T 0642/94 () of 19.3.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T064294.19960319
Datum der Entscheidung: 19 März 1996
Aktenzeichen: T 0642/94
Anmeldenummer: 88909985.9
IPC-Klasse: F28F 11/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rohrstopfen zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: ABB Patent GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Disclosure - sufficiency (yes)
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0169/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1144/07

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 29. November 1988 angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 88 909 985.9 wurde am 26. August 1992 das europäische Patent 0 447 391 erteilt.

II. Die unabhängigen Ansprüche 1, 8 und 11 des Streitpatents in der erteilten Fassung haben folgenden Wortlaut:

"1. Rohrstopfen (1) zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres (2), bei dem ein hohler zylindrischer Teil (3) in einen hohlen konischen, am freien Ende geschlossenen Teil (4) übergeht und der zylindrische Teil (3) einen geringfügig kleineren Außendurchmesser als der Innendurchmesser des zu verschließenden Wärmetauscherrohres (2) besitzt und durch Aufweiten in dichtenden Kontakt mit der inneren Oberfläche des Wärmetauscherrohres (2) gebracht wird, wobei im zylindrischen Teil (3) und/oder im konischen Teil (4) Mittel (6) zum Einsetzen und Arretieren eines Ziehwerkzeuges (15) angebracht sind, dadurch gekennzeichnet, daß der zylindrische Teil (3) in einem aufzuweitenden Bereich (5) auf eine Rauhtiefe von 0,05 bis 0,2 mm aufgerauht ist, daß der zylindrische Teil (3) zum konischen Teil (4) ohne Absatz fließend übergeht.

8. Verfahren zum Entfernen eines Rohrstopfens (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 7, der in einem Wärmetauscherrohr (2), insbesondere durch Aufweiten festgehalten ist, dadurch gekennzeichnet, daß in das Innere des Rohrstopfens (1) ein Schweißgerät (10) eingeführt wird, und daß die Rohrstopfenwandung (11) auf einer vorgegebenen Bahn (12a) durch Aufschmelzen der Oberfläche geschrumpft wird.

11. Verwendung eines Rohrstopfens (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 7 zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres (2)."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 sowie 9 und 10 richten sich auf bevorzugte Ausbildungsformen des Rohrstopfens nach Anspruch 1 bzw. des Verfahrens zum Entfernen eines Rohrstopfens nach Anspruch 8.

III. Gegen das vorgenannte Patent hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1, fehlender Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 8 und wegen des Umstandes, daß die Erfindung nicht so deutlich und vollkommen offenbart sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne, beantragt.

Der Einspruch war gestützt auf die Entgegenhaltungen:

(D1) EP-A-0 137 984

(D2) US-A-4 513 786

(D3) EP-A-0 153 563

(D4) EP-A-0 291 003

(D5) Lexikon "Brockhaus" 1983, Seiten 167/168.

Mit Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 1994, schriftlich begründet zur Post gegeben am 29. Juni 1994, hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 10. August 1994 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr am 15. August 1994 entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 10. Oktober 1994 eingereicht worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

V. In einer Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VerfOBK vom 25. September 1995 wurde herausgestellt, daß der erteilte Anspruch 8 als unabhängiger, auf ein Arbeitsverfahren gerichteter Anspruch selbständig auf Patentfähigkeit zu prüfen sein dürfte, wobei diese Prüfung zu dem Ergebnis zu führen scheine, daß Anspruch 8 mangels Neuheit aller in ihm enthaltenen Verfahrensschritte gegenüber (D2) bzw. (D3) nicht aufrechterhalten werden könne.

VI. Mit Eingabe vom 16. Januar 1996, eingegangen am 23. Januar 1996, reichte die Beschwerdeführerin eine Zeichnung mit der Nummer DS 12XXZE GBRA 003 010 und dem Datum 2. Dezember 1987 der Brown Boveri Reaktor GmbH ein mit dem Hinweis, die Zeichnung zeige, daß der Fachmann schon lange vor dem Prioritätstag des Streitpatents einen schlanken Kegel und einen Radius von 25 mm zwischen dem konischen und dem zylindrischen Teil des Stopfens gewählt habe, so daß ein ohne Absatz fließender Übergang zum handwerklichen Können eines Fachmannes gehöre. Aus einer beigefügten eidesstattlichen Versicherung des Herrn Russ gehe hervor, daß nach der vorgelegten Zeichnung hergestellte Stopfen vor dem Prioritätstag des Streitpatents eingesetzt worden seien.

