European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1995:T048293.19950622 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 Juni 1995 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0482/93 | ||||||||
Anmeldenummer: | 86110106.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | A01B 63/111 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Elektrohydraulische Einrichtung zum Regeln eines Hubwerks an einem landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeug | ||||||||
Name des Anmelders: | ROBERT BOSCH GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | DEERE & COMPANY | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) Inventive step (yes) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf den Gegenstand der am 23. Juli 1986 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 86 110 106.1 wurde das zwölf Ansprüche umfassende europäische Patent Nr. 212 304 erteilt.
Gegen dieses Patent wurde ein auf Artikel 100 a) EPÜ gestützter Einspruch eingelegt mit dem Antrag, das Patent zu widerrufen. Die Einspruchsabteilung hielt mit seiner am 31. März 1993 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung das Patent in geändertem Umfang aufrecht.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 22. Mai 1993 unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 16. Juli 1993 begründet.
III. Am 22. Juni 1995 ist mündlich verhandelt worden.
Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen geänderten unabhängigen Anspruch 1 vorgelegt, auf welchem ihr Hauptantrag basiert. Dieser Anspruch lautet wie folgt:
"1. Elektrohydraulische Einrichtung (18; 50; 60) zum Regeln eines Hubwerks (11) an einem landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeug (10), insbesondere eines Pfluges (12) an einem Traktor (10), mit einem Regelkreis zum Beeinflussen der Lage des Hubwerks (11), wozu im Regelkreis wenigstens ein Lagesensor (31), ein Kraftsensor (29) sowie ein Sollwertgeber (25) angeordnet sind, von deren Signalen abhängig über eine insbesondere elektrische Einrichtung und eine hydraulische Ventileinrichtung (22) ein das Hubwerk (11) betätigender hydraulischer Motor (17) gesteuert wird, wobei diesen Signalen an einem Summenpunkt (42) von einem zusätzlichen Sensor (32, 33) vom Schlupf der angetriebenen Räder abhängige Signale ( V) zugeführt werden, dadurch gekennzeichnet, daß am Summenpunkt (42) die schlupfabhängigen Signale ( V) dieses zusätzlichen Sensors (32, 33) dem Istwertsignal (F) des Kraftsensors (29) aufgeschaltet werden und dessen Ausgangssignal einem Eingang einer Mischvorrichtung (37) eingegeben wird, die an ihrem anderen Eingang (38) mit dem Istwertsignal (1) des Lagesensors (31) beaufschlagt wird, daß an der Mischvorrichtung (37) das Verhältnis der zu verarbeitenden Eingangssignale mit Hilfe eines Stellers (28) beliebig verstellbar ist, und daß das Ausgangssignal (45) der Mischvorrichtung (37) einem Summenpunkt (46) zugeführt wird, an dem das Signal des einzigen Sollwertgebers (25) anliegt um die Regelabweichung (47) des Regelkreises (18) zu bilden."
IV. Die Parteien haben sich u. a. auf folgende Druckschriften berufen:
D1: EP-A-0 092 316
D2: DE-A-3 240 278
D3: DE-A-2 508 620
V. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen vorgetragen, daß der Fachmann, ausgehend vom aus der Druckschrift D1 bzw. D2 bekannten Stand der Technik und mit den der Druckschrift D2 bzw. D1 zu entnehmenden Hinweisen, ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange und somit dieser Gegenstand nicht auf der nach Artikel 56 EPÜ erforderlichen erfinderischen Tätigkeit beruhe.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat den Ausführungen der Beschwerdeführerin widersprochen.
VII. Die Beschwerdeführerin hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des angefochtenen Patents beantragt.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat - als Hauptantrag - die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes mit folgenden Unterlagen beantragt:
Patentansprüche: 1 bis 10, wie überreicht während der mündlichen Verhandlung
Beschreibung: Seiten 2 und 3 mit Ergänzung zur Beschreibung, eingereicht am 1. März 1993; Ergänzung zur Beschreibung, eingereicht während der mündlichen Verhandlung; und Seite 3 ab Spalte 3, Zeile 56 sowie Seiten 4 und 5, wie erteilt
Figuren: 1 bis 4, wie erteilt.
