T 0571/96 (Massenspektrometer/BRUKER DALTONIK GMBH) of 9.5.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T057196.20000509
Datum der Entscheidung: 09 Mai 2000
Aktenzeichen: T 0571/96
Anmeldenummer: 88120710.4
IPC-Klasse: H01J 49/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur massenspektroskopischen Untersuchung eines Gasgemisches und Massenspektrometer zur Durchführung dieses Verfahrens
Name des Anmelders: Bruker Daltonik GmbH
Name des Einsprechenden: Finnigan Corporation
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Offenkundige Vorbenutzung (ja)
Erfinderische Tätigkeit (nein: Hauptantrag und erster Hilfsantrag; ja: zweiter Hilfsantrag)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer von Rechtsfragen bezüglich der Bedeutung einer offenkundigen Vorbenutzung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/92
T 0170/87
T 0674/91
T 0857/91
T 0597/92
T 0939/92
T 1002/92
T 0868/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat ihre am 25. Juni 1996 unter gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr eingelegte Beschwerde gegen die am 30. April 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung gerichtet, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 321 819 zurückzuweisen. Die Beschwerdebegründung wurde am 6. September 1996 eingereicht.

II. Einspruch und Beschwerde gründen sich auf den Einwand fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit (Artikel 52 (1), 54 (1), (2) und 56 EPÜ) des Gegenstandes der Patentansprüche im Hinblick auf eine offenkundige Vorbenutzung ggf. in Verbindung mit druckschriftlich nachgewiesenem Stand der Technik. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung stützte sich der Vortrag zur Vorbenutzung im wesentlichen auf Dokument D4: Finnigan MAT Ion Trap Detector Operation Manual, Oktober 1984, Sektion 3 "Functional Description", Seiten 1 - 38; sowie eine Reihe von Affidavits mit Anlagen ("Exhibits") der Herren C. S. Campbell, G. C. Stafford, J. E. P. Syka und K. Wallace.

Mit der Beschwerdebegründung ergänzte die Beschwerdeführerin ihren Vortrag zur offenkundigen Vorbenutzung durch Vorlage eines zweiten Affidavits mit Anlagen des Herrn Stafford.

III. Die Parteien wurden auf ihren Antrag zu einer mündlichen Verhandlung geladen.

Zur Vorbereitung der Verhandlung und als Reaktion auf eine der Ladung beigefügte vorläufige Meinung der Kammer, legte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) mit Eingaben vom 7. April 2000 und 14. April 2000 neue Anträge vor.

Die Beschwerdeführerin reichte am 2. Mai 2000 neue Dokumente ein.

Die mündliche Verhandlung fand am 9. Mai 2000 statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in geänderter Form auf der Basis eines der folgenden Anträge aufrechtzuerhalten:

Hauptantrag: Ansprüche 1 bis 3 eingereicht am 7. April 2000; Beschreibung und Figuren wie erteilt.

Erster Hilfsantrag: Ansprüche 1 bis 3 eingereicht am 14. April 2000 als vierter Hilfsantrag; Beschreibung und Figuren wie erteilt.

Zweiter Hilfsantrag: Ansprüche 1 und 2 und angepaßte Beschreibung wie in der mündlichen Verhandlung überreicht; Figuren wie erteilt.

Als dritten Hilfsantrag beantragte sie die Vorlage zweier Rechtsfragen an die große Beschwerdekammer, wie als siebter Hilfsantrag am 7. April 2000 eingereicht. Darüber hinaus beantragte die Beschwerdegegnerin, die mit Eingabe vom 2. Mai 2000 vorgelegten Dokumente nicht zuzulassen.

V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur massenspektroskopischen Untersuchung eines Gasgemisches unter Verwendung eines Massenspektrometers mit einer Ionenfalle, die als Quistor mit einer Ringelektrode und zwei die von der Ringelektrode begrenzte Kammer abschließenden Endelektroden ausgebildet ist, wobei die Elektroden durch Rotationshyperboloide gebildet sind und von den Endelektroden wenigstens eine mit einer in Verlängerung der Rotationsachse der Ringelektrode angeordneten Perforation versehen ist, bei welchem Verfahren die folgenden Schritte ausgeführt werden:

Anlegen einer HF-Spannung solcher Amplitude und Frequenz sowie ggf. einer solchen Gleichspannung an die Ringelektrode, daß innerhalb der Ionenfalle ein dreidimensionales HF-Quadrupolfeld erzeugt wird, das dazu geeignet ist, Ionen, deren Ladungs-/Massen-Verhältnis in einem vorgegebenen Bereich liegt, zu fangen und in der Ionenfalle zu speichern, Einführen von Ionen des Gasgemisches in die Ionenfalle und Speichern der Ionen in der Ionenfalle, deren Ladungs-/Massenverhältnis in dem vorgegebenen Bereich liegt,

