European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1997:T088195.19970625 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 25 Juni 1997 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0881/95 | ||||||||
Anmeldenummer: | 90106454.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B62B 3/10 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Stapelbarer Einkaufswagen | ||||||||
Name des Anmelders: | WANZL METALLWARENFABRIK GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ATELIERS REUNIS CADDIE Société Française | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Antrag auf Verschiebung eines Termins für eine mündliche Verhandlung (abgelehnt) Ausführbarkeit (ja) Erfinderische Tätigkeit (nein) |
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Orientierungssatz: |
Ein Nachteil einer Erfindung, der von ihrem Einsatz hätte abhalten können (im vorliegenden Fall eine Verletzungsgefahr für die Benutzer) steht der Ausführbarkeit nicht entgegen, sofern das ansonsten erstrebte Ergebnis durch die im Streitpatent offenbarte technische Lehre erreicht wird. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 392 335 (Anmeldenummer: 90 106 454.3).
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:
"1. Stapelbarer Einkaufswagen (1), mit einem mit Rollen (11) ausgestatteten Fahrgestell (2), das aus zwei mittels weiterer Teile (15, 15', 20) miteinander verbundenen, nach oben gekrümmten und konisch angeordneten Längsholmen (3) besteht, welche mit ihren Endbereichen die Rollen (11) und mit ihrem oberen Krümmungsbereich einen Korb (12) mit einer Schiebeanordnung (14) tragen und die Längsholme (3) durch übereinander angeordnete, auf Abstand gehaltene Drähte oder Stäbe (8) gebildet sind, derart, daß die Längholme (3) je eine zumindest im vorderen Bereich der Längsholme (3) in Schieberichtung des Einkaufswagens (1) geneigt angeordnete Führung (7) für eine unterhalb des Korbes (12) angeordnete, entlang der Schieberichtung des Einkaufswagens (1) durch Anschläge (10, 20) begrenzt verschiebbare Ablage (21) bilden und die zum Abstellen von Ware bestimmte Ablage (21) in ihrer Nichtgebrauchslage nach vorne geneigt, größtenteils oder ausschließlich innerhalb des Korbgrundrisses angeordnet ist und in ihrer Gebrauchslage nach rückwärts über den Korbgrundriß hinausragt, wobei die Ablage (21) mit ihrem vorderen Ende in den Führungen (7) gelagert und mit ihrem entgegengesetzten Ende außerhalb der Führungen (7) am Fahrgestell (2) abgestützt ist und ein oberhalb des Querverbindungsteiles (15) die Längsholme (3) in deren vorderem Bereich verbindendes, die Stabilität des Fahrgestelles (2) erhöhendes weiteres Querverbindungsteil (15') angeordnet ist, das als Anschlag (10) für die Ablage (21) vorgesehen sein kann, dadurch gekennzeichnet, daß zumindest der größte Teil einer mit der Ladefläche (26) der Ablage (21) identischen Ebene (27), die sich von oben betrachtet zwischen den Längsholmen (3) des Fahrgestelles (2) befindet und die in Nichtgebrauchslage der Ablage (21) in Schieberichtung des Einkaufswagens (1) geneigt ist, über dem weiteren Querverbindungsteil (15') und über dem wenigstens einen Anschlag (10) angeordnet ist."
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte gegen das Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 bzw. 100 b) bzw. fehlender Patentfähigkeit zu widerrufen. Sie berief sich dabei u. a. auf die folgenden Dokumente:
D1: Kopierte Fotographie eines angeblich vorbenutzten Einkaufswagens, die mit den Anmeldeunterlagen und dem Antrag auf Erteilung des europäischen Patents eingereicht wurde.
D2: Prospekt "Caddie, Chariots super caddie" - ref. 71 - Februar 88 der Firma Ateliers Réunis Caddie S.A.
D5: Eine weitere Fotographie des Einkaufswagens gemäß D1.
D': EP-A-0 402 551
D10: Sechs weitere Fotographien des Einkaufswagens gemäß D1, die im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurden.
Die obengenannte europäische Anmeldung D' wurde nicht als selbständiger Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ entgegengehalten, denn sie ist nach der ersten Priorität des angefochtenen Patents veröffentlicht worden. Sie sei nur deshalb von Bedeutung und zu berücksichtigen, weil nach Aussage der Patentinhaberin selbst der darin beschriebene Einkaufswagen dem in den Dokumenten D1, D5 und D10 veranschaulichten vorbenutzten Einkaufswagen "entspricht".