VII. Am 19. März 1996 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt. Von der Beschwerdegegnerin wurden in der mündlichen Verhandlung Ansprüche 1 bis 7 und 8 (erteilter Anspruch 11) gemäß Hilfsantrag 2 und eine daran angepaßte Beschreibung überreicht.

VIII. Zur Begründung ihrer Beschwerde hat die Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

- Die Kennzeichnung des beanspruchten Rohrstopfens durch das Merkmal "daß der zylindrische Teil zum konischen Teil ohne Absatz fließend übergeht" stelle keine objektiv wiederholbare Anweisung dar. Es genüge dem Fachmann die bildliche Darstellung des Rohrstopfens in Figur 1 der Streitpatentschrift nicht; zur Wiederholbarkeit und exakten Abgrenzbarkeit des Begriffes "ohne Absatz fließend übergehend" sei vielmehr eine Offenbarung zwingend notwendig, die bestimmte Werte für den Übergangsradius und den Konuswinkel angebe.

- Aus (D4) gehe eine Profilierung der Stopfenwandung im Aufweitbereich analog der Ausführung gemäß dem Streitpatent hervor. Die Lehre nach dem Streitpatent stelle insofern eine verschlechterte Ausführung dar, als sie im Gegensatz zu (D4) keine Maßnahme zur Steuerung der Eindringtiefe der Profilierung in die Innenwandung des Wärmetauscherrohres vorsehe.

- Die US-A-4 178 966, die zweifelsfrei einen fließenden Übergang zwischen konischem und zylindrischem Bereich des Stopfens zeige, gebe dem Fachmann ein Vorbild für eine derartige Ausführung. Obgleich diese Entgegenhaltung sich mit einem einzuschweißenden Stopfen befasse, sei es dem Fachmann doch freigestellt, diesen Stopfen durch Aufweiten mit dem Rohr zu verbinden.

Durch Zusammenschau der Lehre gemäß der US-A-4 178 966 mit derjenigen gemäß (D4) bzw. (D1) gelange der Fachmann daher in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1. Im übrigen sei es dem Fachmann aus seinem Grundwissen geläufig, daß er an tragenden Bauteilen das Auftreten hoher örtlicher Spannungen durch Vermeiden von scharfen Kanten verhindern könne.

Außerdem zeige auch die vorgelegte Zeichnung Nr. DS 12XXZE GBRA 003 010 im Zusammenhang mit der durch eine eidesstattliche Versicherung geltend gemachten Vorbenutzung, daß ein ohne Absatz fließender Übergang zum handwerklichen Können des Fachmannes gehöre, dem der kegelige Abschuß nach (D4) bekannt sei.

- Für den Anspruch 8, der sich auf ein Verfahren zum Entfernen eines Rohrstopfens nach einem der Ansprüche 1 bis 7 beziehe, treffe die in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Auffassung, daß die Ansprüche 8 bis 10 die Merkmale des Anspruchs 1 beinhalten, nicht zu und stehe auch im Widerspruch zu den Prüfungsrichtlinien C III 3.7a. Weder die Aufrauhung noch der fließende Übergang nach dem Anspruch 1 seien als Basis des Anspruchs 8 erforderlich, sondern lediglich das Merkmal, daß der Stopfen durch Aufweiten in einem Wärmetauscherrohr festgehalten ist. Das Verfahren nach Anspruch 8 führe nicht zu dem in Anspruch 1 geschützten Erzeugnis, sondern lediglich zu einem Erfolg, wie er in der Lösung der Teilaufgabe, ein Ziehen des Stopfens mit kleinen Kräften zu erlauben, zu sehen sei.

