T 0826/94 () of 30.11.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T082694.19951130
Datum der Entscheidung: 30 November 1995
Aktenzeichen: T 0826/94
Anmeldenummer: 88106706.0
IPC-Klasse: G01G 3/14
G01L 1/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Biegering-Wägezelle
Name des Anmelders: GTM GASSMANN THEISS MESSTECHNIK GMBH
Name des Einsprechenden: 01) Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH Patentabteilung
02) Carl Schenck AG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit: ja
Erfinderische Tätigkeit: ja
Novelty (yes) - measuring apparatus
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

Ein beanspruchtes Meßgerät, das sämtliche konstruktiven Merkmale eines bekannten Meßgeräts aufweist und sich davon nur durch die Bezeichnung, d. h. durch die zu messende Größe unterscheidet, ist neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ, wenn zu der Schlußfolgerung, daß beide Meßvorrichtungstypen zur gleichen Gattung gehören, erst auf einer Stufe der gedanklichen Abstraktion gelangt werden kann, bei der die Grundprinzipien der beiden Meßgeräten miteinander verglichen werden.

Angeführte Entscheidungen:
T 0069/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2652/17

Sachverhalt und Anträge

I. Anspruch 1 des europäischen Patents Nr. 0 288 985 (Anmeldungs-Nr.88 106 706.0) ist der einzige unabhängige Anspruch und hat folgenden Wortlaut:

"1. Biegering-Wägezelle mit einem Krafteinleitungselement (11) und einem Kraftaufnahmeelement (12), die durch Kraftübertragungsglieder (14) mit einem zwischen ihnen angeordneten, ringförmigen Verformungskörper (13) verbunden sind, der auf beiden Seiten seiner radialen Mittelfläche (21) im axialen Abstand voneinander angeordnete, mechanisch-elektrische Wandlerelemente (22, 23) zum Umwandeln mechanischer Verformungen in elektrische Größen aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die Kraftübertragungsglieder schmale, ringförmige, etwa senkrecht zur Krafteinleitungsrichtung angeordnete Stege (14) sind, die aufgrund ihrer Querschnittsform elastische Gelenke bilden."

II. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) haben Einspruch gegen die Erteilung des Patents wegen mangelnder Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 im Hinblick auf D1 = DE-C-905 550 und mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick u. a. auf D1, D3 = DE-C-1 268 878 und D4 = Aufsatz von J. H. Antkowiak et al. "New Developments in Force Measurements" in Weighing & Measurement, Februar 1987, Seiten 19, 20, 22 erhoben. Während des Einspruchsverfahrens wurde auch D11 = Kochsiek: "Handbuch des Wägens", 1985, Seiten 99 bis 103, zitiert.

III. Mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 21. Juli 1995 wurden die Einsprüche zurückgewiesen.

Die Zurückweisung wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

Formal seien sämtliche Elemente des strittigen Anspruchs 1 bis auf den Gattungsbegriff im Gerät gemäß Figur 2 von D1 vorhanden; D1 betreffe jedoch nicht eine Biegering-Wägezelle, sondern ein Dehnungsmeßelement; ein Dehnungsmeßelement weise einen mechanischen Hub oder eine zu messende Dehnung von beispielweise 2 mm auf, während eine Biegering-Wägezelle eine Kraft möglichst weglos messen solle, was zu einem um eine Größenordnung geringeren Hub, beispielweise 0,2 mm führe, wobei dazu rein informativ auf technische Daten aus eingereichten Prospekten hingewiesen werden könne; die entsprechenden Elemente müßten also bei einer Biegering-Wägezelle anders dimensioniert sein, als bei einem Dehnungsmeßelement, so daß ein Dehnungsmeßelement nicht eine Biegering-Wägezelle darstellen könne und folglich der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sei. Außerdem würde der Fachmann, ausgehend z. B. von der aus D4 bekannten Biegering-Wägezelle mit senkrecht zur Krafteinleitungsrichtung angeordneten relativ dicken Stegen, dünne Stege weder aus D1 noch aus D3 übernehmen, weil über die dicken Stege beträchtliche Kräfte eingeleitet werden müßten, während bei einem Dehnungsmeßelement aus D1 mit dünnen Stegen der gleichen Orientierung nur geringe Kräfte vonnöten seien, die dementsprechend dann auch dünne Biegefedern erlaubten, und weil die Biegering-Wägezelle von D3 verhältnismäßig dünne Stege enthalte, die nicht senkrecht zur sondern in Krafteinleitungsrichtung angeordnet seien und somit eine andere Steifigkeit aufwiesen würden. Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) Beschwerde eingelegt.