Ändern mindestens von einem der von der Amplitude, der Frequenz und ggf. der Gleichspannung gebildeten Feldparameter in solcher Weise, daß nacheinander Ionen mit sich monoton änderndem Ladungs-/Massenverhältnis instabil werden und die Ionenfalle in Richtung der Rotationsachse ihrer Ringelektrode durch die genannte Perforation in der Endelektrode verlassen, und Messen und Aufzeichnen der Intensität des die Ionenfalle verlassenden Ionenstromes als Funktion der Änderung der Feldparameter,

dadurch gekennzeichnet, dass

zur Durchführung des Verfahrens ein Quistor verwendet wird, bei dem das abstandsbezogene Verhältnis Q der Radien der eingeschriebenen Elektroden-Scheitelkreise der Bedingung Q 3,990 genügt, wobei Q = (Re/z0) (r0/Rr), mit

Re = Radius des Scheitelquerschnittes der Endelektroden,

Rr = Radius des Scheitelquerschnittes der Ringelektrode,

z0 = Abstand der Scheitel der Endelektroden vom Zentrum des Quistors,

r0 = Abstand des Scheitels der Ringelektrode vom Zentrum des Quistors.

2. Massenspektrometer mit einer Ionenfalle, die als Quistor mit einer Ringelektrode und zwei die von der Ringelektrode begrenzte Kammer abschließenden Endelektroden ausgebildet ist, wobei die Elektroden durch Rotationshyperboloide gebildet sind und von den Endelektroden wenigstens eine mit einer in Verlängerung der Rotationsachse der Ringelektrode angeordneten Perforation versehen ist, zur Untersuchung eines Gasgemisches nach dem Verfahren nach Anspruch 1, sowie mit Mitteln zum Einführen von Ionen in die Ionenfalle

dadurch gekennzeichnet, dass

das abstandsbezogene Verhältnis Q der Radien der eingeschriebenen Elektroden-Scheitelkreise der Bedingung

Q 3,990 genügt, wobei Q = (Re/z0) (r0/Rr), mit

Re = Radius des Scheitelquerschnittes der Endelektroden,

Rr = Radius des Scheitelquerschnittes der Ringelektrode,

z0 = Abstand der Scheitel der Endelektroden vom Zentrum des Quistors,

r0 = Abstand des Scheitels der Ringelektrode vom Zentrum des Quistors."

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des ersten Hilfsantrags unterscheiden sich von den entsprechenden Ansprüchen des Hauptantrags dadurch, daß sie im Oberbegriff durch die Alternative des Erzeugens von Ionen innerhalb der Ionenfalle und im kennzeichnenden Teil durch den Disclaimer

"ausgenommen jedoch ein Quistor, der folgende Maße aufweist:

Re = 1,414 cm, Rr = 0,500 cm, z0 = 0,781 cm, r0 = 1,000 cm"

ergänzt sind.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des zweiten Hilfsantrags unterscheiden sich von den entsprechenden Ansprüchen des ersten Hilfsantrags dadurch, daß der Disclaimer durch die folgenden Merkmale ersetzt ist: "und dass von den das abstandsbezogene Verhältnis Q bestimmenden Abmessungen des Quistors der Abstand r0 des Scheitels der Ringelektrode vom Zentrum des Quistors einen Wert hat, bei dem gewährleistet ist, dass bei der Amplitude der an der Ringelektrode anliegenden HF-Spannung die größte interessierende Masse noch mittels des Speicherfeldes eingefangen wird, bei vorgegebenem Wert des Verhältnisses Q der Abstand z0 der Scheitel der Endelektroden vom Zentrum des Quistors z0 = r0/4 Q beträgt und endlich die Radien Re und Rr der Scheitelquerschnitte so gewählt sind, dass Re x Rr = r0 x z0."

VI. Die Rechtsfragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer lauten:

"1. Ist bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Veranlassung des Fachmanns zur Suche nach in einer offenkundig vorbenutzten Vorrichtung verborgenen Merkmalen zu berücksichtigen?

2. Falls ja, kann sich eine abstrakte Lehre zum technischen Handeln, die von diesen verborgenen Merkmalen Gebrauch macht, für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben, wenn der Fachmann keine Veranlassung hatte, nach den verborgenen Merkmalen zu suchen oder diese, falls er sie zufällig bemerkt hätte, zu berücksichtigen, solange die abstrakte Lehre neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ ist, sei es durch ein Merkmal, welches in der offenkundig vorbenutzten Vorrichtung nicht vorhanden ist, oder durch einen Disclaimer, der die konkreten Abmaße der in der vorbenutzten Vorrichtung verborgenen Merkmale aus dem Umfang der abstrakten Lehre explizit ausschließt?"

VII. Der Vortrag der Beschwerdeführerin in Bezug auf die vorgenannten Anträge kann wie folgt zusammengefaßt werden:

Die vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents verkauften Ionenfallen des Typs ITD 700 sind als offenkundig vorbenutzt anzusehen. Die geometrischen Abmessungen dieser offenkundig vorbenutzten Ionenfallen sind derart, daß sie die in allen unabhängigen Ansprüchen gemäß dem Hauptantrag, dem ersten sowie dem zweiten Hilfsantrag enthaltene Bedingung Q 3,990 erfüllen. Da die vorbenutzten Fallen vom Fachmann ohne technische Schwierigkeiten analysierbar und reproduzierbar waren, ist gemäß den in der Entscheidung G 1/92 entwickelten Grundsätzen davon auszugehen, daß die in den verkauften Ionenfallen verwirklichte Abweichung von einer idealen Fallengeometrie Bestandteil des Standes der Technik wurde. Der Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung ist damit als nächstkommender Stand der Technik anzusehen.

