European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1994:T060291.19940913 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 September 1994 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0602/91 | ||||||||
Anmeldenummer: | 85109532.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C04B 28/14 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung wasserabweisender Formkörper aus Gips | ||||||||
Name des Anmelders: | BAYER AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | I) Rigips GmbH II) WACKER-CHEMIE GMBH |
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Kammer: | 3.3.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Offenkundige Vorbenutzung (ja) - stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung (nein) - Beziehungen zwischen den beteiligten Firmen - Zusammenarbeit - Eigenes Geheimhaltungsinteresse der Beschwerdeführerin (nein) Parallel appeals Novelty - prior use - obligation to maintain secrecy Law of evidence - evaluation of evidence |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 85 109 532.3 wurde das europäische Patent 0 171 018 aufgrund von drei Ansprüchen erteilt. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Herstellung wasserabweisender, poröser Gipsformkörper durch Behandlung mit Alkylwasserstoffpolysiloxanen, dadurch gekennzeichnet, daß man aus Wasser, Tensid und Polyalkylwasserstoffsiloxan einen Schaum erzeugt und diesen Schaum dem wäßrigen Gipsbrei, bestehend aus Anmachwasser, Gipspulver sowie gegebenenfalls weiteren üblichen Zusatzen, zugibt."
II. Gegen die Patenterteilung legten die Beschwerdeführerin I (Einsprechende I) wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Art. 100 a)) und die Beschwerdeführerin II (Einsprechende II) wegen Nichtausführbarkeit (Art. 100 b)) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Art. 100 a)) Einspruch ein. Die dritte Einsprechende und Beschwerdeführerin nahm am 15. Juli 1994 ihren Einspruch und ihre Beschwerde zurück. Zur Stütze ihres Vorbringens machte die Beschwerdeführerin I eine offenkundige Vorbenutzung des Patentgegenstands bei der Firma Rigips Austria GmbH in Bad Aussee geltend und reichte zu deren Nachweis folgende Beweismittel:
(16a) Versuchsbericht der Rigips Austria GmbH
(16b) Erklärung von Herrn G. Fiala und Herrn H. Haslwanter
(16c) Schreiben des Herrn Keindl der Firma Rigips Austria GmbH an die Gipsconsult Management und Beratungs AG in der Schweiz.
Außerdem haben die Beschwerdeführerinnen bezüglich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit auf mehrere Dokumente verwiesen, u. a. (1) DE-B-1 223 287 und (2) US- A-4 113 638.
III. Die Einspruchsabteilung hat die Einsprüche zurückgewiesen. In der Entscheidung wird u. a. ausgeführt, daß brauchbare Handelsprodukte wie Baysilone MH 15 von Bayer und Emulsion BS 46 von Wacker schon lange vor dem Prioritätsdatum auf dem Markt gewesen seien, und daß es für einen Fachmann zumutbar sei, unter Bezugnahme der Angabe in der Beschreibung und des darin enthaltenen Verweises auf Dokument (1) ein geeignetes Handelsprodukt auszusuchen. Es sei dem Fachmann durch zumutbare Versuchsreihen möglich gewesen, das beanspruchte Verfahren auszuführen.
Die Beweismittel zur angeblichen offenkundigen Vorbenutzung würden bezeugen, daß das patentgemäße Verfahren vor dem Prioritätsdatum vorgeführt worden sei, sie gäben jedoch keinen Aufschluß darüber, ob die Vorführungen offenkundig gewesen seien. Die Erklärung (16b), daß über diese Versuche keine Geheimhaltung vereinbart wurde, bedeute nicht, daß keine stillschweigende Geheimhaltung gegolten habe. Bei den eingehenden geschäftlichen Beziehungen zwischen der Patentinhaberin und den Einsprechenden auf dem Gebiet der Gipshydrophobierung müsse schon aus Eigeninteresse der Einsprechenden von einem Vertrauensverhältnis ausgegangen werden, das eine stillschweigende Geheimhaltung voraussetze. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, daß die Öffentlichkeit tatsächlich Zugang zu dem Werks- bzw. Versuchsgelände gehabt hätte. Daher sei die Vorbenutzung nicht als offenkundig anzusehen.
IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen I und II Beschwerde erhoben und eine Begründung hierzu eingereicht. Am 13. September 1994 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der die Beschwerdeführerin II, wie sie am 12. September 1994 per Telefax mitgeteilt hatte, nicht teilnahm.
