European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1992:T053090.19920423 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 April 1992 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0530/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81110792.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | B26D 7/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung zum Schneiden von Papier, Pappe oder dgl | ||||||||
Name des Anmelders: | Mohr, Rolf, et al | ||||||||
Name des Einsprechenden: | 1) VEB Kombinat Polygraph "Werner Lamberz" 2) H. Wehlenberg KG GmbH & Co. |
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Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Offenbarung der Erfindung; Lösungsprinzip Erfinderische Tätigkeit (bejaht) Disclosure of the invention Inventive step (yes) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Nach Einsprüchen der Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende 2) und der Beschwerdegegnerin (Einsprechende 1) gegen das europäische Patent Nr. 0 056 874 beschloß die Einspruchsabteilung im Hinblick auf die Lehre der Entgegenhaltungen
(1) "Die Schneidemaschine für Papier und andere blättrige Stoffe", Seiten 32 bis 43, und
(2) FR-A-1 150 136,
das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten.
II. Die Beschwerdeführerin 1 und die Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) haben beide gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt und die entsprechenden Gebühren fristgerecht entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde von der Beschwerdeführerin 2 am 24. September 1990 und von der Beschwerdeführerin 1 am 28. September 1990 eingereicht.
III. Am 23. April 1992 fand in Anwesenheit der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerin war, obschon ordnungsgemäß geladen, nicht erschienen.
In der mündlichen Verhandlung änderte die Beschwerdeführerin 2 ihren Hauptantrag, so daß er nunmehr 18 Ansprüche, darunter die nachstehend wiedergegebenen unabhängigen Ansprüche 1, 3 und 4, umfaßt:
"1. Vorrichtung zum Schneiden von Papier, Pappe oder dergleichen, bei der das zu schneidende Gut (3) auf einem Tisch (1, 2) von einer Vorschubeinheit (38) um ein gewolltes Maß vorgeschoben wird und bei dem Randschnitte sowie im Anschluß an einen oder mehrere Hauptschneidevorgänge ein Zwischenschnitt vorgesehen sind, wobei der Tisch aus einem Vordertisch (1), der das geschnittene Gut (20) aufnimmt, sowie einem Hintertisch (2), der das zu schneidende Gut (3) aufnimmt, besteht und Vordertisch (1) und Hintertisch (2) zur Bildung eines Spaltes (10) zwischen diesen auseinanderschiebbar sind, dadurch gekennzeichnet,
(a) daß ein Lineal (9) bei geschlossenem Spalt (10) unter dem Vordertisch (1) im Bereich der Trennfläche von Vorder- (1) und Hintertisch (2) angeordnet ist,
(b) das beim Öffnen des Spaltes (10) aus der Ruhestellung bei geschlossenem Spalt (10) in eine Arbeitsstellung verfahrbar ist,
(c) bei der es über die ganze Länge der Trennfläche an der Hinterkante (11) des Vordertisches (1) anliegt und senkrecht zu dessen Papierauflage (12) steht,
(d) wobei beim Verfahren des Lineals (9) in die Arbeitsstellung der hintere Rand des zuletzt geschnittenen Schneidgutstapels vom Lineal (9) in Vorschubrichtung verschoben wird."
Die Bezeichnungen (a) bis (d) für die einzelnen Merkmale wurden von der Kammer zur Verdeutlichung hinzugefügt.
3. Oberbegriff des Anspruchs 1, an den sich der kennzeichnende Teil wie folgt anschließt:
"daß der Vordertisch (1) als Grundgestell (30) mit einer Auflage (31) ausgebildet ist, die der Aufnahme eines Bogens (44) für das geschnittene Gut dient, wobei das dem Hintertisch (2) zugewandte Ende der Oberfläche (36) der Auflage (31) des Vordertisches (1) gegenüber der Oberfläche des Hintertisches (2) absenkbar ist, derart, daß bei abgesenkter Auflage (31) die Oberflächen vom Bogen (44) und Hintertisch (2) eine Ebene bilden."
4. Oberbegriff des Anspruchs 1, an den sich der kennzeichnende Teil wie folgt anschließt:
"daß der Vordertisch (1) als Grundgestell (30) mit einer Auflage (31) ausgebildet ist, und das dem Hintertisch zugewandte Ende der Oberfläche (36) der Auflage (31) des Vordertisches (1) gegenüber der Oberfläche (6) des Hintertisches (2) anhebbar ist."
