T 0061/90 (Schlüssel/IKON) of 22.6.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T006190.19930622
Datum der Entscheidung: 22 Juni 1993
Aktenzeichen: T 0061/90
Anmeldenummer: 84113202.0
IPC-Klasse: E05B 35/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schloß-Schlüsselsystem insbesondere für Verschlußanlagen
Name des Anmelders: IKON AG Präzisionstechnik
Name des Einsprechenden: August Börkey Nachf. GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 69
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit
Subject-matter of patent
Interpretation of claim
Interpretation of citation
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

Technische Möglichkeit und Fehlen von Hindernissen sind nur notwendige Voraussetzungen für die Ausführbarkeit, aber nicht hinreichend, um das für den Fachmann tatsächlich Realisierbare nahezulegen.

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1016/92
T 0280/95
T 1352/04
T 1317/08
T 2554/16

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das am 24. Juni 1987 erteilte Patent Nr. 0 144 734, einen einzigen Patentanspruch umfassend, ist am 22. März 1988 ein Einspruch eingereicht worden, mit dem Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Der Einspruch stützte sich auf Artikel 100 a) EPÜ und gab insbesondere folgende Dokumente als Beweismittel an:

D1: DE-B2-2 551 523

D2: DE-A1-2 817 966

D3: DE-A1-2 637 516

D4: Friedrich, Tabellenbuch für Metallgewerbe, 1975.

Von der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) wurden folgende Dokumente genannt:

D5: Prospekt Zeiss Ikon, Sperr-Rippenprofil und Labyrinth-Sicherung

D6: DE-C-2 059 523

D7: DE-C-2 931 653

D8: DE-A-3 609 473

D9: DE-C-2 003 059.

II. Der erteilte Anspruch lautet wie folgt:

"1. Schloß-Schlüsselsystem, insbesondere für Verschlußanlagen, bei dem die Schlüssel mit einem invarianten Grundprofil (7) im Bereich der die Einordnungskerben tragenden Schlüsselbrust sowie mit mindestens zwei die Schlüsselmittellinie (9) überschreitenden Profilausbildungen ausgestattet sind und ein Anlagen- oder Variationsprofil in dem dem Schlüsselrücken angrenzenden Abschnitt aufweisen, dadurch gekennzeichnet, daß das Anlagen- oder Variantionsprofil (8) mindestens ein über die Schlüsselseitenflächen hinausragendes Sperrippenprofil (11) aufweist und daß die Profilseinschnitte (12) des invarianten Grundprofils (7) und des Anlagen- oder Variationsprofils (8) rechteckigen Querschnitt mit einer Breite von 0,6 mm aufweisen, wobei diese durch Frässcheiben erzeugt worden sind."

III. Durch Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 7. Dezember 1989 wurde das Patent widerrufen, da der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D1 oder D6 und D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

IV. Die seitens der Beschwerdeführerin am 25. Januar 1990 eingereichte Beschwerde richtet sich gegen diese Widerrufsentscheidung. Die Beschwerdegebühr ist am 25. Januar 1990 bezahlt worden; die Begründung der Beschwerde ist am 5. April 1990 eingegangen. Die Beschwerdeführerin legte Eingaben, datiert vom 22. Januar 1992, 3. April 1992 und 28. September 1992 vor.

Die Beschwerdegegnerin reichte vom 22. März 1990, 30. Oktober 1990, 22. Januar 1992, 17. Juni 1992, 18. August 1992, 21. August 1992 und 14. Juni 1993 datierte Eingaben ein.

V. Die Kammer wies in zwei Mitteilungen nach Artikel 110 (2) EPÜ (vom 19. November 1991 und 14. Februar 1992) auf die Interpretation des Gegenstands des Patents und der Entgegenhaltungen D1, D3, D6 und D7 hin. Dabei wurden die Begriffe "Schlüsselseitenflächen" und "Sperrippenprofil", das Rastersystem in D3 sowie die rechtwinklig gezeichneten Nuten in D7 erläutert.

VI. Zum Nachweis der strittigen Verwendung von Scheibenfräsern für Schlüssel legte die Beschwerdegegnerin (Eingabe vom 18. August 1992) die Dokumente D10 und D11 vor, die beide eine offenkundige Vorbenutzung durch eine japanische Maschine der Firma Watayoshi belegen sollten. Zum gleichen Zweck sind am 14. Juni 1993 weitere Dokumente D12 bis D17 eingereicht worden.

