T 0369/91 (Reinigungsmittelzusammensetzung) of 15.5.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T036991.19920515
Datum der Entscheidung: 15 Mai 1992
Aktenzeichen: T 0369/91
Anmeldenummer: 82200602.9
IPC-Klasse: C11D 3/37
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Procter & Gamble
Name des Einsprechenden: Ciba-Geigy, Unilever, S.A. Camp
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Wird ein Patent aufgrund eines Hilfsantrags des Patentinhabers aufrechterhalten, so steht es jedem der durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwerten Beteiligten frei, Beschwerde gegen diese Entscheidung einzulegen (Art. 107 Satz 1 EPÜ).
2. Kraft Gesetzes (Art. 107 Satz 2 EPÜ) am Beschwerdeverfahren Beteiligte genießen nicht dieselben Verfahrensrechte wie Beteiligte, die eine zulässige Beschwerde eingelegt haben (im Anschluß an G 2/91, ABl. EPA 1992, 206).
3. Folglich kann ein Patentinhaber, der nur kraft Gesetzes Verfahrensbeteiligter ist, nicht einen Anspruch in seinem Antrag verfolgen, der breiter ist als der von der Einspruchsabteilung gewährte. Aus demselben Grund kann auch ein Einsprechender/Beschwerdegegner, der nur kraft Gesetzes Verfahrensbeteiligter ist, nicht den Widerruf des Patents in vollem Umfang beantragen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 107
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 122
Schlagwörter: Parallele Beschwerde
Verspätet eingereichte Beschwerdebegründung - Wiedereinsetzung abgelehnt
Zum Antragsrecht dessen, der eine parallele Beschwerde eingelegt hat, im Hinblick auf Artikel 107 EPÜ und G 2/91 (ABl. EPA 1992, 206)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0009/92
G 0004/93
J 0014/16
T 0742/89
T 0321/93
T 0752/93

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Entscheidung vom 11. März 1991 hielt die Einspruchsabteilung das Patent Nr. 0 066 915 entsprechend dem Hilfsantrag, den die Patentinhaberin am 25. Juni 1990 nach der mündlichen Verhandlung vom 23. April 1990 gestellt hatte, in geändertem Umfang aufrecht. Die Patentinhaberin (Procter & Gamble Co., Cincinnati, Ohio, USA und Procter & Gamble European Technical Center, Strombeek Bever (BE)) hatte ursprünglich auf die von Unilever PLC, London (GB) und Unilever N. V., Rotterdam (NL) (1), S. A. Camp, Barcelona (ES) (2) und Ciba Geigy AG, Basel (CH) (3) eingelegten Einsprüche hin die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung beantragt. Die Zurückweisung des ursprünglichen Hauptantrags der Patentinhaberin wurde mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründet.

II. Am 8. Mai 1991 legte Ciba Geigy (3) Beschwerde gegen diese Entscheidung ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. Juli 1991 ordnungsgemäß eingereicht.

III. Die beiden anderen Einsprechenden, Unilever PLC (1) und S. A. Camp (2), legten keine Beschwerde ein.

IV. Mit Beschwerdeschrift vom 20. Mai 1991 legte die Patentinhaberin eine parallele Beschwerde gegen die o. g. Entscheidung ein und beantragte erneut die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.

V. Mit Schreiben vom 31. Juli 1991, das am 2. August 1991, also einige Zeit nach Ablauf der nicht verlängerbaren Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung (22. Juli 1991), einging, reichte die Patentinhaberin ihre Beschwerdebegründung ein und beantragte gleichzeitig, daß entweder ihre Beschwerdeschrift vom 20. Mai 1991 als gültige Beschwerdebegründung angesehen werde oder daß sie gemäß Artikel 122 EPÜ in die versäumte Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt werde.

VI. In dem o. g. Schreiben waren die Gründe, auf die sich der Antrag auf Wiedereinsetzung stützte, ausführlich dargelegt. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde ebenfalls innerhalb der vorgeschriebenen Frist entrichtet, so daß die Erfordernisse des Artikels 122 (3) EPÜ erfüllt waren.