IV. In der mündlichen Verhandlung und dem dieser vorausgegangenen Schriftwechsel machte die Beschwerdeführerin 1 folgendes geltend:
i) Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei weder deutlich noch ausführbar, da er die konkreten Mittel nicht angebe, die eine präzise Führung des Lineals in Verbindung mit der Bewegung des Vordertisches ermöglichten. Im übrigen enthalte die Beschreibung des Patents diesbezüglich keine näheren Angaben.
ii) Das letzte Merkmal (d) des Anspruchs 1 sei funktioneller Art und nicht durch die Beschreibung gestützt. Es stelle somit eine unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs dar.
iii) Die technische Aufgabe sei gegenüber der ursprünglichen in unzulässiger Weise umgestellt worden, um die Aufnahme des letzten Merkmals (d) in den Anspruch 1 zu rechtfertigen.
iv) Die Vorrichtung könne nicht funktionieren, da das letzte Merkmal (d) keine Gewähr dafür biete, daß beim Aufwärtsfahren des Lineals ein Einklemmen des über den hinteren Rand des Vordertisches hinausragenden hinteren Rands des zuletzt geschnittenen Schneidgutstapels verhindert werde.
v) Der Anspruch 1 sei im Hinblick auf die Lehre der Entgegenhaltungen (1) und (2) und den allgemeinen Wissensstand des Fachmanns nicht erfinderisch.
vi) Hinsichtlich der unabhängigen Ansprüche 3 und 4 schließe sich die Beschwerdeführerin 1 der Feststellung der Einspruchsabteilung an, daß es sich bei den beanspruchten Merkmalen lediglich um für den Fachmann naheliegende konstruktive Maßnahmen handle.
V. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung un den Widerruf des europäischen Patents in vollem Umfang.
Die Beschwerdeführerin 2 beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent mit den folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 18 und Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
- Zeichnungen wie erteilt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Formale Aspekte
2.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 stellt eine Kombination aus den Ansprüchen 1 und 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung dar, die durch das letzte Merkmal (d) ergänzt wird. Dieses Merkmal wird durch die ursprüngliche Beschreibung, Seite 6, Zeilen 7 bis 12, und Seite 15, Zeilen 5 bis 11, ausreichend gestützt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus; er entspricht also Artikel 123 (2) EPÜ.
Der nunmehr geltende Anspruch 1 enthält den durch das oben genannte Merkmal (d) ergänzten Inhalt des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung mit einer neuen Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik. Die Präzisierung des Anspruchs 1 stellt daher eine Einschränkung des Schutzumfangs dar und verstößt daher nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ. Der Einwand IV ii) der Einsprechenden 1 ist somit unbegründet.
2.2. Der unabhängige Anspruch 3 besteht aus einer Kombination aus Merkmalen, die den Ansprüchen 14 und 15 der ursprünglichen Anmeldung entnommen und durch Angaben aus der Beschreibung, Seite 19, Zeilen 7 bis 23, und Seite 20, Zeilen 15 bis 19, ergänzt wurden.
Der Oberbegriff des unabhängigen Anspruchs 4 wurde aus dem oben genannten Anspruch 3 übernommen. Sein kennzeichnender Teil besteht aus dem Anspruch 15 der ursprünglichen Anmeldung. Die Ansprüche 3 und 4 entsprechen somit ebenfalls den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
Im Unterschied zum erteilten Patent sind die Ansprüche 3 und 4 dem Anspruch 2 in der erteilten Fassung entnommen und durch die oben genannten Merkmale ergänzt und dadurch auch beschränkt worden. Auch sie erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ.
2.3. Die Beschwerdeführerin 1 hat behauptet (oben Abschnitt IV i)), daß die Erfindung nicht ausführbar sei (Art. 83), da die Patentbeschreibung keine ausreichenden Angaben über die Mittel enthalte, die zur Ausführung der in Anspruch 1 genannten Funktionen erforderlich seien.
Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Zwar enthält die Beschreibung keine konkreten Angaben über die Realisierung des Mechanismus, der die Verschwenkung des Lineals automatisch an die Bewegung des Vordertisches koppelt (vgl. erteilte Fassung des Streitpatents, Spalte 6, Zeilen 12 bis 15). Die Kammer ist jedoch der Ansicht, daß die Mittel zur Kraftübertragung und Umsetzung der Bewegungen im Hinblick auf die Erzielung eines geeigneten Bewegungsablaufs dem Fachmann durchaus geläufig sind und es ihm keinerlei Schwierigkeit bereiten würde, geeignete mechanische, hydraulische oder pneumatische Mittel auszuwählen und auszuführen (erteilte Fassung des Streitpatents, Spalte 10, Zeilen 4 bis 7). Diese gehören vielmehr zum allgemeinen Wissensstand.
