T 0712/94 () of 14.11.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T071294.19961114
Datum der Entscheidung: 14 November 1996
Aktenzeichen: T 0712/94
Anmeldenummer: 88107543.6
IPC-Klasse: E03F 7/10
A01C 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Entsorgungsfahrzeug
Name des Anmelders: UTEF - MABO
Name des Einsprechenden: Müller Umwelttechnik GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 104
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 114
European Patent Convention 1973 R 63
Schlagwörter: Zurückverweisung an die erste Instanz (bejaht)
Kostenverteilung (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0931/97
T 0837/98

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 11. Mai 1988 angemeldete europäische Patentanmeldung 88 107 543.6 wurde das europäische Patent 0 291 830 mit vierzehn Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"1. Entsorgungsfahrzeug (1) mit einem mittels einer Vakuumpumpe (5) evakuierbaren Vakuumbehälter (3) zur Aufnahme flüssiger, schlammiger und/oder schüttfähiger Abfälle, an den ein Saugschlauch (6) zum Aufnehmen dieser Abfälle angeschlossen ist, und auf dessen Scheitel eine Schlauchaufnahme (7) derart angeordnet ist, daß der Saugschlauch (6) von ihr abzieh- und rückführbar aufgenommen und über eine an die Schlauchführung angelenkte, zumindest um eine horizontale Achse schwenkbare Ablaufbahn (7.1) geführt ist, wobei ein einseitig fahrzeugfester, insbesondere gegen den Vakuumkessel abgestützter Antrieb für die Bewegung des Saugschlauches (6) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Schlauchaufnahme gebildet wird von beidseits der vertikalen Mittel-Längsebene des Vakuumbehälters (3) im wesentlichen parallel zu dieser Ebene verlaufende, gegeneinander geöffnete, Führungsprofile (7.1, 7.2), deren Höhe mindestens gleich dem Durchmesser des Saugschlauches (6) und deren Tiefe mindestens gleich 1/3 dieses Durchmessers ist, und einem zwischen den Führungsprofilen (7.1, 7.2) angeordneten und von diesen geführten Schubstück (9), das mit dem Antrieb (13, 14) zusammenwirkt, und das zur Umlenkung des Saugschlauches (6) um einen etwa 180 umfassenden Bogen mit an dem Außen- und an dem Innenbogen des Saugschlauches (6) angreifenden Führungsmittel versehen ist."

II. Gegen die Erteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des Streitpatents Einspruch ein. Zur Stütze ihres Vorbringens bezog sie sich auf folgende Beweismittel:

(D1) Anlage E1,Kopien von Fotos eines Entsorgungsfahrzeugs

(D2) Anlage E2, Kopien von Fotos eines Entsorgungsfahrzeugs

(D3) Anlage E3, Kopie des Fahrzeugbriefs eines Entsorgungsfahrzeugs mit dem Kennzeichen H-SL 590

(D4) Anlage E4, Kopie der Abnahme-Bescheinigung eines Entsorgungsfahrzeugs mit dem Kennzeichen H-SL 590

(D5) Anlage E5, Prinzip-Skizze einer Saugschlauchablage mit Zugschlitten vom 8.11.88.

(D6) US-A-2 345 338 vom 28.03.44.

III. Die Einspruchsabteilung hielt das Patent in ihrer Entscheidung vom 4. Juli 1994 sowohl für neu als auch für erfinderisch und wies den Einspruch zurück.

IV. Gegen vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin am 5. September 1994 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 2. November 1994 begründet. Sie macht eine weitere offenkundige Vorbenutzung geltend, die den Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich treffe, und führt folgende Beweismittel in das Verfahren ein:

(D7) Anlage E7, Eidesstattliche Erklärung des Herrn Dipl.-Ing. Ulrich Lonke sowie Kopie eines Fotos des angeblich offenkundig vorbenutzten Entsorgungsfahrzeugs und Prinzip-Skizze einer Saugschlauchkassette vom 21. Juli 1994,

(D8) Zeichnung Nr. SW-5.0-00-00-507 "Sinkkastenreinigungswagen 5000 ltr" der Firma Eichhoff KG vom 5. November 1985 und

(D9) Fertigungsunterlagen des angeblich offenkundig vorbenutzten Entsorgungsfahrzeugs der Firma Eichhoff KG vom 8. November 1986.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) macht geltend, daß das Vorbringen hinsichtlich der weiteren Vorbe- nutzung verspätet sei und hält eine Kostenverteilung für gerechtfertigt.

