T 0231/96 () of 26.4.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T023196.20010426
Datum der Entscheidung: 26 April 2001
Aktenzeichen: T 0231/96
Anmeldenummer: 89901844.4
IPC-Klasse: C21D 8/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kaltgewalztes Blech oder Band und Verfahren zu seiner Herstellung
Name des Anmelders: Salzgitter AG
Name des Einsprechenden: Thyssen Stahl AG
Krupp Hoesch Stahl AG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende I, Thyssen Stahl AG) hat gegen die am 17. Januar 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung der Einsprüche gegen das Patent Nr. 0 400 031 die am 29. Februar 1996 eingegangene Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 15. Mai 1996 eingegangen.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) angefochten worden.

Im Beschwerdeverfahren wurden noch folgende, bereits im Einspruchsverfahren genannte Druckschriften diskutiert:

(2) DE-A-2 108 788

(3) EP-A-0 075 292

(6) Stahl und Eisen 106, (1986), Nr. 3, Seiten 122 bis 128

(9) Blech Rohre Profile, 9/1977; Seiten 341 bis 346

(11) Tagungsbericht "The 9th Biennial Congress of the International Deep Drawing Research Group" 13.-14. Oktober 1976, Ann Arbor Michigan, USA, American Society for Metals, Seiten 13 bis 38

(12) Rapport de Commission des Communautés Européennes, "Recherche Technique Aciers", Druckschrift EUR 9968 FR, September 1983, Seiten 1 bis 12 (Rapport Final).

Außerdem zitierte die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren erstmals die Druckschriften:

(14) JP Offenlegungsschrift Sho 59-67321 sowie die Übersetzung ins Deutsche

(15) Bleck und Hübner, Kaltband mit globularem Gefüge, Symposium "Warmband für Kaltwalzer - Neue Werkstoffentwicklung", Duisburg, 2. Juni 1986

(16a) Werkstoffkunde Stahl, Band 2: Anwendung, 1985, Seite 88, Abschnitt D 4.1.2.1

(16b) Werkstoffkunde Stahl, Band 1: Grundlagen, 1984, Seiten 606 und 607

(17) J. G. Williams "Titanium microalloyed hot rolled strip steels - production, properties and applications", veröffentlicht in: Conference Proceedings of International Conference on Technology and Applications "HSLA Steels Technology & Applications" 3.-6. Oktober 1983, published by: American Society for Metals, 1984.

Anlage 4: Stahl-Eisen-Liste, Verlag Stahleisen mbH, Düsseldorf, 1981, Seiten 30, 31, 463

Anlage P1: Norm DIN EN 10 130 (nachveröffentlicht).

III. Am 26. April 2001 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der der Vertreter der Beschwerdeführerin auch die weitere Verfahrensbeteiligte (OII, Krupp-Hoesch Stahl) vertrat. Im Laufe der Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin, Salzgitter AG) zwei neue Anspruchssätze nach Haupt- und Hilfsantrag ein.

IV. Die unabhängigen Ansprüche 1, 3, und 5 nach diesem Hauptantrag haben folgenden Wortlaut:

Anspruch 1

"Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter quasi-isotroper Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten:

0,03 - 0,08 % Kohlenstoff

max. 0,40 % Silizium

0,10 bis 1,0 % Mangan

max. 0,08 % Phosphor

max. 0,02 % Schwefel

max. 0,009 % Stickstoff

0,015 bis 0,08 % Aluminium

0,01 bis 0,04 % Titan

max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente aus der Gruppe Kupfer, Vanadium, Nickel Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Titangehalt mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts entspricht, bei dem die Bramme auf oberhalb 1120 Grad Celsius erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar(3)-Punktes ausgewalzt und bei 520 +/- 100 Grad Celsius gehaspelt und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund geglüht wird."

