European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1991:T033290.19911008 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 October 1991 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0332/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 84106201.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01G 1/14 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kunststoffolien-Wickelkondensator | ||||||||
Name des Anmelders: | Westermann Wolfgang | ||||||||
Name des Einsprechenden: | 1) Siemens AG 2) Starkstromtechnik GmbH |
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Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Inventive step (yes) - means known in a certain special field - obviousness for the person skilled in the art to use this known means to solve different problem (no) Erfinderische Tätigkeit (ja) - für den Fachmann nicht erkennbare Eignung eines auf einschlägigen Fachgebiet an sich bekannten Arbeitsmittels zur Lösung einer andersartigen Aufgabe (anschließend an T 39/82) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdegegner ist Inhaber des europäischen Patents 0 130 386.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 dieses Patents lauten:
"1. Kunststoffolien-Wickelkondensator (8) in Chip- Bauweise, insbesondere Flachwickelkondensator, aus einem Kondensatorkörper (1) mit einer feuchtesicheren Umhüllung (6) und mit an den Stirnseiten (2) des Kondensatorkörpers (1) befestigten, aus dieser Umhüllung (6) heraustretenden Anschlußelementen (3) aus dünnem Blech, die in einem ersten Abschnitt (4) flächig mit der jeweiligen Stirnseite (2) des Kondensatorkörpers (1) verbunden sind und die in einem zweiten, aus der Umhüllung (6) heraustretenden Abschnitt (5) gegenüber der Stirnseite abgewinkelt sind, dadurch gekennzeichnet, daß der zweite Abschnitt (5) der Anschlußelemente (3) versetzt zur Höhenmitte des Kondensators (8) aus der Stirnseite der Umhüllung (6) heraustritt und in Richtung ihrer längeren Höhenabmessung zu einem dritten Abschnitt (7) abgewinkelt ist, der flächig an der Stirnseite der Umhüllung (6) anliegt und bündig mit der Unterkante des Kondensators (8) abschließt."
"2. Kunststoffolien-Wickelkondensator (8) in Chip- Bauweise, insbesondere Flachwickelkondensator, aus einem Kondensatorkörper (1) mit einer feuchtesicheren Umhüllung (6) und mit an den Stirnseiten (2) des Kondensatorkörpers (1) befestigten, aus dieser Umhüllung (6) heraustretenden Anschlußelementen (3) aus dünnem Blech, die in einem ersten Abschnitt (4) flächig mit der jeweiligen Stirnseite (2) des Kondensatorkörpers (1) verbunden sind und die in einem zweiten, aus der Umhüllung (6) heraustretenden Abschnitt (5) gegenüber der Stirnseite abgewinkelt sind, dadurch gekennzeichnet, daß der zweite Abschnitt (5) der Anschlußelemente (3) versetzt zur Höhenmitte des Kondensators (8) aus der Stirnseite der Umhüllung (6) heraustritt und in Richtung ihrer längeren Höhenabmessung zu einem dritten Abschnitt (7) abgewinkelt ist, der flächig an der an der Stirnseite der Umhüllung (6) anliegt und senkrecht zur Stirnseite der Umhüllung (6) in einem vierten Abschnitt (11) unter die Unterseite des Kondensators (8) abgewinkelt ist."
Ansprüche 3 bis 11 hängen von Anspruch 1 und/oder Anspruch 2 ab.
II. Die zwei Beschwerdeführerinnen haben gegen die Patenterteilung im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ unter anderem gestützt auf die Dokumente:
R1: DE-A-3 134 617, ES1: US-A-4 288 842, ES2: DE-B-1 064 127, E2: DE-A-3 018 846, E4: CH-A-538 184 und E6: US-A-4 255 779
Einspruch erhoben.
III. Die Einspruchsabteilung hat die Einsprüche zurückgewiesen. Sie stellte dabei insbesondere fest, daß ausgehend vom nächstkommenden Stand der Technik gemäß Dokument R1 die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin bestünde, diesen bekannten Kunststoffolien-Wickelkondensator tauchlötfähig zu machen. Obwohl der zweite (kennzeichnende) Teil des Anspruchs 2 auf die Anschlußelemente des aus Dokument ES1 bekannten Elektrolyt-Kondensators gelesen werden könne, würde der Fachmann konstruktive Merkmale dieses gattungsfremden Dokuments angesichts der speziellen Problematik von Kunststoffolien-Wickelkondensatoren nicht übernehmen. Dokument ES2 sei insbesondere das flächige Anliegen eines Anschlußblechs an der Stirnseite einer Umhüllung nicht zu entnehmen und würde den Fachmann allenfalls anregen, die Anschlußbleche so auszubilden, daß sie die Funktion von Kappen übernehmen.