Anspruch 8 sei daher getrennt auf Patentfähigkeit seines Gegenstandes zu prüfen. Diese Prüfung ergebe, daß das Verfahren nach Anspruch 8 durch (D3) neuheitsschädlich bekanntgeworden sei.

IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent, wie erteilt, aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, aber ohne das Wort "insbesondere" im Anspruch 8 (Hilfsantrag 1), hilfsweise wie erteilt, aber ohne die Ansprüche 8 bis 10 (Hilfsantrag 2) und hilfsweise wie erteilt, aber ohne die Ansprüche 8 bis 11 (Hilfsantrag 3). Sie hat dem Vorbringen der Beschwerdeführerin widersprochen und dabei folgendes geltend gemacht:

- Bei dem Merkmal betreffend den Übergang ohne Absatz fließend vom zylindrischen zum konischen Stopfenteil handle es sich um eine leicht verständliche technische Anweisung an den Konstrukteur, im Übergangsbereich scharfe Kanten oder einen Absatz zu vermeiden.

Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dieses Merkmal stelle keine objektiv wiederholbare Anweisung dar, sei auch insofern wenig überzeugend, als die Beschwerdeführerin behaupte, daß die Vermeidung von Kanten an Übergängen von Konstruktionsteilen zu den Grundregeln der Fertigkeitslehre gehöre. Es sei nicht verständlich, wie eine Maßnahme einerseits ein grundlegendes Konstruktionsmerkmal, andererseits aber nicht wiederholbar sein solle.

- (D4) befasse sich mit einem Rohrstopfen, bei dem zur Verbindung mit der Innenwandung des Wärmetauscherrohres zwei unterschiedlich harte Oberflächenbereiche vorgesehen seien. Es sei nicht erkennbar, weshalb dem Fachmann diese Entgegenhaltung die Anregung vermitteln könnte, nur eine einzige Aufrauhung der Oberfläche des Aufweitbereiches mit einer erhöhten Rauhtiefe vorzunehmen.

Außerdem weise sowohl der Bund (8) wie auch der Übergangsbereich zwischen zylindrischem und konischem Stopfenteil eine scharfe Kante bzw. einen Absatz auf, was gemäß dem Streitpatent zur Verhinderung von Spannungsrißkorrosion gerade vermieden werden solle.

- Der US-A-4 178 966 sei kein Hinweis auf die Verbindung eines Rohrstopfens mit dem abzudichtenden Rohr durch die Aufweittechnik zu entnehmen, vielmehr erfolge die Verbindung durch Schweißen. Der Fachmann, der die erfindungsgemäß zugrundeliegende Aufgabe zu lösen suche, werde sich nicht an einzuschweißenden Rohrstopfen orientieren.

- Bei der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung handle es sich um einen neuen Sachverhalt, der erstmals in einem späten Stadium des Beschwerdeverfahrens geltend gemacht werde. Da es sich dabei um eine eigene Vorbenutzung handle, könne davon ausgegangen werden, daß dieser Sachverhalt schuldhaft verspätet vorgebracht worden sei und somit ein Verfahrensmißbrauch vorliege. Es werde daher beantragt, dieses Vorbringen zurückzuweisen.

- Die Verfahrensansprüche 8 bis 10 enthielten alle Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 und seien einem Anspruch gleichzustellen, der sich auf die Verwendung einer neuen und erfinderischen Sache (Rohrstopfen) bei der Durchführung eines bekannten Verfahrens (Entfernen des Rohrstopfens) beziehe. Die Patentfähigkeit eines Verwendungsanspruchs, der hinsichtlich seiner Kategorie einem Verfahrensanspruch gleichgestellt sei, werde jedoch durch die Patentfähigkeit der Sache, an der oder mit der sich das Verfahren vollziehe, getragen. Daher könne auch aus der Tatsache, daß die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 8 aufgeführten Verfahrensschritte an sich bekannt seien, nicht auf das Naheliegen der auf den konkreten Rohrstopfen bezogenen Verfahrensansprüche geschlossen worden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Die Ansprüche 1 bis 7 beziehen sich auf einen Rohrstopfen zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres, wogegen die Ansprüche 8 bis 10 ein Verfahren zum Entfernen eines Rohrstopfens nach einem der Ansprüche 1 bis 7, also eine andere Anspruchskategorie, betreffen.

