T 0536/94 (Androgenetische Erkrankungen/LUDERSCHMIDT) of 27.2.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T053694.19980227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 1998
Aktenzeichen: T 0536/94
Anmeldenummer: 88118781.9
IPC-Klasse: A61K 7/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung von Ethisteron zur topischen Behandlung von Akne oder androgenetischer Alopezie
Name des Anmelders: Luderschmidt, Christoph, Prof. Dr. med.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Neuheit nach Einschränkung: ja, 2. med. Indikation
Erfinderische Tätigkeit: ja, Nachweis durch Vergleichsversuch
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0997/99

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 11. November 1988 mit der Priorität vom 13. November 1987 eingereichte und am 24. Mai 1989 als EP-A-0 316 780 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nummer 88 118 781.9 wurde mit der in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 1993 verkündeten und am 20. Januar 1994 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung und den Entscheidungsgründen geht hervor, daß von den zu Beginn der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträgen, bestehend aus einem Hauptantrag und sechs Hilfsanträgen, im Verlaufe der Verhandlung lediglich der dritte und vierte Hilfsantrag weiterverfolgt und diese der Entscheidung zugrunde gelegt wurden.

Der dritte Hilfsantrag bestand aus einem einzigen Anspruch mit folgendem Wortlaut:

"Verwendung von Ethisteron, Nor-Ethisteron und/oder ihrer 17-Carbonsäureester zur Herstellung einer topischen medizinischen Zubereitung zur Bekämpfung androgenetischer Erkrankungen zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger in einer Menge von 0,5-2, vorzugsweise etwa 1 Gew.-%, wobei die Zubereitung geeignet ist, am Rezeptorort eine Dosierungsmenge von 0,001-1mg/cm2 bereitzustellen."

II. Hinsichtlich dieses Anspruchs gelangte die Prüfungsabteilung zur Ansicht, daß der beanspruchte Gegenstand in Hinblick auf den nachgewiesenen Stand der Technik zwar neu sei, jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und begründete dies im wesentlichen folgendermaßen:

Die deutsche Offenlegungsschrift 3 338 339 (nachfolgend als Entgegenhaltung (1) bezeichnet) beschreibe als nächstliegender Stand der Technik bereits die Bekämpfung androgenetisch bedingten Haarausfalls bei Männern unter Anwendung von Arzneistoffen mit progestionaler Aktivität, wobei die Verbindung Nor-Ethisteron als Vertreter dieser Stoffklasse ausdrücklich erwähnt werde. Unter den in (1) aufgezählten, für die genannten Wirkstoffe geeigneten Applikationsformen werde bereits auch auf die Möglichkeit der topischen Anwendung hingewiesen.

Der Anmeldungsgegenstand unterscheide sich daher von der technischen Lehre der Entgegenhaltung (1) lediglich durch die Angabe der erforderlichen Wirkstoffmengen bei der Herstellung von zur topischen Anwendung geeigneten Präparaten.

Aus (1) könne der Fachmann aber bereits in eindeutiger Weise entnehmen, daß durch übliche für die topische Anwendung geeignete Darreichungsformen, beispielsweise Cremes oder alkoholische Lösungen, der Transport der Wirksubstanz an den Wirkort ermöglicht werde. Es bedurfte daher nur noch der dem Fachmann zuzumutenden üblichen Vorgangsweise, um für die Anwendung geeignete Konzentrationen in der Zubereitung bzw. die am Rezeptorort erforderliche Dosierungsmenge des Wirkstoffs zu ermitteln. Da den beanspruchten Mengenbereichen auch keine besonderen Auswahleigenschaften zuzuordnen seien, fehle die erforderliche erfinderische Tätigkeit.