Anspruch 3

"Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter quasi-isotroper Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten:

0,03 - 0,08 % Kohlenstoff

max. 0,40 % Silizium

0,10 bis 1,0 % Mangan

max. 0,08 % Phosphor

max. 0,02 % Schwefel

max. 0,009 % Stickstoff

0,015 bis 0,08 % Aluminium

0,01 bis 0,04 % Titan

max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente aus der Gruppe Kupfer, Vanadium, Nickel, 0,01 bis 0,06 % Niob Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Titangehalt mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts entspricht, bei dem die Bramme auf oberhalb 1120 Grad Celsius erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar(3)-Punktes ausgewalzt und bei 520 +/- 100 Grad Celsius gehaspelt, dann in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (Epsilon) kaltgewalzt wird:

ca. 0,01 % Titan: Epsilon 45 bis 85 %

ca. 0,02 % Titan: Epsilon 55 bis 85 %

ca. 0,03 % Titan: Epsilon 60 bis 70 %

und anschließend bei Temperaturen unterhalb A1 rekristallisierend im Bund geglüht und danach mit einem Umformgrad von ca. 1 % dressiert wird."

Anspruch 5

"Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl in der angegebenen Zusammensetzung und hergestellt nach einem der in den Ansprüchen 1 bis 4 angegebenen Verfahren, gekennzeichnet durch ein rekristallisiertes Gefüge mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 % und durch einen Titangehalt, der mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts entspricht."

Ansprüche 6 bzw. 7 betreffen die Verwendung eines gemäß einem der Verfahren nach Ansprüchen 1 bis 4 hergestellten Bleches oder Bandes bzw. eines Stahles gemäß Ansprüchen 1 oder 3.

V. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:

Neuheit

Druckschrift (15) beschreibt einen titanlegierten Stahl, St14(Ti), mit der in Rede stehenden Zusammensetzung, dem Titan im stöchiometrischen Verhältnis zu Stickstoff zugesetzt wird. Die Bramme wird im Stoßofen bei einer Temperatur von 1250 Grad Celsius auf Walztemperatur erhitzt, danach warmgewalzt und bei einer Temperatur unterhalb 600 Grad Celsius gehaspelt (Seite 3, letzter Absatz), wobei Titannitride ausgeschieden werden. An das nachfolgende Kaltwalzen (Seite 4 unten) schließt sich ein rekristallisierendes Glühen (Seiten 6 und 7) im Haubenofen (Bild 11) an. Wie beim Streitpatent ist das Ziel des bekannten Verfahrens die Aluminiumnitridbildung und die damit verbundene Bildung eines pan-cake-Gefüges zu verhindern. Daß die Walzendtemperatur oberhalb des Ar(3)-Punktes liegen muß, bedarf für den einschlägigen Fachmann keiner ausdrücklichen Erwähnung, da er natürlich bestrebt ist einen definierten Gefügezustand als Ausgangszustand für die nachfolgenden Verfahrensschritte einzustellen, da er weiß, daß das Mischgebiet zu vermeiden ist.

Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift (15) gibt eine konkrete Anleitung zur Vermeidung eines pan-cake-Gefüges und der damit verbundenen "Orangenhaut" in einem Stahl der Bezeichnung St14(Ti), der die identische Zusammensetzung hat wie der StW 24 (Ti), dessen Analyse auf Seite 126 der Druckschrift (6) angegeben ist die und innerhalb des im Streitpatent, Anspruch 1, beanspruchten Bereichs liegt.

Druckschrift (6) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Warmbreitband mit verbesserter Kaltumformbarkeit und betrifft die Wirkung von Titan auf Stahl. Bild 16 verdeutlicht eine Stickstoffabbindung bis in den stöchiometrischen Bereich hinein, und auf Seite 122 wird als typische Stoßofentemperatur eine Temperatur, die zwischen 1350 und 1250 Grad Celsius liegt, angegeben. Ebenso wird als Haspeltemperatur eine niedrige Temperatur zwischen 560 und 650 Grad Celsius angegeben (Bild 14 und Seite 127, linke Spalte).