III. Mit am 29. September 1995 zur Post gegebener Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 23. Oktober 1995 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 23. Januar 1996 eingereicht.
V. In der Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung wurde die Beschwerdegegnerin aufgefordert, die dem Dokument D10 entsprechenden Fotographien erneut einzureichen.
Diese Fotographien wurden am 20. Mai 1997 eingereicht.
VI. Nach Ergehen der Ladung zur mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, den festgesetzten Termin um sechs Wochen zu verschieben.
Dieser Antrag wurde von der Kammer abgelehnt und die mündliche Verhandlung fand, wie festgesetzt, am 25. Juni 1997 statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VII. Zur Begründung ihrer Anträge führte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) im wesentlichen aus:
i) Das europäische Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Das Streitpatent habe einen stapelbaren Einkaufswagen zum Gegenstand. Der Einkaufswagen weise infolgedessen ein in Schiebrichtung sich verengendes, also konisches Fahrgestell auf; gleiches gelte für die beiden durch die Längsholme des Fahrgestells gebildeten Führungen für die verschiebbare Ablage. In jeder Führung sei am vorderen Bereich der Ablage je ein fingerartiger Stützabschnitt schiebebeweglich geführt. In der Nichtgebrauchslage der Ablage ragten die beiden Stützabschnitte wegen der Konizität der beiden Führungen aus den Führungen, so daß der Einkaufswagen nicht mehr, wie beansprucht, stapelbar sei. Dazu komme, daß diese vorragenden Stützabschnitte eine Verletzungsgefahr für die Beine der Kunden darstellten. Der Einkaufswagen gemäß der vermeintlichen Erfindung sei somit nicht brauchbar.
ii) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ. Auch wenn die jüngere europäische Patentanmeldung D' selbst aufgrund ihres Prioritäts- und Veröffentlichungsdatums keinen Stand der Technik darstelle, so sei doch ihr Inhalt durch das Anerkenntnis der Patentinhaberin als Stand der Technik zu werten.
Sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1 seien unbestritten allein schon aus der Figur 1 dieser Druckschrift bekannt. Figur 3 zeige eine Detailansicht der Ablage und der als Führung dienenden Längsholme in der Nichtgebrauchslage. Die Figur 3 allein zeige zwar nicht das kennzeichnende Merkmal des Patentanspruchs 1. Mache man jedoch eine Skizze, die den Offenbarungsinhalt der Kombination der Figur 1 mit der Figur 3 wiedergebe, so gehe aus dieser Skizze hervor, daß die gesamte mit der Ladefläche der Ablage identische Ebene über dem weiteren Querverbindungsteil angeordnet sei. Die Merkmale nach dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs seien somit aus diesem von der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung anerkannten Stand der Technik ebenfalls bekannt.
iii) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgangspunkt für die vermeintliche Erfindung sei der vorbenutzte Einkaufswagen, der in Spalte 1, Absatz 1 der Streitpatentschrift beschrieben sei und den Dokumenten D' bzw. D1 bzw. D5 bzw. D10 entspreche.
Dokument D2 offenbare einen stapelbaren Einkaufswagen mit Korb und einem Fahrgestell, das aus zwei mittels zweier Querverbindungsteile miteinander verbundenen, nach oben gekrümmten Längsholmen bestehe. Die Längsholme seien nach vorn geneigt. Es sei dort expressis verbis angegeben, daß ein solcher Einkaufswagen derart ausgebildet ist, daß die Möglichkeit, auf das geneigte Fahrgestell Waren zu legen, ausgeschlossen sei. Die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe sei mithin bei einem Einkaufswagen mit Querverbindungsteilen, allerdings ohne verschiebbare Ablage, bereits gelöst.
Werde nun gemäß dem angefochtenen Patent der Fachmann mit seinem Fachwissen vor die Aufgabe gestellt, einen gattungsgemäßen Einkaufswagen mit verschiebbarer Ablage so weiter zu entwickeln, daß keine Ware auf die eingezogene, geneigte Ablage gelegt werden könne, so liege es für ihn auf der Hand, die geneigte Ablage über dem Querverbindungsteil anzuordnen, so daß es keine Anlage mehr für die dort abgestellte Ware bilden und die Ware von selbst von der geneigten Ablage rutschen könne. Der Fachmann habe mithin ohne erfinderisches Zutun zur Lehre des Patentanspruchs 1 des angefochtenen Patents gelangen können.