Die obigen Ausführungen träfen gleichermaßen für den Gegenstand des einzigen Anspruchs gemäß viertem Hilfsantrag zu, da sich dieser nur durch Wegfall des die Dosierungsmenge am Rezeptorort betreffenden Merkmals, nämlich "wobei die Zubereitung geeignet ist, am Rezeptorort eine Dosierungsmenge von 0,001-1mg/cm2 bereitzustellen", vom Anspruch gemäß drittem Hilfsantrag unterscheide.

III. Die Prüfungsabteilung hat ferner in ihre Entscheidung einfließen lassen, sie sei in Anbetracht des nachgewiesenen Standes der Technik geneigt gewesen, eine erfinderische Tätigkeit unter der Voraussetzung anzuerkennen, daß die beanspruchte medizinische Indikation (therapeutische Anwendung) im breitesten Anspruch nicht, wie bei den aufrechterhaltenen Anträgen, die Bekämpfung androgenetischer Erkrankungen im allgemeinen umfasse, sondern auf die Behandlung eines in den Erstunterlagen ebenfalls ausreichend offenbarten spezifischen Formenkreises androgenetischer Erkrankungen, nämlich die Behandlung von Akne, beschränkt werde. Die Möglichkeit, daß dieser Teilaspekt der Anmeldung erfinderisch sei, rechtfertige jedoch nicht die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit im gesamten beanspruchten Bereich.

Anträge, die eine entsprechende Beschränkung enthielten, wurden vom Anmelder jedoch im Verlaufe der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten.

IV. Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung legte der Anmelder am 18. März 1994 Beschwerde ein, die er mit Telefax vom 24. Mai 1994 begründete. Nachdem die Kammer in ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung ausgesandten Mitteilung vom 2 Mai 1997 zur vorläufigen Auffassung gelangt war, daß weder der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag noch einer der beiden Hilfsanträge geeignet erschienen, die bereits im Verlaufe des Prüfungsverfahrens sowohl aus formalen als auch sachlichen Gründen vorgebrachten Einwände gegen die Erteilung eines Patents auszuräumen, legte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 11. November 1997 folgenden unabhängigen Anspruch als neuen Hauptantrag vor:

"1. Verwendung von Ethisteron und/oder seiner 17- Carbonsäureester zur Herstellung einer topischen medizinischen Zubereitung zur Bekämpfung androgenetischer Erkrankungen zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger."

V. Der Beschwerdeführer begründete die Gewährbarkeit seines Antrags im wesentlichen damit, daß die Verwendung weder von Ethisteron selbst noch seiner 17-Carbonsäureester, wie beispielsweise Ethisteronacetat, als Mittel zur Behandlung androgenetischer Erkrankungen, worunter anmeldungsgemäß insbesondere die androgenetisch bedingte Alopezie und die Akne zu verstehen seien, im ermittelten Stand der Technik offenbart sei. Die Neuheit des Anmeldungsgegenstandes stehe daher außer Zweifel.

Der nächstliegende Stand der Technik gemäß (1) offenbare zwar neben einer Reihe von anderen Substanzen auch die Verwendung von Nor-Ethisteron zur Bekämpfung des Haarausfalls bei Männern, jedoch gebe es in dieser Entgegenhaltung keinen wie immer gearteten Hinweis, daß das strukturell verwandte Ethisteron als Wirkstoff für diesen Zweck auch bereits in Betracht gezogen worden sei. Im Zusammenhang mit dem neuen Hauptantrag machte der Beschwerdeführer geltend, über Vergleichsversuche zu verfügen, die überraschenderweise eine deutliche Überlegenheit von Ethisteron bei der Behandlung der androgenetisch bedingten Alopezie im Vergleich mit Norethisteron zeigten. Dieses für den Fachmann nicht vorhersehbare Ergebnis der Vergleichversuche rechtfertige für das nunmehr auf die Verwendung von Ethisteron und seine 17-Carbonsäureester eingeschränkte Anspruchsbegehren auch die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit im gesamten beanspruchten Bereich.