IV. Gegen diese Entscheidung haben die zwei Beschwerdeführerinnen (Einsprechende) Beschwerde erhoben, wobei sie unter anderem zur Stützung ihrer Argumentation folgende Dokumente nannten:
E11: "Journal of Electrical Engineering (JEE)", Januar 1983, Seite 30,
E12: JP-A-57-157 514 nebst Übersetzung der Beschreibung der Figuren 1, 2, 7 und 9, und gutachtlich
E13: Siemens Datenbuch 1980/81 "Aluminium- und Tantal- Elektrolyt-Kondensatoren", Seiten 313 bis 315; 334, 335; 342, 343; 352, 353; 360, 361; 366 und 367.
V. Es wurde mündlich verhandelt.
VI. Die zwei Beschwerdeführerinnen (Einsprechende) beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen, hilfsweise Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit einem aus den erteilten Ansprüchen 1 und 9 zusammengesetzten neuen Anspruch 1 und einem aus den erteilten Ansprüchen 2 und 9 zusammengesetzten neuen Anspruch 2.
VII. Zur Begründung ihres Antrags trägt die Beschwerdeführerin "Siemens AG" im wesentlichen folgende Argumente vor:
1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei Dokument ES1 ein relevanter Stand der Technik, den der Fachmann bei der Lösung des dem Streitpatent zugrundeliegenden technischen Problems berücksichtigen würde, da zwischen Tantal-Elektrolyt- Kondensatoren und Kunststoffolien-Wickelkondensatoren keinerlei Unterschiede in der Temperaturbelastbarkeit bestünden. Dokument E13, insbesondere Seiten 335, 342, 360 und 367, zeige nämlich allgemein und schaltungsunabhängig, daß die Temperaturbelastbarkeit von Tantal-Elektrolyt-Kondensatoren beim Löten auf maximal 270°C und 2 sec zu begrenzen und bei einem eventuellen Nachverzinnen der Anschlüsse unterhalb von 125°C bzw. 85°C zu halten sei. Diese Temperaturempfindlichkeit liege auch bei dem aus Dokument ES1 bekannten Tantal-Elektrolyt-Kondensator vor und sei vor allem durch die aus Epoxidharz (ES1, Spalte 3, Zeile 55) bestehende Umhüllung 24, 25 sowie durch die aus Leitsilber, d. h. Silberdispersion in Epoxidharz (ES1, Spalte 3, Zeilen 44, 45), bestehende Verbindung zwischen Kathodenverbindungsglied 14 und der negativen Zuleitung 18 bedingt. Wegen derartiger Unzulänglichkeiten im Silber, Lötmetall und einhüllendem Harz würden Kondensatoren mit festem Elektrolyten bei 360°C versagen und ihre Impedanz ändern; vgl. das in der mündlichen Verhandlung überreichte Dokument:
E14: DE-C-2 623 592,
insbesondere Spalte 2, Absatz 1 und Spalten 5 und 6, Tabelle 1, Beispiele 7 und 8. Andererseits umfasse der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents auch Wickelkondensatoren aus temperaturbeständigen (z. B. Teflon-) Folien.
2. Dokument R1, Seite 10, weise explizit auf den notwendigen Schutz vor unerwünschten Temperaturbelastungen beim Lötvorgang hin und lege damit dem Fachmann nahe, die vorstehenden Beinchen dieser Anschlüsse durch die aus dem das gleiche Problem behandelnden Dokument ES1 bekannte, insbesondere mit Anspruch 2 des Streitpatents identische Raumform der Anschlußbleche zu ersetzen. Denn die in Dokument ES1, Spalte 1, Zeilen 63 bis 65, und Spalte 5, Zeilen 63 bis 66, allgemein angegebenen "physikalischen (physical) Beschädigungen würden solche durch Lötwärme umfassen, zumal der Lötvorgang in Spalte 4, Zeilen 61 und 62, angesprochen wird und Spalte 6, Zeilen 19 ff., darlege, daß die Anschlußbleche den Anforderungen des Kondensatorbenutzers entsprechen müßten. Aus den vorstehenden Gründen würde der Fachmann erkennen, daß die Anschlußkonfiguration gemäß Dokument ES1 Vorteile bringt und sie in naheliegender Weise bei dem aus Dokument R1 bekannten Kondensator anwenden.