Als Hilfsantrag hat die Beschwerdegegnerin beantragt, die zweiteilige Form des Anspruchs 1 derart abzuändern, daß der Oberbegriff alle Merkmale enthält, die aus der Druckschrift D2 bekannt sind.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulässigkeit der Änderungen (Hauptantrag)
2.1. Der Anspruch 1 ist bezüglich des erteilten Anspruchs 1 im wesentlichen dadurch geändert worden, daß die Merkmale des erteilten Anspruchs 4, dessen Gegenstand dem des ursprünglichen Anspruch 4 entspricht, hinzugefügt wurden und daß der Begriff "Sollwertgeber" im letzten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 durch das Adjektiv "einzigen" weiter präzisiert wurde. Diese letzte Präzisierung kann aus dem erteilten bzw. ursprünglichen Anspruch 5 hergeleitet werden.
Außerdem wurde der Ausdruck "dieses zusätzlichen Sensors (23, 33)" im ersten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 nach dem Ausdruck "die schlupfabhängigen Signale" zur Klarstellung hinzugefügt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 entspricht somit dem Gegenstand, welcher durch die Kombination der Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1, 4 und 5 definiert wurde.
2.2. Die Ansprüche 4 bis 10 stimmen, abgesehen von den Rückbeziehungen, mit den erteilten Ansprüche 6 bis 12 überein.
2.3. Die Beschreibung ist an die geänderten Ansprüche angepaßt worden und enthält jetzt auch eine Beschreibung des Standes der Technik, der sich aus den Druckschriften D1 und D2 ergibt.
2.4. Diese Änderungen verletzen somit nicht die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 (Hauptantrag)
3.1. Der Anspruch 1 enthält einige Begriffe, welche auszulegen sind. Diese semantische Auslegung des Anspruchs 1 bezweckt lediglich die Identifizierung des Gegenstandes des Anspruchs, welche zum Vergleich dieses Gegenstandes mit dem Stand der Technik erforderlich ist.
3.2. Der Begriff "einziger Sollwertgeber" im letzten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs ist im Zusammenhang mit den Begriffen "Regelkreis zum Beeinflussen der Lage des Hubwerkes" und "Regelabweichung" sowie mit den Größen "Lage", "Zugkraft" und "Schlupf" zu sehen. Mit anderen Worten: Die Regeleinrichtung nach dem Anspruch 1 weist nur einen einzigen Sollwertgeber auf, der ein Sollwertsignal abgibt, welches an dem Summenpunkt anliegt, dem das einzige, die Größen "Lage", "Zugkraft" und "Schlupf" berücksichtigende Ausgangssignal der Mischvorrichtung zugeführt wird, um die Regelabweichung für den Regelkreis zu bilden.
3.3. Unter dem technischen Begriff "Mischvorrichtung, bei welcher das Mischverhältnis der zu verarbeitenden Eingangssignale beliebig verstellt werden kann" ist eine Mischvorrichtung zu verstehen, durch welche die Art der Regelung von einer Bedienungsperson folgendermaßen gewählt wird. In der einen Endstellung der Mischvorrichtung wird eine reine Lageregelung, in der anderen Endstellung eine kombinierte Zugkraft-Schlupfregelung und in jeder Zwischenstellung die sogenannte Mischregelung (Lage- und Zugkraft-Schlupf-Regelung) vorgenommen. Eine solche Mischvorrichtung wird auch durch das Mischglied (8) offenbart, welches in der Druckschrift D2 (siehe Seite 11, Zeilen 7 bis 15; Figur 2) beschrieben ist.
