T 0729/89 () of 10.10.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T072989.19901010
Datum der Entscheidung: 10 October 1990
Aktenzeichen: T 0729/89
Anmeldenummer: 85115781.8
IPC-Klasse: G03B 17/30
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Spule für bandförmige Aufzeichnungsträger, insbesondere für fotografische Filme
Name des Anmelders: Agfa-Gevaert
Name des Einsprechenden: Eastman Kodak
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: disclosure of features in drawings of a document
inventive step (main request) (yes)
Offenbarung von Merkmalen in der Zeichnung einer
Druckschrift
erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag) (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0204/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0717/94

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 186 824 (Anmeldenummer 85 115 781.8).

Der unabhängige Anspruch 1 dieses Patents lautet:

"1. Spule (1) für bandförmige Aufzeichnungsträger, insbesondere für fotografische Filme, mit einem im Spulenkern (2) angeordneten Schlitz (5) und darin angeordneten Mitteln zum Befestigen des in den Schlitz (5) eingeschobenen Bandendes, wobei einschubseitig zwischen den axial verlaufenden oberen und unteren Schlitzflächen (6, 12) und den Außenflächen des Spulenkerns (2) annähernd zylindermantelförmig gerundete Übergangsflächen (16, 17) vorgesehen sind, die zwischen den an sie angrenzenden Flächen des Spulenkernes (2) knickfrei angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Übergangsflächen (16, 17) im Querschnitt je einen Bogenabschnitt von mehr als 90 ° bilden, wobei dessen Radius mindestens ein Drittel des Radius des Spulenkernes (2) beträgt, und daß die Mittel zur Befestigung des Bandenendes mindestens einen im Spulenschlitz (5) angeordneten Haken (7) umfassen, dessen Fuß (11) außerhalb der Mittelebene (m) des Spulenkernes (2) durch den Schlitz auf der Seite liegt, über dessen Übergangsfläche (16) bei der Konfektionierung die Aufwicklung des Filmes erfolgt."

Die Ansprüche 2 bis 7 sind auf Anspruch 1 zurückbezogen.

II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat gegen das Patent wegen mangelnder Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit des Patentgegenstandes im Hinblick insbesondere auf folgende Dokumente Einspruch erhoben:

DE-C-1 267 537 (D1), EP-A-0 095 148 (D2), US-A-2 477 010 (D3), US-A-3 814 344 (D4), US-A-3 586 258 (D5), DE-B-1 058 363 (D6) und EP-A-0 077 972 (D7).

III. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung widerrufen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben.

Sie wies ihrerseits auf die nachveröffentlichte Druckschrift DE-A-3 801 571 (D8) sowie auf FR-A-2 006 593 (D9) hin.

V. Es wurde mündlich verhandelt.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise in Anspruch 1 vor "Bogenabschnitt" das Wort "kreisförmigen" einzufügen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Zur Stützung ihres Antrags trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

Die Druckschrift D6 sei auf die Lösung des Problems gerichtet, die Einführung des Films von der falschen Schlitzseite her unmöglich zu machen und das Einreißen des Films am Haken zu vermeiden. Nirgends sei dieser Druckschrift zu entnehmen, daß irgendwelche anderen Elemente der Spule, z. B. die Übergangsfläche von der Schlitzinnenwand zu der Spulenkernoberfläche, irgendeinen Einfluß auf die Reißfestigkeit des Films haben könnten. Wesentlich spätere Publikationen und auch heute noch verwendete Spulen wiesen recht scharfe Kanten an diesem Übergang auf. Jedenfalls habe der Fachmann zum Zeitpunkt des Prioritätstages des Streitpatents nicht davon ausgehen können, daß die dem Patentgegenstand zugrundeliegenden, von Presplicern ausgehenden Probleme mit einer Spule gemäß Druckschrift D6 lösbar sein würden.

Das Aufgreifen eines dreißig Jahre alten Spulentyps könne nicht naheliegen, wenn dort zur Vermeidung von Abrissen die Lösung nur in einer besonderen Gestaltung des Hakens gesehen werde.