Was den Hauptantrag anbetrifft, so unterscheiden sich die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 vom Gegenstand der Vorbenutzung lediglich dadurch, daß bei ihnen die Ionen von außen in die Falle eingeführt werden, während sie beim Gegenstand der Vorbenutzung innerhalb der Falle erzeugt werden. Da diese beiden Arten der Bereitstellung der Ionen wohlbekannte Alternativen darstellten, war es dem Fachmann unmittelbar naheliegend, bei Bedarf die Ionen in die Falle einzuführen statt sie in der Falle zu erzeugen.

Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 des ersten Hilfsantrags unterscheiden sich von dem Gegenstand der Vorbenutzung nur durch einen Disclaimer, welcher die Maße der vorbenutzten Ionenfalle aus dem beanspruchten Bereich für den Parameter Q ausnimmt. Mit diesem Disclaimer wird zwar die Neuheit des Patentgegenstandes gewährleistet, jedoch kann durch ihn, wie in der Entscheidung T 597/92 dargelegt, keinesfalls das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründet werden.

Was den zweiten Hilfsantrag anbetrifft, so ist es nicht plausibel, daß tatsächlich im gesamten Bereich für Q die behauptete Wirkung einer Verbesserung des Auflösungsvermögens, und damit die Lösung der Aufgabe, eintritt. In der Tat belegt das Patent die beanspruchte Lösung nur für einen einzigen Wert für Q, nämlich Q = 3,6 (vgl. Figur 3 des Patents). Das Patent enthält darüber hinaus keinerlei Erläuterungen darüber, wie der Parameter Q mit dem beobachteten Auflösungsvermögen zusammenhinge. Der Inhalt der Ansprüche ist daher rein spekulativ und nicht durch die Beschreibung gestützt. Es ist davon auszugehen, daß der beanspruchte Bereich Fälle umfaßt, für die die gewünschte Lösung nicht erzielbar ist. Ein Beispiel dafür ist etwa der vom beanspruchten Bereich umfaßte Wert 0 für Q. Wenn jedoch das Auftreten eines bestimmten technischen Effekts der einzige Grund für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ist, dann muß dieser Effekt im gesamten beanspruchten Bereich erzielbar sein (vgl. T 939/92).

VIII. Die Beschwerdegegnerin stützte ihre Anträge im wesentlichen auf die folgenden Argumente:

Der Tatbestand einer offenkundigen Vorbenutzung durch Finnigan Ionenfallen ist nicht zweifelsfrei nachgewiesen.

Darüber hinaus ist festzustellen, daß vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents die Fachwelt ausnahmslos davon ausging, die Ionenfalle eines Massen-spektrometers als einen Quistor mit möglichst idealer Quadrupolfeldgeometrie auszubilden. Vereinzelte ältere Abweichungen der Elektrodenformen von idealen Rotationshyberboloiden waren Behelfslösungen, die nichtsdestotrotz Annäherungen an die Idealform darstellen sollten. An dieser Sachlage ändert auch die behauptete offenkundige Vorbenutzung nichts. Selbst wenn man unterstellt, die Ionenfallen der Firma Finnigan wären der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des Patents zugänglich gewesen, so hat die Firma Finnigan nach eigenen Angaben die Abweichung von der Idealgeometrie noch Jahre nach dem Prioritätstag des Patents geheimgehalten und ihre Kunden im Glauben gelassen, die Ionenfallen wiesen die Idealgeometrie auf. Unter diesen Umständen hätte für den einschlägigen Durchschnittsfachmann keinerlei Veranlassung bestanden, eine von der Firma Finnigan gelieferte Ionenfalle zu zerlegen und genau zu vermessen. Auf gar keinen Fall hätte er einer solchen Ionenfalle einen Hinweis auf die Bedeutung des im Patent definierten Geometrieparameters Q für die Verbesserung des Auflösungsvermögens des Massenspektrometers entnehmen, geschweige denn zu dem beanspruchten Bereich für Q gelangen können. Insofern der Gegenstand der Vorbenutzung Übereinstimmungen mit der beanspruchten Lehre aufweist, sind diese als zufällig anzusehen. In einer derartigen Situation, in der für den Fachmann keinerlei Veranlassung bestand, beim Gegenstand der Vorbenutzung nach denjenigen Merkmalen des Patentgegenstandes zu suchen, deren Kenntnis für die beanspruchte Lehre unerläßlich sind, kann sich die abstrakte Lehre eines Patentanspruchs nicht in naheliegender Weise aus dem angeblich offenkundig vorbenutzten Gegenstand ergeben. Insofern kommt dem Gegenstand der Vorbenutzung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine ganz andere Bedeutung zu als bei der Beurteilung der Neuheit. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist nicht entscheidend, was der Fachmann tun könnte, sondern was er tatsächlich tun würde. Beleg dafür, daß dem Fachmann die Verzerrung der Quistorgeometrie in der Tat nicht aufgefallen war, ist die Tatsache, daß selbst ein "Überfachmann" wie der in der Verhandlung anwesende Professor Cooks diese Verzerrung nicht erkannt hatte, und dies obwohl ihm die Firma Finnigan sogar die Konstruktionszeichnungen zur Verfügung gestellt hatte.