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 1993 legte die Beschwerdegegnerin ein weiteres Dokument vor:

D18: Blatt 36, The National Locksmith, February 1981, Vol. 52, Number 2, mit Anzeige "WATAYOSHI'S NEW PRODUCTS" W-ML (Special key milling machine).

VII. Die seitens der Beschwerdeführerin im wesentlichen geltend gemachten Sachverhalte werden wie folgt zusammengefaßt:

a) Beide Entgegenhaltungen D1 und D6 seien oberbegriffbildend. Der Ausdruck "Seitenfläche" im Patentanspruch beziehe sich auf das der üblichen Schlüsselherstellung zugrunde liegende Metallstück, dessen Dicke durch den Abstand seiner glatten Seitenflächen bestimmt werde. Die jeweiligen Profilformen würden üblicherweise in die Seitenflächen hineingearbeitet. Im Gegensatz dazu gehe der beanspruchte Schlüssel aus einem besonderen Rohling hervor, der eine über diese Seitenflächen hinausgehende Rippe aufweise. Solche Schlüssel mit einer "Sperrippe" gehörten an sich zum Stand der Technik.

b) In der angefochtenen Entscheidung werde der Ausdruck "Seitenfläche" nicht in diesem Sinne interpretiert.

c) Bis zum Zeitpunkt der Erfindung seien bei der Schlüsselherstellung Fräsköpfe verwendet worden, die eine scharfkantige Rechteckausbildung nicht zuließen. Dies sei erst durch den Einsatz der erfindungsgemäßen Frässcheiben ermöglicht worden.

d) In dieser Hinsicht sei D3 nicht so auszulegen, daß entsprechende rechteckige Profile realisiert worden seien. Das hier verwendete Rastersystem stelle keine konstruktive Ausbildungsform dar.

e) Es handle sich beim angefochtenen Gegenstand um eine Kombinationserfindung, bei deren Beurteilung das Kriterium "could-would" eine maßgebende Rolle spiele.

f) Die Maschine nach D18 sei im Rahmen der Schlüsseldienste zu bewerten, wo es auf Einzelanfertigungen und das Kopieren und Modifizieren vorgegebener Schlüssel ankomme. Diese Maschine hätte keine Anregungen geben können, nebeneinanderliegende schmale Rechtecknuten nach der beanspruchten Merkmalskombination bei der Produktion von Großserien mittels eines Satzes von Frässcheiben vorzusehen.

g) D18 hätte höchstens dazu anregen können, schmale Rechtecknuten nacheinander auszubilden. Infolge der Materialverformungen wäre es dann aber gar nicht möglich gewesen, die Nuten so eng anzuordnen wie bei der Erfindung, bei welcher sämtliche eng nebeneinander liegenden Nuten gleichzeitig hergestellt würden, wodurch ganz andere verformungstechnische Möglichkeiten erschlossen seien.

h) Die erstmals mögliche filigrane Ausbildung würde die Abtastsicherheit erhöhen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin macht im wesentlichen folgende Sachverhalte geltend:

a) Merkmal A im Oberbegriff des Anspruchs ("Das Anlagen- oder Variationsprofil weise mindestens ein über die Schlüsselseitenflächen hinausragendes Sperrippenprofil 11 auf") sei unklar formuliert. "11" bezeichne nicht ein "Sperrippenprofil" sondern eine "Sperrippe". Eine solche Sperrippe könne nicht über die Schlüsselseitenflächen hinausragen, da die äußerste zur Mittelebene parallele Fläche der Sperrippe selber einen Teil der Schlüsselseitenfläche darstelle.

b) Merkmal A sei nicht nur isoliert, sondern in Kombination mit sämtlichen Merkmalen des Oberbegriffs aus dem Stand der Technik bekannt gewesen.

c) Bei D1 ragten die Sperrippen des Sperrippenprofils über die die Einschnitte aufnehmenden Schlüsselseitenflächen hinaus.

d) Auch in D3 ragten die im obersten Raster vorgesehenen Sperrippen seitlich über die Schlüsselseitenflächen vor, die von den gesamten darunterliegenden Schlüsselbereichen begrenzt werden.

e) Da es um ein Sachpatent gehe, und nicht um ein Verfahrenspatent, lägen die Ausführungen der Beschwerdeführerin über das Herstellungsverfahren neben der Sache.