V. Zur Begründung der Beschwerde hat die Beschwerdeführerin I u. a. folgendes vorgetragen:
Die Unterstellung, daß für die Vorführung des patentgemäßen Verfahrens bei der Rigips Austria stillschweigende Geheimhaltung gegolten habe, sei durch nichts belegt und stütze sich lediglich auf eine Behauptung der Patentinhaberin, daß stillschweigende Geheimhaltung im Interesse der Einsprechenden läge. Dies sei falsch und ergebe sich nicht aus der Akte. Im Gegenteil habe die Einsprechende I durchaus kein Interesse daran, daß die Patentinhaberin für Jahre ein Monopol für das zu liefernde Produkt und das anzuwendende Verfahren habe, denn kein Hersteller möchte von einem einzigen Lieferanten oder Patentinhaber abhängig sein, der dadurch Einfluß auf das abhängige Unternehmen ausüben könne. Wettbewerb sei immer zuträglich und zeichne sich durch scharf kalkulierte Preise aus. Die Einsprechende würde mindestens hinsichtlich des Preises Vorteile haben. Herr Fiala hätte die Erklärung (16b) nicht abgegeben, hätte eine stillschweigende Geheimhaltung gegolten. Es ginge im vorliegenden Fall hauptsächlich um finanzielle Vorteile gegenüber dem bei Rigips Austria eingesetzten Hydrophobierungsmittel BS 46 von Wacker. Die Patentinhaberin habe das Siliconöl Baysilone MH 15 in Konkurrenz zu dem Präparat der Firma Wacker nicht nur der Firma Rigips Austria sondern auch anderen Gipsplattenherstellern wie z. B. der Firma Knauf, angeboten. Außerdem sei der Versuch in Bad Aussee längere Zeit gelaufen und alles, was sich dort abgespielt habe, sei ohne weiteres zugänglich gewesen. Es sei üblich bei der Firma Rigips Führungen bzw. Besichtigungen im Rahmen von Seminaren und Schulungen zu veranstalten, bei welchen die Herstellung von wasserabweisenden, porösen Gipskartonplatten erläutert werde.
Die Beschwerdeführerin I hat außerdem vorgetragen, daß das beanspruchte Verfahren sich von dem Verfahren gemäß Dokument (1) nicht unterscheide, da nach (1) bei der Erzeugung der Emulsion auch ein Schaum entstehe, und daß es jedenfalls keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
VI. Die Beschwerdeführerin II hat ihrerseits u. a. folgende Argumente vorgebracht:
Es sei bekannt, daß Polysiloxane sowohl als Entschäumer als auch als Schaumstabilisatoren eingesetzt werden. In welchem System und in welchem Maße Polysiloxane als Entschäumer bzw. Schaumstabilisatoren wirkten, hänge u. a. stark von der Art des Polysiloxans ab. Im Streitpatent werde jedoch weder in der Beschreibung noch in den Beispielen offenbart, welche Wasserstoffsiloxane eingesetzt werden. Demnach liege keine für den Fachmann nacharbeitbare Lehre zum technischen Handeln vor.