Aus diesen Gründen muß es zur Begründung der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstandes und zur Erfüllung der in G 1/92 aufgestellten Grundsätze genügen, die Neuheit gegenüber dem Gegenstand der Vorbenutzung und seiner zufälligen, punktuellen Übereinstimmung mit dem beanspruchten Parameterbereich herzustellen, wie dies im Hauptantrag durch das Erfordernis einer bestimmten Art der Bereitstellung der Ionen und im ersten Hilfsantrag durch die Definition eines die punktuelle Übereinstimmung in den relevanten Geometrieparametern ausschließenden Disclaimers bewirkt ist.

Weder der Gegenstand der Vorbenutzung noch der druckschriftlich belegte Stand der Technik geben irgendeinen Hinweis auf die im zweiten Hilfsantrag definierte spezielle Geometrie des Quistors. Bei derartigen Quistoren mit einem Wert für Q im beanspruchten Bereich sind Felder höherer Ordnung dem Quadrupolfeld überlagert und bewirken eine Verkürzung der Austrittszeit der Ionen und damit eine Verringerung der Breite der beobachteten Spektrallinien. Die Feldanteile höherer Ordnung sind dem idealen Quadrupolfeld umso mehr überlagert, je größer die Abweichung des Parameters Q vom Wert 4,00 für eine ideale Quistorgeometrie ist. Damit hat jede Verringerung von Q gegenüber dem Wert 4,00 im Prinzip die gesuchte Wirkung, was durch geeignete Experimente jederzeit belegt werden könnte.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ und ist damit zulässig.

2. Die mit Eingabe vom 2. Mai 2000 von der Beschwerdeführerin in einem sehr späten Verfahrensstadium neu vorgelegten Dokumente sind nach Auffassung der Kammer nicht entscheidungserheblich, so daß ihre Einführung in das Verfahren weder notwendig noch geboten ist (vgl. Entscheidung T 1002/92, ABl. EPA 1995, 605).

3. Offenkundige Vorbenutzung

3.1. Eine offenkundige Vorbenutzung liegt dann vor, wenn festgestellt werden kann, daß folgende drei Kriterien erfüllt sind (vgl. Entscheidung T 868/94):

i) die Benutzung ist vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents erfolgt;

ii) der benutzte Gegenstand ist so beschaffen, daß er der Aufrechterhaltung des Patents in seinem bisherigen Umfang entgegensteht; und

iii) die Umstände der Benutzung haben den betreffenden Gegenstand der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Affidavits stellen in diesem Zusammenhang anerkannte Beweismittel dar (vgl. Entscheidung T 674/91, "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 3. Auflage 1998, 369).

3.2. Die Kammer hat keinen Zweifel am Vortrag zur offenkundigen Vorbenutzung, der ihr plausibel und lückenlos erscheint. Insbesondere durch das zweite Affidavit von Stafford sind die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung angeführten Zweifel ausgeräumt.

3.2.1. Im Hinblick auf das Kriterium i) lassen die vorgelegten Affidavits und insbesondere dasjenige von Campbell mit der als Beleg beigefügten Versandliste für 1984 sowie eine im Beschwerdeverfahren vorgelegte Versandanzeige und Rechnung aus dem Jahr 1986 über eine Lieferung eines Ionenfallen-Detektors des Typs ITD 700 keinen begründeten Zweifel daran, daß Massenspektrometer des Typs ITD 700 vor dem maßgeblichen Prioritätstag des Streitpatents verkauft wurden.

3.2.2. Was das Kriterium ii) betrifft, so ist hierzu der Vortrag von Stafford in seinen beiden Affidavits schlüssig.

Dem ersten Affidavit sind neben der Kopie einer Zusammenbauzeichnung Kopien von Konstruktionszeichnungen beigefügt. Alle Zeichnungen sind datiert und signiert, offenkundig entsprechend fortschreitender Revisionsstufen. Die Revisionsdaten der vorgelegten Zeichnungskopien liegen ausnahmslos vor dem Prioritätstag des Streitpatents.

