T 0635/95 () of 3.6.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T063595.19980603
Datum der Entscheidung: 03 Juni 1998
Aktenzeichen: T 0635/95
Anmeldenummer: 85114875.9
IPC-Klasse: C08F 2/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Polymer-Dispersionen, die blockfeste Filme bilden
Name des Anmelders: BASF Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Hüls Aktiengesellschaft
Clariant GmbH
RWE- DEA Aktiengesellschaft für Mineraloel und Chemie
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Verspätet vorgebrachtes Dokument - Zulässigkeit verneint, da nicht entscheidungserheblich
Erfinderische Tätigkeit - (ja) nicht naheliegende Kombination bekannter Merkmale
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0606/89
T 0273/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 23. November 1985 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 85 114 875.9, die die Priorität einer älteren Patentanmeldung in Deutschland (Nr. 3 443 964 vom 1. Dezember 1984) in Anspruch nahm, wurde das europäische Patent Nr. 0 184 091 erteilt. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 8. November 1989. Das Patent enthielt zwei Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:

"Verfahren zur Herstellung von wäßrigen Polymer-Dispersionen, die eine niedere Filmbildetemperatur aufweisen und Filme mit hoher Blockfestigkeit bilden durch mehrstufige Emulsionspolymerisation von überwiegenden Mengen monoolefinisch ungesättigten Monomeren A, deren Homopolymerisate eine Glastemperatur von 0 bis -72 C haben mit monoole- finisch ungesättigten Monomeren B, deren Homopolymerisate eine Glastemperatur von 80 bis l40 C haben, 0 bis 6 Gew.%, bezogen auf die gesamten Monomeren, monoolefinisch ungesättigten Monomeren C, die Carboxyl- und/oder Carbonamidgruppen aufweisen und 0 bis 10 Gew.% bezogen auf die gesamten Monomeren, an vernetzend wirkenden olefinisch ungesättigten Monomeren D, dadurch gekennzeichnet, daß man zunächst

a)1 bis 10 Gew.% eines Monomeren-Gemisches (I) aus 75 bis 98 Gew.-Teilen Monomeren A, 2. bis 25 Gew.-Teilen Monomeren B, 0,5 bis 10 Gew.-Teilen Monomeren C und 0. bis 10 Gew.-Teilen Monomeren D als Vorlage in Gegenwart von 0,l bis 2 Gew.%, bezogen auf die gesamten Monomeren (der Monomerengemische I und II) anionischem Emulgator und von 0 bis l Gew.%, bezogen auf die gesamten Monomeren, nicht-ionischem Emulgator, sowie eines wasserlöslichen radikalbildenden Polymerisationsinitiators, in Form einer 0,5 bis 4 %igen wäßrigen Emulsion polymerisiert, sodann

b) den Rest des Monomerengemisches (I) nach Maßgabe des Fortschreitens der Emulsionspolymerisation zuführt und schließlich nach Beendigung des Zulaufs des Monomerengemisches (I)

c) unter Weiterführung der Emulsionspolymerisation nach Maßgabe des Verbrauchs ein Monomerengemisch (II) zuführt, das aus

75. bis 98 Gew.-Teilen Monomeren B,

2. bis 25 Gew.-Teilen Monomeren A,

0. bis 10 Gew.-Teilen Monomeren C,

0. bis 10 Gew.-Teilen Monomeren D und/oder

0. bis 15 Gew.-Teilen monoolefinisch ungesättigten Ureidoverbindungen oder tert.-Aminoverbindungen besteht, wobei der Anteil des Monomerengemisches (I) 40. bis 65 Gew.%, bezogen auf die Gesamtmenge der beiden Monomerengemische beträgt, als Monomere D monoolefinisch ungesättigte Carbonylverbindungen einsetzt, die Monomerengemische (I) und (II) dem Polymerisationsgefäß als solche oder als wäßrige Emulsion zufuhrt, derart, daß die entstehende wäßrige Polymerdispersion einen Polymergehalt von 40 bis 60 Gew.-%, bezogen auf die Polymer-Dispersion, und einen Gehalt an anionischem Emulgator von 0,5 bis 3 Gew.-%, bezogen auf das Polymere, hat, und der fertigen Polymerdispersion, wenn das Polymere Monomere D einpolymerisiert enthält, Hydrazide aliphatischer Dicarbonsäuren in einer Menge von 0,5 bis 1 Mol je Mol Carbonyl-Monomeres zusetzt."