Diese Auslegung des Begriffes "Mischvorrichtung" steht im Einklang mit der Beschreibung des Patentes (siehe Spalte 5, Zeilen 33 bis 55) und dieser Auslegung wurde durch die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestimmt.
3.4. Der Begriff "vom Schlupf der angetriebenen Räder abhängige Signale" bzw. "schlupfabhängige Signale" kann auch Signale umfassen, welche durch den zusätzlichen Schlupf-Sensor geliefert und, z. B. durch Aufschalten eines anderen Signals, weiterverarbeitet werden (siehe Figuren 3 und 4 des Patentes).
4. Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nach Auffassung der Kammer neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ. Im übrigen wurde die Neuheit des Anspruchs 1 nicht bestritten.
5. Der Stand der Technik
5.1. Die Beschwerdeführerin hat ausgehend sowohl von der Druckschrift D1 als auch von der Druckschrift D2 den Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die mangelnde erfinderische Tätigkeit angegriffen.
5.2. Die Beschwerdegegnerin hat die Regeleinrichtung, die sowohl in der Beschreibung des Patentes (Spalte 1, Zeilen 8 bis 40) als auch in der ursprünglichen Anmeldung (Seite 1, erster Absatz, 2. Satz bis Seite 2, erster Absatz) beschrieben ist, als nächstkommenden Stand der Technik betrachtet. Ein solcher Stand der Technik ergibt sich nach Meinung der Beschwerdegegnerin aus der Druckschrift D3.
Außerdem hat sie vorgetragen, daß die Druckschrift D2 keinen realistischen Ausgangspunkt für den Fachmann darstellen kann, insofern als diese Druckschrift eine Regeleinrichtung betrifft, welche die Größe "Schlupf" überhaupt nicht berücksichtigt.
5.3. Wie nachstehend dargelegt, kann man ausgehend von der Druckschrift D1 oder von der Druckschrift D2 oder von der im Patent (Spalte 1, Zeilen 8 bis 40) als Stand der Technik beschriebenen Regeleinrichtung nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Patentes gelangen. Die Frage des nächstkommenden Standes der Technik hat somit im vorliegenden Fall nur formelle Bedeutung, insofern als sie höchstens die zweiteilige Form des Anspruchs betreffen kann.
6. Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag)
6.1. Die Regeleinrichtung, die in der Beschreibung des Patentes (Spalte 1, Zeilen 8 bis 40) in bezug auf die Druckschrift D3 beschrieben ist, enthält alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Bei dieser Regeleinrichtung werden die zwei Hauptregelgrößen mit Hilfe von zwei Sollwertgebern getrennt voneinander verarbeitet, und wird ein Schlupfsignal auf der Regelabweichungsseite des Regelkreises aufgeschaltet, so daß dieses Schlupfsignal entweder mit der einen oder mit der anderen der beiden Hauptregelgrößen kombiniert werden kann.
Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 enthaltenen Merkmale. Diese Merkmale - besonders die Anordnung einer Mischvorrichtung, bei welcher das Mischverhältnis der Eingangssignale beliebig verstellt werden kann - bewirken, daß alle drei Größen (Lage, Zugkraft und Schlupf) gleichzeitig kombiniert werden können, so daß eine optimale, an den Einsatzbedingungen des Arbeitsfahrzeuges anpaßbare Positionssteuerung des Hubwerks ermöglicht wird. Dadurch, daß die schlupfabhängigen Signale dem Istwertsignal des Kraftsensors, d. h. bevor dieses Istwertsignal mit dem Lage-Istwertsignal in der Mischvorrichtung gemischt wird, aufgeschaltet werden, wird erreicht, daß der Einfluß des Schlupfes bei reiner Lageregelung ausgeblendet bzw. bei Mischregelung durch Lagebeimischung reduziert wird.