VI. Die Kammer hat die Beteiligten darauf hingewiesen, daß die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachten und durch die Dokumente D7 bis D9 gestützte Vorbenutzung aufgrund ihrer Relevanz zu berücksichtigen sei und die Absicht geäußert, die Angelegenheit an die Einspruchs- abteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Kammer wies ferner darauf hin, daß Gegenstand der für den 14. November 1996 anberaumten mündlichen Verhandlung somit nur die Fragen der Zurückverweisung und der Kostenverteilung seien.

VII. In der mündlichen Verhandlung erklärten sich beide Beteiligten mit der Zurückverweisung einverstanden.

Bei der Frage der Kostenverteilung vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß sie der Beschwerdegegnerin keine unnötigen Kosten verursacht habe, da die der Beschwerdebegründung beigefügten und der offenkundigen Vorbenutzung zugrundeliegenden Unterlagen, mit Ausnahme der eidesstattlichen Erklärung des Herrn Lonke, der Beschwerdegegnerin bei den schon während des erstinstanzlichen Verfahrens geführten Einigungsverhandlungen vorgelegt worden und dieser somit längst bekannt seien.

Die Beschwerdegegnerin meinte dagegen, daß eine Kostenverteilung bereits aufgrund der Einführung des neuen Materials erst im Beschwerdestadium angemessen sei.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents, Zurückweisung des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Kostenverteilung, hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und der Beschwerdeführerin die Kosten aufzuerlegen, hilfsweise die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer hält die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel nach den Dokumenten D7 bis D9 zu einer weiteren angeblichen Vorbenutzung prima facie für so relevant, daß ihre Zulassung in das Beschwerdeverfahren gerechtfertigt ist.

3. Bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde kann die Kammer gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung (die die angefochtene Entscheidung erlassen hat) tätig werden oder die Sache zur weiteren Entscheidung an diese zurückverweisen. Es liegt somit im Ermessen der Kammer, ob sie die Sache selbst prüft und entscheidet oder sie an die erste Instanz zurückverweist.

4. Im vorliegenden Fall hat sich aufgrund des neu eingereichten Materials ein erheblich geänderter Sachverhalt ergeben, der eine neue Sachaufklärung notwendig macht, die unter Umständen eine umfangreichere Beweisaufnahme beinhaltet. Es erscheint daher sachgerechter, mit der Durchführung des weiteren Verfahrens die Einsruchsabteilung zu betrauen, dies umsomehr wenn, wie hier, die Beschwerdegegnerin ausdrücklich darum gebeten hat.

5. Was die Frage des Kostenverteilung anlangt, schreibt Artikel 104 (1) EPÜ vor, daß im Einspruchsverfahren jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten grund- sätzlich selbst trägt. Eine andere Verteilung der durch eine mündliche Verhandlung oder eine Beweisaufnahme verursachten Kosten ist anzuordnen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn diese Kosten ganz oder teilweise durch ein Verhalten eines Beteiligten verursacht werden, das mit der bei der Wahrnehmung von Rechten zu fordernden Sorgfalt nicht in Einklang steht, sondern im Gegenteil das Ergebnis eines leichtfertigen oder gar böswilligen schuldhaften Handelns darstellt (T 461/88, ABl. EPA 1993, 295 Pkt. 9 der Entscheidungsgründe; Singer EPÜ Art. 104, Rdn 6).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin die Darlegung der Beschwerdeführerin, daß die Unterlagen für die nunmehr geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung ihr im Zuge von Einigungsverhandlungen lange vor Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung zur Kenntnis gebracht worden seien, nicht in Abrede gestellt. Sie hält aber eine Kostenverteilung allein aufgrund des Unstandes, daß die weitere offenkundige Vorbenutzung formell erst im Beschwerdeverfahren eingeführt wurde, für gerechtfertigt.

Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.

Zwar werden hier durch die erstmalig im Beschwerde- verfahren vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zusätzliche Kosten verursacht. Das Verhalten der Beschwerdeführerin widerspricht jedoch nicht der bei der Wahrnehmung von Rechten zu fordernden Sorgfalt. Es mag Situationen geben, in denen es der Einsprechende in seinem Bestreben, zu einer außergerichtlichen Einigung zu gelangen, für erfolgversprechend und zweckmäßig hält, den Patentinhaber auf bestimmten Stand der Technik zunächst nicht im Rahmen eines Verfahrens sondern bei nebenher laufenden Verhandlungen hinzuweisen. Dadurch wird dieser umfassend informiert und in die Lage versetzt, die Bestandsfähigkeit seines Patents abzuschätzen. Erweist sich später eine Einführung des Materials in das Verfahren als notwendig, weil die Einigung scheitert, wird der Patentinhaber nicht überrascht. Eine solche Handlung ist nicht von vornherein vorwerfbar. Billigkeitsgründe für eine Kostenverteilung sind deshalb im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.

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