Anspruch 2 war auf die Verwendung der nach dem Verfahren von Anspruch 1 hergestellten wäßrigen Polymerdispersionen als Bindemittel für Anstrichmittel gerichtet.

II. Gegen das Patent wurden am 21. Juni 1990 (Hüls AG, Einsprechende I), am 3. August 1990 (Hoechst AG, jetzt Clariant GmbH, Einsprechende II) und am 8. August 1990 (RWE-DEA AG für Mineraloel und Chemie, Einsprechende III) drei Einsprüche eingelegt und dessen vollständiger Widerruf aufgrund von Artikel 100 (a) EPÜ (alle Einsprechenden) und Artikel 100 (b) EPÜ (Einsprechenden I und II) beantragt. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100(b) EPÜ wurde während der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 1995 nicht weiter verfolgt.

Die Einsprüche stützten sich im wesentlichen auf folgende Dokumente:

D1. US-A-4 455 402,

D2. Encyclopedia of Polymer Science and Technology, Vol. 5 (1966), Seiten 801 und 847,

D4. DE-B-1 220 613, und

D10. US-A-4 454 516.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit der Entscheidung vom 1. Juni 1995 die Einsprüche zurückgewiesen.

i) In der Entscheidung wird zunächst ausgeführt, daß keine der genannten Entgegenhaltungen eine Kombination aller Verfahrensschritte im Sinne des Streitpatents offenbare. Insbesondere lehre D1 kein Saatverfahren. Der in D1 enthaltene Hinweis auf D10 sei allgemeiner Art und reiche im Hinblick auf die verschiedenen Ausführungsformen des Verfahrens gemäß D10 und die dort eingesetzten, unterschiedlichen Monomerzusammensetzungen nicht aus, das beanspruchte Verfahren neuheitsschädlich vorwegzunehmen. Auch die Verfahrensmaßnahmen in D4 unterschieden sich von denen gemäß Streitpatent, indem

a) die Entgegenhaltung kein Saatverfahren lehre und

b) die Monomerzusammensetzung in der zweiten Polymerisationsstufe nicht der des Streitpatents entspreche.

ii) Wie aus dem Streitpatent selbst und den nachgereichten Versuchen hervorgehe, sei das Produkt dieses neuen Verfahrens ebenfalls neu. Insbesondere führe das neue Verfahren zu "core-shell" Polymeren mit weichem Kern und harter Hülle, die nicht nur eine gute Blockfestigkeit aufwiesen, sondern auch eine niedrigere Filmbildetemperatur als herkömmliche Polymere besitzen. Die Gegenversuche der Einsprechenden II gingen nicht vom Stand der Technik aus und könnten deshalb nicht belegen, daß dort auch wäßrige Polymerdispersionen mit verbesserter Filmbildetemperatur erhalten werden. Da das Produkt des Verfahrens somit neu sei, sei auch dessen Verwendung neu.

iii) Für die erfinderische Tätigkeit stelle D4 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die zu lösende Aufgabe, nämlich die Bereitstellung eines Verfahrens, das zu wäßrigen Polymerdispersionen mit verbesserter Filmbildetemperatur führt, die als Bindemittel für Anstriche geeignet sind, werde durch das beanspruchte Verfahren gelöst. D4 führe vom beanspruchten Verfahren weg, da im Gegensatz zum Streitpatent, in der zweiten Polymerisationsstufe das Monomerengemisch vorzugsweise kein weichmachendes Monomer enthalte. Da keines der genannten Dokumente nahelege, für eine Verbesserung der Filmbildetemperatur das Verfahren von D4 im Sinne des jetzt beanspruchten Verfahrens zu modifizieren, sei der Anspruchsgegenstand erfinderisch.

IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden I und II) am 31. Juli 1995 bzw. 2. August 1995 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und hierzu am 2. Oktober 1995 bzw. 9. Oktober 1995 eine Beschwerdebegründung eingereicht. Die in den Angaben vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

i) Zur Neuheit:

Durch die Bezugnahme in D1 auf alle in D10 explizit offenbarten Verfahrensvarianten, unter denen auch das Saatverfahren, entstehe eine Gesamtlehre mit Ausführungsformen, die zu den gleichen Polymerisaten führen wie im Streitpatent; die erhaltenen Polymerdispersionen und deren im Anspruch 2 beanspruchte Verwendung seien somit nicht mehr neu. Auch sei das von beiden Beschwerdeführerinnen neu vorgebrachte Dokument D14 (EP-A-0 015 644) neuheitsschädlich, da es die zweistufige Herstellung von Polymeren beschreibe, einschließlich der Verwendung eines Teils des ersten Monomergemisches als Saatvorlage sowie auch der anschließenden kontinuierlichen Zudosierung der Restmenge des ersten Monomergemisches und der Gesamtmenge des zweiten Monomergemisches, der gemäß Streitpatent erforderlichen Glastemperatur und des Vernetzungsprinzips durch das Einpolymerisieren von Carbonylverbindungen mit Dihydraziden.

ii) Zur erfinderischen Tätigkeit:

Laut Beschwerdeführerin I lehre D1 im Vergleichs-Beispiel eine zweistufige, halbkontinuierliche Polymerisation. Demgegenüber stelle das Saatverfahren lediglich eine aus D2 bekannte Verfahrensvariante dar, die der Fachmann ohne weiteres anwenden würde, so daß die Kombination von D1 und D2 den Anspruchsgegenstand nahelege.

Beschwerdeführerin II erklärte, D1 sei als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten, da es alle Merkmale des Streitpatents, mit Ausnahme des Saatverfahrens, offenbare. Die zu lösende Aufgabe, die Herstellung von Polymeren mit einer niedrigeren Filmbildetemperatur und einer hohen Blockfestigkeit, sei zwar von den im Anspruch 1 des Streitpatents beschriebenen Merkmalen gelöst, die Kombination mit D10, in dem das Saatverfahren offenbart sei, lege jedoch den im Streitpatent beanspruchten Gegenstand nahe. Außerdem zeigten die weiteren Versuche, daß die Einsetzung einer Monomerzusammensetzung gemäß D1 in ein Verfahren gemäß D4 das oben definierte Problem löse und sogar zu besseren Ergebnissen führe. Somit stellten auch die Polymerdispersionen und deren Anwendung keine erfinderische Tätigkeit her.

V. Demgegenüber machte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) in ihrer Eingabe vom 13. Februar 1996 im wesentlichen folgendes geltend:

i) D14 beschreibe nicht alle für das jetzige Verfahren notwendigen Merkmale; insbesondere sei D14 weder ein Hinweis auf ein Gemisch aus hartmachenden und weichmachenden Monomeren in beiden Polymerisationsstufen, noch eine kontinuierliche Zuführung der Monomere in der zweiten Polymerisationsstufe zu entnehmen, so daß es nicht relevanter sei als die anderen Dokumente und als spät vorgebrachtes Material außer Betracht bleiben sollte (Artikel 114 (2) EPÜ).

ii) Für die Frage der erfinderischen Tätigkeit sei von D4 als nächstliegendem Stand der Technik auszugehen, da die Lehre von D1, das Hinzufügen eines Hilfsmittels während der zweiten Polymerisationsstufe, vom Gegenstand des Streitpatents wegführe. D4 dagegen ziele auf eine Verbesserung der Filmbildetemperatur und Blockfestigkeit ohne Zusatzmittel ab. Aufgabe des Streitpatents sei es deshalb, eine weitere Verbesserung der Polymere gemäß D4 zu erreichen. Wie aus den Versuchen hervorgehe, werde diese Aufgabe erfüllt. Da D4 lehre, vorzugsweise die zweite Polymerisationsstufe in Abwesenheit von weichmachenden Monomeren durchzuführen und D1 keinen Hinweis auf deren zwingenden Anwesenheit enthalte, könne die Kombination von D1 und D4 nicht zur Erfindung führen.

