T 0290/92 (a-priori-Einheitlichkeit/SIEMENS) of 7.7.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T029092.19930707
Datum der Entscheidung: 07 Juli 1993
Aktenzeichen: T 0290/92
Anmeldenummer: 88107175.7
IPC-Klasse: B01D 53/36
B01J 23/00
B01J 27/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Katalytische Beseitigung von Ammoniak aus Abgasen
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 82
European Patent Convention 1973 R 30
Schlagwörter: a-priori-Einheitlichkeit (nach Änderung bejaht)
Unity - a-priori
Decision re appeals - remittal (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 3023/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung 88 107 175.7 (Veröffentlichungsnummer 290 947) wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, daß die Anmeldung nicht die Einheitlichkeits-Erfordernisse des Artikels 82 EPÜ erfüllte, weil verschiedenen Anspruchsgruppen a priori unterschiedliche Aufgaben und entsprechende unterschiedliche Lösungen zugrundelägen, die nicht von einer einzigen erfinderischen Idee miteinander verbunden wären.

II. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.

III. In einem Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ brachte die Kammer ihre vorläufige Meinung zum Ausdruck, daß die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten neuen Ansprüche nach wie vor a priori - also allein unter Berücksichtigung der Anmeldungsunterlagen und des darin aus der Sicht der Beschwerdeführerin dargelegten Standes der Technik und ohne den bei der Recherche ermittelten Stand der Technik - uneinheitlich wären und gab Hinweise, durch welche Änderungen die Mängel beseitigt werden könnten.

IV. Die Beschwerdeführerin änderte daraufhin die Ansprüche, um den von der Kammer erhobenen Einwänden zu begegnen.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufzuheben:

Patentansprüche 1 bis 21 wie telefonisch am 2. Juli 1993 beantragt;

Beschreibung: Seiten 1, 1a, 3 und 7 bis 11, eingereicht mit dem Brief vom 17. Februar 1992 und ursprünglich eingereichte Seiten 2, 4 bis 6 und 12 bis 15;

Zeichnungen: ursprünglich eingereichte Blätter 1/2 und 2/2.

VI. Die unabhängigen Ansprüche gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerin lauten folgendermaßen:

"1. Verfahren zum Entfernen von gasförmigem Ammoniak (NH3 aus einem Abgas (A),

dadurch gekennzeichnet,

daß das Abgas (A) mit dem gasförmigen Ammoniak (NH3) und vorzugsweise zusammen mit Sauerstoff (O2), insbesondere zusammen mit Luft, bei einer vorgegebenen Temperatur einem selektiven Katalysator (6, 32) zugeführt wird, der das Ammoniak (NH3) zu Stickstoff (N2) und Wasser (H2O) oxydiert, wobei der Katalysator (6, 32) ein Mischoxid- Katalysator ist, der Titandioxid (TiO2) und mindestens ein Oxid der Übergangsmetalle Vanadium (V) Chrom (Cr), Mangan (Mn), Eisen (Fe), Kobalt (Co), Nickel (Ni), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Zirkon (Zr), Molybdän (Mo), Wolfram (W), Platin (Pt) und Rhodium (Rh) enthält, und daß vom Katalysator (6, 32) der Stickstoff (N2) und das Wasser (H2O) abgeleitet werden."

"11. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 9 oder 10, wobei eine Wasserzuleitung (101) für eine ammoniakhaltige Flüssigkeit, insbesondere für ein ammoniakhaltiges Abwasser, mit einer Stoffaustauschkolonne (102) verbunden ist, die eine Gaszuleitung (104) aufweist und von der eine Wasserableitung (103) für ammoniakfreies Wasser und eine Gasableitung (105) für ammoniakhaltiges Gas ausgehen,

dadurch gekennzeichnet,

daß in einem nahezu geschlossenen Kreislauf die Gasableitung (105) über den wärmeaufnehmenden Raum eines Wärmetauschers (106) und über einen Erhitzer (107) mit dem Eingang eines Katalysators (108) verbunden ist und daß der Ausgang des Katalysators (108) über den wärmeabgebenden Raum des Wärmetauschers (106) und über ein Gebläse (109) mit der Gaszuleitung (104) der Stoffaustauschkolonne (102) verbunden ist, wobei der Katalysator (108) ein Mischoxid-Katalysator ist, der Titandioxid (TiO2) und mindestens ein Oxid der Übergangsmetalle Vanadium (V), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Eisen (Fe), Kobalt (Co), Nickel (Ni), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Zirkon (Zr), Molybdän (Mo), Wolfram (W), Platin (Pt) und Rhodium (Rh) enthält, und wobei vom Katalysator (108) Stickstoff (N2) und Wasser (H2O) abgeleitet werden."

