstenseitigen Oberfläche des Borstenträgers abweichenden Kontur liegen, siehe hier z. B. die Figur 1 der E18.
10.4. Es ist somit klar, daß ein Fachmann durch die E6 nicht dazu angeregt werden kann, das Verfahren oder die Vorrichtung gemäß E17 so abzuändern, daß eine Klemmeinrichtung die beanspruchte Doppelfunktion ausführen kann.
11. Auch die E1 und E3, die eine Vorabverrundung als Stand der Technik angeben (E1: Seite 3, Zeilen 22 bis 25; E3: Seite 2, rechte Spalte, Zeilen 61 bis 64) können einen Fachmann nicht zum beanspruchten Verfahren oder zur beanspruchten Vorrichtung führen. In der Tat ist weder explizit noch implizit, ein Hinweis in Richtung einer Doppelfunktion für eine Klemmeinrichtung aufzufinden.
12. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 und die Vorrichtung gemäß Anspruch 9 beruhen daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Das Patent kann daher mit den geänderten Unterlagen aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
1. und 9 wie in der mündlichen Verhandlung überreicht,
2. bis 8 und 10 bis 20 wie erteilt,
Beschreibung:
Spalten 1, 2, 5, 6 und 9 bis 12 wie erteilt,
Spalten 3, 4, 7, 8 und 13 wie in der mündlichen Verhandlung überreicht,
Zeichnungen:
wie erteilt.