Obwohl Druckschrift (6) nur Warmband betrifft, weiß der Fachmann, daß das gemäß Druckschrift (6) hergestellte Warmband durch Kaltwalzen zu Kaltband weiterverarbeitet wird und anschließend rekristallisierend geglüht wird. Ausgehend von Druckschrift (15) bedarf es daher keiner erfinderischen Tätigkeit die Lehre der Druckschrift (6) zu verwenden, um zu dem beanspruchten Verfahren zu gelangen.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:

Neuheit

In Druckschrift (15) sind lediglich labormäßige Untersuchungen über die Löslichkeit verschiedener Nitride und ihres möglichen Einsatzes zur Vermeidung von des Orangenhauteffekts beschrieben. Die Druckschrift erwähnt jedoch in keiner Weise das Problem der Zipfelbildung beim Tiefziehen oder gibt irgendwelche Hinweise zu dessen Vermeidung.

Erfinderische Tätigkeit

Druckschrift (15) offenbart die Lehre, einem Kaltband aus Gründen der Oberflächenqualität und Alterungsbeständigkeit Titan zuzugeben. Eine Erwähnung des r-Wertes (zipfelfreies Stahl) wird nicht angegeben. Ausgehend von dem Stahl St14 wird gemäß der Lehre dieser Druckschrift Titan zugegeben um den vorhandenen Stickstoff als TiN abzubinden und dadurch das pan-cake-Gefüge zu unterdrücken und die Bildung von Orangenhaut zu vermeiden. Dabei geht man jedoch von der Randbedingung aus, daß die normenmäßig vorgegebenen mechanischen Grenzwerte, insbesondere für die Streckgrenze, dieses Tiefziehstahls eingehalten werden müssen. Aus diesem Grunde wird Titan dort nur unterstöchiometrisch zum Stickstoff zugegeben.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäisches Patents. Die Verfahrensbeteiligte schließt sich diesem Antrag an.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form mit den Ansprüchen 1 bis 7 nach Hauptantrag oder mit den Ansprüchen 1 bis 6 nach Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung wie erteilt mit der Maßgabe, daß auf Seite 3 der EP-B1-0 400 031 in Zeile 18 der Satz mit den Wort "einstellen" endet, Figuren wie erteilt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der spät genannten Druckschriften

Die Druckschriften (14) und (15) wurden von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung zum ersten Mal zitiert in dem offenkundigen Bemühen durch weitere Verstärkung ihrer bereits im Vorverfahren verfolgten Argumentationslinie mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Diese beiden Druckschriften sind aufgrund ihrer offenkundigen Relevanz von der Gegenpartei in ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung ausführlich diskutiert worden und werden von der Kammer nicht als verspätet eingereicht im Sinne von Artikel 114 (2) EPÜ angesehen. Die Druckschriften (16a) und (16b) stammen aus einschlägigen Lehrbüchern, deren Zitierung zum Beleg des üblichen Fachwissen des Fachmannes jederzeit zulässig ist.

Die Druckschrift (17) wurde jedoch erst etwa einem Monat vor der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal zitiert, obwohl sie der Beschwerdeführerin unbestritten schon jahrelang bekannt war. Da ihr Inhalt zudem nicht über das hinausgeht, was schon durch andere im Verfahren befindliche Druckschriften belegt ist, hat die Kammer die Druckschrift (17) als verspätet nicht mehr im Verfahren berücksichtigt.

3. Änderungen

Die neuen Ansprüche nach dem Hauptantrag enthalten das Merkmal "wobei der Titangehalt mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts entspricht", aus dem ursprünglichen Anspruch 7 und dem erteilten Anspruch 6. Sie entsprechen daher den Anforderungen des Artikels 123 (2), (3) EPÜ.

4. Neuheit

4.1. Die Neuheit des Gegenstands des geänderten Anspruchs 1 wurde in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Druckschrift (15) bestritten. Die Druckschrift (15) beschreibt Untersuchungen an den genormten Tiefziehstahl, Stahl St14, der die folgende Zusammensetzung hat (siehe Anlage 4): 0,08 % Kohlenstoff, 0,03/0,10 % Silizium, 0,40 % Mangan, 0,025 % Phosphor, 0,025 % Schwefel, 0,007 % Stickstoff, 0,02 % Aluminium, Rest Eisen. Es ist unbestritten, daß sich die in Anspruch 1 angegebene Stahlzusammensetzung von diesem Normstahl nur durch den zusätzlichen Titangehalt unterscheidet.

