T 0803/94 () of 21.1.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T080394.19970121
Datum der Entscheidung: 21 Januar 1997
Aktenzeichen: T 0803/94
Anmeldenummer: 88108753.0
IPC-Klasse: F16H 57/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Getriebe mit Tauchschmierung
Name des Anmelders: Iveco Magirus Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Steyr- Daimler- Puch Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Hauptantrag, Neuheit (verneint)
Hilfsantrag, erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0493/06

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 88 108 753.0 ist am 8. Juli 1992 das europäische Patent Nr. 0 294 697 erteilt worden.

II. Ein von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) am 2. April 1993 gegen das Patent eingelegter, auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100a EPÜ (Neuheit, erfinderische Tätigkeit) gestützter Einspruch führte zu der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 5. August 1994, daß das Patent unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen den Anforderungen des Übereinkommens genüge. In der Entscheidung wurde auf den Stand der Technik nach den Druckschriften:

D1: DE-C-825 359

D4: DE-C-376 381

D5: GB-A-133 251

Bezug genommen

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 5. Oktober 1994 unter gleichzeitiger Einreichung der Beschwerdebegründung und Bezahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt.

IV. Im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin erstmals die offenkundige Vorbenutzung des Verteilergetriebes VG 1400-3W in dem Schwerlastwagen NG80, Daimler Benz AG, geltend gemacht und hat hierfür die folgenden Beweismittel vorgelegt:

Beilage A: Werkstatt-Handbuch Getriebe, Nutzfahrzeuge, Band 4, Daimler Benz AG, Bestell-Nr. 6510343100, 12.81 2.5WA, zwei Titelblätter sowie Blätter: 013/1 ("Ölwechsel-Ölstandskontrolle", 28.41) und 003/4 (28.41 "Bilder, Schnittbilder, Explosivbilder, Verteilergetriebe VG 1400-3W);

Beilage B: Werkstatt-Handbuch Fahrzeugaggregate, Workshop Manual Vehicle Components,..... Mercedes-Benz Service, 6160.5002.40, mit dem Titelblatt und den Blättern 003/4 (28.41 "Views ..."), 003/5 (28.41 "Views, sectional views ...) und 013/1 (28.41 "Oil change, oil level control");

Beilage C: Fahrerinformation, Daimler-Benz AG, Schwerlastwagen NG 80, "ÖWV/UFG 951.2321.00.83.02.00, Titelblatt und Seite 54 ("Verteilergetriebe VG 1400-3W");

Beilage D: Fotokopien von Fotoaufnahmen Nr. 3 bis 6, 13 bis 16, 19 und 20 der Firma Steyr- Daimler- Puch AG, aus einem internen Protokoll mit Meßdaten und Fotografien über die Untersuchung des Verteilergetriebes VG 1400-3W;

Beilage E: Eidesstattliche Erklärung des Herrn Dr. J. P. Reif vom 8. Februar 1995,

Beilage F: Materialanforderung der Firma Steyr- Daimler- Puch AG vom 30. September 1986, zur Bestellung des Verteilergetriebes Daimler Benz VG 1400-3W.

Außerdem hat die Beschwerdeführerin eine Zeugenaussage des Verfassers der eidesstattlichen Erklärung gemäß Beilage E angeboten.

V. In einem Bescheid vom 11. Januar 1996 und einer Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung teilte die Beschwerdekammer den Beteiligten mit, daß das neue Beweismaterial für die Belegung der offenkundigen Vorbenutzung im Verfahren berücksichtigt werde, da in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und somit unmittelbar vor der angefochtenen Entscheidung noch ein geändertes Patentbegehren vorgelegt worden sei. Weiterhin wurde auf die Relevanz des Gegenstandes der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung im Hinblick auf das Streitpatent hingewiesen und zum Ausdruck gebracht, daß die eidesstattliche Erklärung die zur Anerkennung als Beweismittel notwendigen Voraussetzungen aufweise und somit eine Zeugenvernehmung nicht erforderlich sei.

Am 21. Januar 1997 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent mit den Unterlagen gemäß Zwischenentscheidung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), hilfsweise mit den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen (Ansprüche 1 bis 3 und Beschreibung) sowie den Zeichnungen der Streitpatentschrift.