Nach Auffassung der Kammer geht aus dem Vortrag im zweiten Affidavit von Stafford, gestützt insbesondere auf zusätzlich vorgelegte Teilelisten in Verbindung mit Revisionsprotokollen, eindeutig hervor, daß die den vorgelegten Konstruktionszeichnungen entsprechenden Bauteile die Elektroden und zugehörigen Abstandsstücke der Ionenfallen in Massenspektrometern des Typs ITD 700 darstellen, wie sie vor dem Prioritätstag des Streitpatents gefertigt wurden. Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdegegnerin in ihrer Eingabe vom 7. April 2000 angeführten Unstimmigkeiten, die sich nach ihrer Ansicht durch Anlagen ergeben, die Revisionsdaten nach dem Prioritätstag des Patents tragen, erklären sich dadurch, daß sich die Beschwerdegegnerin hierbei auf Anlagen zu dem zweiten Affidavit von Stafford bezieht, die eine nach dem 30. Oktober 1987 geltende Konstruktionsversion der Falle betreffen und lediglich zu Vergleichszwecken vorgelegt wurden. Keine der konkret bezeichneten Unstimmigkeiten betrifft jedoch die vorgelegten Konstruktionsbelege für die vor dem 30. Oktober 1987 geltende Quistorkonstruktion.

Die Kammer ist auch von der Richtigkeit der im ersten Affidavit von Stafford enthaltenen Darstellung der Art der Verzerrung gegenüber einer Idealgeometrie sowie der Berechnung des Parameters Q für den Gegenstand der Vorbenutzung überzeugt. Demnach ergibt sich die vorbenutzte Ionenfalle aus einem Quistor mit Idealgeometrie durch eine Streckung des Abstands der Endelektroden, während die übrigen Abmessungen des idealen Quistors beibehalten werden. Für diese Abweichung von der Idealgeometrie errechnet sich für den Parameter Q ein Wert von 3,622. Dieser Wert liegt innerhalb des beanspruchten Bereiches für Q von Q 3,990.

Schließlich ergibt sich aus dem Teil der Betriebsanleitung für Massenspektrometer des Typs ITD 700 gemäß Dokument D4 zweifelsfrei, daß diese zur Durchführung eines Verfahrens dienten, welches mit Ausnahme des sich auf die Bereitstellung der Ionen in der Falle beziehenden Verfahrensschrittes dem Oberbegriff aller vorliegenden Verfahrensansprüche entsprach.

3.2.3. Was schließlich das Kriterium iii) betrifft, so erscheint es insbesondere durch das Affidavit von Campbell sowie aufgrund des Nachweises einer konkreten Lieferung durch Vorlage einer Versandanzeige und einer Rechnung aus dem Jahr 1986 ausreichend glaubhaft gemacht, daß in den Jahren 1984 bis 1987 Geräte des Typs ITD 700 an eine Reihe von Firmen, Universitäten und Institute bzw. Behörden verkauft wurden.

Die Liste "ITD Shipments December 1984" nennt fünf Geräte des Typs ITD 700, die zwischen dem 5. Dezember 1984 und dem 31. Dezember 1984 an namentlich bezeichnete Firmen und Universitäten ausgeliefert wurden. In diesem Zusammenhang sieht die Kammer keinen Anlaß, die Aussage von Campbell (vgl. Punkt 17 seines Affidavits) zu bezweifeln, daß bis Ende November 1987 (also vor dem Prioritätstag des Streit-patents) etwa 500 ITD Geräte verkauft worden sind. Zwar sind in dieser Zahl andere Bautypen als der Typ ITD 700 (wie etwa die Typen ITD 705 und ITD 800) enthalten, doch erscheint es aufgrund der übereinstimmenden Aussagen von Campbell (vgl. die Punkte 10 und 19 seines Affidavits), Wallace (vgl. Punkt 8 seines Affidavits), Stafford (vgl. die Punkte 7 bis 9 seines ersten Affidavits) und Syka (vgl. Punkt 7 seines Affidavits) glaubhaft, daß alle ITD Geräte den für den Vergleich mit dem Gegenstand des Streitpatents wesentlichen geometrischen Aufbau besaßen. Es ist somit nach Auffassung der Kammer ausreichend belegt, daß eine größere Zahl von Geräten der Baureihen ITD und speziell des Typs ITD 700 an verschiedene Kunden verkauft worden sind. Die Zahl der Verkäufe und die Art der Kunden geben dabei keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Geräte unter einem Geheimhaltungsvorbehalt geliefert worden wären oder daß den belieferten Kunden eine Geheimhaltungsverpflichtung auferlegt worden wäre.

Auch wenn die Firma Finnigan, wie sich aus dem Affidavit von Syka (vgl. die Punkte 6 und 7) ergibt, die genaue Konstruktion ihrer Ionenfallen bis zum Jahr 1992 von sich aus geheimgehalten hat, so machte allein schon der Verkauf ihrer Geräte an sich diese der Öffentlichkeit zugänglich, wenn die wesentlichen Merkmale der Geräte ohne unzumutbaren Aufwand erkennbar waren (vgl. T 674/91, Punkt 3.4). Wie im Affidavit von Wallace (vgl. die Punkte 9 bis 12) hierzu glaubhaft ausgeführt und durch den beigefügten Teil des Betriebshandbuchs belegt ist, waren die ausgelieferten Ionenfallen z. B. für erforderliche Wartungsarbeiten leicht zerlegbar. Somit bestand aber für die Öffentlichkeit ohne weiteres die Möglichkeit, Kenntnis vom inneren Aufbau der Ionenfalle und damit von deren Elektrodengeometrie zu erlangen, zumal bei der Vermessung der Fallengeometrie keine prinzipiellen technischen Probleme zu überwinden gewesen wären.