2.2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, daß ein Anspruch, der eine eigenständige Anspruchskategorie betrifft, als unabhängiger Anspruch anzusehen ist, der selbständig auf Patentierbarkeit zu prüfen ist (vgl. z. B. T 169/88 vom 27. März 1990, insbesondere Abschnitte 5.1 und 5.2).

Diese Rechtsprechung hat auch Berücksichtigung in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt gefunden. Gemäß Teil C Kapitel III.3.7a der Richtlinien kann ein Anspruch auch dann eine Bezugnahme auf einen anderen Anspruch enthalten, wenn er kein abhängiger Anspruch im Sinne der Regel 29 (4) EPÜ ist, wobei als Beispiel hierfür ein Anspruch anzusehen ist, der sich auf einen Anspruch einer anderen Kategorie bezieht. In diesen Fällen ist zu prüfen, inwieweit der Anspruch, der die Bezugnahme enthält, zwangsläufig die Merkmale des Anspruchs beinhaltet, auf den er Bezug nimmt.

2.3. In dem zu entscheidenden Fall liegt dem Anspruch 8 die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren anzugeben, das ein Ziehen des Rohrstopfens mit kleinen Kräften erlaubt. Als zur Aufgabenlösung notwendig sind die Verfahrensschritte gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 8 angegeben, daß in das Innere des Rohrstopfens ein Schweißgerät eingeführt wird, und daß die Rohrstopfenwandung auf einer vorgegebenen Bahn durch Aufschmelzen der Oberfläche geschrumpft wird.

Einzig diese beiden Verfahrensschritte sind zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe im Anspruch 8 enthalten und auch hierfür hinreichend.

Bei der weiteren Prüfung der Frage, ob Anspruch 8 alle Merkmale des Bezugsanspruchs 1 der Kategorie "Vorrichtung" zur Aufgabenlösung enthalten muß, ergibt sich, daß zur Erzielung eines Ziehens des Stopfens mit nur kleinen Kräften weder die spezielle Rauhtiefe des zylindrischen Stopfenteils noch der fließende Übergang ohne Absatz zwischen dem zylindrischen und dem konischen Teil notwendig sind. Diese beiden Merkmale bilden nicht die unabdingbare Voraussetzung für ein leichtes Entfernen des Stopfens; das Ziehen des Stopfens mit nur kleinen Kräften kann auch bei einem anderen Bereich der Rauhtiefe des zylindrischen Stopfenteils, z. B. einem geringeren Wert als dem beanspruchten, oder bei einem abrupten Übergang zwischen dem zylindrischen und dem konischen Stopfenteil erreicht werden. Für den Effekt eines leichten Entfernens des Stopfens kommt es in erster Linie auf die Intensität und die Dauer des Aufschmelzvorgangs durch das Schweißgerät an, worüber im Bezugsanspruch 1 jedoch keine Aussage gemacht ist.

Es ist zwischen den Parteien unstrittig, daß sämtliche Verfahrensschritte des Anspruchs 8 zum Stand der Technik, wie z. B. gemäß (D2), Spalte 2, Zeilen 61 bis 67, oder gemäß (D3), gehören, und dies in Verbindung mit einem in ein Wärmetauscherrohr eingebrachten Rohrstopfen.

Diese bekannten Verfahren sind, was von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten wurde, geeignet, einen Rohrstopfen, wie er in den Ansprüchen 1 bis 7 des Streitpatents beschrieben ist, aus dem Wärmetauscherrohr unter Aufbietung von nur kleinen Kräften zu entfernen.

