T 0865/96 () of 9.7.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T086596.19980709
Datum der Entscheidung: 09 Juli 1998
Aktenzeichen: T 0865/96
Anmeldenummer: 90125329.4
IPC-Klasse: H02B 13/035
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung und Verfahren zur Verbindung von in getrennten Gehäusen untergebrachten gasisolierten Schaltanlagen
Name des Anmelders: AEG Sachsenwerk GmbH
Name des Einsprechenden: Fritz Driescher KG Spezialfabrik für Elektrizitätswerksbedarf
GmbH & Co.
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 55(c)
Schlagwörter: Behauptete öffentliche Vorbenutzung (nicht erwiesen)
Einspruch während des Beschwerdeverfahrens zurückgenommen
Angefochtene Entscheidung von der Kammer überprüft und aufgehoben
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
T 0830/90
T 0472/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Patentinhaber hat die vorliegende Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 438 769 eingelegt.

II. Im Einspruchsverfahren wurde das Streitpatent nicht geändert. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Einrichtung zur Verbindung von in getrennten Gehäusen (4a, 4b) untergebrachten gasisolierten Schaltanlagen (I, II) mit durch zweiteilige Steckkontakte (3, 9) phasenweise kuppelbare Sammelschienen (1a, 1b), für die in jedem Gehäuse (4a, 4b) Austrittsöffnungen (16) angebracht sind und deren Kuppelleitungen (2, 12) mit einer Isolation umgeben sind,

dadurch gekennzeichnet,

daß in jeder Schaltanlage (I, II) für die Sammelschienen (1a, 1b) jeweils ein Steckkontaktteil (3, 13, 9) innerhalb des Gehäuses (4a, 4b) eingebaut und durch einen die Austrittsöffnung (16) verschließenden, während des Verbindungsvorgangs der Schaltanlagen (I, II) abnehmbaren Deckel (5) abgedeckt ist, und daß die Kuppelleitungen (2, 12) von einem mit Isoliergas gefüllten, die Austrittsöffnungen (16) der zu verbindenden Schaltanlagen (I, II) verschließenden Verbindungsstück (11, 21) gekapselt sind."

Ansprüche 2 bis 10 sind von Anspruch 1 abhängig. Anspruch 11 richtet sich auf ein "Verfahren zur Verbindung von in getrennten Gehäusen untergebrachten gasisolierten Schaltanlagen nach Patentanspruch 1 oder einem der folgenden".

III. Während des Einspruchsverfahrens wurden zum Stand der Technik folgende Druckschriften genannt:

D1: DE-U-7 729 866

D2: FR-A-1 308 183

D3: FR-A-2 115 319

D4: Druckschrift Nr. 1389/H von Calor Emag, "Metallgekapselte, SF6-isolierte Schaltanlagen für Ortsnetz-Verteilerstationen Typenreihe ZL4"

D5: Programmübersicht, Bestellnummer A 19100-E 139 B 391 von Siemens "SF6-isolierte Lastschaltanlage 8DJ10"

D6: DE-A-3 515 421.

Weiter wurden zwei öffentliche Vorbenutzungen behauptet:

D7: Lieferung am 24. April 1989 an RWE, Essen gemäß Anlagen A1 bis A7

D8: Lieferung am 13. Oktober 1989 an Stadtwerke Dillingen GmbH gemäß Anlagen B1 bis B4.

Zeugen für die Vorbenutzungen wurden genannt.

IV. Die Einspruchsabteilung bezweifelte die Offenkundigkeit der geltend gemachten Vorbenutzungen nicht und verzichtete auf die angebotene Einvernahme der Zeugen.