VII. Als Gründe für eine Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ wurde im wesentlichen vorgebracht, daß die nicht verlängerbare Frist von vier Monaten für die Einreichung der Beschwerdebegründung (Art. 108 EPÜ) deshalb nicht eingehalten worden sei, weil die Sache nicht in das vom zugelassenen Vertreter der Patentinhaberin betriebene computergestützte Fristenüberwachungssystem eingegeben und weil darüber hinaus das parallel zu dem computergesteuerten System weitergeführte manuelle Überwachungssystem falsch gehandhabt worden sei. Auf diese beiden Fehler gründet sich die indirekte Behauptung der Patentinhaberin (die die parallele Beschwerde eingelegt hatte), daß die Nichteinhaltung der betreffenden Frist auf ein einmaliges Versehen ihres zugelassenen Vertreters innerhalb eines ansonsten gut funktionierenden Überwachungssystems zurückzuführen sei und daß nach der ständigen Rechtsprechung der Kammern (J 2/86, ABl. EPA 1987, 362) alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt angewendet worden und damit das Grunderfordernis von Artikel 122 (1) EPÜ erfüllt sei.

VIII. In ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung erläuterte die Patentinhaberin die Umstände, die zu dem doppelten Fehler in dem computergestützten und in dem manuellen Überwachungssystem geführt hätten, und führte dabei aus, daß in der Kanzlei ihres zugelassenen Vertreters seit 1980 schrittweise die Bürokommunikation eingeführt worden sei und daß als letzter Arbeitsbereich die Einsprüche und hiervon wiederum zu allerletzt diejenigen Einspruchsfälle in das neue System eingegeben worden seien, die im Auftrag von Patentinhabern übernommen würden, deren Anmeldungen ursprünglich von einer anderen Kanzlei bearbeitet worden seien. In dem manuellen System, das bis Ende der 80er Jahre fast vollständig durch eine computergestützte Version ersetzt worden sei, habe man somit fast nur noch den Restbestand von Einsprüchen erfaßt, die für neue Mandanten bearbeitet worden seien, deren Patente man von einer anderen Kanzlei übernommen habe. Der zugelassene Vertreter der Patentinhaberin führte ferner folgendes aus: "Einspruchsfälle, in denen unser Mandant der Patentinhaber ist und bei denen wir die Bearbeitung der Anmeldung bis zur Erteilung übernommen haben, werden vom Computer als Fortsetzung des Bearbeitungsverfahrens behandelt, weshalb der gesamte Vorgang im Computer gespeichert ist. ... Einsprüche für Patentinhaber, deren Anmeldung nicht von uns bearbeitet worden ist, sind dagegen eher selten."

Die Patentinhaberin legte ferner dar, daß das computergestützte System täglich eine Fälligkeitsliste erstelle, während das manuelle jeweils nur einen einzigen Fälligkeitshinweis gebe, und zwar etwa drei Wochen vor Fälligkeit einer bestimmten "Handlung", die in einer Einspruchs- oder Beschwerdesache vorzunehmen sei.

Da - wie der zugelassene Vertreter der Patentinhaberin außerdem vorbrachte - die beiden Überwachungssysteme nebeneinander bestünden und da insbesondere das computergestützte System letztlich vorrangig benutzt werde, sei er an tägliche Erinnerungen gewöhnt und habe sich deshalb auch auf diese verlassen. Da jedoch die hier anhängige Beschwerde in dem manuellen System erfaßt gewesen sei, habe er bei Erhalt einer Erinnerung an die Fälligkeit für die Einreichung der Beschwerdebegründung (22. Juli 1991) fälschlicherweise angenommen, daß auch diese Erinnerung aus dem computergestützten

System komme und deshalb vertrauensvoll auf weitere tägliche Erinnerungen gewartet. Infolgedessen habe er den Fälligkeitstag verstreichen lassen.

IX. Die Patentinhaberin fügte dieser Erklärung abschließend hinzu, daß ihr zugelassener Vertreter bei einer Routineüberprüfung seiner Akten am 29. Juli 1991 das Versäumnis im Verfahrensablauf festgestellt und sofort Abhilfemaßnahmen ergriffen habe, die zur Einreichung ihres Wiedereinsetzungsantrags und der gleichzeitigen Beschwerdebegründung am 2. August 1991 geführt hätten.