Laut Entscheidung G 1/92 (ABl. EPA 1993, 277) der Großen Beschwerdekammer gehört ein Erzeugnis zum Stand der Technik, wenn das Erzeugnis selbst der Öffentlichkeit zugänglich ist und vom Fachmann analysiert und reproduziert werden kann, und zwar unabhängig davon, ob es besondere Gründe gibt, das Erzeugnis zu analysieren. Die bloße Möglichkeit eines unmittelbaren, eindeutigen Zugangs zu bestimmten Informationen macht diese zugänglich, und zwar unabhängig davon, ob ein Grund besteht, nach ihnen zu suchen (vgl. Punkt 2 der Begründung der Stellungnahme in G 1/92). Die Kammer sieht diese Kriterien für die dargelegten Umstände des vorliegenden Falles als erfüllt an.

3.3. Aus den vorgenannten Gründen ist die Kammer davon überzeugt, daß durch den Verkauf von Massenspektrometern des Typs ITD 700 alle Kriterien für das Vorliegen einer offenkundigen Vorbenutzung erfüllt sind. Die offenkundige Vorbenutzung ist damit Bestandteil des Standes der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ.

4. Die im Hauptantrag sowie dem ersten und zweiten Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen der Patentansprüche gehen weder über den Gegenstand der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, noch führen sie zu einer Erweiterung des durch die erteilten Patentansprüche festgelegten Schutzbereiches, so daß die Vorschriften der Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ nach Auffassung der Kammer - und von den Parteien im übrigen auch nicht bestritten - erfüllt sind.

5. Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1), 54. (1) und (2) und 56 EPÜ)

5.1. Hauptantrag

5.1.1. Das nachgewiesen offenkundig vorbenutzte Massenspektrometer sowie das mit ihm durchgeführte Verfahren stellen nach Auffassung der Kammer den nächstkommenden Stand der Technik dar. Wie vorstehend unter Punkt 3.2.2 ausgeführt, weist der in diesem Massenspektrometer verwendete Quistor eine Geometrie auf, für die sich ein Wert für den Parameter Q errechnet, der innerhalb des in den kennzeichnenden Teilen der vorliegenden Ansprüche 1 und 2 beanspruchten Bereiches liegt. Darüber hinaus verwendet das damit durchgeführte Verfahren alle im Anspruch 1 angeführten Verfahrensschritte, soweit diese sich auf das Anlegen einer HF-Spannung, das Ändern von mindestens einem Feldparameter, sowie das Messen und Aufzeichnen der Intensität des aus der Ionenfalle austretenden Ionenstroms beziehen.

Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags unterscheiden sich somit von der Vorbenutzung lediglich durch den Verfahrensschritt des externen Einführens der Ionen in den Quistor bzw. durch das Vorsehen dafür geeigneter Mittel. Demgegenüber werden bei der Vorbenutzung die Ionen innerhalb des Quistors erzeugt.

5.1.2. Von den Parteien unbestritten stellen jedoch das Einführen von der Ionen in den Quistor und das Erzeugen der Ionen innerhalb des Quistors zwei auf dem einschlägigen Fachgebiet allgemein übliche Alternativen der Bereitstellung der Ionen dar, zwischen denen der Durchschnittsfachmann daher je nach Bedarf und Umständen wählt, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen.

5.1.3. Die Beschwerdegegnerin sieht die erfinderische Tätigkeit auch vielmehr darin begründet, daß der Durchschnittsfachmann keinerlei Veranlassung gehabt hätte, den vorbenutzten Quistor zu untersuchen, und gar nicht erkannt hätte, daß er eine verzerrte Fallengeometrie aufwies. Deshalb könne dieser Quistor allenfalls als eine zufällige Übereinstimmung mit der Lehre des Patentes angesehen werden. Keinesfalls könne die Vorbenutzung dem Fachmann als konkreter Ausgangspunkt für eine erfinderische Lehre zur vorteilhaften Anwendung einer nichtidealen Fallengeometrie gedient haben. Ebensowenig habe sie sich als Ausgangspunkt für konkrete technische Abwandlungen geeignet, so daß lediglich die formale Neuheit gegenüber der Vorbenutzung hergestellt zu werden brauche.

5.1.4. Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen.