Wie sich aus den vorstehenden Darlegungen ergibt, sind zur Lösung der dem Anspruch 8 zugrundeliegenden Aufgabe die konstruktiven Merkmale eines der Bezugsansprüche 1 bis 7 nicht notwendig, was zur Folge hat, daß der Gegenstand des Anspruchs 8 hinsichtlich des Vorliegens von erfinderischer Tätigkeit nicht von einem der Ansprüche 1 bis 7, soweit diese als neu und erfinderisch anzusehen sind, getragen werden kann.

2.4. Die somit unabhängig von der Bezugnahme auf einen der Referenzansprüche durchzuführende Prüfung des Anspruchs 8 ergibt, daß dessen Gegenstand gegenüber (D2) bzw. (D3) nicht neu im Sinne des Artikels 54 (1) und (2) EPÜ ist.

Anspruch 8 sowie die auf diesen bezogenen abhängigen Ansprüche 9 und 10 haben somit keinen Bestand.

Da über einen Antrag nur in seiner Gesamtheit entschieden werden kann, entfallen mit den Ansprüchen 8 bis 10 auch sämtliche übrigen Ansprüche nach dem Hauptantrag.

3. Hilfsantrag 1

Anspruch 8 gemäß dem Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 8 gemäß dem Hauptantrag durch das zusätzliche Merkmal, daß der Rohrstopfen durch Aufweiten in dem Wärmetauscherrohr festgehalten ist.

Bei diesem zusätzlichen Merkmal handelt es sich um eine Maßnahme, die im Zusammenhang mit allen Verfahrensmerkmalen nach Anspruch 8 ebenfalls durch (D2) (vgl. Spalte 2, Zeilen 38 bis 47 und Zeilen 61 bis 67) oder durch (D3) (vgl. Anspruch 1) bekanntgeworden ist.

Da Anspruch 8 gemäß Hilfsantrag 1 in seinem übrigen Teil gegenüber Anspruch 8 gemäß Hauptantrag unverändert ist, haben hierfür auch die Ausführungen zum Hauptantrag Gültigkeit.

Das Schutzbegehren nach dem Hilfsantrag 1 hat daher insgesamt keinen Bestand.

4. Hilfsantrag 2

4.1. Einwand gemäß Artikel 100 (b) EPÜ

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Lehre des Anspruchs 1 wird von der Beschwerdeführerin vor allem darauf gestützt, daß das Anspruchsmerkmal, wonach der zylindrische Teil (3) zum konischen Teil (4) ohne Absatz fließend übergeht, ohne Angabe der exakten Werte von Übergangsradius und Konuswinkel die Ausführung einer konkreten, abgrenzbaren Lehre nicht zulasse.

Wie bereits in der Mitteilung der Kammer vom 25. September 1995 dargelegt wurde, sind gemäß Artikel 69 (1) EPÜ bei der Ermittlung des Schutzbereiches des europäischen Patents, der durch den Inhalt der Ansprüche bestimmt wird, zur Auslegung der Ansprüche die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen.

Das Streitpatent betrifft gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 einen Rohrstopfen, der durch Aufweiten in dichtenden Kontakt mit der inneren Oberfläche des Wärmetauscherrohres gebracht wird.

Gemäß Spalte 3, Zeilen 52 bis 54 des Streitpatents wird beim Festwalzen des Rohrstopfens, einem speziellen Verfahren zum Aufweiten, durch den sanften Übergang des zylindrischen Teils (3) in den konischen Teil (4) die Entstehung von hohen mechanischen Spannungen und damit die Gefahr einer Spannungsrißkorrosion vermieden.

Vergleicht der Fachmann die Ausbildung des Rohrstopfens z. B. gemäß (D1) oder (D4) mit derjenigen nach dem Streitpatent, insbesondere gemäß Anspruch 1 und Figur 1 der Zeichnung, so ist ihm mit der vorstehend angegebenen Information in der Beschreibung des Streitpatents klar, daß der scharfkantige Übergang zwischen dem zylindrischen und dem konischen Stopfenteil bei dem genannten Stand der Technik die Ursache für das Eindringen der Stopfenkante in die Rohrwandung durch den Aufweitvorgang darstellt, die es im Hinblick auf die Entstehung von Rißkorrosion zu vermeiden gilt. Eine konkrete Ausführungsform für die Gestaltung des Übergangbereiches ist ihm hinsichtich des Konuswinkels und des Verlaufes der Stopfenkontur bzw. des Übergangsradius in Figur 1 der Zeichnung des Streitpatents gegeben.