Entscheidungsgründe

1. Der Wiedereinsetzungsantrag erfüllt alle einschlägigen Erfordernisse des Artikels 122 EPÜ und ist somit zulässig.

2. Die Patentinhaberin beantragt in erster Linie, daß ihre Beschwerdeschrift vom 20. Mai 1991 - die, da die Beschwerdeführerin 3 ihre Beschwerde früher eingereicht hat, als Einlegung einer parallelen Beschwerde einzustufen ist - wie eine gültige Beschwerdebegründung behandelt werden solle, da sie alle einschlägigen Erfordernisse des Artikels 108 und der Regeln 55 c) und 66 (1) EPÜ erfülle. Auch wenn die Beschwerdeschrift eine kurze Bezugnahme auf Nummer "V" der Entscheidung der Einspruchsabteilung, in der die Auffassung vertreten wurde, daß der Hauptantrag nicht erfinderisch sei, sowie auf deren Nummer "IX" enthält, erfüllen diese Bezugnahmen nach Auffassung der Kammer nicht die zwingenden Erfordernisse der Regeln 55 c) und 66 (1) EPÜ, wonach eine gültige Beschwerdebegründung nicht nur die Gründe, auf die die Beschwerde gestützt wird, sondern auch die Angabe der vom Beschwerdeführer zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten muß. Das Wort "Angabe" in Regel 55 c) EPÜ bedeutet nicht, daß es mit einem bloßen Hinweis oder einer Anspielung auf diese Tatsachen und Beweismittel getan ist: Es muß vielmehr, wie in der Entscheidung T 326/87 "Polyamidgemische/DU PONT", ABl. EPA 1992, 522, Nr. I der Leitsätze sowie Nr. 2.1.1 der Entscheidungsgründe dargelegt wird, für den Patentinhaber klar hervorgehen, welchem Sachvortrag er entgegentreten muß. Dieses Erfordernis gilt aufgrund der Regel 66 (1) EPÜ auch für Beschwerden. Dementsprechend wird der o. g. Antrag der Patentinhaberin zurückgewiesen.

3. Was den zweiten Antrag der Patentinhaberin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung (d. h. der Begründung der parallelen Beschwerde) anbelangt, so steht außer Zweifel, daß ihr zugelassener Vertreter nach Wegfall des Hindernisses am 29. Juli 1991, als ihm der betreffende Verfahrensfehler erstmals bewußt wurde, sofort wirksam tätig geworden ist. Die Kammer hat auch großes Verständnis für das Argument, daß das Nebeneinanderbestehen des computergestützten und des manuellen Systems, wovon das erste tägliche Erinnerungen, das zweite hingegen nur einen einzigen Hinweis erstellt, naturgemäß dazu angetan war, die Vertreter, die sich auf das Überwachungssystem als Ganzes verließen, zu verwirren. Die Kammer ist bereit, dies gelten zu lassen, und stellt dementsprechend fest, daß ein einmaliges (und vertretbares) Versehen des für die Bearbeitung dieser Beschwerde zuständigen Vertreters vorlag.