Auf der Grundlage dieser genormten Grundzusammensetzung wird für Untersuchungszwecke ein Teststahl (St14Ti) hergestellt, der eine zum gemessenen Stickstoffgehalt unterstöchiometrischen Titangehalt aufweist (siehe Seiten 3, 5 und 7). Ausgehend von dem Maximalgehalt an Stickstoff von 0,007 %, kann dieser Teststahl St14Ti also nur weniger als 0,024 % Ti aufweisen.

Bei solchen Tiefziehstählen war es üblich, die Bramme auf eine Temperatur oberhalb von 1120 C zu erhitzen, sowie die Bramme auf eine Temperatur oberhalb des Ar3-Punktes warmzuwalzen. Diese Schritte gehören unbestritten zu der üblichen Verfahrenstechnik vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents, siehe z. B. Druckschrift (2), Seite 10, Ende des ersten Absatzes, Druckschrift (3), Seite 3, Zeilen 31 bis 40, Druckschrift (12), Seite 1, letzter Absatz, "Etat Lamine a Chaud (LAC)". Diese Parameter sind deshalb in Druckschrift (15) implizit enthalten.

Aus den Glühzeiten in Figur 11 der Druckschrift (15) ist eindeutig ableitbar, daß auch dort das Rekristallisationsglühen im Bund erfolgte.

Wie im Folgenden gezeigt wird, offenbart Druckschrift (15) folgende Merkmale des beanspruchten Verfahrens nicht in Kombination mit dem vorstehend genannten:

a) Der Titangehalt entspricht mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts.

b) Der Stahl wird bei 520 +/- 100 Grad Celsius gehaspelt.

Ausgangspunkt in der Druckschrift (15) beschriebenen Untersuchungen war die Erkenntnis, daß die Ausscheidung von AlN für die Bildung des sog. pan-cake-Gefüges bei der Rekristallisation des kaltgewalzten Al-beruhigten Stahls verantwortlich ist. Beim Tiefziehen führt dieses Gefüge zu einer "Orangenhaut"-Oberflächenrauhigkeit, die bei den meisten Verwendungszwecken - als Beispiele seien Batteriehülsen und Bügeleisenhauben genannt - unerwünscht ist.

Untersucht wurden gemäß Druckschrift (15) (siehe Seite 5) Al-beruhigte Stähle der Norm St14, die auch dem Streitpatent zugrunde liegt, denen Bor oder Titan zur Abbindung des freien Stickstoffs zugesetzt waren. Der untersuchte Stahl St14(Ti) enthielt Titan in einer zum Stickstoffgehalt unterstöchiometrischen Menge (siehe Seite 7). Der Titangehalt entsprach also weniger als dem 3,42fachen des Stickstoffgehalts (siehe Seite 3, erster Absatz).

Seite 3, letzter Absatz, der Druckschrift (15) enthält allgemeine Ausführungen darüber, wie das Ausscheidungsverhalten von AlN von der Haspeltemperatur beeinflußt wird. Bei welcher Temperatur aber die untersuchte titanhaltige Sorte des Stahls St14 gehaspelt wurde, deren Eigenschaften in den Figuren 3, 6, 8, 9, und 10 dargestellt sind, ist nicht angegeben. Aufgrund der in Figur 11 dargestellten und im letzten Absatz der Seite 6 erwähnten Rekristallisationsverzögerung am Kaltband ist eher davon auszugehen, daß die frühzeitige Ausscheidung des restlichen Aluminiums als Nitrid durch Wahl einer höheren Haspeltemperatur verhindert wurde.

