T 0991/93 () of 25.1.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T099193.19960125
Datum der Entscheidung: 25 Januar 1996
Aktenzeichen: T 0991/93
Anmeldenummer: 89121457.9
IPC-Klasse: E04D 13/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lüfterkappe für First- und Gratabdeckungen
Name des Anmelders: NORM A.M.C. AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 29(1)
Schlagwörter: Gattungsnächster Stand der Technik (übereinstimmendes Prinzip)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht, Merkmal ohne Vorbild im Stand der Technik)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0037/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Entscheidung vom 19. Juli 1993 hat die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 89 121 457.9 gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen, weil dem Gegenstand des damals geltenden Anspruchs 1 im Lichte des Dokuments

(D1) DE-A-2 256 675

die Neuheit fehle.

II. Gegen vorgenannte Entscheidung der Prüfungsabteilung hat die Anmelderin (Beschwerdeführerin) am 2. August 1993 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 13. November 1993 begründet. Sie stellt den Antrag die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 anzuerkennen. Hilfsweise wird Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

III. In den Bescheiden vom 13. Dezember 1994 bzw. 2. Mai 1995 gemäß Artikel 110 (2) EPÜ hat die Kammer unter Hinweis u. a. auf die Dokumente

(D2) DE-A-2 262 924,

(D3) DE-A-2 707 384 und

(D4) EP-A-0 117 391

ihre vorläufige Beurteilung der Sachlage kundgetan, worauf die Beschwerdeführerin ihren Antrag dahingehend modifiziert hat, daß der Patenterteilung folgende Unterlagen zugrundegelegt werden sollen:

Beschreibung: Seiten 1, 1a, 1b, 2 bis 5, eingegangen am 2. Juni 1995;

Ansprüche: 1 bis 7, eingegangen am 2. Juni 1995;

Zeichnungen: wie ursprünglich eingereicht.

IV. Der geltende Anspruch 1 hat dabei nachfolgenden Wortlaut:

"Sauglüfterkappe (1) für First- und Gratabdeckungen zur Dachentlüftung, insbesondere aus Kunststoffmaterial, mit einem Entlüftungsbereich (3) und einem Randbereich (4), die vorzugsweise über Knickstellen ineinander übergehen, mit Luftdurchlaßöffnungen (6), die von firstziegelseitig offenen, vorzugsweise in Längsrichtung der Sauglüfterkappe ausgerichteten langlochartigen Ausstülpungen (7) des Entlüftungsbereichs (3) gebildet sind und über die die Luft abgesaugt wird, und mit einer im Randbereich (4) vorgesehenen, sich zumindest über einen Teil seiner Länge erstreckenden und sich an die Oberfläche der Dacheindeckungselemente anschmiegenden Dichtlippe (16), dadurch gekennzeichnet, daß der Randbereich (4) entsprechend der Oberflächenkontur der Dacheindeckungselemente geformt ist und daß die Dichtlippe (16) unmittelbar aneinanderliegende Lamellen aufweist, die jeweils nur durch in einem gleichmäßigen Abstand nebeneinander liegende Einschnitte (17) voneinander getrennt sind."

V. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin zur Stützung der Patentfähigkeit, insbesondere der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands gemäß Anspruch 1, können wie folgt zusammengefaßt werden:

- grundsätzlich gebe es zwei Typen von Lüfterkappen, solche mit bewußter Zuführung von Außenluft, vgl. (D1) bis (D3), und solche mit reiner Absaugung von Luft aus dem Dachinnenraum, vgl. (D4);

- gattungsbestimmender Stand der Technik sei somit (D4), die eine Sauglüfterkappe offenbart;

- Anspruch 1 sei gegen (D4) abgegrenzt, wobei die Unterschiedsmerkmale in der Ausformung des Randbereichs entsprechend der Oberflächenkontur der Dacheindeckungselemente bzw. der Ausbildung von Lamellen an der Dichtlippe, derart daß diese Lamellen nur durch Einschnitte voneinander getrennt sind, zu sehen seien;

- damit ergebe sich, daß die beanspruchte Sauglüfterkappe neu sei; ihre besondere Wirkung liege in der guten Dichtheit gegenüber den Dacheindeckungselementen, so daß sich eine wirkungsvolle Saugwirkung einstellen könne, wobei gleichzeitig Schmutz, Feuchtigkeit und Falschwinde verhindert würden;

- die erfindungsgemäße Sauglüfterkappe sei vom hier zu berücksichtigenden Stand der Technik nicht nahegelegt, so daß Anspruch 1 einen patentfähigen Gegenstand definiere;

- im Ergebnis sei die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Erteilung des Patents auf der Grundlage gemäß vorstehendem Abschnitt III zu beschließen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nächstkommender Stand der Technik

2.1. Von (D1) bis (D4) betrifft nur (D4) eine Sauglüfterkappe, also einen Lüfterkappentyp, bei dem Luft aus dem Dachinnenraum abgesaugt wird ohne daß bewußt Außenluft zugeführt würde.