Im vorliegenden Fall sieht die Kammer keinerlei Grund zur Beschränkung des beanspruchten Schutzes auf eine bestimmte Ausführungsart, da das Lösungsprinzip neu ist - wie sich im folgenden bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit (unter Abschnitt 6.2) noch zeigen wird. Demnach kann eine durch funktionelle Merkmale ausgedrückte allgemeine Lösung im Hauptanspruch zugelassen werden. Ist nämlich die Funktion eines Mittels neu, so ist sie als solche schutzwürdig; es genügt in diesem Fall, wenn das Mittel durch seine Funktion und nicht - wie sonst zwingend vorgeschrieben - durch seine Form oder Struktur beschrieben wird.
3. Nächstliegender Stand der Technik
Die Entgegenhaltung (1) stellt zweifellos den nächstliegenden Stand der Technik dar, da sie eine Schneidevorrichtung beschreibt, die die meisten der im Oberbegriff des Anspruchs 1 aufgeführten strukturellen Merkmale aufweist, insbesondere eine Vorrichtung zum Schneiden von Papier, bei der das zu schneidende Gut auf einem Tisch von einer Vorschubeinheit um ein gewolltes Maß vorgeschoben wird, wobei der Tisch aus einem Vordertisch, der das geschnittene Gut aufnimmt, sowie einem Hintertisch, der das zu schneidende Gut aufnimmt, besteht und Vordertisch und Hintertisch zur Bildung eines Spaltes zwischen diesen auseinanderschiebbar sind.
In dieser Entgegenhaltung, Seite 41, Absatz e), heißt es nämlich wie folgt: "Der Hintertisch (Vordertisch im Streitpatent) kann durch leichten Druck mit dem Fuß oder Oberschenkel maschinell zurückgefahren werden, so daß ein breiter Spalt für den Späneabfall während des Messerniederganges entsteht."
Die Entgegenhaltung (1) beschreibt also ein maschinelles System zur Beseitigung des Späneabfalls, schlägt aber keine Lösung vor, wie der geschnittene Papierstapel automatisch auf den Vordertisch vorgeschoben oder ausgerichtet werden kann. Es ist also davon auszugehen, daß diese Vorgänge manuell erfolgen.
4. Technische Aufgabe und ihre Lösung
4.1. Der Anspruch 1 unterscheidet sich von der nächstliegenden Entgegenhaltung (1) im wesentlichen durch die Lösungsmerkmale (a) bis (d).
Diese Merkmale geben die vom Lineal während der Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des Vordertisches zu vollführende Schwenkbewegung wieder. Bei einem Zwischenschnitt (Abb. 2) werden zum Beispiel Vorder-und Hintertisch auseinandergeschoben, das Lineal hebt sich in die senkrechte Arbeitsstellung, und die Schneidabfälle fallen in den Spalt zwischen Vorder- und Hintertisch. Für den nachfolgenden Hauptschnitt schiebt sich der Vordertisch wieder an den Hintertisch heran, der Spalt schließt sich, und das Lineal schwenkt in die horizontale Ruhestellung unter dem Vordertisch. Nun wird ein Papierstapel vorgeschoben und auf das gewünschte Maß zugeschnitten. Vordertisch und Hintertisch schieben sich wieder auseinander. Während dieses Vorgangs fährt das Lineal erneut langsam in die senkrechte Arbeitsstellung (s. Abb. 2), richtet dabei den über den hinteren Rand des Vordertisches hinausragenden hinteren Rand des geschnittenen Stapels gerade und schiebt den Stapel vollautomatisch auf den Vordertisch.
4.2. Die oben genannte Lösung entspricht der in der geänderten Fassung des Streitpatents, Spalte 2, formulierten objektiven technischen Aufgabe, die darin besteht, eine insbesondere zur Ausführung von aufeinanderfolgenden Zwischen- und Hauptschnitten geeignete Schneidevorrichtung bereitzustellen und dabei mit möglichst wenigen manuellen Arbeitsgängen einen regelmäßigen, kontinuierlichen Arbeitsablauf zu gewährleisten.
Dank des Zusammenspiels zwischen der Bewegung des Lineals und der Verschiebung des Vordertisches ermöglichen die Merkmale (a) bis (d) nach Anspruch 1 einen vollautomatischen Arbeitsablauf, zu dem insbesondere die Beseitigung der Schnittabfälle und der Vorschub des geschnittenen Stapels auf den Vordertisch gehören (vgl. Abb. 3).