Wie von der Patentinhaberin vorgebracht, fand in den 80er Jahren schrittweise die Umstellung von einem manuellen auf ein computergestütztes System statt. Obwohl solche Umstellungen unangenehm und zeitraubend sind, kann man erwarten, daß das Überwachungssystem als Ganzes weiterhin dafür sorgt, daß Erinnerungen an alle fälligen Verfahrenshandlungen für alle Kategorien von Mandanten rechtzeitig erstellt und den Vertretern zugeleitet werden. Daraus folgt, daß ein aus verschiedenen Komponenten bestehendes Überwachungssystem in der Regel dann nicht als zuverlässig gelten kann, wenn es diese Erinnerungen nicht für alle Kategorien von Mandanten, also sowohl für Mandanten, deren Fälle von der Anmeldung an bearbeitet worden sind, als auch für solche, deren Fälle erst nach Einlegung eines Einspruchs übernommen wurden, gleichermaßen rechtzeitig erstellt. Das rechtliche Erfordernis "aller gebotenen Sorgfalt" nach Artikel 122 (1) EPÜ ist ausdrücklich an die Umstände geknüpft, unter denen diese Sorgfalt aufgewendet werden muß; vgl. auch die Bezugnahme auf "Umstände" im ersten Satz des Artikels. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den einschlägigen Umständen eindeutig um die Umstellung von einem manuellen auf ein computergestütztes Fristenüberwachungssystem, während unter "gebotener Sorgfalt" zu verstehen ist, daß während der Umstellungszeit sichergestellt sein muß, daß die für die Bearbeitung aller Kategorien von Fällen zuständigen Vertreter darauf hingewiesen werden, welches System - das manuelle oder das computergestützte - die betreffende Erinnerung erstellt hat. Nur so können sie zuverlässig wissen, ob und wann sie mit einer weiteren Erinnerung rechnen können.

4. Nach Auffassung der Kammer war zum betreffenden Zeitpunkt keineswegs ein in der Regel gut funktionierendes Überwachungssystem gegeben, bei dem nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. o. g. Fälle) ein einmaliges Versehen hätte entschuldigt werden können. Dementsprechend wird der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung zurückgewiesen, was zur Folge hat, daß die parallele Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig anzusehen ist (Art. 108 und R. 65 EPÜ).

5. Wie aus dem Sachverhalt und den Anträgen hervorgeht, erweist sich das Schreiben der Patentinhaberin vom 20. Mai 1991 als Einlegung einer parallelen Beschwerde angesichts der Tatsache, daß die Einsprechende 3 schon zuvor eine rechtswirksame Beschwerdeschrift eingereicht hatte. Die beiden anderen Einsprechenden haben keine Beschwerde eingelegt und sind deshalb aufgrund von Artikel 107 Satz 2 EPÜ Verfahrensbeteiligte kraft Gesetzes. Aus demselben Grund wird die Patentinhaberin nun, da die Kammer die Unzulässigkeit ihrer parallelen Beschwerde festgestellt hat, ebenfalls Verfahrensbeteiligte kraft Gesetzes.

6.1 Um in solchen Fällen künftig eine zügige und straffe Verfahrensführung zu gewährleisten, erläutert die Kammer nachstehend im Interesse aller Beteiligten die unterschiedliche Rechtsstellung, die ein aufgrund von Artikel 107 EPÜ automatisch am Verfahren Beteiligter im Vergleich zu einem willentlich Beschwerde oder parallele Beschwerde Einlegenden bzw. einem Beschwerdegegner innehat. Daß zwischen den Rechten dieser beiden grundlegenden Kategorien von Verfahrensbeteiligten ein deutlicher Unterschied besteht, geht aus einer kürzlich von der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 2/91 getroffenen Entscheidung (ABl. EPA 1992, 206) hervor. Die Große Beschwerdekammer hat in jenem Fall die Auffassung vertreten, daß ein Beschwerdeberechtigter, der keine Beschwerde einlege, sondern sich lediglich auf Artikel 107 Satz 2 EPÜ verlasse, um seine automatische Beteiligung am Beschwerdeverfahren zu sichern, kein selbständiges Recht zur Fortsetzung dieses Verfahrens habe, wenn der "eigentliche" Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückziehe. Angesichts dieses Unterschieds zwischen den Rechten eines "uneingeschränkten" oder "eigentlichen" Beschwerdeführers einerseits und denjenigen eines Verfahrensbeteiligten nach Artikel 107 EPÜ andererseits wurde die Einlegung einer Beschwerde keineswegs als sinnlose oder gegenstandslose Handlung erachtet. Daraus folgte, daß der zweite und alle nachfolgenden Beschwerdeführer in dem der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fall keinen stichhaltigen Grund hatten, die Rückzahlung ihrer Beschwerdegebühr zu beantragen, da die in der Regel 67 EPÜ genannten Voraussetzungen nicht erfüllt waren (vgl. Nr. 8 der Entscheidungsgründe).

