T 0302/93 (Spannstähle/DYCKERHOFF) of 5.7.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T030293.19950705
Datum der Entscheidung: 05 Juli 1995
Aktenzeichen: T 0302/93
Anmeldenummer: 85110316.8
IPC-Klasse: C21D 8/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Herstellen von Walzstahlerzeugnissen, insbesondere von schraubbaren Spannstählen oder dergleichen
Name des Anmelders: Dyckerhoff & Widmann Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: ASW Construction Systems Ltd.
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs (bejaht)
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung (bejaht)
Opposition - admissible (yes)
Disclosure - sufficiency (yes)
Claims
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0222/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0018/99
T 0613/10

Sachverhalt und Anträge

I. Die Erteilung des ein Verfahren zum Herstellen von Walzstahlerzeugnissen, insbesondere von schraubbaren Spannstählen oder dergleichen betreffenden europäischen Patents Nr. 172 544 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 85 110 316.8, die am 17. August 1985 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung Nr. 3 431 008 vom 23. August 1984 eingereicht worden war, wurde am 24. Januar 1990 bekanntgemacht.

II. Am 23. Oktober 1990 legte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Artikel 100 a) und b) EPÜ mittels Formblatt EPO Form 2300.01 per Telefax Einspruch ein, den er mit mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) begründete. Im Formblatt wurde auf acht Entgegenhaltungen verwiesen; bei vier dieser Entgegenhaltungen wurden besondere Textstellen hervorgehoben, u. a. auch Spalte 2 Zeile 36 bis Spalte 3 Zeile 15 der Entgegenhaltung (1) US-A- 4. 284 438, auf die der Einwand mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 gestützt wurde. In einem dem Formblatt beigefügten Begleitschreiben wurde darauf hingewiesen, daß die Angabe der zur Begründung dienenden Tatsachen sowie die weiteren Unterlagen, insbesondere Kopien der Entgegenhaltungen am nächsten Tag abgesandt würden. Am 7. November 1990 ging ein Schriftsatz ein, der Ausführungen darüber enthielt, warum der Gegenstand des Streitpatents nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte. Zusätzlich wurde der Einwand der unzureichenden Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ begründet.

III. Die Einspruchsabteilung hielt den Einspruch entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners für zulässig und führte das Einspruchsverfahren in sachlicher Hinsicht zur Prüfung der Begründetheit des Einspruchs durch.

In der mündlichen Verhandlung am 3. Juni 1992 wurde ein neuer auf Spannstähle beschränkter Hauptanspruch vorgelegt, der nunmehr auch Grenzwerte für Streckgrenze und Zugfestigkeit aufgenommen hatte (nachstehend als "Festigkeitseigenschaften" bezeichnet) und wie folgt lautet:

"Verfahren zur Wärmebehandlung von warmgewalzten Spannstählen in Form von Stäben oder Drähten mit einer Streckgrenze von 835 bis 1080 N/mm2 und einer Zugfestigkeit von 1030 bis 1230 N/mm2, bei dem Stähle mit einem C-Gehalt von 0,50 bis 0,80 %, einem Si-Gehalt von 0,20 bis 0,50 % und einem Mn-Gehalt von 0,30 bis 0,80 % nach dem Warmwalzen aus der Walzhitze an der Austrittsseite des Fertiggerüstes heraus mit einer Endwalztemperatur, die an der unteren Grenze der Warmverformbarkeit des Stahles knapp über dem Umwandlungspunkt A3 liegt, mittels Wasser einer Oberflächenabschreckung derart unterzogen werden, daß das Material in einer Randzone (R) unmittelbar und vollständig in Martensit umgewandelt wird und daß der in der Kernzone (K) verbliebene Wärmeinhalt während des nachfolgenden Abkühlens ein Anlassen der martensitischen Randzone (R) nicht über den Bereich der Zwischenstufe hinaus derart bewirkt, daß die Oberflächentemperatur der Randzone durch Temperaturausgleich in dem Zeitraum zwischen der zweiten und sechsten Sekunde der Wärmebehandlung in Abhängigkeit vom Stabdurchmesser zwischen 400 Grad und 500 Grad C beträgt."