4.3. Zum Einwand der Beschwerdeführerin 1 hinsichtlich der geänderten technischen Aufgabe (oben in Abschnitt IV iii) stellt die Kammer fest, daß eine Neuformulierung der technischen Aufgabe, mit der dem später ermittelten nächstliegenden Stand der Technik und dem nachträglich in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmal (d) Rechnung getragen werden soll, nicht gegen das Übereinkommen verstößt, sofern die so präzisierte Aufgabe und ihre Lösung vom Gesamtinhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung abgeleitet werden können, was hier der Fall ist (s. Entscheidung T 13/84, ABl. EPA 8/86, 253, Punkte 10 und 11).
5. Neuheit
Die Neuheit ist im vorliegenden Fall nicht bestritten worden. Da keines der in den verschiedenen Verfahren angezogenen Dokumente alle Merkmale der unabhängigen Ansprüche 1, 3 und 4 offenbart, sind diese Ansprüche neu.
6. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1
6.1. In der Entgegenhaltung (2) wird eine Schneidevorrichtung beschrieben, die wie diejenige gemäß Streitpatent ein System zur automatischen Beseitigung der Schnittabfälle aufweist. Zu diesem Zweck ist zwischen dem Vordertisch und dem Hintertisch eine Klappe 6 vorgesehen, die um die am hinteren Ende des Vordertisches angebrachte Achse 7 nach unten schwenkt. Das Öffnen der Klappe wird durch einen elektrisch betriebenen Riegel 8 gesteuert, der beim Betrieb des Schneidmessers 2 betätigt wird. Bei der Ausführungsart nach den Abbildungen 3 und 4 umfaßt die Klappe 6 eine Verlängerung 6b, die bei Öffnung der Klappe senkrecht gestellt wird. Wie beim Streitpatent dient die Verlängerung 6b der Klappe als Abschirmung gegen Schneideabfälle, die auf den Vordertisch geschleudert werden könnten. Die Entgegenhaltung (2) offenbart also die Merkmale (b) und (c) des geltenden Anspruchs 1, die die Standpositionen des Lineals nach Vollführung seiner Bewegung, nämlich die horizontale Ruhestellung und die vertikale Arbeitsstellung, ausdrücken. Damit erschöpft sich aber auch schon die Übereinstimmung. In der Entgegenhaltung (2) ist die Klappe fester Bestandteil des Vordertisches. Das Merkmal (a), wonach das Lineal bei geschlossenem Spalt unterhalb des Vordertisches untergebracht ist, wird also nicht offenbart.
6.2. Außerdem bewegt sich beim Gegenstand gemäß Entgegenhaltung (2) (vgl. Abb. 4) die Verlängerung 6b der Klappe vertikal in Richtung des Hintertisches, also in umgekehrter Richtung zur Schwenkbewegung des Lineals gemäß Streitpatent in die vertikale Stellung, die von unten nach oben und zum Vordertisch hin erfolgt. Aufgrund dieses maßgeblichen Unterschieds scheidet die Entgegenhaltung (2) endgültig aus, deren Ausführungsart eindeutig im Gegensatz zum wesentlichen Merkmal (d) des geltenden Anspruchs 1 steht, wonach bei der Aufwärtsbewegung des Lineals der überstehende Rand des letzten geschnittenen Stapels ausgerichtet und vollautomatisch auf den Vordertisch geschoben wird, wenn dieser vom Hintertisch abrückt. Das Lineal erfüllt somit neben der genannten Abschirmfunktion noch eine weitere Funktion: Es schiebt nämlich den letzten geschnittenen Stapel ohne manuelles Eingreifen auf den Vordertisch.
Da diese Funktion in der Entgegenhaltung (2) fehlt, ist das beanspruchte Lösungsprinzip als solches neu, so daß das Merkmal (d) in eine funktionelle Formulierung ohne weiteres aufgenommen werden kann (vgl. Abschnitt 2.3 oben). Nach Auffassung der Kammer reichen die Neuheit dieses wesentlichen Merkmals und die dadurch erzielten Vorteile aus, um die Merkmalkombination des Anspruchs 1 erfinderisch zu machen.
6.3. Ausgehend von der Ausführungsart nach der Entgegenhaltung (1), bei der nur der Vordertisch beweglich gestaltet ist, um einen Spalt zur Beseitigung der Schnittabfälle herzustellen, würde es dem Fachmann, der die Lehre der Entgegenhaltung (2) auf diese Ausführungsart anwendet und eine bewegliche Klappe am hinteren Ende des Vordertisches anbringt, mit dieser Änderung nicht gelingen, die (oben in Abschnitt 4.1 beschriebene) erfindungsgemäße Schnittfolge zu erzielen. In der Entgegenhaltung (2) bedarf es manuellen Eingreifens, um vor einem etwaigen Zwischenschnitt den geschnittenen Stapel wegzuschieben, da dieser beim Öffnen der Klappe sonst - wie die Schnittabfälle -nach unten fallen würde. Dieser Nachteil wird mit der automatischen Vorrichtung gemäß Streitpatent vermieden.
