European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1993:T079690.19930913 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 September 1993 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0796/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 84810626.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01B 3/30 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Isolierte, elektrische Leitung | ||||||||
Name des Anmelders: | HUBER & SUHNER AG, KAUTSCHUK-, KUNSTSTOFF-WERKE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens Aktiengesellschaft, Berlin und München | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (verneint) beanspruchte Lehre durch Entgegenhaltung zugänglich Novelty (no) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 151 904, erteilt am 26. Oktober 1988 auf die am 17. Dezember 1984 mit der schweizerischen Priorität vom 8. Februar 1984 eingereichte Patentanmeldung Nr. 84 810 626.6.
Anspruch 1 lautet, wie folgt:
"Isolierte, elektrische Leitung mit flammwidriger, halogenfreier Isolation, dadurch gekennzeichnet, dass sie eine innere Isolationsschicht aus halogenfreiem, vernetztem Polyolefin-Copolymer und eine äussere Schutzschicht aus Polyamid 6.6 oder Polyamid 12, einem thermoplastischen, halogenfreien Polyesterelastomer oder einem halogenfreien aromatischen Polyäther aufweist."
II. Gegen das Patent hat die Beschwerdeführerin am 26. Juni 1989 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, gestützt auf 13 Entgegenhaltungen, darunter
D11 "Kunststoffe", 1980, Heft 10, Seiten 629 - 636, und
D13 "Drahtwelt", 1978, Heft 3, Seiten 81 - 83,
später ergänzt durch die zugelassene Entgegenhaltung
D14 GB-A-1 583 956,
Einspruch erhoben.
III. Mit der am 8. August 1990 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück.
In der angefochtenen Entscheidung wurde, ausgehend von D14 als nächstem Stand der Technik, ein Naheliegen des Ersatzes von Polyamid 6 in der äußeren Schutzschicht durch eines der im Kennzeichen des Anspruchs 1 genannten Materialien verneint. Insbesondere sei D11 eine verbesserte Flammwidrigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber flüssigen Medien von Polyamid 6.6 und Polyamid 12 ebensowenig zu entnehmen wie deren mögliche Verwendung für die äußere Schutzschicht einer Kabelisolierung.
IV. Gegen die genannte Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 4. Oktober 1990 unter gleichzeitiger Erteilung des Auftrags zur Abbuchung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt, diese begründet und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, daß wegen der in D11 angeführten Eigenschaften von Polyamid 6.6 (höherer Schmelzpunkt) und Polyamid 12 (geringe Wasseraufnahme) sowie der dort ebenfalls erwähnten Eignung von Polyamiden für Kabelummantelungen die Verwendung dieser Materialien für die äußere Schutzschicht der in D14 beschriebenen Leitungsisolierungen naheliegend gewesen sei.
V. In ihrem am 16. Februar 1991 eingegangenen Schriftsatz beantragte die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise mündliche Verhandlung nach Erlaß eines Zwischenbescheides.
Sie begründete ihren Antrag im wesentlichen damit, daß eine wichtige Aufgabe des Streitpatentes in der Auffindung solcher Materialien für die äußere Schutzschicht bestanden habe, die nicht nur flammwidrig und gegen flüssige Medien widerstandsfähig, sondern auch mit dem Material der inneren Isolationsschicht kompatibel seien. Zur Lösung dieser Aufgabe habe D14 keinen Hinweis geben können, weil sie eine Zwischenschicht verwende. Diese Zwischenschicht sei in D14 zur Erzielung der gewünschten Flammwidrigkeit notwendig, die mit dem für die äußere Schutzschicht verwendeten Material Grilon 6 (Polyamid 6) allein nicht erreichbar sei, welches im übrigen auch eine unerwünscht hohe Feuchtigkeitsaufnahme aufweise.
VI. Nach der im Schriftsatz vom 2. Juni 1993 geäußerten Ansicht der Beschwerdeführerin hätte hingegen der Aspekt der Kompatibilität bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu bleiben, da Anspruch 1 des Streitpatentes nicht auf eine direkt über der inneren Isolationsschicht liegende äußere Schutzschicht beschränkt sei.
VII. In Vorbereitung einer von beiden Parteien beantragten mündlichen Verhandlung äußerte der Berichterstatter der Kammer in einem Bescheid vom 17. Mai 1993 Bedenken hinsichtlich der Neuheit (Artikel 54 (3) EPÜ) gegenüber
D15 EP-A-103 487
sowie hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Streitpatentes im Hinblick auf D14 in Verbindung mit u. a. D11 oder D13.