Inwieweit er von dieser konkreten Ausführungsform abweichen kann, ohne den Schutzbereich eines "ohne Absatz fließend" gestalteten Stopfenübergangsbereiches zu verlassen, hängt von diversen Auslegungsbedingungen ab. Insbesondere dürften dabei die Stopfengröße, der axiale Abstand des Stopfenübergangsbereiches von dem Aufweitbereich, die vorgesehenen Materialien für Stopfen und Wärmetauscherrohr, die Art und Betriebstemperatur der im Rohr enthaltenen Flüssigkeit sowie die geforderte Lebensdauer des Rohrstopfens von Bedeutung sein.

Es erscheint unangemessen, alle diese Parameter bei der Formulierung eines Patentanspruches in Betracht zu ziehen und jeweils konkrete Bemessungsangaben für den Stopfen in Abhängigkeit von all diesen Parametern anzugeben. Es gehört zu den spezifischen Aufgaben des Fachmanns, für den jeweils konkreten Anwendungsfall angepaßte Konstruktionen zu erarbeiten, nachdem ihm einmal das grundlegende Konzept zur Verfügung gestellt wurde. Sollten dabei nicht in ausreichendem Umfang rechnerische und empirische Untersuchungsmethoden vorliegen, ist dem Fachmann auch zuzumuten, sich gegebenenfalls an Hand von Versuchen über den Einfluß der verschiedenen Parameter Aufschluß zu verschaffen.

Die Kammer gelangt daher zu dem Ergebnis, daß das oben genannte Merkmal dem Fachmann eine ausreichend klare und vollständige Lehre vermittelt, um den Übergangsbereich des Stopfens im Sinne der Vermeidung bzw. Verringerung der Gefahr der Spannungsrißkorrosion auf Grund des Aufweitens zu gestalten (Artikel 83 EPÜ).

Der vorgebrachte Einwand nach Artikel 100 (b) EPÜ greift daher nicht.

4.2. Hinsichtlich des Gegenstandes von Anspruch 1 wird der am nächsten kommende Stand der Technik in Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanz und der Beteiligten in (D1) erblickt.

Diese Entgegenhaltung beschreibt einen Rohrstopfen zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres mit den Merkmalen nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1.

Die Oberfläche des zylindrischen Teils des Rohrstopfens weist einzelne Rippen oder Vorsprünge auf, die über die Oberfläche des Stopfens vorstehen.

Anspruch 1 unterscheidet sich von diesem Stand der Technik durch die Merkmale nach dem kennzeichnenden Anspruchsteil.

Aus dem Umstand, daß (D1) den nächstkommenden Stand der Technik beschreibt, folgt bereits die Neuheit von Anspruch 1. Die Frage der Neuheit war zwischen den Parteien auch nicht strittig, so daß sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

4.3. Die zu lösende Aufgabe wird gemäß der Beschreibung des Streitpatents darin gesehen, einen Walzstopfen gemäß Oberbegriff des Anspruchs 1 zu schaffen, der bei verbesserter Dichtwirkung größere Haltekräfte gegenüber dem bekannten Stopfen aufweist, leicht ziehbar ist und bei dem beim Walzen die Entstehung von hohen, mechanischen Spannungen und somit die Gefahr einer nachfolgenden Spannungsrißkorrosion vermieden ist.

Zur Lösung dieser Aufgabe sind bei dem gattungsgemäßen Stopfen die Merkmale nach dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 vorgesehen.

Die Aufrauhung der Oberfläche des zylindrischen Stopfenbereichs mit der gegebenen Rauhtiefe dürfte die Dichtwirkung verbessern und die Haltekräfte vergrößern, wobei aufgrund der relativ geringen Rauhtiefe - im Vergleich zu den Rippen gemäß (D1) - der Stopfen leicht entfernbar ist. Außerdem dürfte der "fließende" bzw. "sanfte" Übergang zwischen zylindrischem und konischem Teil die Gefahr von Rißbildung aufgrund des Aufweitens des Stopfens vermindern.