f) Die Auslegung von D3 in der angefochtenen Entscheidung sei richtig. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Vorhandensein der angesprochenen Rundungen, die tatsächlich nur als kleinste Radien anzusprechen seien, die Rechteckform der Profileinschnitte beeinträchtigen sollte.

g) Die offenkundige Vorbenutzung werde anstelle der Dokumente D10 bis D17 durch das Dokument D18 nachgewiesen. Die Maschine nach D18 hätte das Anbringen schmaler Rechtecknuten entsprechend dem Anspruch erlaubt. Da auch bei Blockfräsern die Distanzen festzulegen waren, sei es klar gewesen, daß man zwischen den Frässcheiben ebenfalls die erforderlichen Distanzen einstellen konnte. Also wäre es möglich gewesen, mittels eines Satzes von Frässcheiben mit Zwischenringen genau die beanspruchten Formen herzustellen.

h) Schon D4 hätte dem Fachmann solche Verwendungsmöglichkeiten von Frässcheiben mit Zwischenringen aufgezeigt.

i) Der maßgebende Fachmann, also der Konstrukteur von Schlössern, hätte jedenfalls auch über die Kenntnisse des Schlüsseldienst-Fachmanns verfügt und deshalb hätte es keinerlei Hindernisse gegeben, die ihn von der anspruchsgemäßen Ausbildung hätten abhalten können.

k) Das Merkmal der Parazentrizität (Berühren oder Überschreiten der Schlüsselmittellinie durch die Nuten) sei für den Fachmann eine absolute Selbstverständlichkeit gewesen. D7 zeige dies ebenfalls.

l) Auch Blockfräser seien in der Lage, wenn auch mit erhöhtem Aufwand, scharfkantige rechteckige Profile herzustellen.

m) Die Aufgaben der Maschine nach D18 dürften nicht nur auf das bevorzugte Gebiet eingeschränkt werden. Kopieren und Modifizieren nur nach Vorlage sei deshalb kein tragfähiges Argument. In D18 werde nicht nur von "Verändern" von Profilen gesprochen, sondern auch vom Herstellen unbearbeiteter Rohlinge: "The W-ML is designed to cut grooves in a variety of shapes on unmilled key blanks; and to modify or alter these grooves already cut on regular key blanks."

n) Für den Konstrukteur von Schlössern seien somit die kennzeichenden Merkmale des Anspruchs aus D18 nahegelegt worden.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in der erteilten Form aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Gegenstand des Patents

Nach Artikel 100 a) EPÜ kann sich ein Einspruch nur darauf stützen, daß der Gegenstand des Patents den materiellen Patentierbarkeitsbedingungen (nach Artikel 52 - 57 EPÜ) nicht genüge. Diese Frage kann aber nicht am Wortlaut eines Anspruchs allein entschieden werden. Als Gegenstand des Patents ist jedenfalls der von Beschreibung und Zeichnung gestützte Anspruchsgegenstand anzusehen. Die Interpretation eines Anspruchs im Einspruchsverfahren darf sich daher nicht frei von der durch Beschreibung und Zeichnung gegebenen Stützung ablösen und ihr widersprechen. Die Interpretationen seitens der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der im Anspruch genannten Begriffe "Schlüsselseitenflächen", "Sperrippenprofil" sowie "rechteckiger Querschnitt" erfordern demnach folgende Erläuterungen:

2.1. "Schlüsselseitenflächen"

Schon in der zum Stand der Technik gehörenden Patentschrift D6 war die Rede von "einer über die Flachschlüsselseitenfläche herausragenden Zusatzlängsrippe" (z. B. im Anspruch 1). Eine solche dem einzigen Anspruch des Streitpatents entsprechende Formulierung betrifft Seitenflächen, die sich auf den Schlüssel als Ganzes beziehen müssen. Sicher ist, daß nach dem Wortlaut dieses Anspruchs das Sperrippenprofil über solche Seitenflächen hinausragt. Es ist deshalb völlig klar und im Einklang mit Beschreibung und Zeichnung, daß der Ausdruck "Schlüsselseitenflächen" eine geometrisch bestimmte besondere Seitenfläche der normalen Grundform eines Schlüssels als Ganzem bezeichnet, daß es sich deshalb keinesfalls um die gesamte seitliche Kontur des Schlüssels handeln kann, und selbstverständlich auch nicht um beliebige Seitenflächen einzelner Teile des Schlüssels. Eine solche Grundform hat besondere seitliche Hauptflächen, die als "Schlüsselseitenflächen" bezeichnet werden können. (Vgl. hierzu Spalte 2, Zeilen 17 bis 23 der Beschreibung des Streitpatents und Ziffer VIII. a) oben).

