T 0576/89 (Antragsrecht) of 29.4.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T057689.19920429
Datum der Entscheidung: 29 April 1992
Aktenzeichen: T 0576/89
Anmeldenummer: 83300257.9
IPC-Klasse: C08L 23/04
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Du Pont
Name des Einsprechenden: BASF, AKZO
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: Führt ein auf den Widerruf eines Patents gerichteter Einspruch dazu, daß das Patent auf der Grundlage eines Hilfsantrags aufrechterhalten wird, so steht die Beschwerde eindeutig beiden Beteiligten zu. Legt de facto nur einer der Beteiligten Beschwerde ein und wird der Beschwerdegegner somit aufgrund von Artikel 107 Satz 2 EPÜ Verfahrensbeteiligter, so braucht dieser nicht selbst Beschwerde einzulegen, um zu beantragen, daß ein breiterer Anspruch zugelassen oder das Patent in vollem Umfang widerrufen wird (je nach dem, welche Partei Beschwerde eingelegt hat).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
Schlagwörter: Keine Notwendigkeit für eine parallele Beschwerde
Erfinderische Tätigkeit (verneint) - vielversprechender Stand der Technik weist in die Richtung der beanspruchten Lösung - keine unerwartete Wirkung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0009/92
G 0004/93
T 0742/89

Sachverhalt und Anträge

I. Der Hinweis auf die Erteilung des Patents Nr. 0 087 210 auf die am 19. Januar 1983 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 83 300 257.9, die die Priorität einer früheren Anmeldung in Kanada vom 9. Februar 1982 in Anspruch nimmt, wurde am 13. November 1985 bekanntgemacht; der Erteilung lagen 21 Ansprüche zugrunde, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet:

II. Am 26. Juni 1986 legte die Einsprechende 1 Einspruch gegen die Erteilung des Patents ein und beantragte dessen Widerruf in vollem Umfang wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ.

Am 10. Juli 1986 legte die Einsprechende 2 Einspruch gegen das erteilte Patent ein und beantragte dessen Widerruf in vollem Umfang mit der Begründung, daß das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ nicht erfüllt sei.

Diese Einwände, die in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung bekräftigt und weiter ausgeführt wurden, stützten sich im wesentlichen auf die folgenden Entgegenhaltungen:

III. In einer am 6. Dezember 1988 mündlich verkündeten Zwischenentscheidung, deren schriftliche Begründung am 20. Juni 1989 zur Post gegeben wurde, vertrat die Einspruchsabteilung die Auffassung, daß die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des am 6. Dezember 1988 eingereichten Satzes von 6 Ansprüchen nicht entgegenstünden; diese Ansprüche entsprachen den ursprünglichen Verfahrensansprüchen 15 bis 20, wobei der neue Hauptanspruch durch folgenden Zusatz ergänzt worden war: "... und Gewährleistung eines Gelgehalts von mindestens 75 Gew.-% bei dem entstandenen Produkt".

In der Entscheidung hieß es, daß der Gelgehalt von mindestens 75 Gew.-% ein erfinderisches Merkmal sei, da er den im Rotationsgießverfahren hergestellten Gegenständen eine bessere Kaltschlagzähigkeit verleihe. Diese Wirkung, die als überraschend anzusehen sei, stelle somit die Grundlage für eine Auswahlerfindung dar.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) legte daraufhin am 4. September 1989 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. In der am 17. November 1989 eingereichten Beschwerdebegründung sowie in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 1992 brachte sie im wesentlichen vor, daß die Angabe des gewünschten Gelgehalts allein einer durch die Kombination von zwei Lehren nahegelegten Zusammensetzung noch keine erfinderische Tätigkeit verleihe. Die Bestimmung des geeigneten Gelgehalts sei lediglich das Ergebnis einer Verfahrensoptimierung und hätte von jedem Durchschnittsfachmann vorgenommen werden können; es handle sich dabei, wie aus den nachstehenden weiteren Dokumenten hervorgehe, nur um die bekannte und anerkannte Methode, den Vernetzungsgrad von Polyethylen zum Ausdruck zu bringen:

V. In ihrem am 5. März 1990 eingereichten Schriftsatz sowie in der mündlichen Verhandlung begehrte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) mit ihrem Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung ohne den Anspruch 21, dessen Merkmale in den Anspruch 15 übernommen worden waren, oder - hilfsweise - die Aufrechterhaltung in geändertem, d. h. auf die Verfahrensansprüche 1 bis 6 beschränktem Umfang. Die Beschwerdegegnerin brachte ferner vor, daß die Einspruchsabteilung das Patent zu Unrecht auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Hauptantrags zurückgewiesen habe.

VI. In ihrer am 29. Juni 1990 eingereichten Stellungnahme zum Antrag der Beschwerdegegnerin an die Beschwerdekammer, sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag zu prüfen, da beide der Einspruchsabteilung vorgelegen hätten, erhob die Beschwerdeführerin einen verfahrensrechtlichen Einwand; es stehe der Beschwerdegegnerin nicht zu, in der vorliegenden Beschwerdesache die Frage der Gewährbarkeit des Hauptantrags aufzuwerfen, da sie selbst keine Beschwerde eingelegt habe.

VII. Mit einem am 11. November 1991 eingegangenen Schreiben teilte die Einsprechende 1 der Kammer mit, daß sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, zu der sie als Verfahrensbeteiligte ordnungsgemäß geladen worden war.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der am 5. März 1990 eingereichten Ansprüche 1 bis 20 (Hauptantrag) oder - hilfsweise - die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

Verfahrensfragen

2. Wie unter Nummer III dargelegt, befaßte sich die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht mit dem Hauptantrag, sondern beschränkte sich auf den sog. "Schlußantrag der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung". In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wies der Vertreter der Beschwerdegegnerin darauf hin, daß er auf den Hauptantrag formell nicht verzichtet, sondern den Hilfsantrag lediglich deshalb weiterverfolgt habe, weil die Einspruchsabteilung mündlich festgestellt habe, sie würde dem Hauptantrag nicht stattgeben. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung bestätigt, daß diese nach einer halbstündigen Beratungspause den Hauptantrag zurückgewiesen, dafür aber den Hilfsantrag als erfinderisch angesehen hat. Ob jedoch später auf den Hauptantrag förmlich verzichtet wurde, geht daraus nicht hervor. Auch die Beschwerdeführerin konnte hierüber nicht Aufschluß geben, da sie an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht teilgenommen hat.

Die Kammer ist daher nicht in der Lage festzustellen, was in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung im einzelnen geschah. Abgesehen davon, daß die Beschwerdegegnerin mit der Fassung einverstanden war, die dem Bescheid vom 2. März 1989 nach Regel 58 (4) EPÜ beilag (vgl. Stellungnahme vom 30. März 1990), und selbst keine Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegt hat, hat sie auch die Verfahrensweise der Einspruchsabteilung nicht beanstandet. Hätte sie bemängelt, daß die Einspruchsabteilung entgegen Regel 68 EPÜ ihre Zurückweisung des Hauptantrags nicht begründet hatte, so hätte die Kammer die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung in Betracht ziehen müssen. Nach Lage des Falles geht jedoch aus Nummer 4 der Begründung der Entscheidung klar hervor, weshalb die Einspruchsabteilung nicht die Merkmale A bis F des strittigen Hauptanspruchs, nämlich die Kombination von Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags, sondern nur das Merkmal G, nämlich einen Gelgehalt von mindestens 75 Gew.-%, durch das sich der Hilfsantrag vom Hauptantrag unterschied, für erfinderisch hielt. Außerdem deutet nichts darauf hin, daß die Einspruchsabteilung von der Beschwerdegegnerin verlangte, sich zwischen a) dem Widerruf des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder b) der Zurücknahme des Hauptantrags und der Weiterbehandlung auf der Grundlage des Hilfsantrags zu entscheiden. Infolgedessen hält die Kammer Regel 68 EPÜ für erfüllt.