Unter Nr. 6.1 der Entscheidungsgründe untersuchte die Große Beschwerdekammer die Bedeutung des Artikels 107 EPÜ (Satz 2) und kam zu der Auffassung, daß dieser den Beteiligten (die nicht selbst Beschwerde eingelegt haben) keine vom Fortbestehen der Beschwerde unabhängige Rechtsstellung verleihe, sondern lediglich garantiere, daß sie an einem anhängigen Beschwerdeverfahren beteiligt seien. Ein Beschwerdeberechtigter, der keine Beschwerde einlege, sondern sich auf eine Beteiligung am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107 Satz 2 EPÜ beschränke, riskiere daher, daß der Beschwerdeführer möglicherweise das Beschwerdeverfahren nicht mehr fortführe. Diese Beschränkung des Rechts eines solchen Beteiligten, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen, sei - wie die Große Beschwerdekammer ausdrücklich feststellte - unabhängig vom Recht der Beschwerdekammern zur Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens von Amts wegen, nachdem der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückgenommen hat (S. G 0007/91, ABl. EPA 1993, 356 und G 0008/91, ABl. EPA 1993,346),(vgl. R. 60 (2) EPÜ).

6.2 Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, daß "kraft Gesetzes" am Verfahren Beteiligte nicht dieselben Rechte zur Fortsetzung der Beschwerde genießen wie "uneingeschränkte" oder "willentliche" Beschwerdeführer, leuchtet deshalb ohne weiteres ein. Die Kammer hält fest, daß die Große Beschwerdekammer zwar nicht ausdrücklich festgestellt hat, aber durchaus hätte feststellen können, daß diese Nichtberechtigung zur Weiterführung eines Beschwerdeverfahrens der einzige verfahrensrechtliche Unterschied zwischen den beiden grundlegenden Kategorien von Beschwerdebeteiligten ist. Die Kammer stellt ferner fest, daß sich die Große Beschwerdekammer in diesem Punkt nicht nur einer Stellungnahme enthalten hat, sondern ausdrücklich (ohne hierüber jedoch zu entscheiden) die Möglichkeit einräumte, daß es noch einen weiteren Fall geben könne, in dem dieser verfahrensrechtliche Unterschied bestehe, nämlich hinsichtlich des Rechts eines gemäß Artikel 107 am Verfahren Beteiligten, unbegrenzt, d. h. im selben Umfang wie ein "willentlicher" Verfahrensbeteiligter, Anträge zu stellen (Nr. 6.2 Satz 1 der Entscheidungsgründe).

6.3 Bestünde zwischen den beiden Kategorien von Verfahrensbeteiligten keinerlei Unterschied hinsichtlich des Rechts der Antragstellung, dann wäre in dem Fall, daß die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang beschließt und der Einsprechende dagegen Beschwerde einlegt und den Widerruf des Patents beantragt, der Patentinhaber, der entweder bewußt keine parallele Beschwerde einlegt oder dessen Beschwerde für unzulässig erklärt wird und der dadurch Beteiligter am Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes wird, berechtigt, die Entscheidung anzufechten, indem er die Erteilung des Patents in unveränderter Form beantragt.

6.4 Desgleichen wäre in dem Fall, daß die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang beschließt und der Patentinhaber eine zulässige Beschwerde einlegt und die Aufrechterhaltung seines Patents in unveränderter Form beantragt, der Einsprechende jedoch von einer eigenen Beschwerde absieht oder seine Beschwerde für unzulässig erklärt wird, der Einsprechende im Beschwerdeverfahren berechtigt, den Widerruf des Patents in derselben Weise zu beantragen, wie ihm dies auch bei Einlegung einer zulässigen eigenen Beschwerde zustehen würde.