VI. Die Kammer kam in der mündlichen Verhandlung zum Schluß, daß der Neuheit der eingereichten Ansprüche prima facie nichts entgegenstehe, eine Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit jedoch erst nach Überprüfung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Vorteile durch Einsicht in die angesprochenen Vergleichsversuche gefällt werden könne. Dem Antrag des Beschwerdeführers, ihm eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage der Vergleichsversuche einzuräumen und das Verfahren schriftlich fortzusetzen, wurde daher stattgegeben.

VII. Mit der Eingabe vom 23. Januar 1998 wurden die angekündigten Vergleichsversuche vorgelegt und eine geänderte Beschreibung eingereicht. Nachdem der Beschwerdeführer in einer telefonischen Rücksprache mit dem Berichterstatter am 30. Januar 1998 auf noch bestehende, formale Mängel in den Anmeldungsunterlagen hingewiesen wurde, beantragte er mit der Eingabe vom 2. Februar 1998 als Hauptantrag Erteilung eines Patents auf Grundlage der nachfolgenden Ansprüche und der entsprechend angepaßten Beschreibung:

"1. Verwendung von Ethisteron und/oder seiner 17-Carbonsäureester zur Herstellung einer topischen medizinischen Zubereitung zur Bekämpfung androgenetischer Erkrankungen der Haut zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger.

2. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das Ethisteron in einer Menge von 0,5 bis 2 Gew.-%, bezogen auf die Formulierung, vorliegt."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der geltende Anspruch 1 stützt sich auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 9. Anspruch 2 stützt sich auf die Angaben auf Seite 7, Zeilen 11 bis 13, der Erstunterlagen. Da die Ansprüche klar und durch die Erstunterlagen ausreichend gestützt sind, entsprechen sie in dieser formalen Hinsicht den Erfordernissen der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ.

Gegen die an die vorliegenden Ansprüche angepaßte Beschreibung, die nun auch eine Würdigung des Standes der Technik gemäß Entgegenhaltung (1) enthält, bestehen aus formalen Gründen ebenfalls keine Bedenken.

3. Den gesamten Anmeldungsunterlagen ist zu entnehmen, daß der Oberbegriff "androgenetische Erkrankungen der Haut" als spezifische Indikationen die Formenkreise der androgenetisch bedingten Alopezie und der Akne umfaßt (siehe z. B. Seite 3, Zeilen 10 bis 13, der Erstunterlagen). In Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer vertritt die Kammer die Ansicht, daß zumindest insoweit die Bekämpfung der androgenetischen Alopezie als therapeutische Anwendung betroffen ist, von (1) als nächstliegendem Stand der Technik auszugehen ist. Denn diese Druckschrift vermittelt dem Fachmann bereits die Lehre, daß Arzneistoffe mit progestionaler Aktivität, die dort aufgrund ihrer Wirkungsweise auch als Dihydrotestosteron-Plasmaspiegelsenker bezeichnet werden, im allgemeinen zur Bekämpfung des Haarausfalls bei Männern geeignet sind. Als solche Wirkstoffe werden in (1) spezifisch Medroxyprogesteron-acetat, Allylestrenol, Gestranol-hexanoat, Dihydrogesteron, Norgestrel und als zum anmeldungsgemäß eingesetzten Ethisteron strukturell nächstliegender Wirkstoff Nor-Ethisteron genannt (siehe insbesondere Seite 5, Zeile 32 bis Seite 6, Zeile 30).

In (1) wird zwar nicht expressis verbis von der Behandlung androgenetisch bedingten Haarausfalls gesprochen. Jedoch kann der Fachmann aus der Lehre der Entgegenhaltung in ihrer Gesamtheit und insbesondere aus den physiologischen Wirkungen, die in (1) durch die Verabreichung der genannten progesteronähnlichen Verbindungen erzielt werden sollen, wie die Senkung des Testosteron- und vor allem des Dihydrotestosteron-Plasmaspiegels oder die Hemmung der Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron durch Hemmung der 5-alpha-Reduktase in der Haut und den Haarfollikeln, eindeutig darauf schließen, daß bereits in (1) die Bekämpfung der androgenetisch bedingten Alopezie das tatsächliche Behandlungsziel darstellt (siehe insbesondere Seite 8, Zeile 4 bis Seite 9, Zeile 12).