4.2. Die anderen von der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren betreffend Neuheit genannten Druckschriften zeigen auch nicht alle Merkmale des in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Verfahrens:

Druckschrift (3) offenbart zwei Klassen von Stählen: höhere C-Gehalte von ca. 0.03 - 0.05 ohne Ti (Table 2) und niedrige C-Gehalte C < 0.005 % (vakuumentkohlt, Table 3) mit Ti, Nb oder B Zusätzen, Ti < 0.1 %. (vgl. Seite 5, Zeilen 18 bis 24). Die Beispiele 5 und 7 in Table 3, die einzige die Titan oder Niob enthalten, liegen außerhalb der beanspruchten Bereiche.

Druckschrift (12) berichtet über Untersuchungen an Stählen mit sehr niedrigen Al- und N-Gehalten sowie Ti-Gehalten, die oberhalb des beanspruchten Bereichs liegen. Die untersuchte Stahlzusammensetzung wird auf Seite 1 mit 0,05 % C, 0,10 % Si, 0,28 % Mn und zwei Bereichen an Ti, nämlich Ti-1 : 0,12 - 0,15 % und Ti-2: 0,045 - 0,6 % angegeben. Die exakte Zusammensetzung von Ti-2 ist im Tabellenteil zum vollständigen Bericht Tafel I gegeben: 0,05 % C, 0,27 % Mn, 0,008 % Si, 0,0012 % S, 0,0048 % O, 0,0035 % Al, 0,001 % N, 0,04925 % Ti, Rest Fe. Die Aluminium- und Titan-Gehalte liegen außerhalb des beanspruchten Bereiches.

Druckschrift (14) betrifft ein Verfahren zur Herstellung von tiefziehbaren kaltgewalzten Stahlblechen, bei dem die Stahlbramme im Stoßofen auf 1100 C oder darunter erhitzt werden soll (Seite 5 der Übersetzung, letzter Absatz). Nach Haspeln und Kaltwalzen, wird eine Durchlaufglühen vorgenommen.

Die Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 ist daher gegeben. Die Neuheit der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 3 und 5 und der Verwendungsansprüche 6 und 7 ist aus denselben Gründen gegeben.

5. Erfinderische Tätigkeit

Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Kaltband, das zum Tiefziehen u. a. von rotationssymmetrischen Teilen eingesetzt werden soll und mit dem ein quasi-isotropes Umformen möglich ist, so daß das tiefgezogene Teil keinen welligen Rand (Zipfelbildung) aufweist. Es hat sich gezeigt, daß sich die Neigung zur Zipfelbildung gut durch den " r-Wert" beschreiben läßt, der die planare Anisotropie eines Bleches (gemessen in verschiedenen Richtungen der Blechoberfläche) ausdrückt. Ideal wäre ein Blech mit einem r-Wert von Null, bei dem keine Zipfelbildung beim Tiefziehen auftritt.

5.1. Nächstkommender Stand der Technik

Der kaltgewalzte Aluminium beruhigte Tiefziehstahl der Sorte St4/14 mit der deutschen Werkstoffnummer 1.0338 ist in dieser Hinsicht der Ausgangspunkt für die dem Streitpatent zugrundliegende Problemstellung, da er eine der meist verwandten Stahlsorten ist, die insbesondere auch zur Herstellung von rotationssymmetrischen Stahlteilen herangezogen wird.

Wie aus der bereits in der Beschreibung des Streitpatents gewürdigten Druckschrift (9) bekannt ist, ist für das anisotrope Ziehverhalten dieser Al-beruhigten Stahlsorten die Ausbildung des sogenannten pan-cake-Gefüges verantwortlich (siehe Seite 341, vorletzter Absatz). Gemäß dieser Druckschrift ließ sich zipfelfreies Material nur durch Normalglühen des kaltgewalzten Bandes in einer Durchlaufglühe von etwa 1000 °C erreichen, wobei das Bleche im Endzustand eine Korngröße ASTM 8 bei einer relativen Zipfelhöhe von 0,3 bis 0,4 % und r ca. +/- 0,1 erreichen. Ein erheblicher Nachteil der hohen Temperaturen des bei diesem bekannten Verfahren anzuwendenden Normalglühens ist, daß ein Durchlaufofen eingesetzt werden muß und daß sich ein verhältnismäßig grobes Korngefüge einstellt. Diese bekannte Verfahrensführung ist für den großtechnischen Einsatz unbestritten umständlich und unwirtschaftlich.