"12. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 10,

dadurch gekennzeichnet,

daß das Abgas (A) mit Hilfe eines Gebläses (14, 40) einem den Katalysator (6, 32) enthaltenden Reaktor (4, 30) zugeleitet ist, an dessen Austritt (8, 34) eine Ableitung (10, 36) für ammoniakfreies Abgas (A) vorgesehen ist, wobei der Katalysator (6,32) ein Mischoxid-Katalysator ist, der Titandioxid (TiO2) und mindestens ein Oxid der Übergangsmetalle Vanadium (V), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Eisen (Fe), Kobalt (Co), Nickel (Ni), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Zirkon (Zr), Molybdän (Mo), Wolfram (W), Platin (Pt) und Rhodium (Rh) enthält, und wobei vom Katalysator (6, 32) Stickstoff (N2) und Wasser (H2O) abgeleitet werden (Fig. 1)."

"14. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 10,

dadurch gekennzeichnet,

daß ein Edelmetall- Katalysator (110) und ein Mischoxid-Katalysator (111) in Serie angeordnet sind und daß der Edelmetall-Katalysator (110) durch eine Bypass-Leitung (112) überbrückt ist, die ungefähr 40 % des ankommenden Gases aufnimmt, wobei der Mischoxid-Katalysator (111) Titandioxid (TiO2) und mindestens ein Oxid der Übergangsmetalle Vanadium (V), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Eisen (Fe), Kobalt (Co); Nickel (Ni), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Zirkon (Zr), Molybdän (Mo), Wolfram (W), Platin (Pt) und Rhodium (Rh) enthält, und wobei vom Mischoxid-Katalysator (111) Stickstoff (N2) und Wasser (H2O) abgeleitet werden."

"20. Verfahren zur Herstellung eines Katalysators nach einem der Ansprüche 1 bis 19,

dadurch gekennzeichnet,

a) daß Titandioxid (TiO2) und mindestens ein Oxid der Übergangsmetalle Vanadium (V), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Eisen (Fe), Kobalt (Co), Nickel (Ni), Kupfer (Cu), Zink (Zn), Zirkon (Zr), Molybdän (Mo), Wolfram (W), Platin (Pt) und Rhodium (Rh), wie insbesondere Chromoxid (Cr2O3), Manganoxid (MnO2) und Kupferoxid (CuO), gemahlen und innig miteinander zu einer Mischung gemischt werden,

b) daß diese Mischung anschließend gefiltert wird, wobei ein Filterkuchen zurückbleibt,

c) daß dem Filterkuchen ein Bindemittel beigegeben wird,

d) daß Filterkuchen und Bindemittel geknetet werden, wobei eine formbare Masse entsteht,

e) daß diese Masse sodann in eine vorgegebene Form gebracht wird, z. B. auf Platten aufgetragen, in Waben oder Pellets extrudiert wird,

f) daß die geformte Masse sodann einer Trocknungsbehandlung bei Temperaturen im Bereich von 100 bis 140 C unterzogen wird, und

g) daß schließlich die getrocknete, geformte Masse einer Glühbehandlung bei 500 C oder mehr ausgesetzt wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der Änderungen (Art. 123 (2) EPÜ)

Nach Ansicht der Kammer bestehen keine Bedenken wegen Artikel 123 (2) hinsichtlich der jetzigen, gegenüber den ursprünglichen Ansprüchen geänderten Ansprüche, da ihre Gegenstände nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen.

Die Ansprüche 1 bis 10, 11, 12, 13, 14 und 15 bis 21 entsprechen nämlich - bis auf Klarstellungen und Einschränkungen, die im Rahmen des ursprünglich Offenbarten liegen - den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 10, 14, 11, 12, 13 und 16 bis 22.

3. A-priori-Einheitlichkeit (Art. 82 EPÜ) und Erfordernisse der Regel 30 EPÜ

3.1. Wie aus Punkt I. ersichtlich ist, beruht der seitens der Prüfungsabteilung erhobene Einwand der mangelnden Einheitlichkeit der Ansprüche nicht auf einem durch die Recherche ermittelten Stand der Technik, sondern wurde a priori erhoben, das heißt, er berücksichtigt nur den in der Anmeldung angegebenen Stand der Technik und die Fähigkeiten des Durchschnittsfachmannes. Zur Analyse der beanspruchten Erfindung nach Aufgabe und Lösung ist daher auf die Beschreibung der Anmeldung und - falls vorhanden - auf den darin aus der Sicht der Anmelderin dargelegten Stand der Technik zurückzugreifen und das Wissen des Durchschnittsfachmannes zu berücksichtigen.