V. Im Bescheid der Beschwerdekammer zur Ladung zu der mündlichen Verhandlung, die von allen Parteien hilfsweise beantragt wurde, wurde mitgeteilt, daß dem Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung die Neuheit fehlen könnte.

VI. Die Beschwerdeführerinnen haben ihre Anträge auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und auf Widerruf des Patents auf folgende Argumente gestützt:

Aus Figur 2 von D1 sei ein Meßelement bekannt, das sämtliche konstruktiven Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 aufweise. Zwar sei das Meßelement von D1 nicht wie im Streitpatent als Biegering-Wägezelle, sondern als Dehnungs- oder Druckmeßelement bezeichnet. Bei der Messung in D1 würden jedoch auch Kräfte (A) auftreten und der Fachmann von D1 würde aus seinem Fachwissen und aus den Fachbüchern, z. B. aus D11 (siehe Fig. 3.41) erkennen, daß es sich auch in D1 um einen Kraftaufnehmer nach dem Biegering-Prinzip handele, der sowohl für Kraftmessungen, Druckmessungen, Dehnungmessungen als auch für kleine Wegmessungen verwendbar sei; so würden Kraftaufnehmer nach dem Wägezellenprinzip im Zusammenhang mit Kraft-, Druck- und Dehnungsmessung gattungsgleiche Meßgeräte darstellen. Im übrigen stelle die Bezeichnung Dehnungsmeßgerät in D1 kein technisches Merkmal, sondern lediglich einen vorzugsweisen Verwendungshinweis dar. Es liege daher in der unterschiedlichen Bezeichnung nur formal ein anderer Meßaufnehmer vor, da sowohl in D1 als auch im Streitpatent objektiv eine Kraftmeßvorrichtung dargestellt werde, die einmal vorzugsweise zur Druck- und Dehnungsmessung und andererseits vorzugsweise zur Gewichtsmessung verwendbar sein sollten. Dabei spielten Fragen der Dimensionierung, die jedenfalls dem Anspruch 1 des Streitpatents nicht zu entnehmen seien, keine Rolle. Nach der Entscheidung T 69/85 vom 2. April 1987 (nicht veröffentlicht), stellten derartige Verwendungsangaben aber auch keine Vorrichtungsmerkmale dar und könnten deshalb nicht gattungsbegründend sein. Somit sei der Streitgegenstand nicht neu.

Jedenfalls sei aber die erfinderische Tätigkeit der strittigen Biegering-Wägezelle im Hinblick auf das Meßelement von D1 allein, das alle Merkmale dieser Zelle aufweise, oder in Kombination mit D3 und D4, die Kraftaufnehmer nach dem gleichen Biegering-Prinzip zeigten, zu verneinen.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat ihren Hauptantrag auf Zurückweisung der Beschwerden und auf Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung im wesentlichen wie folgt begründet:

Das aus Figur 2 von D1 bekannte Meßelement weise zwar alle Merkmale der Biegering-Wägezelle des Streitpatents auf, unterscheide sich jedoch davon durch die Bezeichnung, weil das Meßelement von D1 keine Biegering-Wägezelle, sondern ein Dehnungs- und Druckmeßelement sei. Dieser Unterschied in der Bezeichnung deute nicht nur auf einen Unterschied in der Verwendung desselben Geräts, sondern führe zu einem anderen Gerät, das implizit unterschiedliche Merkmale, insbesondere unterschiedlich dimensionierte Teile, aufweise, weil der Hub für die Messung von Kräften im allgemeinen viel größer sei, als für die Messung einer Dehnung. Zwar sei z. B. aus D11 zu entnehmen, daß sowohl die Biegering-Wägezelle als auch das bekannte Dehnungs- bzw. Druckmeßelement eine Meßvorrichtung nach dem Biegering-Prinzip darstellten. Der Fachmann würde aber zu dieser Schlußfolgerung erst auf einer Stufe der gedanklichen Abstraktion gelangen können, bei der die Grundprinzipien der Meßzellen miteinander verglichen werden müßten. Dabei stelle sich die Frage, welcher Fachmann dann diesen Vergleich vornehme, d. h. der Fachmann gemäß dem Streitpatent, der sich mit Biegering-Wägezellen beschäftige, oder der Fachmann von D1, der das benachbarte technische Gebiet der Dehnungs- bzw. Druckmeßelemente kenne, oder ein Fachmann, der für ein breites, übergeordnetes technisches Gebiet zuständig sei. Bei dieser Auswahl eines Fachmanns und bei dem Abstrahieren der Lehre von D1 mit Hilfe seines Fachwissens liege jedoch schon ein bestimmtes Maß rückschauender Betrachtung vor. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neu.

Die Erfindung gehe von einer Biegering-Wägezelle mit einem Krafteinleitungselement und einem Kraftaufnahmeelement aus, die entweder aus D3 oder D4 bekannt sei, und bei der diese Elemente durch Kraftübertragungsglieder verbunden seien, die unelastischen Verformungen aufweisen könnten, was die Meßgenauigkeit beeinträchtigen könnte. Der Fachmann von D3 oder D4 könnte das Dokument D1, das eine andere Gattung von Meßvorrichtungen zeige und viel älter sei als D3 oder D4, nur in rückschauender Weise heranziehen, so daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1. Aus D1 (siehe Seite 1, Zeilen 1 bis 6 und 20 bis 32; Seite 1, Zeile 37 bis Seite 2, Zeile 30; Figur 2; siehe auch die Ansprüche 1 und 3) ist ein Meßelement bekannt; dieses Meßelement enthält ein Krafteinleitungselement (1'), an welchem eine Kraft (A) auftreten kann, und ein Kraftaufnahmeelement (4); das Krafteinleitungselement (1') und das Kraftaufnahmeelement (4) sind durch Kraftübertragungsglieder (7, 8) mit einem zwischen ihnen angeordneten, ringförmigen Verformungskörper (9, 10) verbunden, der auf beiden Seiten seiner radialen Mittelfläche im axialen Abstand voneinander angeordnete, mechanisch-elektrische Wandlerelemente (5, 6) zum Umwandeln mechanischer Verformungen in elektrische Größen aufweist; die Kraftübertragungsglieder (7, 8) sind schmale, ringförmige, etwa senkrecht zur Krafteinleitungsrichtung angeordnete Stege (7, 8), die aufgrund ihrer Querschnittsform elastische Gelenke (Biegefedern) bilden.

Es wurde nicht bestritten, daß somit sämtliche konstruktiven Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 in der Ausführungsform nach Figur 2 von D1 vorhanden sind. Anders jedoch als die strittige Vorrichtung ist das Meßelement von D1 nicht als Biegering-Wägezelle, sondern als Dehnungs- oder Druckmeßelement bezeichnet, wobei zwar bei der Messung in D1 (siehe Seite 1, Zeilen 1, 2, 20 bis 22; Ansprüche 1 bis 7) Kräfte (A) auftreten, diesem Dokument jedoch kein Hinweis auf die Messung einer Kraft zu entnehmen ist. Es kommt aber darauf an, ob sich durch diese unterschiedliche Bezeichnung der Meßvorrichtungen von D1 einerseits und gemäß dem Streitpatent andererseits eine unterschiedliche Gattung dieser Vorrichtungen ergibt.