Die Einspruchsabteilung sah das in diesem Anspruch genannte Verfahren als neu und erfinderisch an und stellte die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang in Aussicht. Dem Beschwerdegegner wurde zur Anpassung der Beschreibung und Anfertigung von Reinschriften der geänderten Ansprüche eine Frist von zwei Monaten gewährt.

IV. Mit Schriftsätzen vom 4. Juni und 21. Dezember 1992 äußerte der Beschwerdeführer weitere Bedenken gegen den in der mündlichen Verhandlung eingereichten geänderten Anspruch. Er brachte vor, daß die dort angegebenen Richtanalysen durch den Offenbarungsgehalt der Beschreibung nicht gedeckt seien, da in den im Streitpatent aufgeführten Tabellen 1 und 2 lediglich drei übereinstimmende Schmelzen angegeben seien, die nur einen C-Gehalt von 0,73 bis 0,76 %, einen Si-Gehalt von 0,23 bis 10,30 % und einen Mn-Gehalt von 0,35 bis 0,45 belegten. Es sei insbesondere kein Verfahren offenbart, wie sich Stähle mit den nunmehr spezifizierten Festigkeitseigenschaften anders als in Verbindung mit einem Kohlenstoffgehalt von rund 0,75 % herstellen ließen.

V. Hiergegen wandte sich der Beschwerdegegner und legte zum Beweis dafür, daß die beanspruchten Festigkeitseigenschaften bei allen angegebenen Bereichen erzielt würden, die folgenden vier Unterlagen vor, die sich auf Spannstahlstäbe bzw. Schalungsanker beziehen:

(R1) Prüfstelle für Betonstahl, Prof. Rehm, Bericht Nr. 095/8/85 vom 8.8.1985. Er bezieht sich auf Stähle mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,60 bis 0,75 %.

(R2) Institut für Bautechnik; Zulassungsbescheid für warmgewalzten, wasservergüteten Spannstahl St 900/1100 vom 1.9.1988. Offenbart wird ein Kohlenstoffgehalt von 0,65 bis 0,80 %.

(R3) Eine spätere Fassung von (R2) vom 16.5.1991, in der für den Kohlenstoffgehalt ein Wertebereich von 0,63 bis 0,77 % genannt wird.

(R4) Ein Prüfprotokoll der Stahlwerk Annahütte Max Aicher GmbH & Co. KG vom 17.9.1992 über Versuche, die an einem Stahlstab mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,46 % und einer Zugfestigkeit von 1443 N/mm2 ausgeführt wurden. Das Protokoll enthält keine Angabe, wie diese Eigenschaften erzielt wurden oder welcher Wärmebehandlung der Stahlstab unterzogen wurde.

VI. In ihrer am 5. Februar 1993 erlassenen Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang ging die Einspruchsabteilung auf die vom Beschwerdeführer in bezug auf die Richtanalysen des Anspruchs 1 geäußerten Bedenken sachlich nicht ein, sondern ließ diese als nicht relevant gemäß Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt.

VI. Am 30. März 1993 wurde gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt; die Beschwerdegebühr wurde am folgenden Tag entrichtet und die Beschwerdebegründung am 4. Juni 1993 eingereicht. In dieser Begründung wie auch in der mündlichen Verhandlung am 5. Juli 1995 erklärte der Beschwerdeführer, daß er keine Einwände gegen den Anspruch 1 hätte, wenn der Kohlenstoffgehalt mit "rund 0,75 %" angegeben wäre. Dagegen verstoße der Anspruch 1 in seiner jetzigen Form gegen die Artikel 83 und 84 EPÜ. Die drei Beispiele im Streitpatent zeigten, daß die gewünschten Festigkeitseigenschaften, die jetzt im Anspruch 1 als wesentliche Merkmale bezeichnet würden, mit Stählen erzielt werden könnten, die einen Kohlenstoffgehalt von 0,73, 0,74 und 0,76 % aufwiesen. Es gebe keine weiteren Beispiele dafür, daß mit irgend einem anderen Kohlenstoffgehalt brauchbare Erzeugnisse hergestellt werden könnten; insbesondere gebe es keine Lehre dazu, wie die gewünschten Festigkeitseigenschaften z. B. mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,50 bis 0,60 % erzielt werden könnten. Somit könne die beschränkte Offenbarung des Streitpatents den beanspruchten weiten Wertebereich für den Kohlenstoffgehalt nicht stützen, vor allem nicht den unteren Teil des Bereichs, so daß die Einwände nach den Artikeln 83 und 84 EPÜ begründet seien.