Auf diese vorteilhaften Wirkungen weist keine der vorliegenden Druckschriften hin. Außerdem kann keiner der vorliegenden Druckschriften die Lehre entnommen werden, daß nur ein einziger Sollwertgeber für die Bildung der Regelabweichung trotz Berücksichtigung der Signale der drei Größen verwendet wird. Es ist daher für einen Fachmann nicht möglich, auf einem logischen Weg zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.
6.2. Auch die Druckschrift D1 entspricht im wesentlichen dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Durch die aus dieser Druckschrift bekannte Einrichtung wird die Regelungsart automatisch bestimmt (siehe Seite 1, Zeile 40 bis Seite 2, Zeile 5). Diese Regeleinrichtung weist zwei Arbeitsmodi auf. Im ersten Modus wird eine Regelabweichung (PERR) mit einem Algorithmus ermittelt, welcher im wesentlichen die Größe "Zugkraft" und "Schlupf" berücksichtigt. Im zweiten Modus wird eine Regelabweichung (LERR) mit einem Algorithmus ermittelt, welcher die Größe "Lage" berücksichtigt. Für die Bildung jeder der zwei Regelabweichungen weist diese Einrichtung je einen Sollwertgeber auf. Aus der größeren von den Regelabweichungen (LERR und PERR) wird das Steuersignal (HVCO) für den Motor des Hubwerks gebildet (siehe Seite 3, Zeilen 20 bis 26; Seite 23, Zeilen 12 bis 32; Schritte 260, 262 und 264 in Figur 2g). Die Regeleinrichtung benutzt daher entweder nur das LERR-Signal (d. h. Zugkraft und Schlupf- als Regelgrößen) oder nur das PERR-Signal. Von einer Mischvorrichtung im Sinne des vorliegenden Patents (siehe den vorstehenden Abschnitt 3.3) kann daher nicht die Rede sein.
Ausgehend von diesem Stand der Technik basiert der Gegenstand des Anspruchs 1 somit auf der Idee, alle drei Größen (Lage, Zugkraft und Schlupf) derart zu kombinieren, daß die Regelabweichung aufgrund eines Mischsignals gebildet werden kann, welches die Einflüsse aller drei Größen gleichzeitig berücksichtigt.
Die Druckschrift D1 weist aber nicht auf die Idee hin, auf welcher die Lösung nach dem Gegenstand des Anspruchs 1 basiert. Da ein Hinweis auf diese Idee auch in keiner der übrigen zitierten Druckschriften zu finden ist, konnte der Fachmann nicht in logischer Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
6.2.1. Die Beschwerdeführerin hat sich bei der Analyse der Druckschrift D1 lediglich auf den Arbeitsmodus bezogen, bei welchem die Regelabweichung LERR ermittelt wird, und hat vorgetragen, daß die Funktionsweise der Regeleinrichtung in diesem Arbeitsmodus mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu vergleichen sei. Die Beschwerdeführerin hat deswegen diesen bestimmten, spezifischen Arbeitmodus (LERR) aus dem technischen Zusammenhang isoliert, in welchem die Regeleinrichtung in der Beschreibung der Druckschrift D1 in bezug auf die Figuren 2a bis 2g beschrieben ist. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß diese Vorgehensweise insofern möglich sei, als die Regeleinrichtung nach der Druckschrift D1 - solange die Regelabweichung LERR größer als die Regelabweichung PERR ist - im Arbeitsmodus bleibt, in welchem die Regelabweichung LERR ermittelt wird.
Die Regeleinrichtung nach der Druckschrift D1 ist derart aufgebaut, daß die Umschaltung von einem Arbeitsmodus zum anderen automatisch, aufgrund des quantitativen Vergleiches zwischen den zwei Regelabweichungen LERR und PERR, erfolgt. Die zwei Arbeitsmodi der Regeleinrichtung sowie die automatische Umschaltung von dem einen zum anderen Modus sind Teil eines einzigen Algorithmus und sind in diesem konkreten Fall als eine Einheit anzusehen.