VII. Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet wie folgt:

"Zahnradgetriebe mit Tauchschmierung, mit einem Getriebe-Gehäuse (3, 4), mit einem unteren Zahnrad (6) auf einer unteren Welle (17), einem oberen Zahnrad (8) auf einer oberen Welle (18) und einer zwischengeordneten Zwischenwelle (19) mit einem Zahnrad (7), das mit dem unteren Zahnrad (6) kämmt, und einem Getriebezwischenrad (5), das mit dem oberen Zahnrad (8) kämmt, wobei sich das untere Zahnrad (6) in einer Tauchschmierung in einem ersten Ölraum (2) an der tiefsten Stelle des Getriebe-Gehäuses befindet,

dadurch gekennzeichnet,

- daß das Getriebezwischenrad (5) unterseitig in einen zweiten Ölraum (10) eintaucht, der durch eine Zwischenwand (12) im Gehäuse gebildet wird und höher liegt als der erste Ölraum (2),

- daß der zweite Ölraum (10) einen Vertikalabschnitt aufweist, der sich im wesentlichen bis zum ersten Ölraum nach unten erstreckt

- und daß der zweite Ölraum (10) an tiefster Stelle einen Ölablaßstutzen (14) aufweist."

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"Zahnradgetriebe mit Tauchschmierung, mit einem Getriebe-Gehäuse (3,4), mit einem unteren Zahnrad (6) auf einer unteren Welle (17), einem oberen Zahnrad (8) auf einer oberen Welle (18) und einer zwischengeordneten Zwischenwelle (19) mit einem Zwischenrad (7), das mit dem unteren Zahnrad (6) kämmt, und einem Getriebe-Zwischenrad (5), das mit dem oberen Zahnrad (8) kämmt, wobei sich das untere Zahnrad (6) in einer Tauchschmierung in einem ersten Ölraum (2) an der tiefsten Stelle des Getriebe-Gehäuses befindet und das Getriebe-Zwischenrad (5) unterseitig in einen zweiten Ölraum (10) eintaucht, der durch eine Zwischenwand (12) im Gehäuse gebildet wird und höher liegt als der erste Ölraum (2), wobei sich der zweite Ölraum (10) im wesentlichen bis zum ersten Ölraum (2) nach unten erstreckt und an seiner tiefsten Stelle einen Ölablaßstutzen (14) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß der zweite Ölraum (10) einen flachen Abschnitt, in den das Getriebe-Zwischenrad (5) eintaucht, und einen seitlich gegen diesen versetzten, sich bis zum ersten Ölraum (2) nach unten erstreckenden und eine Beruhigungszone für das Öl darstellenden Vertikalabschnitt aufweist, der durch einen Vertikalabschnitt der axial verlaufenden Zwischenwand (12) sowie durch eine Vertikalwand (15) des Getriebes (1) begrenzt ist."

VIII. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Verteilergetriebe der Firma Daimler Benz AG sei lange vor dem Anmeldetag des Streitpatents in großer Stückzahl verkauft worden, und es seien von der Beschwerdeführerin an dem ihr im Februar 1987 gelieferten Exemplar dieses Getriebes zahlreiche Messungen durchgeführt worden, wobei das Versuchsprotokoll erst nach deren Abschluß von Dr. Reif unterschrieben worden sei. Anhand der Zeichnungen nach den Beilagen A und B könne man die Ablaßschrauben für die beiden Ölräume erkennen, wobei auf der Seite 003/5 der Beilage B die rechts in der Explosionszeichnung erkennbare Schraube 80 die Ablaßschraube des zweiten Ölraumes darstelle und darüber die Tasche für den zweiten Ölraum erkennbar sei. Die Fotografien aus der Beilage D, zeigten alle Einzelheiten des zweiten Ölraumes des Verteilergetriebes. Im Foto Nr. 3 sei die Ölablaßschraube erkennbar, und die Fotos 15, 19 und 20 zeigten die innere Wandung der Öltasche bzw. einen Einblick in die Tasche des zweiten Ölraumes. Der zweite Ölraum weise oberhalb seiner Ölablaßschraube einen Vertikalabschnitt auf, in dem sich Verunreinigungen absetzen könnten. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag sei somit neuheitsschädlich vorweggenommen.