Der einzige Unterschied zwischen dem Streitpatent und der Entgegenhaltung (1) bestehe darin, daß gemäß Streitpatent die hergestellte Emulsion einem wäßrigen Gipsbrei zugesetzt werde. Dieser Unterschied könne jedoch im Hinblick auf Dokument (2) keineswegs auf eine erfinderische Tätigkeit zurückgeführt werden.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat ihrerseits u. a. folgendes geltend gemacht:
Die behauptete offenkundige Vorbenutzung habe nicht stattgefunden. Es handele sich im vorliegenden Fall um ein klassisches Beispiel einer technischen Entwicklung, an deren Geheimhaltung, auch ohne explizite Geheimhaltungsverpflichtung, beide beteiligten Firmen ein erhebliches Interesse haben müßten. Es sei keineswegs davon auszugehen, daß einmal gefundene gute Ergebnisse bei den scharf kalkulierten Gipskartonpreisen gleich der Konkurrenz mitgeteilt werden. Zwischen der Firma Rigips und der Patentinhaberin habe seit mehreren Jahren eine Art Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gipshydrophobierung bestanden (Beginn ca. 1980). Die Patentinhaberin könne selbst keine Versuche in großen Maßnahmen durchführen und habe diese anwendungstechnischen Kontakte sehr intensiv gepflegt. Versuche mit dem Siliconöl Baysilone MH 15 seien zuerst für die Hydrophobierung der sog. Vollgipsplatten durchgeführt worden und die Patentinhaberin habe vorgeschlagen, dieses Siliconöl auch für die Hydrophobierung des Schaumgipses bzw. bei der Herstellung der Gipskartonplatten einzusetzen. Der entsprechende Versuch sei im Werk Bad Aussee der Firma Rigips Austria am 24. Januar 1984 durchgeführt worden. Aufgrund der guten Beziehungen zwischen der Patentinhaberin und der Firma Rigips und der besagten Zusammenarbeit sei ein gewisses Vertrauensverhältnis entstanden, das auch eine stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung beinhalte. Es sei festzuhalten, daß die Unterzeichner der Erklärung (16b) bei dem Versuch nicht anwesend gewesen seien, sondern Herr Keindl der Firma Rigips Austria in Bad Aussee sowie ein Betriebsmeister des Werkes und sein im Labor tätiger Sohn. Der Versuch sei auf einem nicht öffentlichen Gelände durchgeführt worden und Berichte an die Öffentlichkeit bzw. ein Zugänglichmachen des Versuches seien in keiner Weise erfolgt.
Die Beschwerdegegnerin hat außerdem vorgetragen, daß in Dokument (1) kein Schaum sondern eine Emulsion erzeugt werde und daher dieses Dokument keineswegs neuheitsschädlich sei. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit hat sie u. a. auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
VIII. Die Beschwerdeführerinnen haben die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit
Die Beschwerdeführerin I hat geltend gemacht, daß der Gegenstand des Streitpatents offenkundig vorbenutzt worden und somit neuheitsschädlich getroffen sei.
Eine offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands eines Patents liegt vor, wenn A) die Benutzung vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag des Streitpatents erfolgte, B) der Gegenstand der Benutzung mit dem Gegenstand des Streitpatents übereinstimmt und C) die Umstände der Benutzung derart sind, daß der benutzte Gegenstand der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und somit offenkundig geworden ist (vgl. T 830/90 vom 23. Juli 1993, zur Veröffentlichung im ABl. EPA vorgesehen). Es ist zu prüfen, ob diese drei Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
2.1. Es ist unstreitig, daß bei der Firma Rigips Austria GmbH in Bad Aussee (Zweigwerk der Beschwerdeführerin I in Österreich) am 24. Januar 1984, d. h. etwa 6 1/2 Monaten vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents, ein Versuch unter Verwendung des Siliconöls Baysilone MH 15 von Bayer als Hydrophobierungsmittel bei der Produktion von imprägnierten Gipskartonplatten durchgeführt wurde. Bei diesem Versuch war u. a. der Verfasser des Versuchsberichtes (16a) und des Schreibens (16c) anwesend. Aus Dokument (16a) geht hervor, daß dieses Öl, ein Polymethylhydrogensiloxan, direkt in den Einlauf des Schaumgenerators eingeführt wurde und daß es durch das Zusammentreffen mit dem im Schaumgenerator enthaltenen Tensid emulgiert und somit feinverteilbar in die Gipskartonplatte eingebracht werden konnte. Eine Dosierung von 0,8 Liter Baysilone-Öl MH 15/min, entsprechend etwa 0,25 % der Gipsmenge wurde gewählt. Ferner hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestätigt, daß der in dem Schaumgenerator erzeugte Schaum dem wäßrigen Gipsbrei zugegeben wurde und daß bei diesem Versuch das gleiche Verfahren wie das im Streitpatent beanspruchte Verfahren benutzt wurde.
Daraus folgt, daß die geltend gemachte Vorbenutzung vor dem Prioritätsdatum stattfand und daß Wesensgleichheit des benutzten Verfahrens mit dem Gegenstand des Streitpatents vorliegt und somit die vorstehend genannten Vorraussetzungen A und B erfüllt sind.
2.2. Offenkundigkeit der Vorbenutzung
2.2.1. In bezug auf die Offenkundigkeit bzw. Zugänglichkeit des besagten Versuchs hat die Beschwerdeführerin I vorgetragen, daß über den Versuch keine Geheimhaltung vereinbart wurde und sie hat als Beweis hierzu die Erklärung (16b) vorgelegt. Die Beschwerdegegnerin hat ihrerseits darauf hingewiesen, daß die Unterzeichner der Erklärung (16b) bei dem Versuch am 24. Januar 1984 nicht anwesend waren. Dies wurde von der Beschwerdeführerin I nicht bestritten.