6.5 Wenn jedoch diese "automatischen" Verfahrensbeteiligten (seien sie nun Patentinhaber oder Einsprechende) nicht dasselbe Recht zur Antragstellung haben wie die "willentlichen" Verfahrensbeteiligten - was ja unter Nr. 6.2 der Entscheidungsgründe der Großen Beschwerdekammer eindeutig eingeräumt wird -, d. h. wenn dieses Recht auf die Streitfragen einer anhängigen Beschwerde beschränkt ist, dann wäre unter den unter Nr. 6.3 dargelegten Umständen ein Antrag des Patentinhabers auf Aufrechterhaltung seines Patents in unveränderter Form unzulässig. Dasselbe würde aus denselben Gründen für einen Antrag des Einsprechenden auf Widerruf des Patents unter den unter Nr. 6.4 dargelegten Umständen gelten.

Einer solchen Beschränkung des Antragsrechts liegt, wie oben ausgeführt, die Annahme zugrunde, daß das Recht eines "automatisch" am Verfahren Beteiligten, Anträge zu stellen, auf die Streitfragen der anhängigen Beschwerde beschränkt ist und daß die von der Großen Beschwerdekammer unter Nr. 6.2 ihrer Entscheidungsgründe genannten "gewissen Grenzen" durch diese Streitfragen gesetzt werden.

6.6 Da nach dem EPÜ die Verfahren vor den Beschwerdekammern den Charakter gerichtlicher Verfahren haben, in denen zu entscheiden ist, ob eine erstinstanzliche Entscheidung sachlich richtig ist (s. T 52/88, unveröffentlicht; T 26/88, ABl. EPA 1991, 30; T 611/90 und T 270/90, beide zur Veröffentlichung bestimmt), hat die Beschwerdekammer über die Hauptstreitfrage zu befinden, nämlich ob die erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten oder aufgehoben werden sollte. Geht man davon aus, daß das Recht eines "automatisch" am Verfahren Beteiligten, Anträge zu stellen, auf bestimmte Unterfragen zu beschränken ist, die sich logischerweise im Rahmen der o. g. Hauptstreitfrage stellen, so muß ein Patentinhaber, der "automatisch" Verfahrensbeteiligter ist, für den Fall, daß das Patent von der ersten Instanz in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, seine Anträge auf die Hauptstreitfrage des Beschwerdeverfahrens beschränken, nämlich darauf, ob das Patent infolge der Stattgabe der Beschwerde (und damit der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung) widerrufen werden soll oder ob die erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten und folglich die Beschwerde zurückgewiesen und das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten werden soll. Desgleichen ist ein Einsprechender, der in einem vom Patentinhaber gegen eine erstinstanzliche Entscheidung angestrengten Beschwerdeverfahren "automatisch" Beteiligter ist, in seinen Anträgen auf die unmittelbaren Folgen einer Aufrechterhaltung oder Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt: Im Falle einer Aufhebung (d. h. wenn die Beschwerde des Patentinhabers erfolgreich ist) wird das Patent in der erteilten Fassung aufrechterhalten, während es bei einer Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung (d. h. wenn die Beschwerde des Patentinhabers zurückgewiesen wird) in geändertem Umfang aufrechterhalten wird.

6.7 Obwohl aus den unter Nr. 6.2 der o. g. Entscheidung der Großen Beschwerdekammer genannten Gründen die Frage offengelassen wurde, ob (und damit auch inwieweit) das Recht eines Verfahrensbeteiligten, Anträge zu stellen, eingeschränkt werden kann, vertritt die Kammer ausdrücklich die Auffassung, daß diesem Recht des Verfahrensbeteiligten tatsächlich Grenzen gesetzt sind und daß das Ausmaß dieser Einschränkungen sich nach der in der Beschwerde zu klärenden Hauptstreitfrage in der oben dargelegten Weise richtet.

6.8 Im Hinblick auf die Feststellung der Kammer, daß der Wiedereinsetzungsantrag und damit auch die parallele Beschwerde unzulässig ist, beschränkt sich das der Patentinhaberin durch Artikel 107 EPÜ eingeräumte Recht zur Antragstellung auf die Streitfragen der von der Einsprechenden 3 gültig eingelegten Beschwerde, nämlich darauf, ob das Patent widerrufen oder in geändertem Umfang aufrechterhalten werden soll.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Wiedereinsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die parallele Beschwerde der Patentinhaberin ist unzulässig.

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