Beim bekannten Getriebe besitze der zweite Ölraum zwar keinen flachen Teilabschnitt, der, wie im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag gefordert, gegenüber dem eine Beruhigungszone darstellenden Vertikalabschnitt versetzt sei, jedoch zeige ein Vergleich der Ölraum-Querschnittsformen und der darin entstehenden Strömungsmuster des Streitpatents und des bekannten Getriebes, daß bei beiden Ausführungen erst im unteren Bereichs des zweiten Ölraumes unmittelbar vor der Ablaßschraube eine Beruhigungszone auftrete und somit beide Ausführungen in dieser Hinsicht äquivalent seien. Die beanspruchte Lösung liege somit für einen Fachmann auf der Hand. Im übrigen sei es bei Getriebe-Gehäusen allgemein bekannt, im Bedarfsfalle am Boden flache Taschen vorzusehen und es sei ohne weiteres möglich, die Gehäusewandung entsprechend den gewünschten Strömungsmustern der Ölfüllung auszuformen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag sei somit nicht erfinderisch.

IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweisstücke reichten nicht aus, um die behauptete offenkundige Vorbenutzung des Verteilergetriebes von Daimler Benz nachzuweisen. Über den Zeitpunkt der Lieferung des Verteilergetriebes gebe es keinen Beleg und als Datum hierfür sei nur undeutlich "Ende Februar 1987" angegeben. In den vorgelegten Prospekten und in den Fotografien seien die für einen Vergleich mit dem Streitpatent relevanten Merkmale nicht eindeutig zu erkennen. Auch sei das in der Verhandlung vorgelegte Versuchsprotokoll von dem Verfasser der eidesstattlichen Erklärung erst am 10. Dezember 1987, also nach dem Prioritätstag des Streitpatents, unterzeichnet worden. Von der angeblichen Lieferung des Getriebes bis zum Abschluß der Untersuchung sei somit ein erstaunlich langer Zeitraum vergangen. All diese Ungereimtheiten machten die Beweisführung unvollständig.

Die behauptete offenkundige Vorbenutzung könne somit dem Streitpatent nicht entgegenstehen, weshalb dem Hauptantrag stattzugeben sei.

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag berücksichtige in seinem Oberbegriff diejenigen Merkmale, die gemäß der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung aus dem Verteilergetriebe der Firma Daimler Benz bekannt sein sollen. Bei der aus den Fotografien erkennbaren Öltasche sei keine Aufteilung in einen flachen Abschnitt, in den das Getriebe-Zwischenrad eintaucht, und einen seitlich gegen diesen versetzten Vertikalabschnitt, der eine Beruhigungszone darstelle, vorhanden. Beim Daimler Benz-Getriebe habe die Tasche des Ölraumes vielmehr eine aufgeweitete V-Form und der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte vertikale Abschnitt sei lediglich eine flache Mulde. Die beanspruchte Ausbildung des zweiten Ölraumes sei somit durch den Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung weder gezeigt noch in irgendeiner Weise nahegelegt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Im Beschwerdeverfahren geltend gemachter Stand der Technik und Beweismittel

2.1. Offenkundige Vorbenutzung, Zeitraum und Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit

2.1.1. Im Beschwerdeverfahren hat bei der Diskussion der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit ausschließlich das Verteilergetriebe VG 1400-3W der Firma Daimler Benz AG eine Rolle gespielt, während die im Einspruchsverfahren genannten Druckschriften D4 und D5 in der Beschwerdebegründung lediglich beiläufig zum Nachweis von Teilmerkmalen des beanspruchten Getriebes erwähnt wurden.

Zum Nachweis dafür, daß das Getriebe nach der Vorbenutzung mit dem beanspruchten Gegenstand übereinstimme und zum Stand der Technik gehöre, hat die Beschwerdeführerin die unter Abschnitt IV näher bezeichneten Beilagen A bis F als Beweismittel vorgelegt. Die Beilagen A, B und C betreffen Auszüge aus Werkstatt-Handbüchern bzw. aus einer Fahrerinformation für das Verteilergetriebe VG 1400-3W der Firma Daimler Benz. Ein Hinweis auf eine Vorveröffentlichung dieser Druckschriften kann den Angaben "12.81 2.5 WA" der Beilage A und aus der Nummernbezeichnung "83.02.00" der Beilage C entnommen werden. Die Beilage F zeigt, daß das Verteilergetriebe VG 1400-3W von der Firma Steyr- Daimler- Puch AG für den Liefertermin Ende Februar 1987 mit den Unterschriften vom 29. und 30. September 1986 bestellt wurde.

Die Beilage D enthält eine Reihe von Kopien fotografischer Aufnahmen eines zerlegten Getriebe-Gehäuses, das nach Angaben der Beschwerdeführerin und der eidesstattlichen Erklärung gemäß Anlage E das Verteilergetriebe der Type Daimler Benz VG 1400-3W darstellen soll.