Das EPÜ kennt keine prinzipiellen Unterschiede in der Relevanz unterschiedlicher Arten eines vorveröffentlichten Standes der Technik, etwa für die Beurteilung der Neuheit einerseits und der erfinderischen Tätigkeit andererseits. Ein offenkundig vorbenutzter Gegenstand ist mit der ihm entnehmbaren technischen Information ebenso Bestandteil des Standes der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ wie z. B. der Inhalt einer vorveröffentlichten Druckschrift. Bezüglich der dem Stand der Technik jeweils entnehmbaren technischen Lehre geht das EPÜ von der Fiktion aus, daß diese dem Fachmann ab dem Tag bekannt war, ab dem es der Öffentlichkeit im Prinzip möglich war, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Diese Fiktion wurde in G 1/92 für den Fall einer offenkundigen Vorbenutzung durch ein an sich beliebiges Erzeugnis ausdrücklich bestätigt, vorausgesetzt das Erzeugnis ist für den Fachmann analysierbar und reproduzierbar. Da diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist es unerheblich, ob ein Fachmann ein Motiv hatte, die vorbenutzte Ionenfalle zu vermessen, oder ob er dies tatsächlich getan und damit von der in ihr verwirklichten Abweichung von der Idealgeometrie Kenntnis genommen hat. Was zählt ist einzig die - nachgewiesene - Möglichkeit, von dieser Abweichung Kenntnis zu erlangen.

Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß die Übereinstimmung des Gegenstandes der Vorbenutzung mit dem Patentgegenstand keineswegs als zufällig angesehen werden kann. Der Fachmann, der sich im Besitz eines von der Firma Finnigan gelieferten Quistors befand, war nicht nur in der Lage, dessen Form und inneren Aufbau zu erkennen, sondern wußte (spätestens unter Zuhilfenahme des mitgelieferten Handbuchs) eben auch um dessen Funktion und Anwendung bei der Aufnahme von Massenspektren von Gasen oder Gasgemischen. Der vorbenutzte Quistor besaß damit exakt dieselbe Funktion wie der im Patent definierte Quistor. Demzufolge erfüllten bereits die ohne größere technische Schwierigkeiten durchführbare Anfertigung einer 1 : 1 Kopie eines gekauften Quistors und seine bestimmungsgemäße Verwendung den wesentlichen, sich auf die vorteilhafte Geometrie beziehenden Teil der beanspruchten Lehre. Eine derartige Kopie des Quistors an die an sich übliche Alternative des externen Einführens der Ionen anzupassen, hätte sich bei entsprechendem Bedarf ohne weiteres angeboten und den Fachmann unmittelbar zu den Gegenständen der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrages geführt, zumal es a priori keinen funktionalen technischen Zusammenhang zwischen der Geometrie des Quistors und der Art und Weise der Bereitstellung der Ionen gibt.

5.1.5. Zusammenfassend stellt die Kammer fest, daß es unter den Umständen des vorliegenden Falls für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstandes der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags nicht darauf ankommt, ob der Fachmann ein Motiv gehabt hätte, den offenkundig vorbenutzten Quistor näher zu untersuchen und dabei z. B. genau zu vermessen. Ebensowenig entscheidend ist die Tatsache, daß dem vorbenutzten Quistor an sich kein Hinweis auf den Parameter Q und die mit dem beanspruchten Bereich gegebene geschlossene Lehre einer gezielten Abweichung von der Idealgeometrie zum Zweck einer Verbesserung des Auflösungsvermögens des Massenspektrometers zu entnehmen war. Entscheidend ist vielmehr, daß der Fachmann den offenkundig vorbenutzten Quistor problemlos nachbauen konnte, und daß er ihn für denselben Zweck der massenspektroskopischen Untersuchungen verwendet hätte. Damit arbeitete er aber zwangsläufig in dem beanspruchten Bereich für den Parameter Q.

Die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrages ergeben sich somit in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik und erfüllen daher nicht die Erfordernisse der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ.

5.2. Erster Hilfsantrag

5.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. hierzu z. B. T 170/87, ABl. EPA 1989, 441; T 857/91, "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 3. Auflage 1998, 186; T 597/92, ABl. EPA 1996, 135) kann mit dem Instrument eines Disclaimers, der, wie im vorliegenden Fall, keine Stützung in den ursprünglichen Unterlagen findet und nicht dem Ausschluß einer zufälligen Überschneidung mit dem Stand der Technik dient, eine naheliegende Lehre nicht erfinderisch gemacht werden.

Im vorliegenden Fall stellt die nachgewiesene offenkundige Vorbenutzung eben keine zufällige Übereinstimmung mit dem Patentgegenstand dar, sondern bildet vielmehr den nächstliegenden Stand der Technik und dient damit dem Fachmann als Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen. Unter diesen Umständen kann der vorgeschlagene Disclaimer prinzipiell nicht das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen.

Wie vorstehend ausgeführt, war dem Fachmann vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents nicht nur die Kenntnis der Idealform einer Quistorgeometrie, sondern auch die Kenntnis von der im offenkundig vorbenutzten Quistor verwirklichten Abweichung von der Idealgeometrie zuzurechnen. Es bot sich damit dem Fachmann unmittelbar an, die grundlegenden Eigenschaften dieser Quistoren im Hinblick auf die Aufnahme von Massenspektren, wie z. B. das erzielbare Auflösungsvermögen, zu vergleichen. Im Hinblick darauf, daß die Abweichung von der Idealgeometrie in der Verlängerung des Abstandes z der Endelektroden bestand, mußten bei beobachteten Unterschieden in den Linienformen der gemessenen Massenspektren auch Abstände der Endelektroden sowohl zwischen dem Idealwert z0 und dem im vorbenutzten Quistor vorgefundenen Abstand z als auch in der unmittelbaren Umgebung des Letzteren das unmittelbare Interesse des Fachmanns wecken. Damit lag es aber für den Fachmann nahe, ausgehend vom Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung auch Quistoren mit Geometrien in Betracht zu ziehen, für die der Parameter Q innerhalb des beanspruchten Bereichs liegt und die nicht vom Disclaimer erfaßt sind.