VI. Am 3. Juni 1998 fand eine mündliche Verhandlung statt, an die weder die Beschwerdeführerin I (Brief vom 27. April 1998), noch die als Verfahrensbeteiligte ordnungsgemäß geladene Einsprechende III (Brief vom 19. Mai 1998) teilgenommen haben.

VII. Nach einer Zwischenentscheidung der Kammer, D14 nicht zum Verfahren zuzulassen, hat die Beschwerdeführerin II den Neuheitseinwand fallen gelassen.

Hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit haben die Beschwerdeführerin II und die Beschwerdegegnerin lediglich ihre bisherigen Argumente bekräftigt, so daß sich aus der Debatte keine neuen Gesichtspunkte ergaben.

VIII. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Verspätet vorgebrachtes Dokument

2. In ihren Beschwerdebegründungen haben die Beschwerdeführerinnen das neue Dokument D14 zum ersten Mal erwähnt, das also nicht innerhalb der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ genannt wurde. Die Relevanzprüfung dieser Druckschrift durch die Kammer hat ergeben, daß deren wesentliche Lehre nicht über das hinausgeht, was schon aus den rechtzeitig eingeführten Dokumenten bekannt war, und daß sie deshalb nicht entscheidungserheblich ist. D14 wird daher im folgenden unberücksichtigt bleiben (Art. 114 (2) EPÜ).

Neuheit

3. In ihren Beschwerdebegründungen haben sich die Beschwerdeführerinnen für den Einwand mangelnder Neuheit ausschließlich auf das spät eingereichte Dokument D14, das nicht berücksichtigt wird (siehe Punkt 2 oben), gestützt. Die Argumente der Einspruchsabteilung bezüglich der Neuheit wurden nicht bestritten. Die Kammer sieht somit keine Gründe, die Neuheit des beanspruchten Gegenstands anzuzweifeln.

Nächster Stand der Technik

4. Eine strittige Frage zwischen den Parteien in der mündlichen Verhandlung war die des nächstliegenden Standes der Technik, das heißt, ob man für die Definition des technischen Problems von D1 oder D4 ausgehen sollte.

4.1. D1 offenbart ein zweistufiges Verfahren zur Herstellung von filmbildenden Polymeren, nach dem zunächst ein erstes, weiches Polymer durch Emulsionspolymerisation erzeugt wird und dann, in Anwesenheit des weichen Polymers und eines Koaleszenzmittels, ein zweites, hartes Polymer durch Emulsionspolymerisation produziert wird, wobei a) das Gewichtsverhältnis des ersten, weichen Polymers zum zweiten, harten Polymer etwa 35:65 bis 65:35 beträgt, b) das zweite, harte Polymer, wenn es allein polymerisiert wird, ein Tg von mindestens 25 C und das erste, weiche Polymer, wenn es allein polymerisiert wird, ein Tg unter 15 C haben würde, und c) das weiche Polymer aus mindestens einem Acrylat und das harte Polymer aus mindestens einem Methacrylat aufgebaut ist (Anspruch 1). Keines der Beispiele offenbart jedoch die spezifische Kombination der streitpatentgemäß erforderlichen Merkmale; insbesondere ist kein Saatverfahren genannt und wird die zweite Polymerisationsstufe immer in Anwesenheit eines Koaleszenzmittels durchgeführt. Nur im Vergleichsbeispiel, Example 1 - Comparative, das sich vom jetzigen Anspruch 1 dadurch unterscheidet, daß kein Saatverfahren angewendet und eine niedrigere Emulgatormenge eingesetzt wird, wird kein Koaleszenzmittel verwendet. Ohne nachträglichen Zusatz von 30 % Koaleszenzmittel konnte jedoch aus diesem Produkt kein Film gebildet werden.