Der eidesstattlichen Erklärung ist u. a. zu entnehmen, daß der Verfasser der eidesstattlichen Erklärung, Herr Dr. J. P. Reif, seinerzeit als Leiter der für die Entwicklung der Antriebsstrangkomponenten von Lastkraftwagen zuständigen Entwicklungsgruppe angehörte und daß unter seiner Tätigkeit als Gruppenleiter das u. a. in dem Schwerlastwagen NG80 der Daimler Benz AG seit 1976 verwendete Verteilergetriebe bestellt und Ende Februar 1987 geliefert wurde. Dieses Getriebe sei sofort nach der Lieferung vollkommen zerlegt, untersucht und durchgemessen worden, worüber ein ausführliches Protokoll mit zahlreichen Fotografien angefertigt worden sei.

Dieses Protokoll mit den Original-Fotografien wurde während der mündlichen Verhandlung vorgelegt und es wurde die Übereinstimmung der Kopien nach der Beilage D mit den Original-Fotografien des Versuchsprotokolls festgestellt. Die mit dem 10. Dezember 1987 datierte Unterschrift des Protokolls erfolgte, nach Angabe der Beschwerdeführerin, erst nach Abschluß der Untersuchungsarbeiten.

2.1.2. Es besteht für die Beschwerdekammer kein Anlaß, die vorstehenden Angaben aus der eidesstattlichen Erklärung (Beilage E, insbesondere Abschnitte I bis V und X) in Frage zu stellen, zumal diese in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind und in der für eine eidesstattliche Erklärung üblichen Form abgefaßt und somit entsprechend dem Prinzip der freien Beweiswürdigung als zulässiges Beweismittel zu werten sind.

Der in der Materialanforderung (Anlage F) genannte Liefertermin (Ende Februar 1987) ist nach Punkt IV der eidesstattlichen Erklärung eingehalten worden. Die Tatsache, daß das Versuchsprotokoll erst am 10. Dezember 1987 und somit nach dem Prioritätstag des Streitpatents vom Verfasser der eidesstattlichen Erklärung unterschrieben wurde, ist nicht als Hinweis darauf anzusehen, daß die offenkundige Vorbenutzung möglicherweise erst nach dem Prioritätstag des Streitpatents stattgefunden hat. Nach der Angabe in der eidesstattlichen Erklärung, daß das Verteilergetriebe vor dem Prioritätstag im freien Handel erhältlich war (vgl. die diesbezüglichen druckschriftlichen Veröffentlichungen A bis C sowie die Materialanforderung für das auf die gleiche Bezeichnung VG 1400-3W lautende Verteilergetriebe), in Verbindung mit der Übereinstimmung der Fotografien mit den Darstellungen in den Werkstatt-Handbüchern und dergl. (Beilagen A - C) bestand für die Fachwelt erkennbar lange vor dem Prioritätstag des Streitpatents die Möglichkeit, von seinem Innenaufbau Kenntnis zu nehmen und zwar unabhängig von der Frage, ob die Untersuchung im speziellen Fall des von der Einsprechenden bestellten Verteiler-Getriebes vor dem Prioritätstag des Streitpatents abgeschlossen war.

Aus dem Vorstehenden folgt, daß das in Rede stehende Verteilergetriebe vor dem Prioritätstag des Streitpatents (6. Juni 1987) offenkundig vorbenutzt wurde und mithin als Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ anzusehen ist.

2.2. Aufgrund der Aussagen in der eidesstattlichen Erklärung und der Übereinstimmung der Darstellungen des Getriebes in den Beilagen A und B (Explosionszeichnungen) mit den Fotografien gemäß Beilage D bestehen keine Zweifel, daß die Versuchsfotografien von dem in Rede stehenden Getriebe stammen, und das Getriebegehäuse die darin gezeigte Innengestaltung aufwies.

3. Hauptantrag

3.1. Neuheit

Die Aufteilung des Getriebe-Gehäuses in zwei Ölräume gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents ist aus den Explosivbildern der Beilagen A und B in Verbindung mit den Fotos, insbesondere Nr. 15, 19 und 20 der Beilage D der offenkundigen Vorbenutzung klar erkennbar. Die im Oberbegriff des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag weiterhin enthaltenen Merkmale hinsichtlich der Zahnräder- und Wellenanordnung sind in den Beilagen A und B (siehe Schnittbild 28.41) dargestellt. Die Merkmale entsprechend dem Oberbegriff des Anspruchs 1 sind somit beim bekannten Verteilergetriebe vorhanden.