3. Die Beschwerdeführerin stellte die Verfahrensfrage, ob es der nicht beschwerdeeinlegenden Partei, d. h. der gemäß Artikel 107 EPÜ am Verfahren Beteiligten, dennoch zustehe, den Teil der Entscheidung anzufechten, gegen den sie hätte Beschwerde einlegen können, aber nicht eingelegt habe.

3.1 Als erstes muß die Kammer prüfen, welche Wirkung die vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgebrachten Änderungsvorschläge für eine Beschwerde haben, insbesondere, ob ein Patentinhaber im Beschwerdeverfahren Ansprüche vorlegen darf, die weiter gefaßt sind als die von der Einspruchsabteilung akzeptierten. Diese Frage ist bereits in zahlreichen früheren Entscheidungen behandelt worden.

In der Entscheidung T 123/85 "Inkrustierungsinhibitoren/BASF" (ABl. EPA 1989, 336) vertrat die Kammer die Auffassung, daß der Patentinhaber mit einem Antrag, sein Patent beschränkt aufrechtzuerhalten, grundsätzlich nichts weiter zum Ausdruck bringe als den Versuch, sein Patent gegenüber Bedenken, die das Europäische Patentamt oder die Einsprechenden geäußert hätten, abzugrenzen. Die beschränkte Antragstellung besage dagegen nicht, daß der Patentinhaber auf den Teil seines erteilten Patents unwiderruflich verzichte. Daraus folge, daß ein Patentinhaber, der sich zu einer einschränkenden Änderung bereit erklärt habe, um einem Einspruch zu begegnen, das Recht habe, in seine Ansprüche Gegenstände wieder aufzunehmen, die er vorher zu streichen gewillt gewesen sei, sofern diese Änderungen keinen verfahrensrechtlichen Mißbrauch darstellten (Entscheidungsgründe, Nrn. 3.1.1 und 3.1.2).

Im vorliegenden Fall kann der Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, den die Beschwerdegegnerin bei der ersten sich ihr bietenden Gelegenheit, d. h. in der Stellungnahme auf die Beschwerdebegründung, gestellt hat, nicht als verfahrensrechtlicher Mißbrauch angesehen werden.

Dieselbe Linie wurde ausdrücklich in zwei weiteren Entscheidungen vertreten, nämlich in T 155/88 vom 14. Juli 1989 (vgl. Nr. 2) und in T 506/91 vom 3. April 1992 (vgl. Nr. 2.4). In beiden Entscheidungen wurde das Recht des Patentinhabers bestätigt, auf den Gegenstand der breiteren Ansprüche zurückzukommen, sofern nicht aus der Sachlage eindeutig hervorgehe, daß der Patentinhaber die tatsächliche und unzweifelhafte Absicht habe, auf den breiteren Gegenstand der früheren Ansprüche zu verzichten.

3.2 Als nächstes ist zu prüfen, ob es einen Unterschied macht, wenn der Patentinhaber, der im Beschwerdeverfahren einen breiteren Anspruch beantragt, nicht selbst Beschwerde eingelegt hat, obwohl ihm dies freigestanden hätte, da der Hauptantrag zurückgewiesen und das Patent auf der Grundlage eines Hilfsantrags aufrechterhalten worden ist.

Im vorliegenden Fall vertrat die Kammer die Auffassung, daß für die Beschwerdegegnerin keine Notwendigkeit bestand, parallel Beschwerde einzulegen, und prüfte sowohl bei dem im Beschwerdeverfahren vorliegenden Hauptantrag als auch bei dem Hilfsantrag die Frage der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands.

Die Kammer hat jedoch davon Kenntnis erhalten, daß in einer anderen Entscheidung, die zwar ein späteres Datum trägt, aber schriftlich schon früher ergangen ist (T 369/91 vom 15. Mai 1992), hinsichtlich der Notwendigkeit einer parallelen Beschwerde eine gegenteilige Auffassung vertreten wird. Die Kammer beruft sich zur Stützung ihrer Entscheidung in dieser Frage auf die nachstehende Rechtsprechung und Überlegung.