Außerdem mangele es dem Anspruch 1 nach Artikel 84 EPÜ auch insofern an Klarheit, als es einen Widerspruch gebe zwischen der Forderung in Anspruch 1 nach einer Endwalztemperatur, die

"knapp über dem Umwandlungspunkt A3 liegt",

und der Angabe einer Endwalztemperatur von 860 bis 1060 °C in Anspruch 3, die somit bis zu 300 °C über der A3-Temperatur liege.

Eine weitere Unklarheit ergebe sich daraus, daß die Umwandlung von Austenit in Martensit bestenfalls zu 90 % bewirkt sei; daraus folge, daß im Anspruch 1 zwar auf die Abkühlungsphase verwiesen werde, in der

"ein Anlassen der martensitischen Randzone (R) nicht über den Bereich der Zwischenstufe hinaus ... bewirkt [wird]",

daß dies sich aber nicht auf das Anlassen von Martensit beziehe, sondern auf die Umwandlung des Restaustenits in der Randzone, das nach der Abschreckung unverändert geblieben sei.

Was die vom Beschwerdegegner vorgelegten Dokumente (R1) bis (R4) betreffe, die zeigen sollten, daß die beanspruchte Erfindung kommerziell erfolgreich sei, so habe sich keines der Dokumente auf Stähle mit einem Kohlenstoffgehalt im Bereich von 0,50 bis 0,60 % bezogen, und keines habe Relaxationseigenschaften innerhalb der bei Spannstählen zu erwartenden Grenzen aufgewiesen. Dagegen habe das vom Erfinder später eingereichte Patent US-A-4 923 528 gezeigt, daß nach Beispiel 1 ein Stahl, der gemäß der angefochtenen Erfindung hergestellt werde und einen Kohlenstoffgehalt von 0,68 % aufweise, eine unbefriedigende Relaxation zeige; werde er aber weiter gemäß Beispiel 2 kalt bearbeitet, so werde der gewünschte niedrige Relaxationsgrad erzielt; dies bestätige, daß Stähle, die in den breitgefaßten Wertebereich für den Kohlenstoffgehalt des angefochtenen Anspruchs 1 fallen, weiter bearbeitet werden müßten, bevor sie als Spannstahlstäbe verwendet werden könnten.

Der Beschwerdeführer hielt auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr für gerechtfertigt, weil sich die Einspruchsabteilung mit den auf Artikel 83 und 84 EPÜ gestützten schwerwiegenden Einwänden gegen den Anspruch 1 in der geänderten Fassung, die nach Abschluß der mündlichen Verhandlung Gegenstand einer ausführlichen schriftlichen Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten gewesen seien, überhaupt nicht befaßt habe, was einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle.

VIII. Der Beschwerdegegner bestritt zunächst die Zulässigkeit des Einspruchs, da die Argumente zu seiner Stützung nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht worden seien und das innerhalb der Einspruchsfrist eingereichte Material nicht das zwingende Erfordernis der Regel 55 c) erfülle, wonach die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel innerhalb der Frist anzugeben seien (vgl. Richtlinien für die Prüfung, Teil D, Kapitel IV, Abschnitt 1.2.2.1 e)). Innerhalb der Frist habe der Beschwerdeführer lediglich das Einspruchsformblatt eingereicht. Würde man, wie dies die Einspruchsabteilung offensichtlich getan habe, die Angaben auf dem Formblatt als "Tatsachen und Beweismittel" i. S. der Regel 55 c) EPÜ ansehen, dann könne man in Zukunft auf die im Formblatt unter Ziffer VII als gesondertes Beiblatt vorgesehenen "Facts and Arguments" völlig verzichten. Zur Stützung seiner Ansicht berief sich der Beschwerdegegner auf die Entscheidungen T 289/91, ABl. EPA 1994, 649; T 222/85, ABl. EPA 1988, 128 und die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs Epoxidation GRUR 1988, 364.