Gemäß dem einzigen Anwendungsbeispiel von (1) wurde bei der ausschließlich oralen Verabreichung von Medroxyprogesteron-acetat an männliche Patienten insbesondere im frontalen Bereich eine signifikante Verbesserung der Haardichte innerhalb einer Behandlungszeit von 84 Wochen beobachtet, ohne daß dabei nennenswerte sexuelle Dysfunktionen beobachtet wurden (siehe insbesondere das Beispiel auf den Seiten 9 bis 16 i. V. mit den Figuren 1 bis 4).

Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß neben oral zu verabreichenden Darreichungsformen, der Verabreichung durch subkutane, intramuskuläre und intravenöse Injektion, in (1) auch bereits die Möglichkeit der topischen Anwendung der bekannten Wirkstoffe, beispielsweise in Form von Cremes oder alkoholischen Lösungen vorgesehen (vgl. insbesondere Seite 7, Zeilen 18 bis 22) und daher als bekannt vorauszusetzen ist, ohne daß jedoch hierfür irgendwelche Vorteile genannt oder Anwendungsbeispiele gegeben werden.

4. Ausgehend von (1) kann die der Anmeldung zugrundeliegende technische Aufgabe daher darin gesehen werden, die Behandlungserfolge bei der Bekämpfung der androgenetisch bedingten Alopezie mittels topisch anwendbarer Medikamente zu verbessern.

Die Kammer teilt die Ansicht des Beschwerdeführers, daß die topische Anwendung gegenüber der in (1) ebenfalls vorgesehenen systemischen Applikation deshalb erstrebenswert ist, da aufgrund der sehr geringen Wirkstoffmengen, die bei der erstgenannten Anwendung in den Organismus gelangen, das Auftreten von schädlichen oder unerwünschten Nebenwirkungen weitgehend vermieden werden kann (siehe insbesondere Seite 4, Zeilen 4 bis 9; Seite 15, Zeilen 1 bis 3, der Erstunterlagen).

5. Zur Lösung dieser Aufgabe wird anmeldungsgemäß vorgeschlagen, Ethisteron und seine 17-Carbonsäureester als Wirkstoffe bei der Herstellung von Medikamenten für den oben angeführten Zweck zu verwenden.

Der Beschwerdeführer hat einen Vergleichsversuch vorgelegt, der die Behandlung von Patientinnen mit gesteigertem Haarausfall betrifft, d. h. einem Haarausfall von mehr als 2500 bis 3000 Haaren pro Woche gegenüber etwa 300 Haaren pro Woche im Normalfall. Aus Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, de Gruyter, Berlin, New York, 256. Auflage, Seite 51, läßt sich entnehmen, daß die androgenetische Alopezie (Alopecia androgenetica) des weiblichen Typs tatsächlich ein Krankheitsbild darstellt, dessen Behandlung als therapeutisches Verfahren im Bereich der Medizin angesiedelt ist. Daraus folgt, daß es sich bei den im Vergleichsversuch eingesetzten Präparaten tatsächlich um medizinische Zubereitungen im Sinne der vorliegenden Ansprüche handelt.