VIII. Die Beschwerdeführerin "Roederstein Spezialfabriken für Bauelemente der Elektronik und Kondensatoren der Starkstromtechnik GmbH" gründete ihren Antrag im wesentlichen auf folgende, vom Vorstehenden unabhängigen Argumente:
1. Das Streitpatent löse die ihm zugrundeliegende Aufgabe der Dimensionsstabilität und Lötsicherheit (EP-B1-0 130 386, Spalte 1, Zeile 57) in erster Linie durch die Umhüllung (EP-B1-0 130 386, Spalte 2, Zeilen 7 ff.), insbesondere durch ihr duroplastisches Material, das einen Gegendruck gegen den sich aufbeulenden Kondensatorkörper erzeugen müsse. Die im Streitpatent, Spalte 2, Zeilen 24 ff. angesprochene "Ableitung der Lötwärme vom Kondensatorkörper" würde überwiegend durch die "Masse" der Umhüllung hervorgerufen. Demgegenüber sei die Lötwärmeableitung durch die "flächige Verbindung" von Umhüllung und Anschlußelementen vernachlässigbar klein.
2. Nächstliegender Stand der Technik sei das Dokument ES2, aus dem ein für das Tauchlöten geeigneter (ES2, Spalte 1, Zeilen 17 ff.) Wickelkondensator (ES2, Spalte 4, Zeile 45) bekannt sei, dessen metallisierte Anschlußkappen unter Wegfall äußerer Anschlußdrähte (ES2, Spalte 4, Zeilen 3 ff.) gänzlich in ein Lötbad eintauchten (ES2, Spalte 1, Zeilen 38 ff.) und anstelle von Kappen alternativ Anschlußfolien aufwiese, die auf einer gemeinsamen linearen Mantellinie des Isolierkörpers lägen (ES2, Fig. 7 in Verbindung mit Spalte 4, Zeilen 44 ff.). Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents würden sich von dem aus Dokument ES2 bekannten Kondensator im wesentlichen durch Anschlußelemente unterscheiden, "die in einem ersten Abschnitt flächig mit der jeweiligen Stirnseite des Kondensatorkörpers verbunden sind", d. h. durch eine Kontaktierung des Kondensatorkörpers über Schoopschichten.
3. Dokument R1, insbesondere Seite 6, Absatz 2, weise explizit auf den Vorteil großer Kontaktierungsflächen dieser überdies allgemein bekannten Schoopschichten hin und lege dem Fachmann damit ihre Verwendung in dem aus Dokument ES2 bekannten Wickelkondensator nahe.
4. Überdies erkenne der Fachmann in Verbindung mit Dokument E4, Spalte 1, Zeilen 42 ff., und Spalte 2, Zeilen 28 ff., daß die in Dokument R1 verwendeten Anschlußelemente in Form vorstehender Beinchen für eine Reflow-Verlötung entwickelt worden sind, während die in Fig. 7 des Dokuments ES2 dargestellten, an der Umhüllung anliegenden Anschlußelemente vorzugsweise zur Tauchverlötung dienten. So sei es andererseits auch naheliegend, die aus Dokument ES2 bekannte Anschlußkonfiguration bei den aus Dokument R1 bekannten Kondensatoren einzusetzen, um diese auch tauchlötbar zu machen.