6.4. Die Beschwerdeführerin 1 bezweifelt das Funktionieren der Erfindung (oben Abschnitt V iv)) und behauptet, daß die letzten überstehenden Blätter beim Hochfahren des Lineals vom hinteren Rand des Vordertisches eingeklemmt würden.
Die Kammer kann sich diesem rein spekulativen Argument nicht anschließen, da sich beim Zurückweichen des Vordertisches das Lineal gleichzeitig langsam hebt; es drückt dabei gegen den letzten geschnittenen Stapel und übt gleichzeitig zwangsläufig einen vertikalen Aufwärtsdruck auf die letzten über den Tisch vorstehenden Blätter aus. Ein Einklemmen erscheint somit wenig wahrscheinlich.
6.5. Aus den oben genannten Gründen ist die Kammer zu der Schlußfolgerung gelangt, daß sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und daß er deshalb auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist somit patentfähig; dasselbe gilt für die von ihm abhängigen Ansprüche.
7. Erfinderische Tätigkeit - Ansprüche 3 und 4
7.1. Da für die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 3 und 4 die Entgegenhaltung (1) ebenfalls den nächstliegenden Stand der Technik bildet, haben diese Ansprüche denselben Oberbegriff, wie Anspruch 1. Nach den Merkmalen dieser Ansprüche, die sich auf die Ausführungsarten der gemäß Abbildungen 7 und 8 des Streitpatents beziehen, nimmt die Auflage 31 des Vordertisches einen Bogen 44 auf und ist gegenüber dem Hintertisch absenkbar oder anhebbar, so daß bei abgesenkter Auflage (Abb. 7) die Oberfläche des Bogens und die des Hintertisches eine Ebene bilden.
Wie in dem Streitpatent ausgeführt (vgl. Spalte 11, Zeilen 40 bis 43), kann durch diese weitere Verstellmöglichkeit der Vordertisch mit dem Hintertisch in eine Ebene gebracht werden, und zwar unabhängig davon, wie dick der Boden ist, der die Auflage bedeckt; dadurch wird vermieden, daß sich eine Stufe bildet, die ein Verschieben der Einzelblätter des geschnittenen Papierstapels verursachen könnte. Außerdem (vgl. Spalte 11, Zeile 63 bis Spalte 12, Zeile 6) lassen sich mittels dieser Verstellmöglichkeit die letzten Blätter des geschnittenen Stapels von der Schneidleiste lösen.
Die Ansprüche 3 und 4 beziehen sich zwar auf besondere Ausführungsarten, die Teilaufgaben lösen; diese Besonderheiten tragen jedoch in Kombination mit den anderen Merkmalen des Oberbegriffs ebenfalls dazu bei, den angestrebten kontinuierlichen Arbeitsablauf zu verbessern, was auch der (in Abschnitt 4.2 oben definierten) technischen Aufgabe entspricht.
7.2. In keiner der im Verfahren angezogenen Entgegenhaltungen werden die oben genannten Teilaufgaben oder die Mittel zu ihrer Lösung erwähnt. Infolgedessen sieht die Kammer keinen Grund zur Zurückweisung der unabhängigen Ansprüche 3 und 4. Die Beschwerdeführerin 1 hat gegen diese Ansprüche auch keine Einwände erhoben, sondern sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 28. September 1990 (Seite 18) lediglich der Ansicht der Einspruchsabteilung angeschlossen. Die Kammer teilt jedoch die Auffassung der Vorinstanz nicht, da die Behauptung, die Konstruktionsmaßnahmen, die Gegenstand der Ansprüche 3 und 4 sind, gehörten zum Wissensstand des Fachmanns, nicht begründet ist. Die Einspruchsabteilung hat im Gegenteil in ihrer Entscheidung eingeräumt (vgl. Seite 11, letzter Absatz), daß keine der Entgegenhaltungen die beanspruchten Merkmale offenbare.
7.3. Aus den genannten Gründen hält die Kammer auch die Gegenstände der unabhängigen Ansprüchen 3 und 4 für patentfähig.
7.4. Die auf die unabhängigen Ansprüche 3 bzw. 4 zurückgehenden Ansprüche 6 bis 18 betreffen besondere Ausführungsformen der Vorrichtung nach Ansprüchen 3 bzw. 4. Sie haben deshalb gleichfalls Bestand.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent mit den folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 18 und Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
- Zeichnungen wie erteilt.