Da die Einsprechenden keinen anderen Stand der Technik zitiert haben, der sich der Verminderung der Zipfelbildung bei der in Rede stehenden Stahlsorte befaßt, ist die Druckschrift (9) weiterhin der nächstkommende Stand der Technik.

5.2. Aufgabe und Lösung

Ausgehend von Druckschrift (9) ist deshalb die Aufgabenstellung des Streitpatents darin zu sehen, eine großtechnisch erschmelzbare Stahlzusammensetzung bereitzustellen, mit der sich nach dem Warm- und Kaltwalzen und Glühen im Bund das pan-cake-Gefüge vermeiden läßt und eine planare Anisotropie von nahe Null zuverlässig erreichen läßt, aber auf das Durchlaufglühen verzichtet werden kann (vgl. das Streitpatent, Seite 2, Zeilen 5 bis 11 und Seite 3, Zeilen 1 bis 4).

Die Lösung dieser Aufgabe besteht in der Festlegung der in Anspruch 1, 3, und 5 genannten Stahlzusammensetzung und Herstellungsparameter. Die Lehre des Streitpatents ist, daß mit den niedriglegierten (jedoch im überstöchiometrischen Verhältnis) Titan-Stählen der angegebenen Analyse unter Einhaltung der beanspruchten Verfahrensparameter, nämlich niedriger Haspeltemperatur und rekristallisierend im Bund geglüht, ein quasi-isotroper tiefziehbarer Stahl erzielbar ist.

5.3. Auch die Druckschrift (15) behandelt das Problem, in Kaltband der Güte St14 die Entstehung eines pan-cake-Gefüges zu vermeiden und statt dessen ein globulares Gefüge zu erzeugen. Im Falle der Druckschrift (15) ist das Motiv für diese Aufgabenstellung zwar nicht wie bei dem Streitpatent, durch Tiefziehen zipfelfreie rotationssymmetrische Teile herzustellen, sondern vielmehr eine andere Folge des pan-cake-Gefüges, die Ausbildung der sogenannten Orangenhaut beim Umformen, zu vermeiden. Die Ausbildung von Orangenhaut wird überall dort als nachteilig empfunden, wo eine dekorative Oberfläche gefordert wird (siehe Seite 1 bis Seite 2, erster Absatz). Obwohl dem Fachmann natürlich geläufig ist, daß die Einstellung einer globularen Gefügestruktur nicht schon zwangsläufig zur Zipfelfreiheit des Kaltblechs führt, sondern daß diese üblicherweise noch die Wahl des geeigneten Verformungsgrads beim Kaltwalzen voraussetzt, wird er doch erwarten, in der Druckschrift (15) auch eine entscheidende Anregung zur Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe zu finden.

Folgt er den in der Druckschrift (15) gegebenen Anregungen, so wird er jedoch allenfalls zu einem Verfahren gelangen, demgegenüber sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 durch die unter Punkt 4.1. dieser Entscheidung dargestellten zwei Merkmale a) und b) unterscheidet. Erst die durch das Merkmal a) garantierte frühzeitige und zuverlässige Abbindung des Stickstoffs an Titan ermöglicht die Wahl einer niedrigen Haspeltemperatur gemäß Merkmal b), die wegen der geringeren Zunderbildung vorteilhaft ist.