Im übrigen würden ihm die kennzeichnenden Merkmale durch das Dokument D3 nahegelegt.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vertrat demgegenüber folgende Auffassung:
i) Die Ausführbarkeit sei von der Beschwerdeführerin nicht widerlegt: Insbesondere sei das erstrebte Ergebnis, nämlich das Sicherstellen, daß eine auf die in Nichtgebrauchslage befindliche Ablage gestellte Ware von selbst von der Ablage herabrutscht, nach der im Streitpatent offenbarten Lehre erreichbar.
ii) Die europäische Anmeldung D' offenbare keinen Einkaufswagen, dessen Ablage über dem weiteren Querverbindungsteil positioniert sei. Infolgedessen liege das kennzeichnende Merkmal des Patentanspruchs 1 bei diesem Stand der Technik nicht vor.
iii) Der Einkaufswagen gemäß Dokument D2 weise keine verschiebbare Ablage auf. Da aber die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin bestehe, das Abstellen von Waren auf die in Nichtgebrauchslage befindliche Ablage zu verhindern, würde sich ein Fachmann bei der Weiterentwicklung des vorbenutzten Einkaufswagens, beispielsweise gemäß Dokument D1 keinesfalls an der Lehre des Dokuments D2 orientieren. Vor allem aber gebe Dokument D2 dem Fachmann keinerlei Hinweis, die Ablage über dem weiteren Querverbindungsteil anzuordnen.
Darüber hinaus sei die patentgemäße Lehre keinesfalls die einzige Lösung für die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe: Gemäß dem Vorschlag des Dokuments D4 werde beispielsweise hierfür ein geneigtes Element zwischen dem Fahrgestell und dem Korb des Einkaufswagens eingesetzt, wodurch das Abstellen von Waren auf das Fahrgestell verhindert werde.
Bei dem Einkaufswagen nach Dokument D3 handle es sich um eine andere Konstruktion, bei der kein "weiteres" Querverbindungsteil im Sinne des Streitpatents vorhanden sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verfahrensrechtliche Fragen
Nach Ergehen der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin schriftlich beantragt, den festgesetzten Termin um sechs Wochen zu verschieben, mit der Begründung, sie sei noch nicht bereit, nachzuweisen, daß die Einkaufswagen gemäß D1, D5, D10, D' einerseits und einem später gefertigten Modell (D7) andererseits völlig identisch seien.
Dieser Antrag war aus den folgenden Gründen abzulehnen:
In der Mitteilung der Vizepräsidenten der Generaldirektionen 2 und 3 vom 14. Februar 1989 über mündliche Verhandlungen vor dem EPA (ABl. EPA 1989, 132) wird darauf hingewiesen, daß das Amt grundsätzlich bestrebt ist, die Verfahren möglichst rasch zum Abschluß zu bringen.
Wie in der Entscheidung T 275/89, ABl. EPA 1992, 126 ausgeführt, setzt dies voraus, daß nach Ergehen einer Ladung zur mündlichen Verhandlung einem Antrag auf Änderung des festgesetzten Termins nur stattgegeben werden kann, wenn unvorhergesehene, außergewöhnliche Umstände eintreten, die eine Verhandlung entweder unmöglich machen (z. B. akute Erkrankung des Vertreters bzw. eines unvertretenen Beteiligten) oder für den Verfahrensablauf entscheidungswesentliche Folgen nach sich ziehen können (z. B. unvorhergesehene Verhinderung eines wichtigen Zeugen oder Sachverständigen).
Das ist hier jedoch nicht der Fall. Hierbei ist zu beachten, daß der beabsichtigte Vergleich mit dem Einkaufswagen nach dem Modell D7 im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung deshalb unerheblich war, weil dieser Einkaufswagen nicht zum Stand der Technik gehört und damit zum Nachweis fehlender Neuheit oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht geeignet ist.
Für eine Verschiebung der mündlichen Verhandlung bestand somit kein Anlaß.
3. Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ)
3.1. Das angefochtene Patent hat einen stapelbaren Einkaufswagen zum Gegenstand, der mithin, wie beansprucht, ein in Schieberichtung sich verengendes, also konisches Fahrgestell mit konisch angeordneten Längsholmen aufweist. Die Längsholme des Fahrgestells bilden die beiden Führungen der verschiebbaren Ablage. In jeder Führung ist am vorderen Bereich der Ablage je ein fingerartiger Stützabschnitt geführt.