2.2. In dieser Hinsicht haben die Beschwerdeführerinnen argumentiert, daß es sich bei der strittigen Meßvorrichtung und beim Meßelement von D1 (siehe Seite 1, Zeilen 1, 2, 20 bis 22) um einen Kraftaufnehmer nach dem Biegering-Prinzip handle, der sowohl für Kraftmessungen, Druckmessungen und Dehnungmessungen, als auch für kleine Wegmessungen verwendbar sei. So würden auch in allen einschlägigen Fachbüchern, z. B. in D11 (siehe Seiten 99 bis 103, insbesondere Figur 3.41) Kraftaufnehmer nach dem Wägezellenprinzip im Zusammenhang mit Kraft-, Druck- und Dehnungsmessung erwähnt, so daß diese gattungsgleiche Meßgeräte darstellten. Im übrigen stelle die Bezeichnung Dehnungsmeßgerät in D1 kein technisches Merkmal, sondern lediglich einen vorzugsweisen Verwendungshinweis dar. Es liege daher in der unterschiedlichen Bezeichnung nur formal ein anderer Meßaufnehmer vor, da sowohl in D1 als auch im Streitpatent objektiv eine Kraftmeßvorrichtung dargestellt werde, die einmal vorzugsweise zur Druck- und Dehnungsmessung und andererseits vorzugsweise zur Gewichtsmessung verwendbar sein sollte. Nach der Entscheidung T 69/85 stellten derartige Verwendungsangaben aber keine Vorrichtungsmerkmale dar und könnten deshalb nicht gattungsbegründend sein.

2.3. Diese Argumente konnten jedoch aus folgenden Gründen nicht überzeugen:

2.3.1. Zwar ist z. B. aus den zitierten Textstellen von D11 zu entnehmen, daß sowohl die Biegering-Wägezelle als auch das bekannte Dehnungs- bzw. Druckmeßelement eine Meßvorrichtung nach dem Biegering-Prinzip darstellen, bei dem durch Einwirkung von Kräften auf einen elastisch verformten Meßfederkörper indirekt über Oberflächendehnungsaufnehmer diese Kräfte entsprechende elektrische Signale ergeben; dabei kann grundsätzlich eine Druck-, Dehnungs- oder Gewichtsermittlung vorgenommen werden. Obwohl somit beide Meßvorrichtungstypen zu einer gleichen Gattung gehören, konnte das Argument der Beschwerdegegnerin überzeugen, daß der Fachmann zu dieser Schlußfolgerung erst auf einer Stufe der gedanklichen Abstraktion gelangen kann, bei der die Grundprinzipien beider Meßzellen miteinander verglichen werden. Es kann der Beschwerdegegnerin weiter darin gefolgt werden, daß sich dann die Frage stellt, welcher Fachmann diesen Vergleich vornimmt, d. h. der Fachmann gemäß dem Streitpatent, der sich mit Biegering-Wägezellen beschäftigt, oder der Fachmann von D1, der das benachbarte technische Gebiet der Dehnungs- bzw. Druckmeßelemente kennt, oder ein Fachmann, der für ein breites, übergeordnetes technisches Gebiet zuständig ist, in dem sowohl Biegering-Wägezellen als auch Dehnungs- bzw. Druckmeßelemente enthalten sind. Wie von der Beschwerdegegnerin überzeugend argumentiert, liegt schon in dieser Auswahl eines Fachmanns und im Abstrahieren der Lehre von D1 mit Hilfe seines Fachwissens ein bestimmtes Maß rückschauender Betrachtung, weil, anders als beim Auffinden von entweder D3 oder D4, die beide Kraftmessungsvorrichtungen betreffen und somit zum einschlägigen technischen Gebiet, d. h. zum Gebiet des Streitpatents, gehören, der Fachmann dieses Gebiets das Dokument D1, worin Kraftmessung nicht erwähnt ist, erst über die Betrachtung von Meßprinzipien eng benachbarter Vorrichtungen auffinden wird.