D1 hat als Aufgabe sowohl die Beschaffung von Polymeremulsionen mit niedriger Filmbildetemperatur sowie hoher Blockfestigkeit und Härte bei hoher Temperatur, als auch ein verbessertes Verfahren zur Herstellung dieser Polymere (Spalte 1, Zeilen 33 bis 38). Diese Aufgabe wird dadurch gelöst, daß die zweite Polymerisationsstufe in Anwesenheit eines Koaleszenzmittels durchgeführt wird (Spalte 2, Zeilen 48 bis 55) und nicht, wie üblich, durch Zugabe eines Koaleszenzmittels nach der Polymerisation. Wie aus den Beispielen hervorgeht, kann so der gleiche Effekt mit geringeren Mengen Koaleszenzmittel erreicht werden.

4.2. Wie D1, offenbart D4 ein zweistufiges Verfahren zur Herstellung von Polymeremulsionen, nach dem (i) in einer ersten Stufe mindestens 70 Gewichtsprozent der gesamten Menge eines Monomeren (A), das, wenn es allein polymerisiert wird, filmbildend ist und ein weiches Polymerisat bildet, und bis zu 70 Gewichtsprozent der Menge eines Monomeren (B), das, wenn es allein polymerisiert wird, nicht filmbildend ist und ein hartes Polymerisat bildet, copolymerisiert werden und (ii) in einer zweiten Polymerisationsstufe, die in der Emulsion des bei der ersten Copolymerisation erzeugten Copolymerisats durchgeführt wird, die restlichen Mengen der Monomeren (A) und (B) copolymerisiert werden, in einem Mengenverhältnis von A:B von 2:8 bis 7:3. In mindestens einer der Polymerisationsstufen wird ein weiteres Monomer (C) mitpolymerisiert (Anspruch 1). Weder in den Beispielen noch in der Beschreibung (Siehe z. B. Spalte 4, Zeilen 23 bis 32) wird ein Saatverfahren genannt.

D4 bezweckt die Herstellung von Polymeremulsionen mit niedriger Filmbildetemperatur für Anstrichfarben, deren luftgetrockneter Film glänzend, nicht klebrig, biegsam und emailleähnlich ist und der seinen Glanz beibehält und gegen Wasserflecken beständig ist (Spalte 1, Zeilen 1 bis 11, Spalte 2, Zeilen 34 bis 43; Spalte 3, Zeilen 37 bis 41). Aus den Beispielen geht hervor, daß diese Aufgabe ohne Einsatz eines Koaleszenzmittels gelöst wird.

4.3. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 0273/92 vom 18. August 1993, nicht im Amtsblatt veröffentlicht), kommt es bei der Bestimmung des nächstliegenden Dokuments nicht auf eine bloße Ähnlichkeit in der stofflichen Zusammensetzung der Produkte an, sondern vielmehr auf deren Eignung für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck. Laut Entscheidung T 0606/89 vom 18. September 1992 (nicht im Amtsblatt veröffentlicht) ist der nächstliegende Stand der Technik im allgemeinen das Dokument, das sich auf einen ähnlichen Zweck bezieht, während es die wenigsten strukturellen und funktionellen Änderungen benötigt.

4.4. Im vorliegenden Fall wird die Herstellung von Polymerdispersionen angestrebt, die blockfeste Filme bilden. Sowohl D1 als auch D4 zielen auf solche Dispersionen ab. Die Lehre von D1 besteht eindeutig darin, zum Erreichen einer Verbesserung der Filmbildetemperatur und Blockeigenschaften der Polymerdispersionen in der zweiten Polymerisationsstufe ein Koaleszenzmittel zuzugeben. D4 dagegen lehrt, daß eine Polymeremulsion mit den erwünschten Eigenschaften auch ohne Koaleszenzmittel erzeugt werden kann. In D4 sind weniger strukturelle und funktionelle Änderungen erforderlich, um zum beanspruchten Verfahren zu gelangen, da es ohne Koaleszenzmittel durchgeführt wird. Die Kammer kommt somit zur Schlußfolgerung, daß D4 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