Zum technischen Sachverhalt brachte der Beschwerdegegner vor, daß die Offenbarung als Ganzes ausreiche, um den beanspruchten Wertebereich für den Kohlenstoffgehalt zu stützen; der Beschwerdeführer sei nämlich den Beweis, innerhalb des gesamten beanspruchten Wertebereichs für den Kohlenstoffgehalt ließen sich Stähle mit den gewünschten Festigkeitseigenschaften nicht herstellen, schuldig geblieben. Hinsichtlich des angeblichen Widerspruchs zwischen dem Anspruch 1, wonach eine Abschreckung knapp über dem A3-Punkt erforderlich sei, und dem Anspruch 3, der eine Abschreckung mit einer Temperatur, die erheblich darüber liege, zulasse, werde auf Seite 3, Zeilen 29 bis 31 erläutert, daß der höchst wünschenswerte Effekt, nämlich die Entstehung eines feinkörnigen Gefüges, sich bei niedrigeren Temperaturen ergebe. Trotzdem könnten mit der beanspruchten Erfindung zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden, selbst wenn die Endwalztemperatur beträchtlich über der A3-Temperatur liege.

IX. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 172 544, hilfsweise die Beschränkung des Anspruchs 1 auf einen Kohlenstoffgehalt von "circa 0,75 %", ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Einspruchs

2.1. Gemäß Artikel 99 (1) Satz 1 EPÜ beträgt die Einspruchsfrist 9 Monate ab der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung. Im Hinblick auf die am 24. Januar 1990 erfolgte Bekanntmachung der Erteilung des Streitpatents lief die Einspruchsfrist am 24. Oktober 1990 ab (Regel 83 (1), (4) EPÜ). Der am 7. November 1990 eingegangene Schriftsatz des Beschwerdeführers, der seinen Einspruch ausführlich begründete, ist somit verspätet eingegangen.

Es ist deshalb zu prüfen, ob der mit dem Einspruchsformular am 23. Oktober 1990 fristgerecht eingelegte Einspruch den Erfordernissen der Zulässigkeit genügt. Insofern beruft sich der Beschwerdegegner zu Recht auf die Entscheidung T 289/91, die festhält, daß die Zulässigkeit des Einspruchs als unverzichtbare prozessuale Voraussetzung der sachlichen Prüfung des Einspruchsvorbringens in jedem Verfahrensstadium, also auch im Beschwerdeverfahren, von Amts wegen zu prüfen ist.

2.2. Nach Artikel 99 (1) Satz 2 EPÜ ist der Einspruch schriftlich einzureichen und zu begründen. Regel 55 EPÜ schreibt vor, was die Einspruchsschrift enthalten muß, damit der Einspruch zulässig ist, nämlich gemäß Buchstabe c eine Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel. Der Beschwerdegegner vertritt die Ansicht, daß der Beschwerdeführer hier nur die ersten beiden Erfordernisse erfüllt habe, aber die "Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel" fehle.

2.3. Die Beschwerdekammer kann dieser Auffassung nicht beipflichten. Das dritte Erfordernis von Regel 55 c) ist dann erfüllt, wenn die gemachten Angaben die Einspruchsabteilung und den Patentinhaber in die Lage versetzen, diese zu verstehen und ihre Stichhaltigkeit in bezug auf die geltend gemachten Einspruchsgründe zu überprüfen.

2.4. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ u. a. wegen mangelnder Neuheit geltend gemacht, zur Begründung seiner Behauptung die Entgegenhaltung D1 zitiert und auf die Tatsache verwiesen, daß die entscheidenden, das Streitpatent gefährdenden Verfahrensschritte in Spalte 2 Zeile 36 bis Spalte 3 Zeile 15 dieser Entgegenhaltung zu finden seien. Damit sind die Einspruchsabteilung und der Patentinhaber in die Lage versetzt worden, das Streitpatent mit der angegebenen Stelle der Entgegenhaltung zu vergleichen und zu prüfen, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers begründet ist.