Man könne abgerissenen Filmen nicht ansehen, warum sie abgerissen seien. Hier spielten sowohl dynamische Faktoren als auch die Vorgeschichte des Films vor der Belastung eine Rolle.

Es sei nicht so, daß Figur 2 der Druckschrift D6 dem Fachmann die Lehre vermittelt hätte, die Übergangsflächen ohne Knick in die Schlitzinnenfläche und die Außenfläche des Spulenkerns übergehen zu lassen. Insbesondere sei in der genannten Figur 2 nur die Silhouette des Hakens, nicht aber diejenige außerhalb des Hakens gezeichnet. Aus der Extrapolation des links des Hakens gezeichneten Verlaufs der Schlitzwand ergebe sich rechts ein Übergang mit Knick in die Übergangsfläche. Im übrigen gebe die Druckschrift D6 auch keine Lehre bezüglich der erfindungsgemäßen Parameter, daß nämlich die Übergangsflächen je einen Bogenabschnitt aufwiesen, der sich über mehr als 90° erstrecke, und daß der Radius der Bogenabschnitte mindestens ein Drittel des Radius des Spulenkernes betrage.

Es sei klar, daß die letztere Angabe in Anspruch 1 so zu verstehen sei, daß die Obergrenze des Radius dort liege, wo die Form noch konstruktiv machbar sei.

Bei der Spule nach Druckschrift D2 sei nur eine der beiden Kanten abgerundet. Sowohl in den Presplicern als auch bei falschem Aufspulen des Films in der Kamera werde aber auch die gegenüberliegende Seite des Schlitzes belastet, was zu verminderter Reißfestigkeit führe.

Insgesamt ergäben sich die vorteilhaften Eigenschaften des Gegenstandes des Anspruchs 1 aus dem Zusammenwirken von drei Merkmalen, der Knickfreiheit, der Bemessungsregel für den Radius der Übergangsflächen und der paarigen Anordnung derselben.

Die Eidesstattliche Erklärung von Herrn Lührig zeige die Vorteilhaftigkeit der Spule gemäß dem Streitpatent.

VIII. Die Beschwerdegegnerin trug im wesentlichen folgendes vor:

Die Figur 2 der Druckschrift D6 vermittle dem Fachmann die Lehre, die Übergangsflächen ohne Knick in die an sie angrenzenden Flächen des Spulenkerns übergehen zu lassen. Außerdem sei in dieser Figur auch die außermittige Anordnung des Hakenfußes gezeigt. Demgegenüber seien die einzigen verbleibenden Unterschiede in reinen Bemessungsregeln zu sehen, die sich für den Fachmann von selbst ergäben. Der Fachmann würde bei seinen Zugspannungsexperimenten die vergleichsweise geringen Abänderungen der Übergangsflächen der bekannten Spule im Rahmen seiner Fachkenntnisse vornehmen. Der Durchschnittsfachmann sei ausgehend von der Lehre der Druckschrift D6 nie davon abgehalten worden, Versuche mit dem Ziel anzustellen, den Gegenstand dimensionsmäßig zu modifizieren.

Die Druckschrift D2 befasse sich speziell mit der Verbesserung der Zugfestigkeit und beschreibe auch explizit, daß die Übergangsfläche gerundet sei. Bei Kenntnis dieser Druckschrift werde der Fachmann erst recht darin bestätigt, die aus Druckschrift D6 bekannte Spule anders zu dimensionieren.

Eine überragende oder überraschende Wirkung des Patentgegenstandes sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Eidesstattliche Erklärung von Herrn Lührig könne keinen überraschenden Vorteil des Patentgegenstandes begründen, da sie unter Nichtbeachtung der entscheidenden Druckschrift D6 abgefaßt worden sei.

Im übrigen umfasse der Patentanspruch 1 auch unsinnige Dinge, da die Vorschrift "mindestens ein Drittel des Radius" auch beliebig große Radien zulasse.