V. Der Widerruf wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dabei wurde von der Offenbarung des Dokuments D6 als nächstliegendem Stand der Technik gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 ausgegangen. Weiter seien mit Ausnahme der Isoliergasfüllung alle kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 durch die Vorbenutzung D7 offenbart. In diesem einzigen Unterschied könne nichts Erfinderisches gesehen werden. Der einschlägige Fachmann würde nämlich die aus D7 bekannten Maßnahmen auch bei gasisolierten Schaltanlagen gemäß D6 in Betracht ziehen und ohne Schwierigkeiten zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Die Merkmale der Ansprüche 2 bis 10 seien aus D7 entweder bekannt oder nahegelegt. Das gleiche gelte auch für den Verfahrensanspruch 11.

VI. Im Beschwerdeverfahren hat der Patentinhaber mit Schreiben vom 18. September 1997 gerügt, daß die von dem Einsprechenden behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen nicht durch die vorgelegten Beweismittel belegt seien.

Die Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der nächstliegende Stand der Technik sei unbestritten in D6 offenbart. Die Erfindung sehe Steckkontaktteile innerhalb der zu verbindenden Gehäuse und somit innerhalb der Gasisolation vor. Der notwendige gasdichte Abschluß erfolge vor der Verbindung von Anlagen durch die abnehmbaren Deckel, nach der Verbindung durch die Kuppelleitungen. Die Isoliergasfüllung im Verbindungsstück kommuniziere dadurch mit den Isoliergasfüllungen der Schaltanlagen.

Die angeblich vorbenutzte Einrichtung nach D7 unterscheide sich grundsätzlich durch ihre Luftisolation und zeige weitere Unterschiede im Aufbau, die keinen Hinweis auf die Erfindung gäben. Insbesondere sei das Steckkontaktteil außerhalb des Gehäuses angeordnet. Somit seien zusätzliche Isolierungsmaßnahmen erforderlich.

Die gasisolierte Schaltanlage nach D8 weise von der Erfindung weg, da sie zwar ein Steckkontakteil innerhalb des Gehäuses besitze, aber wie D6 eine feste Durchführung nach außen aufweise.

In Erwiderung auf die Eingabe des Beschwerdegegners argumentierte der Beschwerdeführer, der Einsprechende habe die Vorbenutzungen gar nicht glaubhaft nachgewiesen. Er habe nur Nachweise über beabsichtigte Liefertermine und nicht über tatsächlich erfolgte Lieferungen erbracht. Die Zeichnungen wiesen teilweise Vermerke wie "vertraulich" und "ungültig" sowie weitere Unstimmigkeiten auf, so daß die Schlüssigkeit des ganzen Vorbringens in Frage gestellt sei und vom Beschwerdeführer bestritten werde.

VII. Der Beschwerdeführer beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent unverändert aufrechtzuerhalten. Zwei Hilfsanträge auf Aufrechterhaltung eines Patents mit geänderten Unterlagen wurden gestellt. Eine mündliche Verhandlung wurde hilfsweise beantragt.

VIII. Der Beschwerdegegner hat mit Schreiben vom 20. Mai 1998 den Einspruch zurückgenommen, ohne sich zu den angesprochenen Mängeln der Beweismittel zu äußern.

IX. Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 1. Juli 1998 auf die Rücknahme des Einspruchs reagiert und seinen Hauptantrag bekräftigt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zurücknahme des Einspruchs

Da die Beschwerde vom Patentinhaber gegen die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt worden ist, ergeben sich daraus keine weiteren verfahrensrechtlichen Folgen. Vielmehr muß die Beschwerdekammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich überprüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben, wenn die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des europäischen Patents nicht entgegenstehen. Dabei können auch Beweismittel, die von dem Einsprechenden vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, herangezogen werden (siehe dazu T 830/90, ABl. EPA 1994, 713, Nr. 2).

3. Behauptete Vorbenutzungen

3.1. Die Kammer stimmt mit dem Beschwerdeführer überein, daß weder die Anlagen A1 bis A7 noch die Anlagen B1 bis B4 die behaupteten öffentlichen Vorbenutzungen ausreichend nachweisen.