2.2. (D1) bis (D3) betreffen nicht den beanspruchten Lüftertyp:

- bei (D1) wird über Öffnungen "4, 5" Luft von außen zugeführt, vgl. Seite 3, Absatz 1 ("... eintretende Luft") bzw. Absatz 2, letzter Satz ("Luftdurchtritt");

- gemäß Figuren 8, 9, 10 und 11 der (D2) wird ebenfalls gewollt Außenluft zum Dachinnenraum zugeführt, vgl. Bezugszeichen "4, 22, 16, 24, 25" von (D2); mit den Dichtelementen "3" bzw. "32" bzw. "35" bzw. "21" wird andererseits in anderen Dachbereichen eine gute Abdichtung erzielt; insgesamt liegt aber eine gewollte Außenluftzufuhr vor;

- beim Gegenstand der (D3) fehlen Luftaustrittsöffnungen, so daß keine Sauglüfterkappe realisiert ist.

2.3. Von (D1) bis (D4) kommt (D4) dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten, so daß dieser demgegenüber abgegrenzt ist. Gegen die vorgenommene Abgrenzung bestehen aus der Sicht der Regel 29 (1) EPÜ keine Bedenken.

3. Aufgabe, Lösung, Vorteile

Bei der aus (D4) bekannten Sauglüfterkappe weist die Dichtlippe einen biegsamen Trägerstreifen auf, der kammartig ausgebildet ist, wobei die Zähne mit einem die Zahnlücken überbrückenden Randstreifen aus flexiblem Material auseinanderspreizbar verbunden sind. Aufgrund der "schwimmhautartigen" Ausbildung der Dichtlippe wird zwischen den Zähnen eine absolute Luftdichtigkeit erzielt. Probleme treten bei dieser bekannten Lüfterkappe aber immer dann auf, wenn zwischen benachbarten Dacheindeckungselementen große Spalte überbrückt werden müssen und auch die auseinandergezogene Dichtlippe derartige Spalte nicht hinreichend überbrücken kann, so daß sich zwangsläufig Undichtigkeiten ergeben. Weiterhin ergeben sich Undichtigkeiten aufgrund der Wellenform der Zähne und Randstreifen, da sich im Bereich der Zähne Kanäle bilden, die in den Dachinnenraum führen.

Von vorstehend genannten Gegebenheiten gemäß (D4) ausgehend, liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Sauglüfterkappe zu schaffen, die auf einfache und zuverlässige Weise das Eintreten von Schmutz, Feuchtigkeit und Falschwinden zwischen der Sauglüfterkappe und den Dacheindeckungselementen verhindert.

Diese Aufgabe ist bei einer gattungsgemäßen Sauglüfterkappe gemäß Kennzeichenteil des Anspruchs 1 dadurch gelöst, daß der Randbereich entsprechend der Oberflächenkontur der Dacheindeckungselemente geformt ist und daß die Dichtlippe unmittelbar aneinanderliegende Lamellen aufweist, die jeweils nur durch in einem gleichmäßigen Abstand nebeneinanderliegende Einschnitte voneinander getrennt sind.

Damit wird eine sichere Abdichtung im Übergangsbereich von Sauglüfterkappe und Dacheindeckungselementen erreicht, so daß einerseits Schmutz und Feuchtigkeit ausgesperrt und andererseits Falschwinde, also Luftströmungen, die nicht im Sinne des gewollten Saugprinzips sind, vermieden werden. Die gewählte Lamellenausbildung erlaubt den Ausgleich von Herstellungstoleranzen und ungleichmäßiger Verlegung, weil die Lamellen einzeln und unabhängig voneinander auslenkbar sind.

4. Neuheit

Aus der zutreffenden Abgrenzung gegenüber der einzigen Druckschrift, die Sauglüfterkappen betrifft, ergibt sich bereits die Neuheit des Gegenstandes gemäß Anspruch 1, vgl. hierzu auch vorstehende Abschnitte 2.1 und 2.3.