3.2. Entsprechend der Beschreibung - vergleiche insbesondere die ursprüngliche Seite 3 Absätze 1 und 2 und Zeilen 30 bis 32 - besteht diese Aufgabe offenbar darin, den Ammoniak so auf katalytischem Wege aus einem Abgas zu entfernen, daß weitgehend nur umweltverträgliche Folgeprodukte entstehen. Es kann nicht bestritten werden, daß eine solche Aufgabe für den Fachmann als naheliegend anzusehen ist.

3.3. Nach den Anmeldungsunterlagen - vergleiche insbesondere Seite 3 Zeile 30 bis Seite 4 Zeile 3! - beruht das allen Lösungen gemeinsame Prinzip auf der Auffindung bzw. Herstellung eines speziellen Mischoxid-Katalysators gemäß dem Anspruch 1. Ein solcher Katalysator und damit ein solches Lösungsprinzip ist offenbar weder dem in der Beschreibung dargelegten Stand der Technik zu entnehmen noch durch ihn nahegelegt.

3.4. Da alle unabhängigen Ansprüche alle Merkmale dieses Katalysators enthalten, beruhen alle beanspruchten Lösungen auf der gleichen allgemeinen Lösungsidee, nämlich einem speziell zusammengesetzten Mischoxid- Katalysator, mit dem die Oxidation gasförmigem Ammoniak in einem Abgas zu umweltverträglichen Folgeprodukten erreicht werden kann. Daher spielt es auch keine Rolle, daß z. B. im Anspruch 20 keine Einzelheiten über die Gasführung und im Anspruch 1 keine Einzelheiten über die Herstellung des Katalysators angegeben sind.

3.5. Hinsichtlich der in der angefochtenen Entscheidung zitierten Regeln 30b in der bis 31. Mai 1991 gültigen Fassung und 30 in der ab 1. Juni 1991 gültigen Fassung ist folgendes festzustellen: Da der Anmeldetag der vorliegenden Anmeldung vor dem 1. Juni 1991 liegt, ist allein die Regel 30 in der bis 31. Mai 1991 gültigen Fassung maßgebend. Danach ist Artikel 82 EPÜ so auszulegen, daß in einer Anmeldung insbesondere bestimmte Kombinationen unabhängiger Ansprüche enthalten sein können. Dies bedeutet, daß die dort aufgezählten erlaubten Kombinationen nicht erschöpfend sind und ferner, daß die Frage der Einheitlichkeit nicht davon abhängt, ob in einer Anmeldung unabhängige Ansprüche verschiedener Kategorie vorkommen. Andererseits sind natürlich Ansprüche nicht schon deswegen einheitlich, weil eine der in dieser Regel aufgeführte Kombination der der Anmeldung entspricht.

Obwohl in der genannten Regel (alte Fassung) stets von "ein/einem unabhängiger/unabhängigen Patentanspruch" einer bestimmten Kategorie die Rede ist, legt diese Regel doch nicht fest, wieviele unabhängige Ansprüche der gleichen Kategorie in einer Anmeldung enthalten sein dürfen. Hierfür sind Regel 29 (2) (mehrere unabhängige Ansprüche der gleichen Kategorie sind möglich) einerseits und Artikel 84 EPÜ (Knappheitsgebot) andererseits heranzuziehen.

3.6. Aus all dem folgt, daß die Ansprüche a priori einheitlich sind und Regel 30 EPÜ nicht verletzen.

4. Die Prüfung der Ansprüche daraufhin, ob sie a posteriori einheitlich sind, das heißt bei Berücksichtigung des über den in der Beschreibung hinausgehenden Standes der Technik, insbesondere des im Recherchenbericht genannten Standes der Technik, setzte auch eine Prüfung dieser Ansprüche auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit voraus. Da eine solche Prüfung durch die Prüfungsabteilung bisher noch nicht erfolgte und um das Recht der Beschwerdeführerin auf Klärung aller Sach- und Rechtsfragen durch zwei Instanzen zu wahren, macht die Kammer von der Möglichkeit nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

5. Zur Vermeidung von Unklarheiten wird darauf hingewiesen, daß entsprechend Artikel 111 (2) EPÜ die Prüfungsabteilung durch diese Entscheidung der Kammer nur an folgendes gebunden ist: Die der Entscheidung zugrundeliegenden Ansprüche erfüllen die Erfordernisse des Artikel 123 (2) und der Regel 30 EPÜ und sind a priori einheitlich, das heißt sie sind einheitlich bei Berücksichtigung allein des in der ursprünglichen Beschreibung enthaltenen Standes der Technik und des Wissens und Könnens des Durchschnittsfachmannes.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 21 gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Juli 1993 zurückverwiesen.

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