Nach Überzeugung der Kammer wird die angegebene Aufgabe durch den Gegenstand des Anspruchs 1 vollständig gelöst.

4.4. Zur Stützung ihres Vorbringens fehlender erfinderischer Tätigkeit verweist die Beschwerdeführerin vor allem auf den durch (D4) bekanntgewordenen Rohrstopfen.

Zur Lösung der Aufgabe, die Haltekräfte bei verbesserter Dichtwirkung und dennoch leichter Entfernbarkeit des Stopfens zu erhöhen, ist gemäß (D4) die Mantelfläche des Aufweitbereiches des Stopfens mit zwei Teilbereichen von unterschiedlicher Oberflächenhärte versehen, wobei die Oberfläche des Teilbereiches mit der größeren Oberflächenhärte eine Profilierung aufweist, deren Eindringtiefe in das Wärmetauscherrohr beim Aufweiten des Stopfens durch die Gestaltung des Teilbereiches mit der geringeren Oberflächenhärte bestimmt wird.

Sollte der Fachmann sich von der Übertragung des Lösungsvorschlages nach (D4) auf den gattungsgemäßen Stopfen nach (D1) einen vorteilhaften Schritt zur Lösung der ihm gestellten Aufgabe erblicken, so müßte er die Ausstattung der Stopfenoberfläche mit zwei Teilbereichen unterschiedlicher Oberflächenhärte mitübernehmen, da eine solche Maßnahme den Kernbestandteil der Lehre nach (D4) bildet, vgl. den dortigen Anspruch 1.

Es ist klar erkennbar, daß eine solche Merkmalsübertragung nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Streitpatent führt, da bei diesem die Anordnung von zwei Teilbereichen unterschiedlicher Oberflächenhärte am Stopfenmantel nicht vorgesehen ist. Angesichts des Umstands, daß der Stopfen gemäß (D4) einen scharfkantigen Übergang zwischen seinem zylindrischen und seinem konischen Mantelbereich aufweist (vgl. die Figuren der Zeichnung), kommt hinzu, daß bei einer solchen Merkmalsübertragung auch das Merkmal eines ohne Absatz fließenden Übergangs nicht verwirklicht wäre.

Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die Lehre nach dem Streitpatent stelle gegenüber (D4) eine verschlechterte Ausführung dar, da sie keine Maßnahme zur Steuerung der Eindringtiefe der Profilierung in die Wandung des Wärmetauscherrohres vorsehe, läßt außer acht, daß im EPÜ ein bestimmter technischer Fortschritt eines unter Schutz gestellten Gegenstandes gegenüber dem Stand der Technik nicht zwingend vorgeschrieben ist.

Davon abgesehen weist gemäß (D4) lediglich ein Teilbereich des Stopfenmantels eine Profilierung auf. Gemäß der Lehre nach dem Streitpatent ist die Aufrauhung dagegen im gesamten aufzuweitenden Bereich vorgesehen, was in vorteilhafter Weise zu einer Vergrößerung der die Übertragung der Haltekräfte gewährleistenden Oberfläche führt.

4.5. Die in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents gewürdigte US-A-4 178 966 betrifft einen Rohrstopfen, der einen hohlen zylindrischen und einen sich daran anschließenden hohlen konischen Teil aufweist, wobei jedoch keine Aufrauhung an dem zylindrischen Teil beschrieben ist.

Außerdem ist dieser Stopfen nicht durch die Aufweittechnik, sondern durch Einschweißen mit dem Wärmetauscherrohr fest verbunden. Das Problem des Auftretens von hohen mechanischen Spannungen beim Aufweiten des Stopfens mit der Gefahr von Spannungsrißkorrosion stellt sich bei diesem Stopfen daher nicht. Die Problemstellung, den Stopfen leicht aus dem Rohr entfernbar zu gestalten, ist der Entgegenhaltung ebenfalls nicht zu entnehmen.