Dies gilt auch für den weiteren Inhalt des Anspruchs 1. In der Beilage B, Blatt 003/5, ist an dem mit Bezugszeichen 34 versehenen hinteren Gehäuseteil ("rear case") die an der offenen Gehäuseseite dargestellte, vom Wellenlagerflansch nach rechts unten verlaufende Zwischenwand des zweiten Ölraums mit der herausgeschraubten Ölablaßschraube 80 erkennbar. Die Fotografien 6, 15 und 19 zeigen ebenfalls diese Zwischenwand des zweiten Ölraums. Die Fotografie 20 gewährt einen Einblick in den taschenförmigen zweiten Ölraum, der zwischen zwei zur Getriebeachse vertikal verlaufenden Wandbereichen, nämlich der Zwischenwand und der hinteren Stirnwand des Gehäuses liegt. Der zweite Ölraum stellt einen scheibensegmentförmigen, nach oben offenen Bereich dar, der in Getriebelängsrichtung durch die zwei o. g. vertikal verlaufenden Wandbereiche und in Querrichtung durch zwei achsparallele, schräg nach unten aufeinanderzulaufende Wandbereiche begrenzt wird, so daß er eine aufgeweitete V-Form aufweist, die am unteren Ende mit einer flachen abgesetzten Mulde endet (siehe Foto 20). Der scheibensegmentförmige Gesamtbereich des zweiten Ölraums umfaßt somit zwischen zwei seitlichen über den schräg verlaufenden Wandbereichen angeordneten Randabschnitten auch einen mittleren Vertikalabschnitt, der sich über seine ganze Tiefe, d. h. bis zum ersten Ölraum nach unten erstreckt. Der in Anspruch 1 des Streitpatents erwähnte, nur durch seine Tiefenerstreckung definierte Vertikalabschnitt ist somit beim bekannten Verteilergetriebe schon vorhanden.

Die Ablaßschraube ist zwar bei dem Einblick in den zweiten Ölraum gemäß Fotografie 20 nicht erkennbar, jedoch ist ihr Vorhandensein aus der Beilage B, Blatt 003/5 (Bezugszeichen 80) in Verbindung mit dem am rechten unteren Ende des in Fotografie 15 gezeigten hinteren Gehäuseteils ("Nase" bzw. "Lappen" an der äußeren Gehäusefläche) hinreichend erkennbar und darüber hinaus in der Beilage E (Pkt. IX) ausdrücklich erwähnt. Aus den genannten Darstellungen ist auch ohne weiteres erkennbar, daß der zweite Ölraum im wesentlichen höher liegt als der erste Ölraum.

Sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag sind somit vom Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung vorweggenommen, weshalb der Anspruch 1 mangels Neuheit seines Gegenstands nicht bestandsfähig ist.

Der Hauptantrag ist somit zurückzuweisen.

4. Hilfsantrag

4.1. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2), (3) EPÜ)

Der Anspruch 1 enthält die Merkmale aus den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 4 und 5 in Verbindung mit Ergänzungen, die den Fig. 1 und 2 und der zugehörigen Beschreibung zu entnehmen sind. Dabei sind die im Anspruchskennzeichen enthaltenen nachfolgend unter i) und ii) definierten Teilmerkmale der Fig. 1 des Streitpatents in Verbindung mit dem Text der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, letzte Zeile und Seite 4 zu entnehmen.

Im Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag sind u. a. auch alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 enthalten.

Der Anspruch 1 entspricht somit den Anforderungen von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.

4.2. Neuheit

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag enthält zusätzlich zu den in seinem Oberbegriff aufgeführten Merkmale nach dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag noch die folgenden in, seinem kennzeichnenden Teil definierten Teilmerkmale:

i) Der zweite Ölraum (10) weist einen flachen Abschnitt auf, in den das Getriebe-Zwischenrad (5) eintaucht sowie einen seitlich gegen diesen versetzten, sich bis zum ersten Ölraum (2) nach unten erstreckenden und eine Beruhigungszone für das Öl darstellenden Vertikalabschnitt;

ii) dieser Vertikalabschnitt ist durch einen Vertikalabschnitt der axial verlaufenden Zwischenwand (12) sowie durch eine Vertikalwand (15) des Getriebes (1) begrenzt.