Die Kammer kann der Argumentation der Beschwerdeführerin insbesondere dahingehend nicht folgen, daß der Fachmann, der vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ein gut tiefziehbares Kaltblech herstellen wollte, einen zum Stickstoffgehalt überstöchiometrischen Titanzusatz (d. h. Verhältnis Ti/N größer 3.42) in Betracht gezogen hätte. Denn für die klassischen Kaltbleche für Tiefziehzwecke der Güte St14, die sowohl die Grundlage der in der Druckschrift (15) beschriebenen Untersuchungen als auch des Streitpatents bilden, waren zu diesem Zeitpunkt Höchstwerte für die Streckgrenze und Bereiche für die Zugfestigkeit normenmäßig (z. B. in DIN 1623 T) festgelegt, deren Überschreitung erhebliche Akzeptanzprobleme bei jedem Abnehmer aufgeworfen hätten.

Aus diesem Grunde wird bereits in der Druckschrift (9) (siehe Seite 343) als nachteilig empfunden, daß bei dem rekristallisierten-normalisierten Kaltband der Güte St4, die St14 entspricht, sich die Streckgrenze durch die Normalisierung um 100 N/mm2 erhöht und sich entsprechend die Streckgrenzenverhältnisse geändert hatten. Dieses Vorurteil dagegen, bei für Tiefziehzwecke vorgesehenen Kaltblechen der Güteklasse St14 die normenmäßig festgelegten Werte für die Streckgrenze und Zugfestigkeit wesentlich zu überschreiten, regiert ersichtlich auch die in der Druckschrift (15) berichteten Untersuchungen. Dort wird offensichtlich als nachteilig herausgestellt (siehe Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, zweiter Absatz), daß selbst die dortige zum Stickstoff nur unterstöchiometrische Zugabe von Titan eine Anhebung der Streckgrenze zur Folge hat, die man durch eine Änderung des Dressiergrades auszugleichen versucht. Da der Fachmann weiß, daß mit einer überstöchiometrischen Zugabe von Titan die Bildung von festigkeitssteigerndem Titankarbid erfolgt, ist die unterstöchiometrische Zugabe von Titan durch das Bestreben motiviert, die normenmäßig vorgegebenen mechanischen Werte unbedingt einzuhalten und dafür lieber die mit einer unvollständigen Aluminiumnitridausscheidung verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen.

Auch der zusätzliche Hinweis auf die Figuren 9 und 10 der Druckschrift (11) vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern, da die in der Figur 9 dargestellten r-Werte für einen HSLA-CR-Stahl mit einer weit über dem gemäß Streitpatent zulässigen Titanzusatz von 0,12 % eher eine Tendenz zu Zipfelbildung erkennen lassen.

5.4. Die weiterhin in der Beschwerdebegründung neu genannte Druckschrift (14) spricht die Aufgabenstellung, ein Kaltblech herzustellen, das zipfelfrei tiefziehfähig ist, nicht an und unterscheidet sich darüber hinaus in den unter Punkt 4.1 angegebenen Verfahrensschritten wesentlich von dem in Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Verfahren. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß die auf Seite 4 der Druckschrift (14) beschriebenen konkreten Versuche an Stahlzusammensetzungen durchgeführt wurden, die deutlich niedriger liegen als gemäß Streitpatent zulässig. Die Offenbarung dieser Druckschrift liegt also dem Gegenstand des Streitpatents ferner als diejenigen der Druckschrift (15).

5.5. Auch die übrigen Druckschriften (3), (6), und (12), enthalten keine weiteren Hinweise dahingehend, die Ti, Al- und Stickstoffgehalte in denen im Streitpatent festgelegten Bereichen einzustellen und mit den genannten Verfahrensparametern zu kombinieren.

Druckschrift (3) beschreibt ein Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Stahlbleches mit guter Preßumformbarkeit und Tiefziehfähigkeit. Es wurden zwei Sorten von Stählen untersucht, Vacuumstähle mit sehr niedrigem Kohlenstoffgehalt und normale Stähle mit höherem Kohlenstoffgehalt. Um gute r-Werte zu erzielen, werden die Phosphor- und Stickstoffgehalte niedrig gehalten und aufeinander abgestimmt.