Der Fachmann, der nach Lösungen der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe sucht, die sich mit durch die Aufweittechnik eingebrachten Rohrstopfen befaßt, hat daher keine Veranlassung, die US-A-4 178 966 näher in Betracht zu ziehen.

4.6. Die erst knapp zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Unterlagen, nämlich die Zeichnung der Brown Boveri Reaktor GmbH mit der Nummer DS 12XXZE GBRA 003 010 und eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Russ vom 16. Januar 1996, sollen eine Vorbenutzung des in der Zeichnung dargestellten Rohrstopfens durch dessen Einbau in Dampferzeugerrohre des Kernkraftwerkes Biblis zwischen dem 30. April 1988 und dem 13. Mai 1988 belegen.

Es ist diesen Unterlagen nicht zu entnehmen, ob und auf welche Weise der dargestellte Rohrstopfen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein könnte. Anlagen, die sich im Innenbereich eines Kraftwerkes, insbesondere eines Kernkraftwerkes, befinden, sind für die Öffentlichkeit aus Sicherheitsgründen im allgemeinen nicht zugänglich. Der Nachweis der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung muß daher als nicht erbracht angesehen werden.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die zum Nachweis der behaupteten Vorbenutzung vorgelegten Unterlagen keinen Hinweis auf einen Stopfen enthalten, der mit Hilfe der Aufweittechnik in das Rohr eingebracht wird und bei dem die damit verbundene Problematik der Spannungsrißkorrosion auftritt. Demnach wäre die behauptete Vorbenutzung selbst im Falle des Nachweises der Offenkundigkeit für die zu treffende Entscheidung nicht von Bedeutung.

Die geltend gemachte Vorbenutzung, für deren spätes Vorbringen keine triftigen Gründe angegeben wurden, wird somit mangels Relevanz in dem Verfahren nicht zugelassen.

4.7. Zusammenfassend gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, daß die zentrale Lehre nach Anspruch 1, bei einem mit Hilfe der Aufweittechnik in ein Wärmetauscherrohr einzubauenden Rohrstopfen Kanten und Absätze im Übergangsbereich zwischen dem zylindrischen und dem konischen Stopfenteil zur Verhinderung von Spannungsrißkorrosion zu vermeiden, weder aus den verfügbaren Entgegenhaltungen noch aus dem allgemeinen Fachwissen hervorgeht.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit und dieser Anspruch hat somit Bestand (Artikel 52 (1), 56 EPÜ).

4.8. Die Ansprüche 2 bis 7 sind auf besondere Ausführungen des Gegenstandes von Anspruch 1 gerichtet und können daher als abhängige Ansprüche auch aufrechterhalten werden.

4.9. Der auf die Verwendung eines Rohrstopfens zum Verschließen eines defekten Wärmetauscherrohres gerichtete Anspruch 8 (erteilter Anspruch 11) ist auf einen der Ansprüche 1 bis 7 rückbezogen. Die Patentfähigkeit des Anspruchs 8 stützt sich auf diejenige des Anspruchs 1, dessen gesamte Merkmale Anspruch 8 als Verwendungsanspruch zwangsläufig enthält. Dieser Anspruch hat somit ebenfalls Bestand.

4.10. Die Beschreibung wurde an das geltende Schutzbegehren angepaßt, wobei redaktionelle Änderungen bzw. Klarstellungen, wie aus Seite 2 der Streitpatentschrift ersichtlich, vorgenommen wurden. Die Beschreibung ist somit ebenfalls für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang geeignet.

5. Hilfsantrag 3

Da dem Hilfsantrag 2 stattgegeben wird, ist es nicht notwendig, auf den Hilfsantrag 3 einzugehen.

6. Am Ende der mündlichen Verhandlung hatten beide Parteien Gelegenheit, zu den vorgelegten Anträgen, insbesondere gemäß Hilfsantrag 2, Stellung zu nehmen. Es ist daher nicht notwendig, eine Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ zu erlassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

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