Daß die Druckschrift D6 alt sei, spiele bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keine Rolle, denn es habe nicht schon seit dem Erscheinen der Druckschrift D6 ein entsprechendes Bedürfnis bestanden. Dieses sei erst kurz vor dem Anmeldetag des Streitpatents entstanden, und zwar durch Einführung besonders schneller Presplicer.

Die nachveröffentlichte Druckschrift D8 könne die erfinderische Tätigkeit des Patentgegenstandes nicht stützen, da die Patentfähigkeit des dort zugrundeliegenden Gedankens für den dort gegebenen Einzelfall erst noch von der zuständigen Stelle geprüft werden müsse.

Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 sowie auch der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 fehle deshalb die erfinderische Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die gemäß Hilfsantrag vorgesehene Einfügung des einschränkenden Merkmals "kreisförmigen" vor "Bogenabschnitt" in den erteilten Anspruch 1 findet ihre Stütze auf Seite 7, Zeile 16 der ursprünglichen Beschreibung, wo von "Kreiszylindern" die Rede ist.

Die Änderung verstößt also nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Die von der Beschwerdegegnerin beanstandete Unklarheit des Anspruchs 1 (Artikel 84 EPÜ), die darin liegen soll, daß der Radius der Bogenabschnitte beliebig groß sein könne, stellt zum einen keinen Einspruchsgrund dar, sodaß sich hieraus kein Anlaß ergibt, Anspruch 1 zu ändern. Zum anderen ist es nach Auffassung der Kammer klar genug, daß der Radius nur im Rahmen dessen zu wählen ist, was konstruktiv überhaupt machbar ist.

Es sei noch erwähnt, daß am Ende des Anspruchs 1 ab "auf der Seite liegt, über ..." der Versuch gemacht wird, die Lage des Hakenfußes durch etwas zu definieren, was nichts mit der Spule selbst, sondern nur mit deren beabsichtigter Verwendung zu tun hat (Aufwickelrichtung des Films). Auch hier gilt jedoch, daß es nicht Aufgabe des Verfahrens nach der Patenterteilung sein kann, Ansprüche zur Klarstellung oder zur Beseitigung von Überflüssigem umzuformulieren. Bezüglich der Interpretation der genannten Angabe in Anspruch 1 ist festzustellen, daß diese Angabe über die bereits enthaltenen Definitionen hinaus keine weitere Definition von Merkmalen der Spule bewirkt.

4. Hauptantrag; Neuheit

4.1. Druckschrift D6 beschreibt eine Spule für fotografische Filme, mit einem im Spulenkern angeordneten Schlitz und darin angeordneten Mitteln zum Befestigen des in den Schlitz eingeschobenen Bandendes, nämlich einem Haken. Alle weiteren für den Vergleich mit dem vorliegenden Anspruch 1 relevanten Merkmale dieser bekannten Konstruktion sind nicht im Text beschrieben, sondern müssen aus der Zeichnung, insbesondere aus Figur 2, entnommen werden. Trotz der bei der Interpretation von Zeichnungen gebotenen Vorsicht ist es nach Auffassung der Kammer klar, daß die bekannte Spule zwischen den oberen und unteren Schlitzflächen und den Außenflächen des Spulenkerns annähernd zylindermantelförmig gerundete Übergangsflächen aufweist. Auch geht eine Mittelebene des Spulenkerns durch den Schlitz, und der Fuß des Hakens liegt, was auch aus Figur 1 ersichtlich ist und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird, außerhalb dieser Mittelebene.

4.2. Im Gegensatz zur Einspruchsabteilung sieht die Kammer den Anspruch 1 (Hauptantrag) nicht als auf Bogenabschnitte mit konstantem Radius beschränkt an. Daß dort vom Radius eines Bogenabschnitts die Rede ist, bedeutet noch nicht, daß dieser Radius konstant sein muß. Es besteht auch kein Grund dafür, Anspruch 1 als durch Angaben der Beschreibung eingeschränkt zu betrachten.

Hierin liegt also kein Unterschied zwischen den Gegenständen des Anspruchs 1 und der Druckschrift D6.