Die Ansprüche 1 und 2 des ersten Hilfsantrages erfüllen somit ebenfalls nicht die Erfordernisse der Artikel 52(1) und 56 EPÜ.

5.3. Zweiter Hilfsantrag

5.3.1. Die zusätzlich in die Ansprüche 1 und 2 dieses Antrags aufgenommenen Merkmale definieren solche Abweichungen von der Idealgeometrie, bei denen die als Rotationshyperboloide ausgebildeten Elektroden gemeinsame Asymptoten (wie im Idealfall, wenn auch mit gegenüber der Idealgeometrie geänderter Steigung) aufweisen. Demgegenüber führt die bei dem offenkundig vorbenutzten Quistor verwirklichte Verzerrung von der Idealgeometrie dazu, daß sich die Ring- und Endelektroden verschiedenen, zueinander parallel verschobenen Asymptoten anschmiegen. Eine Anregung zu der nunmehr beanspruchten Quistorgeometrie ist damit weder dem Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung noch dem druckschriftlich nachgewiesenen Stand der Technik zu entnehmen.

5.3.2. Die Kammer teilt im übrigen nicht die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erstmals aufgeworfenen Bedenken, ob die beanspruchte Wirkung hinsichtlich einer Verbesserung des Auflösungsvermögens tatsächlich im gesamten beanspruchten Bereich für Q auftritt.

Nach Auffassung der Kammer geben die vorliegenden Patentansprüche eine ausreichend konkrete Definition der Art der Verzerrung der Quistorgeometrie. Die Beschwerdegegnerin hat darüber hinaus in der Verhandlung hinreichend plausibel gemacht, daß für ein Massenspektrometer des beanspruchten Typs die beobachtete Linienbreite unmittelbar von der Zeitdauer abhängt, die die Ionen zum Austritt aus dem Quistor benötigen, und daß im gesamten beanspruchten Bereich für Q eine Verkürzung dieser Zeitdauer zu erwarten ist. Dies gilt theoretisch auch für den Wert Q = 0. Daß dieser singuläre Wert in der Praxis nicht realisierbar ist, ist für den fachkundigen Leser des Patents ohne weiteres erkennbar, stellt jedoch die Allgemeingültigkeit der beanspruchten Lehre nicht grundsätzlich in Frage. Die Tatsache, daß die physikalische Erklärung für den beobachteten Effekt der Verbesserung der Form der Spektrallinien erst nach dem Anmeldetag des Patents gefunden wurde, steht dem Patent nicht entgegen, da es die konkreten Maßnahmen zur Erzielung des gewünschten Effekts hinreichend deutlich und vollständig offenbart.

Demgegenüber sind die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Bedenken rein spekulativer Natur. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Gegenstände der vorliegenden Ansprüche identisch mit dem Inhalt des Anspruchs 3 des erteilten Patents sind, so daß es der Beschwerdeführerin freigestanden hätte, ihre Bedenken bereits in einem wesentlich früheren Verfahrensstadium zu substantiieren.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich grundlegend von dem der Entscheidung T 939/92 (ABl. EPA 1996, 309) zugrundeliegenden Sachverhalt, bei dem sich das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit für eine Vielzahl beanspruchter chemischer Verbindungen auf deren herbizide Wirkung stützen sollte aber begründete Zweifel bestanden, daß alle beanspruchten Verbindungen diese Wirkung gehabt hätten, und ein Zusammenhang zwischen Wirkung und Struktur nicht vorhersagbar war.

5.3.3. Aus den dargelegten Gründen ist die Kammer der Auffassung, daß die Gegenstände der Ansprüche des zweiten Hilfsantrages neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

Der zweite Hilfsantrag ist daher gewährbar.

5.4. Auch wenn die Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer als nachrangiger Antrag gestellt ist, möchte die Kammer aus Gründen der Vollständigkeit darauf hinweisen, daß aufgrund der Tatsache, daß der offenkundig vorbenutzte Quistor ohne weiteres analysierbar und reproduzierbar war, die seine Geometrie beschreibenden Parameter nicht als "verborgene Merkmale" anzusehen sind. Die beiden zur Vorlage formulierten Fragen betreffen damit gar nicht den vorliegenden Sachverhalt, so daß ihre Vorlage schon aus diesem Grund abzulehnen gewesen wäre. Im übrigen ist die Kammer der Auffassung, daß die genannten Fragen bereits erschöpfend durch die Entscheidung G 1/92 (vgl. dazu auch Punkt 3 der Begründung) beantwortet sind.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent gemäß dem zweiten Hilfsantrag aufrechtzuerhalten.

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