Aufgabe und Lösung

5. Laut Beschreibung ist die Aufgabe des Streitpatents ein Verfahren zur Herstellung einer Polymerdispersion, die bei Raumtemperatur mit höchstens geringen Mengen an Filmbildehilfsmitteln verfilmt und deren Filme hohe Dehnungswerte und gute Blockfestigkeit haben (Spalte 2, Zeilen 13 bis 18). Aus den Beispielen geht hervor, daß die erzeugten Filme ohne Verwendung von Filmbildehilfsmitteln tatsächlich eine niedrige Filmbildetemperatur und eine gute Blockfestigkeit besitzen. Von Dehnbarkeit ist jedoch nicht die Rede. Da Polymerdispersionen mit niedriger Filmbildetemperatur und guter Blockfestigkeit schon aus D4 bekannt waren, die jedoch noch verbesserungsfähig sind, sieht die Kammer, wie die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung, die Aufgabe in der Herstellung einer Polymerdispersion mit niedrigerer Filmbildetemperatur als in D4 und mit guter Blockfestigkeit. Weil die Art und Menge der Monomere und die Polymerisationsbedingungen die Eigenschaften der Polymere bekanntlich beeinflussen, ist die Aufgabe so zu verstehen, daß bei gleicher Monomerzusammensetzung und Polymerisationsbedingungen eine niedrigere Filmbildetemperatur der produzierten Polymerdispersionen als in den nach D4 hergestellten Dispersionen und eine gute Blockfestigkeit erreicht werden.

5.1. Diese Aufgabe soll durch das im Anspruch 1 definierte Verfahren gelöst werden.

5.2. Das Streitpatent enthält ein Vergleichsbeispiel, in dem die Mengen der weichmachenden und hartmachenden Monomere vom beanspruchten Verhältnis abweichen, was bei einer niedrigen Filmbildetemperatur zu einer Verklebung der Beschichtungen führte. Was die verschiedenen Versuchs-berichte anbelangt, die im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens von den Parteien eingereicht wurden, konnten sich die Parteien über derer Bedeutung und Relevanz nicht einigen.

5.2.1. Während der mündlichen Verhandlung stützte sich die Beschwerdegegnerin hauptsächlich auf ihren Versuchsbericht vom 23. Oktober 1992, eingereicht am 24. Oktober 1992. Sie machte geltend, der Vergleich zwischen den Beispielen 2 (erfindungsgemäß, Filmbildetemperatur 28 C) und 3 (Beispiel 2 nach D4 modifiziert, Filmbildetemperatur 40 C) zeige, daß der Unterschied in Filmbildetemperatur von 12 auf die Nicht-Anwendung des Saatverfahrens und die Abwesenheit der weichmachenden Monomere in der zweiten Polymerisationsstufe zurückzuführen sei. Die Zugabe des weichmachenden Monomers in der zweiten Stufe führe, wie dem Versuchsbericht der Beschwerdeführerin II vom 4. Februar 1993 zu entnehmen sei (Tabelle, "Vergleichsversuch 4"), zu einer Erniedrigung der Filmbildetemperatur auf 35 C, während die Steigerung der weichmachenden Monomermenge sogar zu einer Filmbildetemperatur von 22 C führe.

5.2.2. Die Beschwerdeführerin II erklärte dagegen, aus der obenerwähnten Tabelle ("Vergleichsversuch 3") gehe hervor, daß die Verwendung des Saatverfahrens bei sonst gleichen Polymerisationsbedingungen (Vergleich mit "BASF 2") zu einer Erniedrigung der Filmbildetemperatur von nur 7 C führe; dieser Unterschied hätte jedoch keine Bedeutung, da die Werte der Filmbildetemperatur durch die Meßmethode beeinflußt würden. Auf die anderen, im Einspruchsverfahren oder mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuchsberichte wurde kein Bezug mehr genommen.