3.2. Insbesondere ist anzumerken, daß der in der Anlage A5 (Auftragsbestätigung vom 14. Februar 1989 an die RWE) angegebene Liefertermin (16. Woche 89) lediglich als ein vorgesehener oder angebotener Liefertermin zu verstehen ist. Weder aus der Anlage A5 noch aus den übrigen Anlagen ist zu entnehmen wann - wenn überhaupt - eine tatsächliche Lieferung erfolgte.

3.3. Ebenfalls ist aus den Anlagen B1 bis B4 nicht zu entnehmen wann - wenn überhaupt - eine tatsächliche Lieferung erfolgte.

3.4. Der Beschwerdeführer hat auch auf weitere Mängel in der Beweiskette hingewiesen (siehe VI. oben), die nicht ohne Mitwirkung des Einsprechenden aufgeklärt werden können. Die Kammer teilt die Bedenken, daß nicht überzeugend nachgewiesen wurde, welcher Gegenstand genau geliefert worden sein soll.

Es gibt auch keinen Hinweis, daß die zum Nachweis der Vorbenutzung eingereichten Dokumente (Anlagen A1 bis A7 und B1 bis B4) selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

3.5. Eine offenkundige Vorbenutzung muß aber vom Einsprechenden lückenlos nachgewiesen werden, wenn die Beweismittel in seiner Verfügungsmacht und dem Wissen des Einsprechenden unterliegen (vgl. T 472/92, ABl. EPA 1998, 161, Punkt 3.1). Die Kammer hat nach ständiger Rechtsprechung nur eine begrenzte Verpflichtung zur Ermittlung von Amts wegen (Artikel 114 (1) EPÜ) in bezug auf offenkundige Vorbenutzungen, wenn der Einsprechende seinen Einspruch zurückgezogen hat (vgl. T 830/90, Nr. 2).

3.6. Die behauptete offenkundige Vorbenutzung ist somit nicht glaubhaft gemacht worden. Die sich darauf stützenden Argumente werden daher nicht weiter berücksichtigt.

4. Zum Stand der Technik genannte Druckschriften

4.1. Es ist von keiner Seite bestritten worden, daß in D6 der nächstliegende Stand der Technik mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Streitpatents offenbart ist.

4.2. Die anderen Dokumente D1 bis D5 entsprechen den Entgegenhaltungen, die auf dem Deckblatt bzw. in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift genannt sind. Der Einsprechende hat diese Beweismittel zwar in der Einspruchsschrift zitiert, hat aber keine Tatsachen aus diesen Dokumenten zur Begründung seines Einspruchsgrundes angegeben (Regel 55 c) EPÜ).

Die Kammer ermittelt nicht von Amts wegen über diesen faktischen Rahmen der Einspruchsschrift und der angefochtenen Entscheidung hinaus (vgl. G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, insbesondere Nr. 4 bis 6, 12, 16 und 18).

4.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents unterscheidet sich von der aus D6 bekannten Einrichtung durch die Merkmale seines kennzeichnenden Teils. Eine solche mit Isoliergas gefüllte Verbindung von Austrittsöffnungen benachbarter Schaltanlagen ermöglicht eine nachträgliche Erweiterung bereits im Einsatz befindlicher Schaltanlagen (siehe Spalte 2, Zeilen 1. bis 34, der Patentschrift). Das Dokument D6 gibt dazu keinerlei Anregung, da alle dort vorgeschlagenen Lösungen (Figuren 2 bis 4) von festen gasdichten Durchführungen der Gehäuse ausgehen.

4.4. Aus demselben Grund gibt D6 auch keine Hinweise auf die Verfahrensschritte zur Verbindung von Schaltanlagen nach Anspruch 11.

5. Nach Überprüfung der von dem Einsprechenden vor der Zurücknahme des Einspruchs zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel ist die Kammer der Auffassung, daß der von dem Einsprechenden genannte Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ und Artikel 52 (1) und 56 EPÜ) der Aufrechterhaltung des Streitpatents in unveränderter Form nicht entgegensteht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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