Es ist unbestritten, daß in der Nichtgebrauchslage der Ablage die beiden vorderen Stützabschnitte wegen der konisch angeordneten Führungen seitlich vorragen. Die Beschwerdeführerin hat in dieser Hinsicht vorgebracht, daß wegen der seitlich vorragenden Stützabschnitte der Einkaufswagen nicht mehr, wie beansprucht, stapelbar sei, so daß die patentgemäße Lehre nicht ausführbar im Sinne von Artikel 83, 100 b) EPÜ sei. Dem ist nicht zu folgen:
Bei dem in Figur 1 der Streitpatentschrift dargestellten Einkaufswagen stützt sich die Ablage an ihrem entgegengesetzt zu den Stützabschnitten liegenden Ende am entsprechend geformten, auch seitliche Führungen bildenden Quersteg (20) ab, der den Korb trägt und den oberen Bereich der Längsholme verbindet. In Gebrauchslage stützt sich die Ablage mit ihren äußeren Längsstäben (24) am Quersteg (20) und mit ihren Stützabschnitten in den beiden Führungen ab (siehe insbesondere Spalte 5, Zeilen 19 bis 23).
Der mit den Stützabschnitten versehene Querstab muß mithin genauso lang sein wie der Quersteg (20), damit die Stützabschnitte in der Gebrauchslage in den beiden Führungen ruhen können. Da die Längsholme konisch angeordnet sind, ist der Abstand zwischen den Längsholmen in ihrem hinteren Bereich unter dem Quersteg (20) größer als die Länge des Querstegs (20). Es folgt daraus, daß der mit den Stützabschnitten versehene Querstab eines hinteren Einkaufswagens zwischen die hinteren Abschnitte der Längsholme eines vorderen Einkaufswagens eingeführt werden kann, so daß die beiden Einkaufswagen platzsparend ineinander geschoben, also gestapelt werden können. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin, sind mithin die erfindungsgemäßen Einkaufswagen trotz ihrer beiden in der Nichtgebrauchslage seitlich vorragenden Stützabschnitte stapelbar.
3.2. Die Beschwerdeführerin hat auch geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei deshalb nicht ausführbar, weil das Streitpatent keinen gefahrlos nutzbaren Einkaufswagen offenbare. Die beiden vorragenden Stützabschnitte der Ablage stellten nämlich eine Verletzungsgefahr für die Beine der Benutzer dar, die von ihrem Einsatz abgehalten hätte.
Es steht jedoch außer Frage, daß der Fachmann aufgrund der Angaben in der Streitpatentschrift einen Einkaufswagen gemäß der Lehre des angefochtenen Patents konstruieren konnte, der - wie vorstehend ausgeführt - durchaus stapelbar war. Hinzu kommt, daß das jeweils erstrebte Ergebnis, nämlich die Möglichkeit, Waren in betrügerischer Absicht auf die Ablage in eingezogener Stellung zu legen, nahezu vollständig auszuschließen, nach der im Streitpatent offenbarten Lehre erreichbar war. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin auch keine Bedenken geäußert. Der behauptete Nachteil des beanspruchten Einkaufswagens, nämlich die Verletzungsgefahr für die Benutzer, ändert nichts daran, daß das erstrebte Ergebnis erreichbar ist und steht deshalb der Ausführbarkeit des beanspruchten Einkaufswagens nicht entgegen.
Die Kammer ist außerdem davon überzeugt, daß der Fachmann im Rahmen seiner Routinetätigkeiten die behauptete Verletzungsgefahr ohne besondere Schwierigkeiten z. B. durch den Einsatz von Kappen aus Gummi minimieren oder sogar beseitigen kann. Die dazu notwendigen konstruktiven Maßnahmen sind zwar im Streitpatent nicht erwähnt, jedoch ist die in einem Patent geschriebene Offenbarung keine Gebrauchsanweisung für jedermann, sondern wendet sich an den einschlägig vorgebildeten Fachmann (siehe Schulte PatG 5, Aufl. § 35, Rdn. 153).
Aus alledem folgt, daß der geltend gemachte Einspruchsgrund fehlende Ausführbarkeit gemäß Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ nicht durchgreift.