2.5. Der vorliegende Fall ist mit dem der Entscheidung T 222/85 (a. a. O.) nicht zu vergleichen. Dort hatte sich der Einsprechende auf 16 Entgegenhaltungen berufen, es aber versäumt, auch nur in einer Druckschrift die Stellen anzugeben, die seiner Ansicht nach mangelnde Neuheit oder erfinderische Tätigkeit begründen sollen.

Ebensowenig sind die Erwägungen der deutschen Bundesgerichtshofentscheidung Epoxidation hier einschlägig, da sich die Einspruchsbegründung in jenem Fall nur mit einem Teilaspekt der Lehre des Patents befaßte, was im vorliegenden Fall nicht zutrifft. Hier wurde das gesamte Patent wegen mangelnder Neuheit angegriffen.

2.6. Auch ist die Behauptung, daß der Beschwerdeführer keine "Argumente" innerhalb der Einspruchsfrist vorgebracht habe, nicht zutreffend. Der Begriff "Argumente" kommt aus der englischen Fassung von Regel 55 c) EPÜ, die insofern nicht wörtlich mit der deutschen übereinstimmt, als dort "facts, evidence and arguments" gleichwertig nebeneinander stehen, während in der französischen "evidence and arguments" zu "justifications" zusammengezogen sind. In der deutschen Fassung ist dagegen die Bedeutung der "Begründung" dadurch, daß das Wort auf "Tatsachen" bezogen ist, gegenüber der englischen und französischen Fassung etwas zurückgenommen.

2.7. Dies bedeutet aber nicht, daß die drei Fassungen unterschiedliche Erfordernisse beinhalten. Da gemäß Artikel 177 (1) EPÜ jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, sind die Fassungen einheitlich auszulegen. Dies bereitet im vorliegenden Fall auch keine Schwierigkeiten. Nach allen drei Fassungen von Artikel 99 (1) Satz 2 EPÜ ist der Einspruch zu begründen. Es kann aber vorkommen, daß die "Begründung" oder das "Argument" ausnahmsweise implizit in der Angabe von Tatsachen mit enthalten ist und sich deshalb eine ausdrückliche Begründung als überflüssig erweist. Dies trifft hier bei der Geltendmachung mangelnder Neuheit zu.

2.8. Deshalb kann im vorliegenden Fall das Fehlen einer ausdrücklichen Begründung nicht zur Unzulässigkeit des Einspruchs führen. Dem stehen auch die Einspruchsprüfungsrichtlinien (D-IV, 1.2.2.1 f)) nicht entgegen, die ausführen, daß die bloße Nennung von Druckschriften "in aller Regel" nicht ausreicht, um den Patentinhaber und die Einspruchsabteilung in die Lage zu versetzen, den behaupteten Widerrufsgrund ohne eigene Ermittlung abschließend zu prüfen. Hier hat der Beschwerdeführer als Beweismittel für den von ihm geltend gemachten Widerrufsgrund der mangelnden Neuheit eine Druckschrift genannt und die entscheidende Stelle bezeichnet, die seiner Ansicht nach seine Behauptung stützt und begründet. Der Einspruch ist daher zulässig.

3. Zulässigkeit von Änderungen

Abgesehen von den Festigkeitseigenschaften waren alle übrigen mit der Änderung in den Anspruch 1 eingeführten Merkmale in den Ansprüchen 3, 5 und 6 des Patents in der erteilten Fassung offenbart, die den geänderten Ansprüchen 2 und 4 entsprechen; die Verwendung von Wasser als Kühlflüssigkeit war auf Seite 4 Zeile 15 der Anmeldung in der eingereichten Fassung offenbart. Die in den Anspruch 1 eingeführten Festigkeitseigenschaften waren bereits durch die Kombination der Zeilen 6 und 52 auf der Seite 2 des Patents in der erteilten Fassung offenbart, die der Kombination von Seite 1 Zeilen 10 bis 11. mit der Seite 3 Zeile 30 der Anmeldung in der eingereichten Fassung entspricht. Da all diese Änderungen den Umfang des Anspruchs 1 beschränken und in der Anmeldung in der eingereichten Fassung offenbart waren, folgt, daß die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind.