Den Ergebnissen des Vergleichsversuchs ist zu entnehmen, daß bei der Behandlung von Patientinnen mit dem oben erwähnten Krankheitsbild mit einer topischen Zubereitung, enthaltend eine 0.05%ige Lösung des Wirkstoffs Nor-Ethisteronacetat in einer Öl-in Wasser-Emulsion, die Haarausfallrate auf ca. 500 Haare pro Woche vermindert werden konnte, während mit dem anmeldungsgemäß vorgeschlagenen Wirkstoff Ethisteronacetat in der gleichen Zubereitung, wie oben beschrieben, die Haarausfallrate signifikant auf etwa 150 bis 200 Haare pro Woche, also um den Faktor 2,5-3, weiter gesenkt werden konnte, um nach der Absetzung von Ethisteronacetat und Wechsel zu Nor-Ethisteronacetat wieder auf den zuerst genannten höheren Wert von etwa 500 Haare pro Woche anzusteigen. Nach Absetzen beider Wirkstoffe stieg die Haarausfallrate wieder signifikant bis etwa in den Bereich vor der Behandlung an.

Auf Grundlage der Ergebnisse dieses Vergleichsversuchs mit dem hinsichtlich Struktur und Anwendung nächstliegenden Stand der Technik geht die Kammer davon aus, daß die bestehende Aufgabe auch tatsächlich gelöst wurde.

6. Ethisteron (17-alpha-ethynyl-17-beta-hydroxy-4-androsten-3-on) unterscheidet sich von Nor-Ethisteron (19-nor-17-alpha-ethynyl-17-beta-hydroxy-4-androsten-3-on) in struktureller Hinsicht nur durch die Anwesenheit der 19-Methylgruppe. Gemäß den Angaben auf Seite 5, Zeilen 3 bis 6 der Beschreibung, handelt es sich bei Ethisteron um eine seit etwa 30 Jahren bekannte Gestagenkomponente, die im Antikonzeptionsbereich oral verwendet wird.

Weder in (1) noch in einem der anderen im Verfahren befindlichen Dokumente zum Stand der Technik wird die Verwendung von Ethisteron selbst oder einer seiner 17-Carbonsäureester als Wirkstoff zur Behandlung androgenetisch bedingter Krankheiten der Haut offenbart.

Der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag gilt daher aufgrund der bisher unbekannten therapeutischen Anwendung der unter Verwendung von Ethisteron oder seiner 17-Carbonsäureester hergestellten medizinischen Zubereitungen als neu im Sinne von Artikel 54(1) EPÜ.

7. Es muß noch geprüft werden, ob die anmeldungsgemäß vorgeschlagene Lösung der oben definierten Aufgabe auch auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Der Fachmann, der sich nach einer Lösung der bestehenden Aufgabe im verfügbaren Stand der Technik umsah, konnte dort weder einen Hinweis oder auch nur irgendeine Anregung finden, die ihn in die Richtung hätten führen können, die Lösung in der Verwendung von Ethisteron oder eines 17-Carbonsäureesters davon als Wirkstoff zu suchen.

Zwar wird gemäß BE-A-531 437 (nachfolgend als Entgegenhaltung (2) bezeichnet) Ethisteron neben einer Reihe von anderen ähnlichen Wirkstoffen auf Hormonbasis zur Herstellung von medizinischen und vornehmlich kosmetischen Präparaten zur Behandlung verbrauchter oder älterer Haut vorgeschlagen (vgl. gesamtes Dokument, insbesondere Seite 1, Zeilen 4 und 55; Seite 3, Zeile 35). Diese Behandlung bewirkt insbesondere eine Aktivierung der epidermalen Mitose verbunden mit einer Kräftigung und einem vermehrtem Wachstum der Epidermis (vgl. insbesondere Seite 2, Zeilen 3 bis 16). In der genannten Entgegenhaltung gibt es jedoch keinerlei Hinweis dafür, daß sich der Stand der Technik gemäß (2) bereits in irgendeiner Form auf die Behandlung einer androgenetisch bedingten Krankheit der Haut beziehen könnte, so daß die Lehre dieser Entgegenhaltung dem Fachmann auch keine Anregung zur anmeldungsgemäß vorgeschlagenen Lösung der Aufgabe vermitteln konnte.