Druckschrift (6) betrifft die Verbesserung der Eigenschaften von Warmband. Da die Eigenschaften eines Kaltbandes insbesondere auch durch die Kaltverformung und nachfolgende Rekristallisation bestimmt werden, spielen die Parameter Tiefziehfähigkeit und Zipfelbildung bei dieser Druckschrift keine Rolle, und sie kann keine Hinweise zur Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe geben.

Druckschrift (12) betrifft insbesondere Untersuchungen der Wirkung von Karbidausscheidungen auf die mechanischen Eigenschaften (Seite 1, Punkt 2) von Stahl. Die Bildung von Oxiden, Sulfiden und Nitriden, insbesondere TiN, soll in den untersuchten Stählen jedoch möglichst durch die enge Begrenzung der Stickstoff-, Sauerstoff und Al-Werte vermieden werden, um so ein klares Bild über die Wirkung der Karbide zu erhalten. Auch in diesem Punkt unterscheidet sich die Zielsetzung in Druckschrift (12) von derjenigen des Streitpatents, wo die frühzeitige Bildung von Titannitrid angestrebt wird, und so die unerwünschte Ausscheidung von A1N während des rekristallisierenden Glühen verhindert werden kann. Ausgehend von diesen Ergebnissen schlägt Druckschrift (12) unter Punkt 9.4, Seite 9 deshalb vor, einen Titangehalt von 0.050 - 0.070. % einzustellen und ein kontinuierliches Glühen durchzuführen, so daß alle angestrebten Ziele

FORMEL

sicher erreicht werden. Druckschrift (12) favorisiert demnach zwar die niedrigen Titangehalte, weist aber dabei nicht in die Richtung, die Ti-Gehalte noch weiter unter 0.050 % abzusenken, wie dies im Streitpatent getan wurde, sondern rät im Gegenteil, sie im oberen Bereich der niedrigen Ti-Gehalte zu halten.

5.6. Die Kammer kann sich auch dem Argument der Beschwerdeführerin, daß es ausgehend von Druckschrift (15) keiner erfinderische Tätigkeit bedarf, über die Lehre der Druckschrift (6) zu dem beanspruchten Verfahren zu gelangen, nicht anschließen. Die Eigenschaften vom Warmband sind nicht mit denen vom Kaltband zu vergleichen. Zum einen besitzt Warmband eine gute quasi-isotrope Umformbarkeit (vgl. Patentschrift, Seite 1, Zeilen 55 bis 57), wobei dieses Problem erst nach dem Kaltwaltzen eintritt. Ausgehend von der Druckschrift (15), die sich mit der Beseitigung vom pan-cake-Gefüge im Kaltband befaßt, hat der Fachmann keinen Anlaß Druckschrift (6), die sich ausschließlich mit Warmband befaßt, in Betracht zu ziehen.

5.7. Aus den obengenannten Gründen beruht das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Die gleichen zu Anspruch 1 genannten Feststellungen zum vorgebrachten Stand der Technik begründen auch die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 3, der sich durch die zusätzliche Anwesenheit von 0.01. - 0.06 % Nb und die Festlegung des Umformgrades in Abhängigkeit vom Ti-Gehalt von Anspruch 1 unterscheidet.

Die Ansprüche 5, 6 und 7, die auf das nach dem Verfahren der Ansprüche 1 und 3 hergestellte Blech oder Band und bzw. dessen Verwendung zum Tiefziehen von rotationssymmetrischen Teilen gerichtet sind, enthalten durch Rückbeziehung auf Anspruch 1 insbesondere auch das die Erfindung tragende Merkmal des überstöchiometrischen Titanzusatzes, so daß auch sie zwangsläufig die Erfordernisse des EPÜ erfüllen. Die Kammer sieht somit die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit auch für die Gegenstände dieser Ansprüche als gegeben an.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten mit

- den Ansprüchen 1 bis 7 nach Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung,

- der Beschreibung wie erteilt mit der Maßgabe, daß auf Seite 3 der EP-B-0 400 031 in Zeile 18 der Satz mit dem Wort "einstellen" endet,

- Figuren wie erteilt.

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