IX. Der Beschwerdegegner vertrat im Hinblick auf die Argumentation der Beschwerdeführerin "Siemens AG" (Punkt VII) im wesentlichen folgende Auffassung:
1. Tantal-Elektrolyt-Kondensatoren seien aus folgenden Gründen nicht in dem Maße temperaturempfindlich wie Kunststoffolien-Wickelkondensatoren: Tantal- Elektrolyt-Kondensatoren bestünden nur aus Metallen und Metalloxyden. Ihr Elektrolyt werde bei 400°C pyrolytisch hergestellt, wie aus dem in der mündlichen Verhandlung gutachtlich überreichten Dokument:
E15: Otto Zinke, Hans Seither: "Widerstände, Kondensatoren, Spulen und ihre Werkstoffe", 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1982, Seite 201 hervorginge. Ferner vertrügen Tantal-Elektrolyt- Kondensatoren gemäß Dokument E14, Spalte 2, Zeile 8, Temperaturen bis zu 360°C. Die bei Wickelkondensatoren üblicherweise verwendeten Kunststofffolien würden hingegen bereits bei 200°C schmelzen und bei 150°C ihre dielektrischen Eigenschaften verlieren. Die in Dokument E13 genannten Lötbedingungen seien für Reflow- und Schwallötungen generell charakteristisch und ließen keinerlei Schlüsse auf die Temperaturbelastbarkeit der in E13 aufgeführten, nicht in Chipform vorliegenden Elektrolyt-Kondensatoren zu, wobei ferner spezielle Schaltungen restriktivere Temperaturbedingungen erforderten. Entscheidend sei vielmehr, daß im Stand der Technik Tantal-Elektrolyt- Kondensatoren in bezug auf die Wärmebeanspruchung beim Löten als "temperaturunempfindlich (vgl. Dokument R1, Seite 5, Abs. 3)" angesehen werden würden, und daß gemäß Dokument E11, linke Spalte, Abs. 2, die als letzte in Chipform entwickelten Wickelkondensatoren bisher nur für eine Reflow- Verlötung geeignet wären. Demgegenüber mache die Lehre des Streitpatents Wickelkondensatoren schwallötfähig (EP-B1-0 130 386, Spalte 1, Zeile 47). Ferner zeige die in der mündlichen Verhandlung gutachtlich überreichte Dokumentation:
E16: umfassend Dokument R1, Seite 5; Prospekt "KEMET T 411 & 421 Series-Tantalum Chip Capacitors" der Fa. Union Carbide, Seiten 46, 56; Inhaltsverzeichnis der Rahmenspezifikation: "Tantal-Chip-Kondensatoren des Europäischen Komitees für elektrotechnische Normen (CECC 30800, 1977); Journal of Electrical Engineering, November 1982, Seite 48; Dokument E11; O. Neufang: "Lexikon der Elektronik", Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig/Wiesbaden, 1983, Seite 68; "Elektronik" 19.09.1990, Nr. 38, Seite 30; und die Siemens-Informationsschrift "Innovationen" Electronica, 1990, Halle 23, Stand 23A4, daß Tantal-Elektrolyt-Kondensatoren von der Fachwelt als problemlos verlötbar angesehen würden.
2. Eine Kombination der Dokumente R1 und ES1 sei für den Fachmann nicht naheliegend, da einmal Dokument ES1 gattungsfremde Elektrolyt-Kondensatoren beträfe und ferner in Spalte 2, Zeilen 29 bis 38, eindeutig angebe, daß diese bekannte Anschlußkonfiguration eine vom Streitpatent abweichende Aufgabe löse, nämlich die Vermeidung von Kurzschlüssen bei hoher Packungsdichte. Das Herunterziehen der Anschlußbleche zu einem auf der Unterseite befindlichen Anschlußteil -analog zum vierten Abschnitt gemäß Anspruch 2 des Streitpatents -habe ausschließlich zum Ziel, eine Kontaktfläche zu schaffen. Auf die Aufgabe, die durch die Anschlußbleche auf den Kondensatorkörper übertragbare Lötwärme herabzusetzen, werde der Fachmann durch Dokument ES1 nicht hingewiesen, da Dokument ES1, Sp. 1, Zeilen 63 bis 65, die Beschädigungsursache von Kondensatoren explizit auf die kleine Größe ihrer Bestandteile zurückführe, Dokument ES1, Spalte 5, Zeilen 25 bis 66, sich mit dem druckmindernden Einfluß eines die Anschlüsse während der Kondensatorherstellung fixierenden Transportrahmens 50 befasse und Dokument ES1, Spalte 4, Zeilen 61 und 62, direkt darauf hinweise, daß die allgemein bekannten Lötmethoden problemlos anwendbar seien.
X. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin "Roederstein GmbH" (Punkt VIII) widersprach der Beschwerdegegner zur Stützung seiner Anträge im wesentlichen wie folgt:
1. Der aus Dokument ES2 bekannte Wickelkondensator würde sich von den Gegenständen der Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents nicht nur dadurch unterscheiden, daß er keine Anschlußelemente besäße, die "in einem ersten Abschnitt flächig mit der jeweiligen Stirnseite (d. h. den Schoopschichten) des Kondensatorkörpers verbunden sind", sondern es fehle dem aus Dokument ES2 bekannten Wickelkondensator vor allem das in beiden unabhängigen Ansprüchen des Streitpatents enthaltene Merkmal, daß der dritte Abschnitt der Anschlußelemente "flächig an der Stirnseite der Umhüllung anliegt". Bei dem Kondensator gemäß Dokument ES2, Fig. 7, seien die Anschlußelemente in Form von Folien 23 in den Kondensatorkörper 21 eingewickelt, so daß der Knick zwischen ihrem zweiten und dritten Abschnitt nicht geradlinig, sondern bogenförmig verlaufe. Dadurch würde sich die Anschlußfolie bei ihrem Herunterziehen längs der Stirnseiten der Umhüllung in von der Umhüllung beabstandete Falten legen und keinen flächigen Kontakt mit ihr bilden.
2. Der Stand der Technik gemäß Dokument R1 käme dem Streitpatent näher, da er sich - wie auch das Streitpatent - mit der Aufgabe befasse, einen Kunststoffolien-Wickelkondensator in Chip-Bauweise zu schaffen, der durch die über seine Anschlüsse einleitbare Lötwärme weder beschädigt noch in seinen Funktionen beeinträchtigt wird. Demgegenüber werde dieses Problem in Dokument ES2 nicht angesprochen. Vielmehr werde dort gemäß Dokument ES2, Spalte 2, Zeilen 38 bis 50, die Tauchlötbarkeit durch die Hitzebeständigkeit des Schaltungselements (d. h. des Grundkörpers und seiner Isolierung) selbst bewirkt.
Die in Fig. 7 dargestellte Anschlußblechkonfiguration übernehme ausschließlich die Funktion der in den anderen Ausführungsbeispielen dieses Dokuments verwendeten Kappen (ES2, Sp. 4, Zeilen 50 bis 52), d. h. vereinfache durch den Wegfall von "Anschlußdrähten" (Spalte 4, Zeilen 8 bis 10) die automatische Bestückung der Leiterplatten (7, 8 in Fig. 1 und 9, 10 in Fig. 2 von ES2) und löse damit eine vom Streitpatent abweichende technische Aufgabe.
3. Somit weise Dokument ES2 den Fachmann weder auf das wesentliche Lösungsmittel (flächiges Anliegen) des Streitpatents noch auf dessen beim Streitpatent ausgenutzte technische Funktion (Verminderung der Lötwärmeeinleitung) hin. Selbst wenn dieser Effekt nur klein wäre, seien bei Massenartikeln auch geringfügige Verbesserungen wesentlich. Entscheidend sei vor allem, daß das Streitpatent erstmals Kunststoffolien-Wickelkondensatoren in Chip-Bauweise angebe, die für alle Löttechniken geeignet seien, insbesondere für eine Schwall-Lötung.
4. Trotz des aus dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Dokuments:
E17: Prospekt MKT 1824 der Fa. Roederstein betreffend "Metallisierter Polyesterfilm-Chip-Kondensator" ersichtlichen Interesses habe das Ausführungsbeispiel gemäß Fig. 7 des Dokuments ES2 während eines Zeitraums von mehr als 23 Jahren die Fachwelt nicht zu dem dem Streitpatent zugrundeliegenden Lösungsprinzip angeregt. Hierin sei ein Beweisanzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu sehen.
5. Dokument E6 sei unbeachtlich, da es keinen Chip- Kondensator beträfe und die S-förmige Krümmung der Anschlußbleche dazu diene, die mechanische Belastung des Kondensatorkörpers herabzusetzen.
Entscheidungsgründe
1. Die erstmals während des Beschwerdeverfahrens genannten Dokumente E11 und E12 hat die Kammer gemäß Artikel 114 (1) EPÜ mit dem Ergebnis überprüft, daß sie keinerlei Einfluß auf die Art der zu fällenden Entscheidung haben. Sie brauchen daher in Anwendung von Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt zu werden.