In der von Herrn G. Fiala und Herrn Haslwanter unterschriebenen Erklärung (16b) steht: "Ich erkläre als Beteiligter an diesen Versuchen, daß über diese Versuche und die Diskussionen hierzu keine Geheimhaltung vereinbart wurde". Der Umstand, daß bei dem Versuch nicht Herr Fiala sondern Herr Keindl (Betriebsleitung der Rigips Austria in Bad Aussee und Verfasser der Dokumente (16a) und (16c)) sowie ein Betriebsmeister dieses Werkes und sein im Labor tätiger Sohn anwesend waren, vermag die Glaubwürdigkeit dieser Erklärung nicht in Frage zu stellen. Denn aufgrund dessen, daß Herr Fiala der zuständige Leiter der Entwicklung bei der Firma Rigips Austria war und selbst angeregt hatte, das Siliconöl Baysilone MH 15 bei der Produktion von imprägnierten Gipskartonplatten zu erproben, wie dies aus Dokument (16c) hervorgeht, war er somit offensichtlich an dem Versuch mitbeteiligt, selbst wenn er während der Durchführung des Versuches nicht persönlich anwesend war. Darüber hinaus hat die Beschwerdegegnerin nicht bestritten, daß über den Versuch keine ausdrückliche Geheimhaltung vereinbart wurde. Unter diesen Umständen sieht die Kammer keine Veranlassung dies zu bezweifeln.
2.2.2. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin in bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen den beteiligten Firmen und die daraus resultierende stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung (siehe Punkt VII oben) wirft die Frage auf, ob zwischen den beteiligten Firmen derartige Beziehungen bestanden haben, daß eine stillschweigende Verschwiegenheitspflicht von seiten der Beschwerdeführerin I zu erwarten war.
Im vorliegenden Fall steht es fest, daß zwischen den beteiligten Firmen kein Entwicklungsvertrag oder dergleichen in bezug auf die Herstellung von Gipskartonplatten bestanden hatten wie dies während der mündlichen Verhandlung in Antwort auf die Befragung der Kammer von der Beschwerdegegnerin bestätigt wurde. Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, daß die Beschwerdeführerin I (Einsprechende) keinen Auftrag an die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vergeben hatte, das von der Firma Rigips verwendete Verfahren zur Herstellung von wasserabweisenden Gipskartonplatten in irgendeiner Weise zu ändern bzw. zu vereinfachen. Somit befanden sich die Beschwerdeführerin I und die Beschwerdegegnerin nicht in der Situation einer auftraggebenden Firma bzw. einer den Auftrag ausführenden Firma, wo angesichts des Auftragsverhältnisses ein stillschweigend zur Geheimhaltung verpflichtendes Vertrauensverhältnis bestehen kann.
Es ist glaubhaft, daß die Beschwerdegegnerin als Produzent von Polysiloxanen, die für die Hydrophobierung von Gipsprodukten Anwendung finden können, seit mehreren Jahren vor dem Versuch intensive anwendungstechnische Kontakte mit der Beschwerdeführerin I, Gipsplattenhersteller und Anwender von Polysiloxanen für die Hydrophobierung der Gipsplatten, insbesondere der Polysiloxanemulsion B 46 der Firma Wacker, pflegte. Es lag eindeutig im Interesse der Beschwerdegegnerin gute Beziehungen zu einem potentiellen Anwender ihrer Siliconöle zu pflegen. Unstreitig ist es, daß das auf dem Markt erhältliche Baysilone-Öl MH 15 der Beschwerdegegnerin zuerst bei der Hydrophobierung der sogenannten Vollgipsplatten bei der Firma Rigips Austria GmbH erprobt wurde. Es ist jedoch aus den vorgelegten Beweismitteln nicht zu entnehmen, daß für den Einsatz dieses Siliconöls bei der Vollgipsplattenproduktion schon eine Zusammenarbeit der beteiligten Firmen stattgefunden hätte. Später hat die Beschwerdegegnerin angeboten, ihr Siliconöl Baysilone MH 15. bei der Produktion der porösen Gipskartonplatten anstelle der von der Beschwerdeführerin I verwendeten Polysiloxanemulsion B 46 der Firma Wacker einzusetzen. Es läßt sich aus diesen geschilderten Umständen entnehmen, daß zur Zeit des entsprechenden Versuchs am 24. Januar 1984 zwischen den zwei beteiligten Firmen zwar gute Beziehungen bestanden haben, jedoch kann aus diesem Umstand allein nicht gefolgert werden, daß bezüglich der Zusammenarbeit am 24. Januar 1984 eine stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung für beide Firmen selbstverständlich war. In diesem Zusammenhang ist ferner anzumerken, daß die Beschwerdegegnerin nicht darauf hingewiesen hat, daß sie über die Verwendung ihres Siliconöls Baysilone MH 15 bei der Hydrophobierung der Gipskartonplatten die Inanspruchnahme von Schutzrechten beabsichtigte, was auf eine Geheimhaltungsverpflichtung hingedeutet hätte.