In der Tat können diese beiden Arbeitsmodi nicht als einfach zusammengefügte, voneinander völlig unabhängige System-Teile betrachtet werden, wovon das eine Teil als Hauptsystem und das andere Teil als eventuelles Zusatzsystem verwendet werden könnte. Ohne Kenntnis der vorliegenden Erfindung gibt es für einen Fachmann keinen Anlaß oder Hinweis, nur ein Teil des Gesamtsystems zu verwenden. Deswegen muß die Vorgehensweise der Beschwerdeführerin, nach welcher ein Arbeitsmodus der Regeleinrichtung isoliert wird, als eine Folge einer ex post facto Analyse des sich aus der Druckschrift D1 ergebenden Standes der Technik betrachtet werden.
6.2.2. Die Beschwerdeführerin hat weiter vorgetragen, daß die in der Druckschrift D1 beschriebene Regeleinrichtung - wenn sie sich im LERR-Arbeitsmodus befindet, - eine Mischstelle aufweise, in welcher Signale, die den Regelgrößen "Zugkraft", "Schlupf" und "Lage" entsprechen, insofern gemischt werden, als sie algebraisch addiert werden, und hat diese Mischstelle mit der Mischvorrichtung nach Anspruch 1 des Patentes gleichgestellt. Die Kammer kann diesem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen, denn es basiert auf einer Auslegung des technischen Begriffes "Mischvorrichtung", welche der normalen Interpretation des Patentes nicht entspricht (siehe den vorstehenden Abschnitt 3.3).
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin bei dieser Analyse der Druckschrift D1 den Wert (FDBK - SFPOS) bzw. (FDBK - FPOS), welcher im Schritt 228 bzw. 234 zur Ermittlung der Regelabweichung LERR verwendet wird, mit dem Istwert des Lagesensors nach dem Anspruchs 1 des vorliegenden Patentes verglichen. Dieser Betrachtungsweise kann die Kammer aus folgenden Gründen nicht zustimmen. In der Regeleinrichtung nach der Druckschrift D1 stimmt der Istwert des Lagesensors mit dem Wert FDBK überein. Da der Parameter SFPOS bzw. FPOS einen gefilterten Wert, d. h. einen Mittelwert, darstellt, welcher von dem Wert FDBK hergeleitet wird, stellt der Wert (FBDK - SFPOS) bzw. (FDBK - FPOS) eine Änderung des Istwertes des Lagesensors (d. h. eine Lageänderung), und nicht den Istwert selbst dar (siehe Seite 14, Zeilen 17 bis 22; Seite 16, Zeilen 2 bis 5; Seite 17, Zeilen 26 bis 31). Der Wert und der Einfluß einer solchen Lageänderung können nicht verglichen werden mit dem Wert und dem Einfluß des Lage-Istwert-Signals (Der Einfluß einer bestimmten Lageänderung ist z. B. insofern vom Lage-Istwert-Signal unabhängig als er in verschiedenen Lagen auftreten kann).
Deshalb könnte ein Fachmann, selbst wenn er den LERR- Arbeitsmodus aus dem technischen Zusammenhang isolierte, in welcher die Regeleinrichtung in der Beschreibung der Druckschrift D1 in bezug auf die Figuren 2a bis 2g beschrieben ist, nicht davon ausgehen, daß in dieser Regeleinrichtung eine beliebig verstellbare Mischung (im Sinne des vorliegenden Patents) der Werte der Größen "Lage" einerseits und "Zugkraft" und "Schlupf" andererseits stattfindet.
6.3. Die Druckschrift D2 betrifft eine Mischregelung (Lage und Zugkraft), bei welcher das Verhältnis Lage/Zugkraft beliebig eingestellt werden kann.
6.3.1. Die Druckschrift D2 bezieht sich auf eine Regeleinrichtung, bei welcher die Größe "Schlupf" nicht berücksichtigt wird.