VIII. In Schriftsätzen vom 10. Mai 1993 und 10. Juni 1993 beantragte die Beschwerdegegnerin eine Entscheidung nach Aktenlage; auf telefonische Rückfrage der Geschäftsstelle erklärte sie sich damit einverstanden, daß dies als Rücknahme ihres Antrags auf mündliche Verhandlung ausgelegt werde. Mit Schriftsatz vom 13. August 1993 nahm die Beschwerdegegnerin zum Bescheid der Kammer Stellung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit
2.1. Der Einspruch der jetzigen Beschwerdeführerin erfolgte aufgrund von Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ. Da fehlende Neuheit ebenfalls unter den Einspruchsgrund des Artikels 100 a) fällt, ist die Kammer ungeachtet der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 10/91 vom 31. März 1993 (wird veröffentlicht) gemäß Artikel 114 (1) EPÜ zur Entscheidung darüber berechtigt.
2.2. Die von der Kammer genannte Entgegenhaltung D15 ist für die Vertragsstaaaten DE, FR, IT und SE Stand der Technik nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ.
2.3. In D15 werden elektrische Kabel beschrieben, die eine innere Isolationsschicht aus einem vernetzten Olefinpolymer und eine äußere Schicht eines im wesentlichen linearen aromatischen Polymeren aufweisen; siehe Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 2, Absatz 2 und mit Seite 4, letzter Absatz, wonach das "Olefinpolymer" ein (Co)polymer aus unsubstutuierten Olefin-Monomeren sein kann, wenngleich fluorhaltige Monomere bevorzugt sind. Die aromatischen Polymeren sind, beginnend auf Seite 7, zwar breit definiert, doch sind die gemäß Anspruch 1 des Streitpatents als eine Alternative vorgesehenen Polyäther ausdrücklich erwähnt (siehe z. B. Seite 7, Zeilen 8 bis 10; Seite 8, Zeilen 1 ff.) und sogar als bevorzugt erkennbar (siehe Seite 10, Zeilen 4 ff.); so ist das Handelsprodukt PEEK sowohl in den Beispielen 3 bis 5, 8 und 9 von D15, als auch in Beispiel 4 des Streitpatents genannt. Der Fachmann kann D15 somit - in Abwesenheit eines in eine andere Richtung deutenden Hinweises - die Lehre "Innenisolation aus halogenfreiem, vernetztem Polyolefin-Copolymer plus Außenschicht aus thermoplastischem, halogenfreiem aromatischem Polyäther" entnehmen (vgl. T 666/89, "Washing compositions/ UNILEVER", insbesondere Gründe, Punkt 7; Abl. EPA 1993, 495).
2.4. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 3 des Streitpatents ist somit neuheitsschädlich getroffen. Ein Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents in eingeschränktem Umfang oder nur für den in D15 nicht benannten Vetragsstaat GB liegt nicht vor; das Patent ist daher als Ganzes zu widerrufen.
3. Auch wenn die Beschwerdegegnerin die Neuheit durch entsprechende Beschränkung hergestellt hätte, hätte das Patent im übrigen wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem in D14, Beispiel 1, offenbarten nächsten Stand der Technik widerrufen werden müssen. Darin wird ein Kabel mit einer inneren Isolationsschicht ("bedding layer") aus vernetztem EPDM und einer Außenhülle aus Polyamid 6 ("standard nylon Grilon type 6") beschrieben, wovon sich der Patentgegenstand durch die Wahl eines anderen Kunststoffes für die Außenhülle unterscheidet. Da keine Belege verfügbar sind, aufgrund derer eine durch den Materialaustausch bewirkte Eigenschaftsverbesserung bewiesen würde, könnte als objektive Aufgabe des Streitpatents nur die Bereitstellung eines zu Polyamid 6 alternativen halogenfreien Materials für die äußere Schutzschicht anerkannt werden.
Solche alternative Materialien, deren Eignung für Kabelummantelungen schon bekannt war, sind sowohl das in D11, Seite 632, rechte Spalte, Zeilen 37 - 45 beschriebene Polyamid 12 (das auch mineralölbeständig ist und eine geringe Wasseraufnahme aufweist: D11, Seite 632, linke Spalte, vorletzter und viertletzter Absatz), als auch das in D13, Seite 82, Tafel 1 und 3. Absatz sowie Seite 83, letzter Absatz des Artikels, beschriebene thermoplastische Esterelastomer Hytrel(R).
Somit wäre es für den Fachmann naheliegend gewesen, die vorliegende Aufgabe durch Verwendung von Polyamid 12 oder Hytrel(R) anstelle von Polyamid 6 zu lösen, und das Streitpatent wäre daher auch wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen gewesen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.