4. Artikel 84, Klarheit

4.1. Dem Anspruch 1 soll es aus zwei Gründen an Klarheit mangeln. Erstens sei die Aussage, vor dem Abschrecken sei eine Temperatur zu wählen, die knapp über dem A3-Punkt liege, unklar, wenn man sie im Zusammenhang mit dem Anspruch 3 sehe, der eine Temperatur von bis zu 1 060 °C - somit, worüber zwischen den Beteiligten Einverständnis herrschte, eine Temperatur um rund 300 °C darüber - erlaube. Zweitens könne die Einschränkung, die Temperatur sei innerhalb des Bereichs zu halten, in dem Bainit gebildet werden könne, nur auf noch nicht verformten Austenit angewendet werden, der noch in Bainit umgewandelt werden könne, und betreffe daher nicht das Anlassen von Martensit.

4.2. Was den ersten dieser Einwände betrifft, so ist der aufgezeigte Widerspruch zwischen den Ansprüchen 1 und 3 offensichtlich. Im Patent wird aber auf Seite 3, Zeilen 5 bis 8 und 20 bis 31 erklärt, daß eine Endwalztemperatur knapp über dem A3-Punkt ein Erfordernis für die Erzielung der besten Ergebnisse sei, während annehmbare Ergebnisse auch noch bei höheren - ja sogar um rund 300 °C höheren - Temperaturen erzielbar seien. Zusammengenommen bedeuten die Ansprüche 1 und 3 also, daß der in Anspruch 1 genannte Grenzwert als Wunschgrenzwert zu sehen ist, der aber kein wesentliches Merkmal der Erfindung ist. Legt man den Anspruch 1 solchermaßen aus, dann mangelt es ihm in dieser Beziehung nicht an Klarheit.

4.3. Der zweite Einwand beruht auf einer unzutreffenden Interpretation von Anspruch 1 und läßt sich nicht vereinbaren mit dem ausdrücklichen Wortlaut des Teils von Anspruch 1, der das Anlassen von Martensit betrifft und fordert, daß die Anlaßtemperatur zwischen der zweiten und der sechsten Sekunde der Behandlung nicht über den Temperaturbereich hinausgehen darf, in dem Bainit entstehen würde, wenn Austenit isotherm verformt würde. Diese Beschränkung des Anspruchs 1 ist klar.

5. Artikel 83, unzureichende Offenbarung, und Artikel 84, unzureichende Stützung des Anspruchs 1

5.1. Die Einwände des Beschwerdeführers, die auf Artikel 83 EPÜ - unzureichende Offenbarung - und auf Artikel 84 EPÜ - unzureichende Stützung des vollen Umfangs des Anspruchs 1 durch die Beschreibung - beruhen, stützen sich auf dieselbe Behauptung, die, wenn sie begründet wäre, dazu führen könnte, daß den Einwänden nach beiden Artikeln stattzugeben wäre. Die Nichtbeachtung von Artikel 84 ist zwar kein Einspruchsgrund, sie muß aber im vorliegenden Fall geprüft werden, da sich die Kammer mit einem geänderten Anspruch 1 befaßt.

5.2. Der Beschwerdeführer behauptet, daß es zwar möglich sein könne, die gewünschten Festigkeitseigenschaften zu erzielen, wenn man das in Anspruch 1 beschriebene Verfahren mit einem Stahl mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,75 % durchführe; es werde aber nicht offenbart, wie dieses Ziel mit Stählen mit geringerem Kohlenstoffgehalt erreicht werden könne, besonders nicht mit einem Kohlenstoffgehalt, der im unteren Teil des beanspruchten Bereichs - z. B. zwischen 0,50 und 0,60 % - liege.