Es ist in diesem Zusammenhang festzustellen, daß die der Beschreibung des erteilten Patent (siehe insbesondere Spalte 2, Zeilen 30 bis 47) bzw. der ursprünglichen Beschreibung (siehe insbesondere Seite 3, 2. Absatz) zu entnehmenden Aufgabe sich auf den Einfluß des Schlupfes im Regelkreis bezieht und daß der in der Beschreibung des erteilten Patents (siehe insbesondere Spalte 1, Zeile 8 bis Spalte 2, Zeile 25) bzw. der ursprünglichen Beschreibung (siehe insbesondere Seite 1, 1. Absatz bis Seite 3, 1. Absatz) angegebene Stand der Technik sich bereits auf Regeleinrichtungen bezieht, bei welchen die Größe "Schlupf" berücksichtigt wird. Die Wahl der Druckschrift D2 als Ausgangspunkt erscheint im Vergleich mit der Druckschriften D3 oder D1 (siehe hierzu T 439/92 vom 16. Mai 1994, Abschitt 6) technisch unrealistisch zu sein, weil diese Wahl einen "technologischen Rückschritt" darstellt. In der Tat impliziert dieser Stand der Technik die Lösung einer allgemeinen, sich auf die Einbeziehung des Schlupfes in den Regelkreis beziehenden Aufgabe, die in der Beschreibung des Patentes bzw. der ursprünglichen Patentanmeldung bereits als gelöst angegeben ist. Eine solche Vorgehensweise kann nur die Folge einer ex-post- facto-Analyse sein.
Wie nachstehend dargelegt, würde ein Fachmann, selbst wenn er von der Druckschrift D2 ausginge, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
6.3.2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Einrichtung nach der Druckschrift D2 im wesentlichen dadurch, daß von einem zusätzlichen Sensor Signale, die vom Schlupf der angetriebenen Räder abhängig sind, an einem Summenpunkt dem Istwertsignal des Kraftsensors aufgeschaltet werden, und daß das Ausgangssignal dieses Summenpunktes (anstatt des Istwertsignals des Kraftsensors) an dem Eingang der Mischvorrichtung eingegeben wird.
Durch die Aufschaltung der schlupfabhängigen Signale wird der Einfluß des Schlupfes auf den Regelkreis berücksichtigt. Dadurch, daß die schlupfabhängigen Signale dem Istwertsignal des Kraftsensors an der Istwert-Seite des Regelkreises (d. h. vor der Mischvorrichtung) aufgeschaltet werden, können Schwingungen, die bei ungünstigen Betriebsbedingungen durch die Auswertung des Schlupfes auftreten, durch Lagebeimischung reduziert werden (siehe insbesondere Beschreibung des Patents, Spalte 2, Zeilen 42 bis 47; Spalte 6, Zeilen 42 bis 48).
Ausgehend von diesem Stand der Technik basiert somit der Gegenstand des Anspruchs 1 auf der Idee, die Größen "Lage" und "Zugkraft" mit der Größe "Schlupf" zu kombinieren und die Regelabweichung aufgrund eines Mischsignals zu bilden, welches die Einflüsse aller drei Größen gleichzeitig berücksichtigen kann.
Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß der Fachmann in der Druckschrift D1, insbesondere in den Ansprüche 15, 25, 35 und 51, eine allgemeine Lehre finde, ein schlupfabhängiges Signal (SERR) mit dem Istwertsignal (DRAFT) der Zugkraft algebraisch zu summieren, um eine Regelabweichung (LERR) zu ermitteln. Da der Fachmann der Druckschrift D1 (Seite 2, Zeilen 17 bis 20; Seite 20, Zeile 36 bis Seite 21, Zeile 1) die Vorteile, die durch diese Kombination der Größen Zugkraft und Schlupf entnehmen könne, gelange er durch die Anwendung dieser Lehre bei der Regeleinrichtung nach der Druckschrift D2 ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Die Kammer kann diesem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen, da der Druckschrift D1 nicht die Idee entnommen werden kann, die Einflüsse der drei Größen Lage, Zugkraft und Schlupf gleichzeitig im Sinne der vorliegenden Erfindung zu berücksichtigen (siehe hierzu den vorstehenden Abschnitt 6.2).