4.3. Hingegen sind die übrigen Merkmale nach Anspruch 1 nach Auffassung der Kammer nicht zweifelsfrei aus der Druckschrift D6 entnehmbar.

Von einer schematischen Zeichnung wie der Figur 2 (vgl. T 204/83, ABl. 1985, 310) ist nicht vorauszusetzen, daß sie ein Merkmal wie das Fehlen oder Vorhandensein von Knicken der Übergangsfläche richtig wiedergibt, da die Figur ja in keiner Weise auf die Darstellung dieses speziellen Merkmals abgestellt ist, und auch in der Beschreibung nicht nur dieses Merkmal als bedeutsam herausgestellt wird, sondern darüber hinaus die gesamte Frage der Formgebung der Übergangsflächen völlig unbeachtet bleibt.

Die Beschwerdeführerin hat auch mit Recht darauf hingewiesen, daß in der genannten Figur 2 der gezeichnete kontinuierliche Krümmungsverlauf im Bereich der Außenkontur des Hakens insofern irrelevant ist, als es sich gemäß Anspruch 1 nicht um den knickfreien Übergang der Außenkontur des Hakens, sondern um den knickfreien Übergang der den Haken tragenden Schlitzfläche in die Übergangsfläche handelt. Der letztere Übergang ist aber in dem in Figur 2 gewählten Schnitt überhaupt nicht gezeigt.

Das Merkmal "knickfrei" in Anspruch 1 ist zwar für sich betrachtet nicht sehr präzis, da auf real existierenden Gegenständen auch Knicke letztlich nur Stellen mit kleinerem Krümmungsradius sind. Es gewinnt aber eine präzisere Bedeutung im Zusammenhang mit dem weiteren, eine Untergrenze der Radien der Übergangsflächen von einem Drittel des Spulenkernradius festlegenden Merkmal, das dann natürlich auch für den Radius eventueller Knicke ein Maß bildet.

4.4. Die letztgenannte Bemessungsregel für die Radien der Übergangsflächen (mindestens ein Drittel des Spulenkernradius) ist der Druckschrift D6 ebenfalls nicht entnehmbar.

4.5. Bei der Untersuchung der Frage, ob die in Figur 2 der Druckschrift D6 gezeigten Übergangsflächen einen Bogenabschnitt von mehr als 90° bilden, ist die gleiche Problematik der Interpretation einer die alleinige Offenbarung darstellenden schematischen Zeichnung zu berücksichtigen, wie sie oben im zweiten Absatz von Punkt 4.3 aufgezeigt ist. Es kommt aber noch hinzu, daß bereits der Ansatzpunkt für eine Winkelmessung unsicher ist, da es - wie oben ausgeführt - offen ist, ob Knicke vorhanden sind oder nicht. Dies bedeutet nämlich, daß es nicht eindeutig entnehmbar ist, bei welchen Winkelwerten die Übergangsflächen beginnen und endigen und über welchen Bogenabschnitt sie sich folglich erstrecken. Auch dieses Merkmal ist also der Druckschrift D6 nicht eindeutig entnehmbar.

4.6. Die ebenfalls eine Filmspule betreffende Druckschrift D1 offenbart, ähnlich wie Druckschrift D6, nicht in der Beschreibung, sondern lediglich in der Zeichnung (Figuren 3 bis 5) einige der im vorliegenden Fall relevanten Merkmale. So ist ersichtlich, daß der Hakenfuß außerhalb der Mittelebene des Spulenkerns liegt. Die Kanten beider Schlitzflächen sind etwas abgerundet gezeichnet, wenn dies auch weniger deutlich zum Ausdruck kommt als bei der Druckschrift D6. Ebenso wie in Druckschrift D6 fehlt aber auch hier eine Offenbarung der Merkmale "knickfrei", "Bogenabschnitte von mehr als 90°" und "Radius mindestens ein Drittel des Radius des Spulenkerns".