4. Neuheit
Der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zufolge handelt es sich bei den Dokumenten D1, D5 und D10 um Fotographien ein und desselben Einkaufswagens, der Gegenstand einer Vorbenutzung war. Dieser vorbenutzte Einkaufswagen ist in Spalte 1, Absatz 1 der Streitpatentschrift beschrieben.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin zwar eingeräumt, daß der in den Dokumenten D1, D5 und D10 veranschaulichte Einkaufswagen dem in der jüngeren europäischen Anmeldung D' beschriebenen Einkaufswagen entsprach, aber darauf verwiesen, daß der Inhalt der jüngeren Anmeldung D' nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ gehöre.
Die Beschwerdeführerin hat hingegen geltend gemacht, daß der gesamte Inhalt der europäischen Anmeldung D' durch das Anerkenntnis der Patentinhaberin als Stand der Technik zu werten ist. Dieser Ansicht liegt die Annahme zugrunde, daß der in der europäischen Anmeldung D' beschriebene Einkaufswagen Gegenstand einer Vorbenutzung gewesen wäre. Dies hat aber die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nicht eingeräumt. Hinzu kommt, daß es sich bei den Dokumenten D1, D5 und D10 einerseits und der jüngeren europäischen Anmeldung D' andererseits nicht um ein und denselben Einkaufswagen handelt:
Bei dem in Dokument D1 gezeigten Einkaufswagen dient das höher befindliche Querverbindungsteil als Anschlag für die Ablage. Dagegen übernimmt das oben angeordnete Verbindungsteil bei dem Einkaufswagen gemäß der europäischen Anmeldung D' keine Anschlagsfunktion für die in Nichtgebrauchslage befindliche Ablage. Diese Funktion wird von dem Quersteg, der den Korb trägt, übernommen.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist somit der Inhalt der jüngeren europäischen Patentanmeldung D' nicht als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ anzusehen, so daß der hierauf gestützte Neuheitseinwand keine Grundlage hat.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. Ausgangspunkt für die Erfindung ist der vorbenutzte, in den Dokumenten D1, D5 und D10 gezeigte Einkaufswagen. In der mündlichen Verhandlung bestand zwischen den Parteien Einigkeit, daß dieser Einkaufswagen den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, der den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 wiedergibt.
Dieser vorbenutzte Einkaufswagen ist auch in Spalte 1, Absatz 1 der Streitpatentschrift erörtert. Danach sind die Längsholme des Fahrgestells abschnittweise durch wenigstens zwei übereinander angeordnete starke Drähte oder Stäbe gebildet, wobei jener Abschnitt der Längsholme, der nur durch zwei Drähte gebildet ist und der sich im vorderen Bereich des Fahrgestelles befindet, gleichzeitig als Führung für eine verschiebbare und unter dem Korb befindliche, in dieser Lage nach vorne geneigte Ablage vorgesehen ist. Die Ablage besitzt beidseitig an ihrem vorderen Ende je einen Auflageabschnitt, wobei jeder Auflageabschnitt in je einer Führung schiebebeweglich geführt ist. Die Verschiebbarkeit der Ablage nach vorne wird durch ein die Längsholme verbindendes Querverbindungsteil, welches als Anschlag für die Ablage dient, begrenzt. Das Querverbindungsteil ist als gerader Stab gestaltet, der zwischen den Drähten der Längsholme angeordnet und mit diesen verbunden ist. Ein weiteres vorderendig angeordnetes U-förmiges Querverbindungsteil, das ebenfalls die Längsholme verbindet, ist zum Tragen der vorderen Fahrrollen vorgesehen.
Die Erfordernisse, die zur Entwicklung eines derartigen Einkaufswagens geführt haben, lagen gemäß Streitpatentschrift darin, die Benutzung der verschiebbaren Ablage in jener Lage, in der sie sich unter dem Korb befindet, zu unterbinden, um zu vermeiden, daß Personen mit Hilfe der Ablage in unlauterer Absicht unbezahlte Ware aus dem Markt schmuggeln. Die Patentinhaberin hat es als nachteilig angesehen, daß der vorbenutzte Einkaufswagen die Forderung, Warendiebstahl zu vermeiden, nicht zufriedenstellend zu erfüllen vermöge, da dessen stabförmiges Querverbindungsteil so angeordnet sei, daß es in Nichtgebrauchslage der Ablage nicht nur einen Anschlag für die Ablage selbst, sondern auch für Ware bilde, die in Nichtgebrauchslage der Ablage verbotenerweise trotzdem auf diese gestellt werden könne. Das Querverbindungsteil verhindere somit nicht das gewollte Abrutschen der Ware von der geneigten Ablage (Spalte 2, erster Absatz der Streitpatentschrift).