2. Die vorliegenden Unterlagen des Patents in der erteilten Fassung sind im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der Inhalt der erteilten unabhängigen Ansprüche 1 und 2 durch den ursprünglich offenbarten Anspruch 1 in Verbindung mit der ursprünglich eingereichten Fig. 1d nebst dazugehöriger Beschreibung offenbart.
3. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren beschränken sich die Einwände gemäß Artikel 100 a) EPÜ auf einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit.
4. Die Kammer stimmt der Feststellung der Einspruchsabteilung zu, daß die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 neu sind. Insbesondere ist festzustellen, daß aus keinem der im Verfahren genannten Dokumente ein "Kunststoffolien- Wickelkondensator" bekannt ist, dessen versetzt zur Höhenmitte aus der Stirnseite der Umhüllung heraustretende Anschlußelemente einen Abschnitt aufweisen, "der flächig an der Stirnseite der Umhüllung anliegt."
So geht der Stand der Technik gemäß Dokument R1 nicht über die vor dem kennzeichnenden Teil genannten Merkmale der Ansprüche 1 und 2 hinaus. Die in Dokument ES2 beschriebenen Anschlußelemente sind aufgrund von Faltenbildung partiell von der Stirnseite der Umhüllung beabstandet; vgl. auch Pkt. X-1. Die aus Dokument E4 ersichtlichen Anschlußelemente stellen - wie auch in Dokument R1 - aus der Umhüllung herausragende, mit Abstand zu dieser verlaufende Kontaktbeinchen dar. Dokument E6 betrifft keinen Kondensator in Chip-Bauweise, und Dokumente ES1 sowie E2 behandeln nicht Wickel- sondern Elektrolyt-Kondensatoren. Der aus den weiteren im vorliegenden Verfahren genannten Dokumenten hervorgehende Stand der Technik kommt den Gegenständen der Ansprüche 1 und 2 nicht näher.
5. Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag)
5.1. Da Dokument ES2 nach Auffassung der Kammer den Fachmann nicht erkennen läßt, daß durch Anschlußelemente auf einen Kondensatorkörper übertragene Lötwärme Probleme bei der Fixierung der Kondensatoren auf Leiterplatten aufwirft, sieht die Kammer - entgegen der von der Beschwerdeführerin "Roederstein" in Pkt. VIII-2 vertretenen Auffassung - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz Dokument R1 als nächstliegenden Stand der Technik an, bei dem - wie auch in Dokument E4 - bereits für eine Reflow-Verlötung (vgl. Pkt. VIII-4) geeignete Anschlußbleche eines Kunststofffolien-Wickelkondensators vorhanden sind.
5.2. Ausgehend von dem die Oberbegriffe der Ansprüche 1 und 2 wiedergebenden Stand der Technik gemäß Dokument R1 sieht die Kammer die dem Streitpatent objektiv zugrundeliegende technische Aufgabe in Anlehnung an das Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 23 bis 51, darin, die Lötsicherheit und Dimensionsstabilität der Anschlußelemente eines Kunststoffolien-Wickelkondensators in Chip-Bauweise weiter zu verbessern und insbesondere über Anschlußbleche längs ihrer Stirnseite kontaktierte Kondensatorkörper mit Kunststoffolien auch schwallötfähig zu machen.
5.3. Das den beiden unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 gemeinsame Lösungsprinzip besteht darin, die erste Abwinklung, die an den flächig an der Stirnseite des Kondensatorkörpers befestigten ersten Abschnitt des Anschlußblechs angrenzt, in das Innere der Umhüllung zu verlagern, so daß ein zweiter Abschnitt vorliegt, der
a) "versetzt zur Höhenmitte des Kondensators aus der Stirnseite der Umhüllung heraustritt"; und .p. b) "in Richtung ihrer längeren Höhenabmessung zu einem dritten Abschnitt abgewinkelt ist, der flächig an der Stirnseite der Umhüllung anliegt".