Die Zeichnungen geben keine Veranlassung, diese technisch selbstverständliche Interpretation zu bezweifeln. Der an der Realisierung des Anspruchsgegenstands interessierte Fachmann muß daher zweifellos den Ausdruck "Schlüsselseitenfläche" in diesem Sinne verstehen.

2.2. "Sperrippenprofil"

Auch eine Sperrippe hat ein Profil. Der Ausdruck ist nicht zu beanstanden, denn er bestimmt die Form der Sperrippe, nicht die Sperrippe selbst. Im übrigen macht die Zeichnung des Streitpatents mittels des Bezugszeichens 11 (Figur 1) klar, um was es sich handelt (siehe oben unter VIII. a)).

2.3. "Rechteckiger Querschnitt - Frässcheiben"

Der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf den Verfahrenscharakter der auf die Frässcheiben bezogenen Merkmale (siehe oben unter VIII. e)) könnte höchstens einen Klarheitseinwand rechtfertigen (worauf sich ein Einspruch jedoch nicht stützen kann), aber keinen Einwand, der im vorliegenden Fall bei der Prüfung des Gegenstands des Streitpatents nach Artikel 100 a) EPÜ relevant wäre. Ein vor dem Prioritätstag hergestellter Schlüssel mit Rechteckprofilen für die Nuten ist in seiner Form durch normale industrielle Herstellungsbedingungen gegeben. Dabei bildet - nach den unbestrittenen Angaben des Beschwerdeführerin - ein Fräskopf gleichzeitig verschiedene vertikal untereinanderliegende, längs des Schlüssels verlaufende rechteckige Nuten mit Fasen in Form gerundeter Kantenübergänge.

Die Beschreibung des Streitpatents führt aus: "Werden dagegen Frässcheiben zur Herstellung der rechteckigen Querschnitte von 0,6 mm Breite benutzt, so ist nicht nur eine große Anzahl dieser Profileinschnitte auf engstem Raum unterbringbar, sondern auch die Sicherheit gegen Auftastversuche ist wesentlich verbessert ..." (Spalte 1, Zeilen 40 - 45). Diese Aussage definiert die genaue Form hinreichend dadurch, daß die technischen Bedingungen ihres Entstehens angegeben werden - und macht damit auch den Unterschied zum Stand der Technik deutlich. Vor dem Hintergrund des Standes der Technik impliziert daher das Merkmal "rechteckigen Querschnitt mit einer Breite von 0,6 mm aufweisen, wobei diese durch Frässcheiben erzeugt sind", daß der Gegenstand des einzigen Anspruchs des Streitpatents tatsächlich rechteckige, also scharfkantige Profile aufweist, deren Form durch einen Satz gleichzeitig arbeitender Frässcheiben gegeben ist.

3. Stand der Technik, Aufgabe, Lösung

Nach den kennzeichnenden Merkmalen des einzigen Anspruchs des Streitpatents weisen die Profileinschnitte eine geringe Breite von 0,6 mm und einen, infolge der Frässcheiben, scharfkantigen Rechteckquerschnitt auf. Es ist plausibel, daß die in der Beschreibung des Streitpatents genannte Aufgabe, die Abtastsicherheit gegenüber der Konstruktion nach D1 - die dem Oberbegriff des Anspruchs zugrunde liegt - zu erhöhen, dadurch gelöst wird.

4. Neuheit

Es besteht keine Notwendigkeit, die seitens der Beschwerdegegnerin nicht bestrittene Neuheit näher zu begründen.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Interpretation der Entgegenhaltungen

a) Dokument D1 und D6 werden beide als oberbegriffbildend gesehen, was aber nicht zutrifft (vgl. oben unter Ziffer VII. a) sowie die angefochtene Entscheidung unter Ziffer 3.1). Die Kammer findet in D6 keine tatsächliche Offenbarung des Merkmals "mit mindestens zwei die Schlüsselmitte überschreitenden Profilausbildungen". Der Oberbegriff des einzigen Anspruchs des Streitpatents stützt sich daher auf Dokument D1, und nicht auf D6.