5.2. Die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe ist daher, wie der Streitpatentschrift zu entnehmen ist, darin zu sehen, diesen Nachteil im Falle eines Einkaufswagens der im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 angegebenen Art zu beseitigen, so daß die Möglichkeit, Waren in betrügerischer Absicht auf die Ablage in eingezogener Stellung zu legen, nahezu vollständig ausgeschlossen wird.
Diese Aufgabe wird gemäß dem Kennzeichen des Patentanspruchs 1 im wesentlichen dadurch gelöst, daß die geneigte Ablage in eingeschobener Stellung über dem weiteren Querverbindungsteil und dem Anschlag für die Ablage angeordnet ist.
5.3. Gegenstand des Dokuments D2 ist ein stapelbarer Einkaufswagen, dessen Fahrgestell zwei mittels zweier Querverbindungsteile miteinander verbundene, nach oben gekrümmte Längsholme aufweist. Der auf Seite 21 gezeigte Einkaufswagen ist mit Ausnahme der fehlenden Ablage nahezu identisch mit dem vorbenutzten Einkaufswagen gemäß den Dokumenten D1, D5 und D10 desselben Herstellers.
In Dokument D2 ist expressis verbis angegeben, daß ein solcher Einkaufswagen derart ausgebildet ist, daß die Möglichkeit, auf das geneigte Fahrgestell Waren zu legen, ausgeschlossen ist ("Les Chariots super caddie sécurité sont construits de façon à rendre impossible la mise de marchandises sur le socle en pente"). Hierzu entnimmt der Fachmann die Lehre, daß die beiden vorderen Abschnitte der Längsholme bei dem dort genannten Sicherheitseinkaufswagen eine über dem weiteren Querverbindungsteil angeordnete Fläche bilden, die derart geneigt ist, daß dort abgestellte Waren keinen Halt haben und nach unten rutschen. Die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe ist mithin bei dem Einkaufswagen gemäß Dokument D2, mit zwei Querverbindungsteilen, jedoch ohne verschiebbare Ablage, bereits gelöst.
5.4. Vor die Aufgabe gestellt, den Nachteil des vorbenutzten Einkaufswagens zu vermeiden, nämlich die Tatsache, daß die nach oben ragenden Anschläge oder das nach oben ragende weitere Querverbindungsteil eine Anlage für die auf die eingezogene Ablage abgestellten Gegenstände bilden, wird der Fachmann aufgrund der durch das Dokument D2 vermittelten Lehre ohne weiteres erkennen, daß er diesen Nachteil beheben kann, wenn er die eingeschobene Ablage oberhalb des weiteren Verbindungsteils und der Anschläge positioniert. Es muß somit als im Rahmen der Routinetätigkeit des Fachmanns angesehen werden, die betreffenden Maßnahmen vorzusehen.
5.5. Es ist zwar richtig, daß das Dokument D4 einen Alternativ-Lösungsvorschlag zur Lösung der dem angefochtenen Patent zugrundeliegenden Aufgabe bietet, nämlich den Einsatz eines geneigten Elements zwischen dem Fahrgestell und dem Korb, mit dem Ziel, das Abstellen von Waren auf dem vorderen flachen Teil des Fahrgestells zu verhindern, jedoch führt der Umstand, daß ein Alternativ-Lösungsvorschlag beim Stand der Technik vorhanden ist, entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin nicht zwingend zu der Schlußfolgerung, daß der patentgemäße Lösungsvorschlag auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die erwähnte "Einbahnstraßensituation" ist also nicht notwendig, um die erfinderische Tätigkeit verneinen zu können.
Außerdem ist der Alternativ-Lösungsvorschlag, für einen gattungsgemäßen Einkaufswagen nicht brauchbar, da er durch den Einsatz eines zusätzlich geneigten Elements, z. B. eines Gitters, die gewünschte Anordnung einer verschiebbaren Ablage verhindert.
5.6. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Die Patentansprüche 2 bis 5 sind auf Patentanspruch 1 rückbezogen und teilen dessen Schicksal.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.