Der flächige Kontakt des dritten Abschnitts des Anschlußblechs mit der Stirnseite der Umhüllung fördert nicht nur die Dimensionsstabilität, sondern sorgt vor allem dafür, daß ein Wärmeübergang vom Anschlußblech zur Umhüllung möglich ist, so daß die Umhüllung Lötwärme vom Kondensatorkörper abzuleiten vermag und damit die Lötsicherheit erhöht; vgl. das Streitpatent, Spalte 2, Zeilen 94 bis 98. Entgegen der in Pkt. VIII-1 vertretenen Auffassung hält die Kammer das Auftreten dieses Effekts und seine in der Praxis wahrnehmbare Wirkung für glaubhaft. Dabei wird als entscheidungserheblich angesehen, daß die Wärmeableitung auf die Umhüllung ursprünglich offenbart ist. Auch wenn diese Verbesserung zahlenmäßig gering ist, so darf sie analog zu großtechnischen Verfahren bei den vorliegenden Massenartikeln im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht übergangen werden; vgl. auch die Entscheidung T 38/84, ABl. EPA 1984, 368.
5.4. Der vorgebrachte Kunststoffolien-Wickelkondensatoren betreffende Stand der Technik legt nach Auffassung der Kammer dem Fachmann das dem Streitpatent zugrundeliegende Lösungsprinzip - d. h. insbesondere Merkmal (b) in Pkt. 5.3 - aus folgenden Gründen nicht nahe:
5.4.1. Die Kondensatoren der Dokumente R1 und E4 setzen die Umhüllung als Lötwärmepuffer überhaupt nicht ein, sondern beschränken die in den Kondensatorkörper (Wickel) über Anschlußelemente einleitbare Lötwärmemenge ausschließlich durch eine Verlängerung des Wärmeübertragungswegs entlang der Anschlußbleche, d. h. durch Vergrößerung des Wärmewiderstandes des zwischen Wickel und Lötstelle gelegenen Teils der Anschlußelemente selbst.
5.4.2. Zwar beschreibt Dokument ES2 tauchlötfähige Kunststofffolien-Wickelkondensatoren, doch kann der Fachmann diesem Dokument ausschließlich entnehmen, daß diese Tauchlötfähigkeit durch die Hitzebeständigkeit der Schaltungselemente und ihrer Umhüllung erzielt wird, vgl. Dokument ES2, Spalte 1, Zeilen 38 bis 50. Eine störende Lötwärmeeinleitung über die in den Kondensatorkörper eingewickelten Anschlußfolien wird überhaupt nicht erwähnt. Nach Auffassung der Kammer ist der Fachmann in der Lage zu erkennen, daß hierin keine Informationslücke zu sehen ist, sondern ein in sich technisch konsistenter Sachverhalt, der auf den relativ hohen spezifischen Wärmewiderstand der verwendeten Anschlußfolien zurückzuführen ist. Es ist somit davon auszugehen, daß in der Praxis bei diesem bekannten Kondensator das dem Streitpatent zugrundeliegende Problem nicht auftritt. Die Beschwerdeführerinnen haben keinerlei sachliche Gründe geltend gemacht, um den in Pkt. X-1 vorgebrachten Sachverhalt zu widerlegen, daß bei dem aus Dokument ES2 bekannten Kondensator höchstens vorspringende Falten der Anschlußfolie mit der Stirnseite der Umhüllung Kontakt haben könnten. Die Kammer sieht daher die Auffassung des Beschwerdegegners als glaubhaft an, daß bei diesem bekannten Kondensator kein flächiger Kontakt zwischen Anschlußelement und Stirnseite der Umhüllung vorliegt. Als entscheidend aber erachtet die Kammer, daß Dokument ES2 dem Fachmann eine vom Streitpatent völlig abweichende technische Aufgabe der in ihm beschriebenen "kappenförmigen" Anschlußkonfiguration suggeriert, nämlich eine Erleichterung der automatischen Leiterplattenbestückung durch Wegfall äußerer Anschlußdrähte; vgl. ES2, Figuren 1 und 2 sowie Spalte 2, Absatz 2.
5.4.3. Bei dem aus Dokument E6, insbesondere Figuren 8 und 9, bekannten Kondensator ist ein U-förmiger Bogen einer S- förmigen Anschlußklemme auf die Stirnwand der Umhüllung aufgesteckt, um über eine Spreizwirkung den am Kondensatorkörper angreifenden Anschlußteil zur Halterung des Kondensatorkörpers während des Vergießens federartig vorzuspannen.