Der zweite Ölraum des offenkundig vorbenutzten Getriebes hat abweichend vom Teilmerkmal i) des beanspruchten Getriebes die Form eines Trapezoids bzw. eines stark aufgeweiteten, V-förmigen Scheibensegments, das am Boden in einer seichten Mulde mit dem Ölablaßstutzen endet.

Es sind somit beim bekannten Getriebe weder ein flacher Abschnitt, in den das Getriebe-Zwischenrad eintaucht, noch ein klar ausgeprägter, seitlich gegen den flachen Abschnitt versetzter Vertikalabschnitt vorhanden, der beim Streitpatent, quer zur Achsrichtung gesehen, durch einen axial verlaufenden, senkrechten Teilbereich der Zwischenwand und durch einen Vertikalwandbereich des Getriebe-Gehäuses (Merkmal ii)) begrenzt ist. Vielmehr verlaufen die beiden axialen Begrenzungswände des bekannten zweiten Ölraums, wie aus dem Foto 20 der Beilage D zu entnehmen ist, bezogen auf die Einbaulage des Getriebes, nicht vertikal, sondern schräg.

Die im Kennzeichen des Anspruchs 1 des Streitpatents (Hilfsantrag) enthaltenen Merkmale sind somit aus dem Getriebe nach der offenkundigen Vorbenutzung nicht bekannt, was auch von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wurde.

Aus dem Vorstehenden folgt, daß der Gegenstand nach dem Anspruch 1 gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik nach der offenkundigen Vorbenutzung richtig abgegrenzt und dem aufgezeigten Stand der Technik gegenüber offensichtlich neu ist.

4.3. Erfinderische Tätigkeit

4.3.1. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin bildet sich bei dem bekannten Getriebe im zweiten Ölraum, trotz des Fehlens eines flachen Abschnittes mit einem seitlich dazu versetzten Vertikalabschnitt, ebenfalls eine Beruhigungszone für das Öl im Bereich der unteren Mulde des Ölraumes aus. Insofern seien die zweiten Ölräume bei dem Streitpatent und der offenkundigen Vorbenutzung wirkungsmäßig äquivalent und der Fachmann könne die Querschnittsform des zweiten Ölraumes entsprechend einem gewünschten Strömungsbild nach freiem Ermessen entsprechend der beanspruchten Form ausbilden, zumal flache Vertiefungsabschnitte am Boden von Ölgehäusen an sich allgemein bekannt seien.

4.3.2. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabenstellung, nämlich die Sicherstellung der Schmierung für alle in unterschiedlichen Höhen liegenden Zahnräder und eine Konzeption des Ölraumes derart, daß sich Verunreinigungen ablagern und diese separat abgeführt werden können, wird durch die Anordnung und die Form der beiden Ölräume, wie sie im Anspruch 1 definiert sind, erkennbar gelöst.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die bekannte Querschnittsform des zweiten Ölraums nach dem Verteilergetriebe VG 1400-3W diese Aufgabe mehr oder weniger erfolgreich löst, denn bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit steht die Frage im Vordergrund, ob der zuständige Fachmann dem Stand der Technik und/oder seinem Fachwissen Hinweise bzw. Anleitungen entnehmen konnte, die in einfacher Weise zur beanspruchten Lehre führen.

Dies ist hier nicht der Fall, denn dem Stand der Technik nach der offenkundigen Vorbenutzung sowie dem weiteren insgesamt aufgedeckten Stand der Technik sind weder Hinweise auf die Bedeutung einer Beruhigungszone für die Ablagerung und Abführung von Verunreinigungen noch auf die beanspruchten baulichen Maßnahmen zu entnehmen. Er gab somit keine Anregung, die den Fachmann zur Weiterbildung eines Getriebe-Gehäuses im Sinne des Streitpatents hätte angeregen können.

4.3.3. Aufgrund dieser Betrachtungen kommt die Beschwerdekammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist und daher auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 und 3 sind in den ursprünglichen Unterlagen offenbart und stellen vorteilhafte Weiterbildungen des Gegenstands nach dem Anspruch 1 dar. Diese Ansprüche sind somit ebenfalls bestandsfähig.

Das Patent hat somit auf der Basis des Hilfsantrags Bestand.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1) Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2) Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.

3) Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit den Unterlagen gemäß Hilfsantrag (Ansprüche 1 bis 3 und Beschreibung) und den erteilten Zeichnungen aufrechtzuerhalten.

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