4.7. Die Druckschrift D2 beschreibt eine Filmspule mit einem Filmeinführungsschlitz, in dem Befestigungshaken für den Film angeordnet sind, wobei sich deren Fuß außerhalb der Mittelebene des Spulenkerns befindet (siehe die Figuren 3 bis 10). Die Kante derjenigen Seite des Schlitzes, auf der sich der Haken befindet, ist abgerundet (siehe Seite 12, Zeilen 11 bis 13, Anspruch 2, und die Figuren 7, 8 und 10). Es fehlt aber die Beidseitigkeit der gerundeten Übergangsflächen, die Knickfreiheit (es sind im Gegenteil in den Figuren 7 und 10 sogar Knicke zwischen der Schlitzfläche und der anschließenden gerundeten Übergangsfläche gezeichnet), der Winkel des Bogenabschnitts von mehr als 90° und die Größe des Radius des Bogenabschnitts von mindestens einem Drittel des Radius des Spulenkerns.

4.8. Der übrige, im Erteilungs- und Einspruchsverfahren genannte Stand der Technik liegt vom Gegenstand des Anspruchs 1 weiter ab.

Insbesondere ist in keiner der Druckschriften 3 bis 5 und 9 eine Abrundung einer Kante des Filmeinführungsschlitzes beschrieben. Druckschrift D7 zeigt lediglich (im Schlitz angeordnete) Klemmkörper, die ähnlich abgerundet sind wie der Schlitzeingang gemäß Druckschrift D6. Druckschrift D8 ist nicht vorveröffentlicht.

4.9. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist somit neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Ebenso wie beide Parteien ist auch die Kammer der Auffassung, daß die Druckschrift D6 dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommt.

Ausgehend von dieser bekannten Spule liegt dem Gegenstand des Anspruchs 1 die Aufgabe zugrunde, eine Filmspule zu schaffen, bei deren Verwendung der Film den dynamischen Zugbelastungen (in Presplicern) standhält und die statischen Haltekräfte erhöht werden, wobei der Film auch vor dem Abreißen im Endbereich des Films vor (d. h. nicht direkt an) der Befestigungsstelle bewahrt werden soll (vgl. Spalte 2, Zeilen 14 bis 22 der Beschreibung des erteilten Patents).

5.2. Für die Untersuchung der Frage, inwieweit es zur Lösung dieser Aufgabe nahelag, die oben in den Punkten 4.3 bis 4.5 aufgeführten Abänderungen der Spulenkonstruktion vorzunehmen, ist es zunächst erforderlich festzustellen, ob (und gegebenenfalls inwiefern) die Druckschrift D6 Anregungen für den Fachmann beinhaltet, die über das reine Aufzeigen von Sachmerkmalen hinausgehen.

Figur 2 dieser Druckschrift zeigt, daß der Schlitz an dem für den Filmeinschub vorgesehenen Ende beidseitig abgerundete Kanten aufweist. Im Text sind diese Abrundungen nicht erwähnt. Zwar ist die Kammer überzeugt, daß diese Abrundungen nicht zufällig oder aus spritztechnischen Gründen zustandegekommen sind, da ja die entsprechenden Kanten an dem anderen, nicht zur Einführung des Films vorgesehenen Ende des Schlitzes keine solchen Abrundungen aufweisen. Wozu aber die Abrundungen tatsächlich dienen sollen, ist nicht dargelegt. Wie die Beschwerdeführerin zurecht ausführt, ist in Druckschrift D6 nur das Einreißen des Films am Lochungsrand, d.h. also am Ort der Befestigung am Haken, erwähnt (siehe Spalte 2, Zeilen 47 bis 50, und Spalte 3, Zeilen 9 bis 10), was nicht direkt etwas mit der Gestaltung der Schlitzkanten zu tun haben kann. Das Hauptanliegen der Druckschrift D6 ist aber überhaupt nicht die Reißfestigkeit, sondern eine bequeme Befestigung des Films auch im Dunkeln, wobei die Einführung des Films vom falschen Schlitzende her unmöglich gemacht werden soll (siehe Spalte 1, Zeilen 17 bis 22). Es ist also nicht ausgeschlossen, daß die in Figur 2 gezeigte abgerundete Aufweitung des Einschubendes des Schlitzes im Gegensatz zur kantigen Ausführung am anderen Ende etwas mit der bequemen Einführung des Films zu tun hat.