b) Von Dokument D3 wird im Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 30. Oktober 1990 (Seite 4 mit Bezug auf Anlage 2) gesagt: "Auch bei dieser bekannten Lösung ragen die im obersten Raster vorgesehenen Sperrippen ...". Dokument D3 scheint jedoch nicht den mindesten Hinweis auf eine Sperrippe im Sinne des einzigen Anspruchs des Streitpatents zu enthalten. Die Figuren in D3 zeigen ein Rastersystem innerhalb eines rechteckig begrenzten Schlüsselkanals, dessen Breite dem Abstand der "Schlüsselseitenflächen" des Anspruchs entspricht. Das Rastersystem hat den Zweck, Grundprofil und variables Profil ineinander zu verschachteln. Es besteht - ohne Kenntnis der angefochtenen Erfindung - kein Grund, einzelne Rasterbereiche als Sperrippen gemäß Anspruch zu interpretieren, da hier keine Vorsprünge über die Schlüsselseitenflächen vorhanden sind. Die erwähnte Aussage stützt sich somit auf eine unzulässige Projektion "ex post" der als bekannt vorausgesetzten Erfindung in den Stand der Technik.

c) Im erwähnten Schreiben wird ferner auf Seite 6 geltend gemacht:

"Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Vorhandensein der angesprochenen Rundungen, die tatsächlich nur als kleinste Radien anzusprechen sind, die Rechteckform der Profileinschnitte beeinträchtigen sollte." Es ist jedoch nicht maßgebend, ob "die Rechteckform beeinträchtigt wird". In D3 gibt es keine Rechteckform der Profileinschnitte im Sinne des angefochtenen Anspruchs, sondern offensichtlich die übliche mit Fräsköpfen erreichbare und in den Ecken ausgerundete Form.

Der dargestellte Raster ist ein geometrisches Hilfssystem und ist mit der dargestellten konstruktiven Form der Einschnitte nicht identisch, so daß deren Gleichsetzung jedenfalls durch Dokument D3 allein nicht gerechtfertigt erscheint.

5.2. Wenn der Fachmann von einem System nach Dokument D1, auf dem der Oberbegriff des Anspruchs 1 beruht, ausgeht, und auf Dokument D7 stößt, wird er darin folgende Aussagen vorfinden:

1) Spalte 3, Zeilen 39 bis 47: "Die Steuerflächen der Schlüsselkerben an dem jeweiligen Profilwerkzeug sind durch ein spanabhebendes Werkzeug (Scheibenfräser, Prisma) gebildet, ...";

2) Spalte 7 unten und Spalte 8 oben: "In Fig. 6 ist dargestellt, wie die Kerbe 68 durch einen Scheibenfräser 74 erzeugt werden kann; ...";

3) Spalte 6, Zeilen 19 bis 21: "Das in Fig. 1 dargestellte Hahn-Profil mit dem zylindrischen Profilteil 12 und dem Profilsack 14 ist maßstabsgetreu dargestellt." Als Maßstab ist etwa ein Wert von 4 : 1 herauszumessen.

4) In den Figuren 5 und 6 sind rechteckige Sperr- und Führungsnuten (30) dargestellt. Sie sind mit einer Breite von ca. 2 mm gezeichnet. Mit dem herausgemessenen Maßstab von etwa 4 : 1 ergibt sich dann eine Breite von etwa 0,5 mm. Hinsichtlich der Abtastsicherheit ist dabei allerdings die Nutenbreite an der Oberfläche von Bedeutung, wobei hier jeweils nur eine Nut von ca 1,0 mm Breite vorliegt.

5.3. In der Entgegenhaltung D7 wird somit zwar die Verwendung eines "Scheibenfräsers 74" vorgeschlagen, allerdings zur Herstellung der Kerben 68 (Figur 6). Eine Beziehung zu den "Sperr- und Führungsnuten 30" wird nicht erwähnt. Da diese Nuten auch hinsichtlich ihrer Herstellung nicht weiter erläutert werden, muß davon ausgegangen werden, daß es sich um eine konventionelle Darstellung von in üblicher Weise mittels Fräsköpfen hergestellten Nuten handelt, bei welcher die tatsächlich auftretenden Ausrundungen in den Eckpunkten aus zeichnerischen Gründen nicht dargestellt werden. Die Entgegenhaltung D7 enthält - sieht man von der Kenntnis der Erfindung ex post ab - somit keine Hinweise dahingehend, daß die Nuten anders als üblich mittels Fräsköpfen ausgebildet sind. Die Zeichnung ist insofern als schematisch zu betrachten. Sie kann daher dem Fachmann den beanspruchten Gegenstand nicht nahelegen.