2.3.2. Im Hinblick auf das Argument der Beschwerdeführerinnen, daß aufgrund der Schlußfolgerungen in der Entscheidung T 69/85 die unterschiedliche Verwendung des gleichen Meßfedergrundtyps zur Festlegung der Gattung nicht herangezogen werden dürfe, kann folgendes bemerkt werden:

Bei dieser Entscheidung (siehe die Paragraphen 2.2.1 bis 2.2.8) unterschied sich ein Anspruch, in dem ein medizinisches Bestrahlungsgerät zur Behandlung von karzinogen verändertem Zellgewebe dadurch gekennzeichnet war, daß darin eine Strahlungsquelle mit bestimmten Merkmalen verwendet wurde, von einem bekannten Gegenstand lediglich durch die Angabe der Verwendung des Geräts; in der Begründung wurde ausgeführt, daß Entladungslampen bzw. Strahlungsquellen für Entladungslampen doch stets in irgendeinem Gerät verwendet würden und bei ihrem Betrieb die Strahlung zwangsläufig irgendwo auftreffe, so daß durch die Entgegenhaltung für den Fachmann implizit, wenn auch nicht mehr spezifiziert, ein "Bestrahlungsgerät" offenbart sei; da auch nicht ersichtlich sei, daß sich ein "medizinisches" Bestrahlungsgerät strukturell stets von jedem anderen Bestrahlungsgerät unterscheide, verbleibe somit für den Gegenstand des Anspruchs 1 als neu nur die Verwendung; daher sei der Gegenstand des Anspruchs nicht neu.

Anders als bei der Angelegenheit der zitierten Entscheidung enthält jedoch der strittige Anspruch 1 keine Angabe über eine bestimmte Verwendung. Der strittige Anspruch 1 stellt weder allgemein ein Gerät mit einer Meßfeder nach dem Biegering-Prinzip dar, das im Zusammenhang mit einer besonderen Verwendung als Wägezelle benutzt wird, noch definiert er ein Dehnungs- und Druckmeßelement, das im Zusammenhang mit einer vom ursprünglichen Zweck abweichenden Verwendung als Wägezelle benutzt oder dafür angepaßt wird, sondern betrifft ein besonderes Gerät, das für die Funktion einer Wägezelle konzipiert ist und auch so benutzt werden soll. Durch die Entgegenhaltung D1 ist keine Biegering-Wägezelle spezifiziert. Es kann auch nicht entnommen werden, daß aus D1 eine Biegering-Wägezelle für den Fachmann implizit offenbart ist, weil erst durch Abstrahieren des Inhalts von D1 einerseits, und der Lehre des Streitgegenstands andererseits, ggf. mit Hilfe von Fachbüchern, die Frage einer unterschiedlichen Verwendung des bekannten Geräts auftauchen kann, wobei immerhin nicht direkt erkennbar ist, ob zusätzlich durch die neue Meßfunktion eine neue Dimensionierung der verschiedenen Einzelelemente des Geräts mindestens in Betracht gezogen werden soll. Daher treffen die Schlußfolgerungen der Entscheidung T 69/85 im vorliegenden Fall nicht zu.