In der Beschreibungseinleitung der Druckschrift D1 (Seite 1, Zeilen 6 bis 11) wird ein Stand der Technik als bekannt angegeben, welcher im wesentlichen dem entspricht, der sich aus der Druckschrift D2 ergibt. In der Druckschrift D1 sind die Nachteile dieses als bekannt angegebenen Standes der Technik im Hinblick auf den Schlupf der angetriebenen Räder (Seite 1, Zeilen 11 bis 13) erwähnt und ist zur Vermeidung dieser Nachteile ein Regelsystem vorgeschlagen, das automatisch von einem Arbeitsmodus zu einem anderen Arbeitsmodus derart umschaltet, daß entweder nur mit der Größe "Lage" oder mit der Kombination der Größen "Zugkraft" und "Schlupf" geregelt wird. Wenn der Fachmann von der Druckschrift D2 ausginge, welche dem in der Druckschrift D1 als bekannt angegebenen Stand der Technik entspricht, würde er somit durch die Druckschrift D1 dazu angeregt werden, ein Regelsystem zu verwenden, welches automatisch zwischen Lageregelung und Zugkraft-Schlupf-Regelung umschaltet. In der Tat ist die arithmetische Verknüpfung der Größen "Zugkraft" und "Schlupf" in der Druckschrift D1 lediglich im Zusammenhang mit der automatischen Umschaltung zwischen den beiden Arbeitsmodi offenbart. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken, daß die Ansprüche 15 und 51 sich eindeutig auf die Umschaltung zwischen diesen Arbeitsmodi beziehen (siehe Seite 33, Zeile 39 und Seite 45, Zeile 24: "selecting means ...") und der Anspruch 25, der auf die alleinige arithmetische Verknüpfung der Signale Zugkraft und Schlupf hinweist, sich offensichtlich auf eine Einrichtung mit geöffnetem Regelkreis bezieht.
Selbst wenn der Fachmann die Lehre, ein schlupfabhängiges Signal mit dem Signal der Zugkraft arithmetisch zu kombinieren, aus dem technischen Zusammenhang des in der Druckschrift D1 offenbarten Regelsystems abstrahierte und diese Lehre bei der Regeleinrichtung nach der Druckschrift D2 anwendete, würde er nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, denn der Druckschrift D1 kann weder die Lehre, daß das Schlupfsignal dem Zugkraftsignal vor der Verknüpfung dieses Zugkraftsignals mit dem Lagesignal aufgeschaltet wird, noch können die Vorteile, die dadurch erreicht werden, entnommen werden. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß gemäß dem Anspruch 35 die schlupfabhängigen Signale ("slip error signals") mit dem Istwertsignal ("sensed draft signal") und dem Sollwertsignal ("reference draft signal") der Zugkraft arithmetisch verknüpft werden.
6.4. Die Kammer ist daher zu dem Ergebnis gekommen, daß der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem in den Druckschriften D1, D2 und D3 beschrieben Stand der Technik ergibt (Artikel 56 EPÜ).
6.5. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 beziehen sich auf besondere Ausführungen der Erfindung nach dem Anspruch 1.
7. Das Patent kann deshalb im geänderten Umfang gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin aufrechterhalten werden. Es erübrigt sich deshalb, auf den Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche:
1. bis 10, wie überreicht während der mündlichen Verhandlung
Beschreibung:
Seiten 2 und 3 mit Ergänzung zur Beschreibung, eingereicht am 1. März 1993;
Ergänzung zur Beschreibung, eingereicht während der mündlichen Verhandlung; und Seite 3 ab Spalte 3, Zeile 56 sowie Seiten 4 und 5, wie erteilt.
Figuren:
1. bis 4, wie erteilt.