5.3. Dies wird vom Beschwerdegegner bestritten. Beide Beteiligten haben versucht, ihre jeweiligen Vorbringen durch die Dokumente (R1) bis (R4) zu stützen. Da aber keines dieser Dokumente Informationen über die mechanischen Eigenschaften von Stählen mit einem Kohlenstoffgehalt im beanspruchten Bereich enthält, sind die auf diese Dokumente gestützten Argumente beider Beteiligten für die Kammer bei der Entscheidungsfindung wenig hilfreich.

5.4. Was nun die Angaben im Streitpatent angeht, so wird auf Seite 3, Zeilen 61 bis 65 erklärt, daß die Eigenschaften dieser Stähle durch die Beigabe kleiner Mengen von Legierungselementen verbessert werden können. Dann folgt diese wesentliche Aussage:

"Durch entsprechende Wahl der Legierungselemente gelingt es auch, den C-Gehalt bis an die untere Grenze zu senken." (Hervorhebung durch die Kammer)

5.5. Abgesehen von dieser spezifischen Lehre darüber, wie die gewünschten Ergebnisse mit relativ geringem Kohlenstoffgehalt erzielt werden können, ist zu bemerken, daß alle drei Beispiele, deren Kohlenstoffgehalt im Bereich von 0,74 bis 0,76 liegt, Festigkeitseigenschaften aufweisen, die am oberen Ende der in Anspruch 1 beschriebenen Bereiche liegen, während bei der Schmelze Nr. 3726, auf die in den Tabellen 1 und 2 Bezug genommen wird, die Zugfestigkeit mit 1251 N/mm2 geringfügig über der beanspruchten Obergrenze (1230) liegt. Daher zieht die Kammer den Schluß, daß die Festigkeitseigenschaften bei einem Kohlenstoffgehalt von weniger als 0,75 % unter den mit diesem Kohlenstoffgehalt erzielbaren hohen Werten, aber noch innerhalb der beanspruchten Grenzen liegen können. Die Kammer hält es bei bloßer Betrachtung des Streitpatents für glaubhaft, daß ein Fachmann die beanspruchte Erfindung im gesamten beanspruchten Wertebereich für den Kohlenstoffgehalt ausführen und dabei die Festigkeitseigenschaften innerhalb der in Anspruch 1 näher genannten Grenzen erzielen könnte. Somit war es Sache des Beschwerdeführers, die Kammer davon zu überzeugen, daß dies nicht der Fall ist. Dies hat er nicht getan, so daß seine Einwände nach den Artikeln 83 und 84 nicht begründet sind.

6. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Bei dieser Beschwerde sind die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des mit dem geänderten Anspruch 1 beanspruchten Patents nicht das Hauptthema. Die Kammer hat die im vorliegenden Einspruch angeführten Entgegenhaltungen geprüft und hält die Druckschrift (1) für den nächstliegenden Stand der Technik. Da diese wie auch die übrigen Druckschriften das beanspruchte wesentliche Merkmal, nämlich

daß die Oberflächentemperatur der Randzone durch Temperaturausgleich in dem Zeitraum zwischen der zweiten und sechsten Sekunde der Wärmebehandlung in Abhängigkeit vom Stabdurchmesser zwischen 400 und 500 °C beträgt,

weder offenbaren noch nahelegen, ist die Kammer überzeugt, daß die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfüllt sind.

7. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr

7.1. Nach Regel 67 EPÜ darf eine Beschwerdekammer die Rückzahlung nur dann anordnen, wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Da der vorliegenden Beschwerde nicht stattgegeben wird, kann der entsprechende Antrag schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben.

7.2. In Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers bemerkt die Kammer aber, daß der Einspruchsabteilung unter keinem Gesichtspunkt ein wesentlicher Verfahrensmangel angelastet werden kann. Selbst wenn die Kammer die Zurückweisung der zu Artikel 83 und 84 EPÜ vorgebrachten Bedenken des Beschwerdeführers gemäß Artikel 114 (2) EPÜ durch die Einspruchsabteilung anders beurteilen würde, würde es sich hierbei um eine sachliche Fehleinschätzung, nicht aber um einen Verfahrensmangel handeln.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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