5.4. Die Entgegenhaltung D6 weist zwar einerseits bereits Sperrippenprofile ("Zusatzlängsrippe 13") auf, andererseits fehlen aber "die Schlüsselmittellinie überschreitende Profilausbildungen". Insgesamt enthält D6 keine den Anspruchsgegenstand nahelegende Hinweise.

5.5. Die Kammer vermag sich den Argumentationen der Beschwerdegegnerin hinsichtlich dessen, wozu die Maschine nach D18 den Konstrukteur von Schlössern und Schlüsseln anregte, nicht anzuschließen. Diese Maschine dient dem speziellen Zweck der Einzelanfertigung von Schlüsseln für bestehende Schlösser und des Kopierens bestehender Schlüssel. Da sie deshalb immer eine Spezialanfertigung und in aller Regel eine vorgegebene Schlüssel- oder Schloßkonstruktion voraussetzt, unterscheiden sich ihre technischen Bedingungen erheblich von jenen der industriellen Produktion von Schlüsseln. Dazu ist auch nicht erforderlich, daß nur unmittelbar am zu bearbeitenden Stück vorgegebene Nuten zu modifizieren sind: die Vorgabe (zum Beispiel durch ein Schloß allein) kann dennoch gegeben sein. Sollte es sich um Originale handeln, dann nur um Einzelstücke. Daran ändert auch der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf den Text in D18 (unter VIII. m) oben) nichts: Es handelt sich jedenfalls um spezielle Einzelanfertigungen, nicht aber um die Produktion von originalen Großserien.

Auch die Verwendung einer schmalen Frässcheibe nach D18 ist - infolge ihrer individuell von Hand einstellbaren variablen Positionierung zur Herstellung verschiedener Nutentiefen und Nutenlagen - ohne ausreichende Beziehung zu den Bedingungen bei der industriellen Serienfabrikation. Deshalb kann die mit dem einzigen Anspruch des Streitpatents vorausgesetzte Verwendung eines Satzes von sehr eng nebeneinander angeordneten Frässcheiben (unterschiedlichen Durchmessers) mit vergleichsweise sehr schmaler Breite nicht von D18 als nahegelegt gelten. Auch zusammen mit der allgemeinen Kenntnis hinsichtlich Frässcheiben mit Zwischenringen gemäß D4 ist kein hinreichender spezifischer Hinweis auf die beanspruchte Kontruktion gegeben.

5.6. Insofern stimmt die Kammer der Argumentation der Beschwerdeführerin zu, wonach es in der Tat im vorliegenden Fall nicht entscheidend war, was die technischen Mittel an sich dem Fachmann als möglich in Aussicht gestellt haben könnten, mit anderen Worten, was er vielleicht gekonnt hätte, sondern was er mit ausreichender Gewißheit tatsächlich getan hätte ("could-would"; siehe T 2/83, ABl 1984, 265). Die technische Möglichkeit und das Fehlen von Hindernissen sind nur notwendige Voraussetzungen für die Ausführbarkeit, sind aber nicht hinreichend, um das für den Fachmann tatsächlich Realisierbare nahezulegen (siehe oben unter VII e)).

Ganz besonders kann nicht übersehen werden, daß die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten technischen Möglichkeiten erst dann realisiert werden können, wenn der Fachmann von der Vorstellung eng nebeneinander liegender sehr schmaler und möglichst scharfkantiger Längsnuten ausgeht. Diese Idee ist aber eine Prämisse, die durch keinen geltendgemachten Stand der Technik vorgegeben oder von diesem in naheliegender Weise ableitbar ist - aus der erst die Wahl geeigneter Mittel nahegelegt sein könnte (siehe oben unter VIII i)).

5.7. Somit gelangt der Fachmann nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand, wenn er die Lehren aus D7 und die Kenntnis der Maschine nach D18 zur Weiterentwicklung der Konstruktion nach Dokument D1 (oder D6) anwendet.

Die übrigen Entgegenhaltungen enthalten keine näher an den Gegenstand des einzigen Anspruchs des Streitpatents heranführende und gesicherte Hinweise.

6. Der Gegenstand des einzigen Anspruchs des Streitpatents beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist patentfähig.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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