Wie dem auch sei, wird zwar der Fachmann in der Praxis feststellen, daß Filmrisse auch vor der Befestigungsstelle auftreten. Durch die Druckschrift D6 wird aber kein Hinweis gegeben, daß die Abrundung der Kanten im Zusammenhang mit einer möglichen Verminderung von solchen Filmrissen steht.

5.3. Eine entsprechende Erkenntnis mag sich für ganz scharfe Kanten, die eine Schneide bilden und gegen ein bandförmiges Material gepreßt werden, aus der allgemeinen technischen Erfahrung ergeben (z. B. beim Abschneiden eines Bandes mit einem Messer). Auf die Spule nach Druckschrift D6 bezogen, war es aber nicht so offensichtlich, daß ein solch starkes Anpressen an den Schlitzkanten überhaupt stattfindet, und daß die gezeigten abgerundeten Kanten immer noch eine Gefährdung der Festigkeit des Films mit sich bringen. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgeführt, daß abgerissenen Filmen in der Regel keine Spuren anzusehen sind, die auf den Grund des Abreißens schließen lassen. Der Fachmann hatte deswegen keine Veranlassung, die Abrundung der Kanten nach D6 in Richtung auf die Erfindung hin zu ändern, so daß Filmrisse vermieden werden können.

5.4. Die Druckschrift D2 zeigt in den Figuren 7, 8 und 10 eine Abrundung, die ungefähr dem Grad der Abrundung gemäß Figur 2 der Druckschrift D6 entspricht, aber auch einen deutlichen Knick zwischen der (horizontal gezeichneten) unteren Schlitzwand und dem - in Verlängerung des Hakenprofils - schräg nach unten weiterführenden Übergangsbereich aufweist. Die Form der Abrundung wird nicht näher beschrieben, jedoch erwähnt diese Druckschrift, daß das Reißen des Films durch Abrunden der Kante der einen Wand des Filmeinführungsschlitzes verhindert werden kann (vgl. Seite 12, Zeilen 11 bis 13; es ist zu vermuten, daß hier das Reißen vor der Befestigungsstelle gemeint ist). Druckschrift D2 vermittelt also eher die Lehre, daß die dort gezeigten Maßnahmen ausreichen, um den Filmriß zu verhindern, als daß sie die Anregung geben könnte, Knicke konsequent zu vermeiden und den Radius aller Krümmungen noch weiter zu vergrößern.

Auch der gesamte übrige, im Erteilungs- und Einspruchsverfahren genannte Stand der Technik enthält nichts, was hierzu eine Anregung geben könnte.

5.5. Wenn man also der Lehre der Druckschrift D6 die allgemeine technische Erfahrung und die Lehre der Druckschrift D2 hinzufügt, kann man zwar zu der Erkenntnis kommen, daß allzu scharfe Kanten (zumindest auf der Seite, über die bei der Konfektionierung der Film aufgewickelt wird), für die Reißfestigkeit nachteilig sind. Es bestand aber für den Fachmann keine Veranlassung zu irgendwelchen Zweifeln daran, daß unter den bei einem Film auf einer Filmspule gegebenen Bedingungen die von den Schlitzkanten ausgehende Gefährdung der Reißfestigkeit durch die in Druckschrift D6 oder D2 gezeigten Abrundungen bereits im Rahmen des Möglichen beseitigt sei. Wie die Beschwerdeführerin ausgeführt hat, war außerdem gar nicht bekannt, welche Teile der Spule eigentlich beim Abbremsen des Abspulvorgangs in einem Presplicer mit welchen Kräften auf den Film einwirken, und welche Rolle eventuelle, von Lagerung und Gebrauch des Films herrührende latente Vorschwächungen des Films spielen. Eine Anregung zum Weitergehen zu noch größeren Radien als sie gemäß Druckschrift D6 oder D2 vorgesehen sind, nämlich zu mindestens einem Drittel des Radius des Spulenkerns, und zum Vermeiden auch flacher Knicke, oder auch nur zu Versuchen in dieser Richtung, bestand also nicht.