5. Erfinderische Tätigkeit

Bei gegebener Neuheit des Gegenstands gemäß Anspruch 1 ist nun noch zu untersuchen, ob es erfinderischen Zutuns bedurfte, um von (D4) ausgehend, die Sauglüfterkappe gemäß Anspruch 1 zu schaffen. Die Kammer kommt dabei zu nachfolgendem Ergebnis:

5.1. Die zwei Kennzeichenmaßnahmen des Anspruchs 1, nämlich Konturanpassung des Randbereichs an dem Oberflächenverlauf der Dacheindeckungselemente (also "Wellung" des Randbereichs) und die Anordnung und Ausbildung von Lamellen an der Dichtlippe wirken funktional zusammen:

Die Konturierung des Randbereichs erlaubt schon von daher eine dichte Anlage an den jeweiligen Dacheindeckungselementen, weil die geometrische Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Dieser Vorteil wird verstärkt durch die beanspruchte Anordnung und Ausbildung der Lamellen an der Dichtlippe, denn die Lamellen sind einzelbeweglich und nahezu ohne Verbindung zur Nachbarlamelle (Einschnitte "17").

Die an sich schon günstigen Voraussetzungen einer dichten Anlage der Sauglüfterkappe an den Dacheindeckungselementen (durch die Konturierung des Randbereichs) wird erkennbar durch die beanspruchte Anordnung und Ausbildung der Lamellen der Dichtlippe begünstigt, da diese bereits eine Geometrie vorfinden, die ihre Eigenwirkung in vorteilhafter Weise zur Geltung bringt. Es tritt ein Summeneffekt dieser in direkter funktioneller gegenseitiger Abhängigkeit stehenden Maßnahmen ein.

5.2. Bei diesen speziellen Gegebenheiten ist es gemäß Entscheidung T 37/85, ABl. EPA 1988, 86 (nur Leitsatz) unbeachtlich, wenn ein Einzelmerkmal des Anspruchs 1, z. B. das der Konturierung des Randbereichs per se bekannt ist, nämlich aus der (D1) und (D2).

5.3. Die spezielle Ausbildung der Lamellen gemäß Anspruch 1 ist im Stand der Technik aber ohne Vorbild:

Die Lamellen der (D3) liegen nicht unmittelbar aneinander, weil dort Material ausgestanzt ist (Kammprinzip), vgl. Figur in der Mitte des Zeichnungsblattes.

Bei (D1) liegen Lamellen vor, die fischschuppenartig übereinander - also nicht aneinander liegen.

(D4) lehrt einen biegsamen Trägerstreifen, auf dem Zähne in "schwimmhautartiger" Ausbildung angeordnet sind. Einschnitte liegen also gerade nicht vor, geschweige denn eine voneinander unabhängige Beweglichkeit jeder, also auch benachbarter Lamelle.

(D2) basiert - wie (D1) - auf dem Prinzip zweier Dichtungslippen, in denen versetzt Lüftungsöffnungen vorgesehen sind, um Wasser, Flugschnee und Staub abzuscheiden. Gemäß Ausbildung von Figur 15 wird auf der Rückseite einer Dichtfläche "33" leicht verformbarer, weicher Kunststoff "32" angebracht, vgl. (D2) Seite 15, Absatz 2, so daß von Lamellen in der beanspruchten Art keine Rede sein kann.

5.4. Der vor der Lösung der gestellten Aufgabe stehende Fachmann war demnach bei der Verwirklichung der beanspruchten Dichtlippenausbildung ohne Vorbild, was für sich regelmäßig ein Indiz für das Vorliegen erfinderischen Zutuns im Sinne von Artikel 56 EPÜ ist.

5.5. Ganz abgesehen davon hatte der Fachmann auch keinerlei Grund die Lehren von (D4) und (D1) bis (D3) in Kombination zu sehen, weil die Prinzipien der jeweiligen Lüfterkappen unvereinbar sind, denn bei einem Typ soll Außenluft bewußt angesaugt und durchgeleitet werden, während der andere Typ eine Abdichtung gegen den Zutritt von Außenluft zum Inhalt hat.

Dieser Umstand spricht ganz und gar gegen eine gemeinsame Betrachtung von (D4) und (D1) bis (D3).

5.6. Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß dem Gegenstand des Anspruchs 1 eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 nicht abzusprechen ist, so daß dieser Anspruch gewährbar ist.

5.7. Die auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 sind auf vorteilhafte Ausgestaltungen der Sauglüfterkappe abgestellt und als abhängige Ansprüche ebenfalls gewährbar.

6. Die im Abschnitt III genannte Beschreibung und Zeichnung erfüllen die wesentlichen Voraussetzungen des EPÜ und sind somit für die Patenterteilung geeignet.

7. Dem Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung mußte nicht nachgekommen werden, da die Sache zu einem für die Beschwerdeführerin positiven Ergebnis geführt hat.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den im Abschnitt III genannten Unterlagen zu erteilen.

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