5.2.3. Wie die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vorbrachte, kann eine korrekte Bewertung der technischen Effekte nur aufgrund geeigneter Vergleichs-versuche erfolgen. Das Argument der Beschwerdeführerin, das patentgemäße Verfahren führe nicht zu einer niedrigeren Filmbildetemperatur der erzeugten Polymerdispersion, läßt den Schluß, die obgenannte technische Aufgabe werde nicht gelöst, nicht zu. Vielmehr sollte untersucht werden, ob eine patentgemäße Merkmalkombination bei sonst gleichen Umständen zu einer niedrigeren Filmbildetemperatur im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren und zu einer guten Blockfestigkeit führt. Dabei sollte jeweils nur ein Verfahrensmerkmal geändert werden. So zeigt das Vergleichsbeispiel des Streitpatents eindeutig, daß das Abweichen vom Prinzip, zuerst ein weiches und dann ein hartes Polymer zu bilden, zu einer unakzeptablen Blockfestigkeit führt. Von den anderen Versuchen, die während des Verfahrens eingereicht wurden, sind nur die für solch einen direkten Vergleich geeignet, die von der Beschwerdeführerin II in der Tabelle 1 der Eingabe vom 4. Februar 1993 zusammengefaßt wurden. In der Tabelle werden die Ergebnisse zweier Versuche der Beschwerdegegnerin (Versuchsbericht vom 23. Oktober 1992, eingereicht am 24. Oktober 1992, Beispiele 2 und 3, in der Tabelle "BASF 2" und "BASF 3" genannt) und zweier Vergleichsversuche (Vergleichsversuche 3 und 4) der Beschwerdeführerin II, die angeblich unter den gleichen Bedingungen wie die der Beschwerdegegnerin durchgeführt und gemessen wurden, nebeneinandergestellt. Aus der Tabelle geht hervor, daß bei gleichen Polymerisationsbedingungen folgende Maßnahmen zu einer Erniedrigung der Filmbildetemperatur führen:

a) Anwendung eines Saatverfahrens (Vergleich "BASF 2" mit "Vergleichsversuch 3"),

b) Verwendung eines weichmachenden Monomers in der zweiten Polymerisationsstufe (Vergleich "BASF 3" mit "Vergleichsversuch 3" und "Vergleichsversuch 4").

Somit kommt die Kammer zum Schluß, daß das im Anspruch 1 definierte Verfahren die oben angegebene Aufgabe tatsächlich löst.

Erfinderische Tätigkeit

6. Es bleibt noch zu untersuchen, ob die beanspruchte Kombination von Merkmalen aufgrund der vorhandenen Dokumente naheliegend ist.

6.1. Wie oben festgestellt, stellt D4 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Laut Anspruch 1 sollen in einer ersten Stufe eine Menge von mindestens 70. Gewichtsprozent eines weichmachenden Monomers und bis zu 70 Gewichtsprozent eines hartmachenden Monomers, und in einer zweiten Stufe die restlichen Mengen der Monomere polymerisiert werden; das Mengenverhältnis der beiden Monomerarten sollte zwischen 2:8 und 7:3 liegen. Außer der Tatsache, daß von einem Saatverfahren nirgendwo die Rede ist, sind die im Anspruch definierten Mengenbereiche auch breiter als die des Streitpatents. Gemäß der bevorzugten Ausführung des Verfahrens nach D4, wird die nichtfilmbildende Stufe unter vollständigem Ausschluß von filmbildenden Monomeren durchgeführt (Spalte 6, Zeilen 20 bis 23). Entsprechend wird nur in einem (Beispiel 12) aus 21 Beispielen in der zweiten Polymerisationsstufe ein weichmachendes Monomer copolymerisiert, und zwar in einer Menge, die außerhalb des im Streitpatent beanspruchten Bereichs liegt.