5.5. Für den Wickelkondensator-Fachmann sind nach Auffassung der Kammer Elektrolyt-Kondensatoren zumindest als ein in seine Fachkenntnisse einzubeziehendes technisches Nachbargebiet anzusehen, das er routinemäßig auf der Suche nach Lösungen für ihm vorliegende Probleme einbezieht. Somit reicht die von der Vorinstanz festgestellte "Gattungsfremdheit" allein nicht aus, um die mangelnde Relevanz der Dokumente ES1 und E2 zu begründen. Dabei ist es unerheblich, daß - bei eingehender Würdigung der gemäß Pkt. VII-1 und IX-1 vorgetragenen Argumente - graduelle Unterschiede in der Wärmebelastbarkeit von Tantal- Elektrolyt-Kondensatoren und Kunststoffolien- Wickelkondensatoren glaubhaft sind. Nach Auffassung der Kammer ist diesbezüglich bei der Frage nach dem Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausschließlich darauf abzustellen, ob der Fachmann in der Lage ist, diesen Dokumenten Anregungen hinsichtlich des dem Streitpatent zugrundeliegenden Lösungsprinzips zu entnehmen. Dies wird aus folgenden Gründen verneint:
5.5.1. Da Lötwärmeprobleme in Dokument ES1 nicht angesprochen werden, wird ein Fachmann den englischen Begriff eines "physical damage" nicht als physikalische sondern als körperliche Beschädigung interpretieren, zumal als Störeinflüsse explizit nur mechanische Kräfte genannt werden. Vor allem aber vermag die Kammer keine Gründe zu erkennen, warum ein Fachmann in der Lage sein sollte, die in Dokument ES1 angegebene Anschlußkonfiguration zur Lösung einer anderen technischen Aufgabe einzusetzen als zu der explizit genannten Erhöhung der Packungsdichte unter Vermeidung von Berührungskurzschlüssen, vgl. ES1, Spalte 2, Zeilen 29 bis 38.
5.5.2. Analog ist aus Dokument E2 nur zu entnehmen, daß die dort angegebene Anschlußkonfiguration den Folienanschluß mechanisch sichert; vgl. E2, Seite 6, Abs. 3 und Seite 14, Abs. 2.
5.6. Soweit also im Stand der Technik - insbesondere in den Dokumenten ES1, E2 und E6 - ein flächiger Kontakt zwischen Anschlußblech und Außenfläche der Umhüllung vorliegt, löst er eine vom Streitpatent völlig abweichende technische Aufgabe, die den Fachmann nicht nur von der ausgenutzten physikalischen Wirkung (Wärmeableitung) sondern auch von deren technischer Nutzung (Verbesserung der Lötsicherheit) ablenkt. Bei der Entscheidung, ob die Anwendung einer auf demselben Fachgebiet bekannten Maßnahme naheliegt, sind aber die Aufgaben, die mit dieser Maßnahme im bekannten und im zu entscheidenden Fall gelöst werden sollen, zu berücksichtigen; vgl. die Entscheidung T 39/82, ABl. EPA 1982, 419. Nach Auffassung der Kammer ist ein Fachmann nicht in der Lage, in der auf dem einschlägigen Fachgebiet bei anderen Kondensatortypen an sich bekannten Anschlußkonfiguration ein Arbeitsmittel zu erkennen, das eine von seinen bisher bekannten technischen Nutzungen abweichende technische Wirkung ermöglicht und die dem Streitpatent zugrundeliegende, andersartige Aufgabe löst, ohne erfinderisch tätig zu sein.
5.7. Aus den in Pkt. 5.1 bis 5.6 im einzelnen dargelegten Gründen liegt den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrags eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zugrunde.
6. Es ist auch nicht ersichtlich, daß etwa ein anderer der in Artikel 100 EPÜ aufgeführten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form entgegenstünde.
7. Somit sind die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 und diejenigen der von ihnen abhängigen Ansprüche 3 bis 11 patentfähig (Art. 52 EPÜ). Bei dieser Sachlage ist deshalb entsprechend dem Hauptantrag des Beschwerdegegners das Streitpatent in seiner erteilten Fassung unverändert aufrechtzuerhalten.
8. Da dem Hauptantrag des Beschwerdegegners stattgegeben wird, ist sein in Pkt. VI aufgeführter Hilfsantrag rechtlich gegenstandslos.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.