Hier liegt (neben dem noch folgenden, von der Einspruchsabteilung nicht berücksichtigten Punkt 5.6) der Hauptunterschied zwischen der Auffassung der Kammer und derjenigen der Einspruchsabteilung, die in ihrer Widerrufsentscheidung auf Seite 6 unten ohne weitere Begründung voraussetzt, daß der Fachmann das Bestreben haben würde, den Radius der Übergangsflächen "zur Vermeidung von scharfen Knicken möglichst groß zu wählen".

5.6. Es kommt aber noch folgendes hinzu: Die Druckschrift D2 ist das einzige Dokument des im Verfahren befindlichen Standes der Technik, das überhaupt die Möglichkeit des Reißens des Films vor der Befestigungsstelle erwähnt und einen Zusammenhang mit der Kantenform aufzeigt. Aber auch in ihr fehlt jeder Hinweis darauf, daß die Reißfestigkeit auch etwas mit der Abrundung der zweiten Kante des Schlitzeinganges zu tun hat. Dies ist keineswegs von vornherein naheliegend, da bei der Konfektionierung der Film ja nur über die eine (erste) Kante des Schlitzeinganges abgebogen wird. Bezüglich dieser zweiten Kante des Schlitzeingangs erhält also der Fachmann aus dem Stand der Technik nicht einmal die Information, wozu die in Figur 2 der Druckschrift D6 gezeigte Abrundung dieser Kante dienen kann, und um so weniger eine Anregung, diese Rundung knickfrei und mit einem Radius von mindestens einem Drittel des Radius des Spulenkerns zu gestalten.

5.7. Die Beschwerdegegnerin bestreitet, daß durch den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 eine überragende oder überraschende Wirkung erzielt wird.

Es ist richtig, daß die Untersuchung gemäß der eidesstattlichen Erklärung von Herrn Lührig nichts zur Glaubhaftmachung einer vorteilhaften Wirkung des Patentgegenstandes gegenüber der Spule nach Druckschrift D6 beiträgt, da der Vergleich zwar mit Spulen u.a. gemäß Druckschrift D1, nicht aber mit solchen nach Druckschrift D6 durchgeführt wurde.

Andererseits hat auch die Beschwerdegegnerin keinen Nachweis vorgelegt, der auf das Fehlen einer vorteilhaften Wirkung hindeuten könnte.

Die Beschwerdeführerin hat bereits in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 1, Zeile 9 bis Seite 2, Zeile 7, und erneut in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zum Ausdruck gebracht, daß durch den Patentgegenstand auch gegenüber der Spule nach Druckschrift D6 eine verbesserte Reißfestigkeit erzielt wird. Die Kammer hat keine Veranlassung, hieran zu zweifeln, denn es ist aus der Kenntnis des vorliegenden Patents heraus betrachtet durchaus einleuchtend, daß bei den dynamischen Abbremsvorgängen in Presplicern beide Kanten des Spulenschlitzes eine Rolle spielen können, daß Fehlaufwicklungen in der falschen Richtung vorkommen und daß sich gegebenenfalls auch früher erfolgte, verhältnismäßig schwache Abbiegungen des Films negativ auswirken können.

Vor Kenntnis des Streitpatents konnte allerdings der Fachmann, wie oben dargelegt, die mit solchen Maßnahmen erzielbare Wirkung nicht vorhersehen. Auch wenn kein Nachweis dafür vorliegt, daß die erzielte Erhöhung der Reißfestigkeit quantitativ "überragend" ist, so war sie somit doch jedenfalls als überraschend zu werten.

5.8. Es ergibt sich somit, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 (Hauptantrag) auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

6. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist daher gewährbar (Artikel 52 (1) EPÜ), ebenso wie die von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 7.

Damit wird der Hilfsantrag gegenstandslos.

Folglich sind keine der in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe ersichtlich, die der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form entgegenstehen könnten, so daß der Einspruch zurückzuweisen ist (Artikel 102 (2) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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