2.2.3. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, daß auch ohne explizite Geheimhaltungsverpflichtung beide beteiligten Firmen ein erhebliches Interesse an der Geheimhaltung des Versuchs haben müßten, wurde von der Beschwerdeführerin I bestritten.
Wie von der Beschwerdeführerin I ausgeführt, ging es für sie im vorliegenden Fall vor allem um einen finanziellen Vorteil gegenüber der Verwendung der Polysiloxanemulsion B 46 der Firma Wacker. Aus (16a) und (16b) geht eindeutig hervor, daß der Einsatz des Baysilonöls MH 15 u. a. infolge der geringeren Dosiermenge als im Falle der Siliconemulsion BS 46 zu günstigeren Hydrophobierungskosten pro m2 Gipskartonplatten führt. Unter diesen Umständen ist glaubhaft, daß es nicht im Interesse der Beschwerdeführerin I lag, abhängig von einem einzigen Siliconlieferanten zu sein, sondern vielmehr, daß sie Interesse daran hatte, sich zusätzlich an andere Siliconlieferanten zu wenden, um sich darüber zu informieren, ob dem Handelsprodukt Baysilone-Öl MH 15 vergleichbar funktionierende Silicone verfügbar waren, d. h. Silicone, die wie dieses Handelsprodukt bei der Gipsplattenhydrophobierung direkt in den ein Tensid enthaltende Schaumgenerator eingeführt und emulgiert werden können. Wie die Beschwerdeführerin I selbst geltend gemacht hat, hätte sie dadurch bei den in Wettbewerb tretenden Siliconlieferanten Vorteile hinsichtlich des Siliconölpreises erhalten können und ferner wäre sie nicht abhängig von einem einzigen Siliconlieferanten gewesen. Die Kammer sieht keine Veranlassung diesen Argumenten nicht zu folgen, zumal im Schreiben (16c) vom 1. März 1984 schon darauf hingewiesen wird, daß derzeit noch einige andere Produzenten in der Lage seien, Hydrophobierungsmittel anzubieten, die auf der gleichen Basis wie das MH 15 von Bayer funktionieren und daß diese Hydrophobierungsmittel bei Rigips Austria laufend getestet werden, sowie, daß auf jeden Fall eine Kostenreduktion erreichbar sei. Nach Auffassung der Kammer deuten daher die Umständen des vorliegenden Falles darauf hin, daß seitens der Beschwerdeführerin I ein eigenes Interesse an der Geheimhaltung des zusammen durchgeführten Versuchs jedenfalls gegenüber anderen Polysiloxanlieferanten, d. h. gegenüber Konkurrenten der Beschwerdegegnerin, nicht bestanden hat.
2.2.4. Aus alledem folgt, daß vor dem Prioritätstag Beteiligte am besagten Versuch, die weder zur Geheimhaltung (ausdrücklich oder stillschweigend) verpflichtet waren noch ein eigenes Geheimhaltungsinteresse hatten, Kenntnis vom Verfahren gemäß Streitpatent erhalten haben, so daß dieses Verfahren weiterverbreitet werden konnte. Daher ist die Vorbenutzung des beanspruchten Verfahrens als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht anzusehen. Daraus folgt, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents nicht neu ist und daher die Bedingungen der Artikel 54 und 52 (1) EPÜ nicht erfüllt.
3. Da das Patent wegen mangelnder Neuheit widerrufen werden muß, erübrigt es sich auf die anderen Einwendungen der Beschwerdeführerinnen einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.