Auf Grundlage des Standes der Technik, seines Fachwissens und seiner Vertrautheit mit verwandten Gebieten hatte der Fachmann nach Ansicht der Kammer auch überhaupt keinen Anlaß zu erwarten, daß gerade durch die Verwendung eines Wirkstoffs, der sich vom nächstliegenden Stand der Technik, wie oben gezeigt (vgl. Punkt 6), strukturell nur ganz geringfügig unterscheidet, eine signifikante Verbesserung in der topischen Behandlung der androgenetisch bedingten Alopezie erzielt werden kann.

8. Die Kammer kann sich der in Punkt III oben bereits angedeuteten Ansicht der Prüfungsabteilung anschließen, daß die Verwendung von Ethisteron oder seiner 17-Carbonsäureester zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der gleichfalls unter den im Anspruch 1 verwendeten Oberbegriff "androgenetische Erkrankungen der Haut" fallenden Akne auch auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Hier ist zunächst auf Beispiel 3 (Beispiel 5 der Erstunterlagen) hinzuweisen, wo die erfolgreiche Behandlung der Akne mittels einer topischen 2%igen Ethisteron-Formulierung ausführlich dokumentiert ist.

Zwar wird in der US-A-4 078 061 (nachfolgend als Entgegenhaltung (3) bezeichnet) bereits eine Klasse von Steroidhormonen zur topischen Behandlung der Akne empfohlen. Typische Vertreter der in (3) genannten Verbindungen sind beispielsweise 17-beta-19-bis(1-oxopropropoxy)-4-androsten-3-on (Beispiel 1), 19-acetoxy-17-beta-hydroxy-4-androsten-3-on (Beispiel 5) oder 19-(1-Adamantylcarbonyloxy)-4-androsten-3,17-dion (Beispiel 8). Die gemäß (3) zur Behandlung von Akne vorgeschlagenen Verbindungen unterscheiden sich von Ethisteron und dessen 17-Carbonsäureester durch ein grundlegend verschiedenes Substitutionsmuster in den Positionen 17 und 19 des Steroidgerüsts und können daher aufgrund dieser relevanten strukturellen Unterschiede nach Ansicht der Kammer die Verwendung der anmeldungsgemäß eingesetzten Verbindungen zur Herstellung eines Medikaments zur erfolgreichen Behandlung der Akne dem Fachmann nicht nahelegen. In dieser Hinsicht ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Prüfungsverfahren zuzustimmen, wonach bekannt ist, daß bereits eine geringe strukturelle Veränderung bei Hormonmolekülen unvorhersehbare Wirkungen auslösen kann, wofür nicht zuletzt die graphischen Darstellungen in den Figuren 1 und 2 der Erstunterlagen als Bestätigung herangezogen werden können.

9. In Anbetracht der obigen Ausführungen gelangt die Kammer zu der Ansicht, daß die Verwendung von Ethisteron oder dessen 17-Carbonsäureester zur Herstellung einer topischen medizinischen Zubereitung zur Behandlung der androgenetisch bedingten Alopezie einerseits, als auch zur Behandlung der Akne andererseits, auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Da diese beiden spezifischen Indikationen nach Angabe des Beschwerdeführers das gesamte Spektrum androgenetischer Erkrankungen der Haut im wesentlichen abdecken, woran für die Kammer kein Grund zum Zweifel besteht, erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 im gesamten beanspruchten Umfang das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Der abhängige Anspruch 2 ist auf eine bevorzugte Ausführungsform des Hauptanspruchs gerichtet und ist daher ebenfalls erfinderisch.

10. Da dem Hauptantrag stattgegeben werden konnte, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten: 3, 6 bis 15, eingereicht mit Schreiben vom 23. Januar 1998, Seiten: 4, 5, eingereicht mit Schreiben vom 2. Februar 1998.

Ansprüche:

Nr.: 1 und 2 des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 2. Februar 1998.

Zeichnungen: Blatt:

1/1 wie ursprünglich eingereicht.

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