2.4. Da außerdem die aus den anderen Druckschriften des Stands der Technik bekannten Vorrichtungen nicht alle Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweisen, ist dieser Gegenstand neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Gemäß dem Streitpatent (siehe Spalte 1, Zeile 3 bis Spalte 2, Zeile 38) geht die Erfindung von einer Biegering-Wägezelle mit einem Krafteinleitungselement und einem Kraftaufnahmeelement aus, die entweder aus D3 oder D4 bekannt ist; bei dieser Wägezelle sind die Krafteinleitungs- und Kraftaufnahmeelemente durch Kraftübertragungsglieder mit einem zwischen ihnen angeordneten, ringförmigen Verformungskörper verbunden, der auf beiden Seiten seiner radialen Mittelfläche im axialen Abstand voneinander angeordnete, mechanisch-elektrische Wandlerelemente zum Umwandeln mechanischer Verformungen in elektrische Größen aufweist. Aufgrund der hohen Steifigkeit der Kraftübertragungsglieder der Wägezelle von D3, die rohrförmig sind, und infolge der komplizierten Verformungen, die diese Rohrstücke bei der Kraftübertragung erleiden, ergäben sich gemäß den Ausführungen im Streitpatent hohe Einspannungsmomente; ferner träten an den Stellen, wo die rohrförmigen Kraftübertragungsglieder in den Verformungskörper übergehen, hohe Spannungsspitzen auf; diese hohen Spannungen wiederum führten zu unelastischen Verformungen und zu Hysterese-Erscheinungen und hätten zur Folge, daß die Meßgenauigkeit leidet. Bei der Wägezelle von D4, bei der Krafteinleitungselement und Kraftaufnahmeelement durch eine Ringscheibe verbunden sind, könnten wegen der biegesteifen Verbindung der Ringscheibe mit dem Krafteinleitungselement einerseits und dem Kraftaufnahmeelement andererseits, auch ähnliche Probleme im Hinblick auf die Lasteinleitung und auf die Lagerung der Zelle auftreten. Es sei Aufgabe der gestrittenen Erfindung, eine Biegering-Wägezelle zu schaffen, bei welcher insbesondere Störgrößen bei der Lasteinleitung und bei der Lagerung der Wägezelle nahezu vollständig ausgeschaltet werden.

Ausgehend von D3 (siehe Spalte 1, Zeilen 11 bis 46; Spalte 2, Zeile 13 bis Spalte 5, Zeile 49; Figuren 1 bis 4), worin rohrförmige Kraftübertragungsglieder (2, 4) gezeigt sind und die Probleme betont werden, die bei vorbekannten Vorrichtungen auftauchen, bei welchen die Durchbiegung eines ebenen, kreisplattenförmigen Verformungskörper die Verkleinerung bzw. Vergrößerung des Umfangs von sich senkrecht zur Plattenebene erstreckenden kreisringförmigen Dehnrändern bewirkt, bekommt der Fachmann durch D3 keine Anregung, die rohrförmige Struktur durch eine kreisplattenförmige, d. h. eine Struktur gemäß D1 (siehe Figur 2), zu ersetzen. Ausgehend von D4 (siehe insbesondere Figuren 1, 2 und 4 und den entsprechenden Text auf Seiten 19 und 20), worin Krafteinleitungselement und Kraftaufnahmeelement durch eine Ringscheibe verbunden sind und aufgrund der Gestaltung der Elemente keine Notwendigkeit einer elastischen Struktur erkennbar ist, liegt das Heranziehen von Dokument D1 (siehe Seite 1, Zeilen 1 bis 32; Seite 2, Zeilen 9 bis 30) nicht nahe, das wie oben erwähnt zu einem anderen, benachbarten technischen Gebiet gehört und insbesondere Probleme, die mit temperaturbedingten Einflüssen verbunden sind, lösen soll. Außerdem kann bemerkt werden, daß der Fachmann von D1, d. h. von Dehnungs- und Druckmeßelementen, die Übertragung der Biegering-Struktur von D1 auf eine Biegering-Wägezelle zwar erwägen könnte. Das Argument der Beschwerdegegnerin konnte jedoch überzeugen, daß das Datum der Bekanntmachung der der Patentschrift D1 entsprechenden Patentanmeldung, d. h. der 30. April 1953, verglichen mit den relevanten Daten von D3 (22. Mai 1968), D4 (Februar 1987) und dem Prioritätsdatum des Streitpatents (11. April 1987) schon als ein Indiz für eine erfinderische Tätigkeit gelten kann. Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ, so daß das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten werden kann (Art. 52 (1) und 102 (2) EPÜ). Da außerdem dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin stattgegeben werden kann, ist es nicht nötig, ihren Hilfsantrag in Betracht zu ziehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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