Da die Offenbarung von D4 dem Fachmann somit keine Information bezüglich der Effekte des Saatverfahrens gibt und hinsichtlich der Monomerzusammensetzung sogar von der beanspruchten Zusammensetzung ablenkt, wird der Anspruchsgegenstand des Streitpatents aufgrund von D4 allein nicht nahegelegt.

6.2. D1 enthält eine klare Lehre, zur Verbesserung der Filmbildetemperatur/Blockfestigkeit die zweite Polymerisationsstufe in Anwesenheit eines Koaleszenz-mittels durchzuführen (siehe Punkt 4.1 oben). Example 1 -Comparative zeigt, daß das Weglassen des Koaleszenzmittels zu einer Verschlechterung der erwünschten Eigenschaften führt, so daß der Fachmann keine Anregung hätte, gegen die Lehre dieser Entgegenhaltung zu handeln. Außerdem enthält D1 keine Aussage über die Effekte der Anwendung eines Saatverfahrens. Die Kombination von D1 mit D4 würde somit nicht zum jetzt beanspruchten Verfahren führen.

6.3. D10 beschreibt Polymerzusammensetzungen, die 40 bis 70 Gew.-% einer weichen Polymerphase aus 20 bis 50 % Ethylacrylat, 43 bis 75% Butylmethacrylat und 5 bis 7 % Methacrylsäure, und eine harte Polymerphase aus 40 bis 60 % Methylmethacrylat, 35 bis 55 % Butylmethacrylat und 5 bis 7% Methacrylsäure, enthalten (Anspruch 1). Sie werden als filmbildende Bestandteile in Anstrichmitteln benutzt (Spalte 1, Zeilen 33 bis 54). Diese Polymere werden in einem zweistufigen Verfahren erhalten, wobei in der ersten Stufe das weiche Polymer hergestellt wird, und in der zweiten Stufe das harte (Spalte 3, Zeilen 30 bis 50). In den Beispielen 4 bis 6 von insgesamt 18. Herstellungsbeispielen wird in der ersten Polymerisationsstufe ein Teil der ersten Monomermischung vorpolymerisiert, so daß man da schon von einem Saatverfahren sprechen kann. Nur im Beispiel 6 wird in der zweiten Stufe auch ein weichmachendes Monomer mitpolymerisiert, allerdings in einer Menge, die den jetzt beanspruchten Bereichen nicht entspricht.

D10 hat zur Aufgabe Polymere herzustellen, die als filmbildende Materialien in Anstrichzusammensetzungen geeignet sind und liegt somit auf dem gleichen Gebiet wie D4 und das Streitpatent. Eine Kombination mit D4 käme deshalb in Frage. D10 enthält jedoch keine Anregung, aus den offenbarten unterschiedlichen Verfahren speziell das Saatverfahren zu wählen, da keine Effekte einer Verwendung des Saatverfahrens angegeben sind; auch der Effekt der Anwesenheit bestimmter Mengen eines weichmachenden Monomers in der zweiten Polymerisationsstufe ist nicht aus D10 abzuleiten. Aus diesen Gründen konnte der Fachmann die positiven Auswirkungen beider Merkmale auf die Eigenschaften der Polymerdispersion nicht vorhersehen.

6.4. Gleiche Erwägungen gelten für die Kombination von D1 mit D10 oder D2, auf welche sich die Beschwerdeführerin I gestützt hat, da diese die spezifischen Merkmale des Anspruchsgegenstands ebensowenig nahelegen.

6.5. Aus dem obigen geht hervor, daß der Gegenstand von Anspruch 1 eine nicht naheliegende Kombination von an sich bekannten Merkmalen darstellt und somit auf einer erfinderische Tätigkeit beruht.

7. Hinsichtlich Anspruchs 2, der sich auf eine Verwendung der nach dem Verfahren von Anspruch 1 hergestellten wäßrigen Polymerdispersionen bezieht, gelten die gleichen Argumente wie für Anspruch 1, so daß der Gegenstand von Anspruch 2 ebenso auf eine erfinderische Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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