In der Entscheidung T 89/84 "Rückzahlung der Beschwerdegebühr/TORRINGTON" (ABl. EPA 1984, 562) gelangte die Kammer zu der Auffassung, daß für eine Verfahrensbeteiligte keine "verfahrensbedingte Notwendigkeit" bestanden habe, Beschwerde gegen eine für sie ungünstige Feststellung in einer insgesamt zu ihren Gunsten ausgefallenen Entscheidung einzulegen, da die Beschwerdekammer gehalten sei, den Sachverhalt von sich aus zu prüfen, und infolgedessen jede von der Vorinstanz entschiedene Frage wieder aufrollen könne (Entscheidungsgründe Nr. 5). Diese Auffassung wurde in der Entscheidung T 73/88 vom 7. November 1989 (ABl. EPA 1992, 557, der amtliche Text dieser heidung Entscheidung war englisch) bestätigt. Gemäß Nummer 1 der Entscheidungsgründe steht dem Patentinhaber, dessen Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents im Einspruchsverfahren von der Einspruchsabteilung stattgegeben wurde, gegen eine ihn belastende Feststellung in der Entscheidung keine Beschwerde zu, weil er durch die Entscheidung nicht im Sinne des Artikels 107 EPÜ beschwert ist. Wurde allerdings die Beschwerde von einem Einsprechenden eingelegt und will der Patentinhaber geltend machen, daß die belastende Feststellung unrichtig ist, so sollte er die Gründe für diese Behauptung ähnlich wie in einer parallelen Beschwerde in seiner Stellungnahme zur Beschwerdebegründung nach Regel 57 (1) EPÜ vorbringen (vgl. auch den insoweit ungenau wiedergegebenen Leitsatz III).

3.3 Abgesehen von der ständigen Rechtsprechung findet sich die Feststellung, daß ein Beschwerdegegner im Beschwerdeverfahren auch andere als die von der Beschwerdeführerin genannten Streitpunkte vorbringen kann, durch das EPÜ belegt.

In Artikel 108 EPÜ wird für die Einreichung einer Beschwerde eine strenge Frist gesetzt, während es für die Einreichung von "parallelen Beschwerden" weder im Übereinkommen noch in den Regeln Vorschriften oder auch Fristen gibt. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Verfasser des EPÜ die Auffassung vertraten, die einzige Verfahrensfrage, die der Regelung bedürfe, sei die Feststellung, ob eine Beschwerde anhängig sei.

Sobald eine Beschwerde anhängig ist, steht es nach Artikel 114 (1) EPÜ im Ermessen der Beschwerdekammern, auch andere als die von den Beteiligten vorgebrachten Sachverhalte zu ermitteln. Somit steht es einem Beteiligten - sei er nun Patentinhaber oder Einsprechender - angesichts einer Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der ein Patent auf der Grundlage eines Hilfsantrags aufrechterhalten wird, durchaus frei, sich mit der Entscheidung zufriedenzugeben und sich nicht mit einer Beschwerde zu belasten. Bringt ihn jedoch die Gegenpartei dazu, die Sache im Beschwerdeverfahren erneut aufzurollen, dann ist er berechtigt, den ihn beschwerenden Teil der erstinstanzlichen Entscheidung anzufechten.

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem im EPÜ vertretenen generellen Grundsatz, wonach nach Möglichkeit vermieden werden sollte, daß über materiellrechtliche Fragen auf der Grundlage von Verfahrensvorschriften entschieden wird.

Wenn die Sachverhalte, die im Beschwerdeverfahren erörtert werden dürfen, auf das Vorbringen in der Beschwerdebegründung zu beschränken wären, mit der Maßgabe, daß die Gegenpartei nur dann das Recht hätte, auch andere Sachverhalte vorzubringen, wenn sie innerhalb der Grundfrist nach Artikel 108 EPÜ eine parallele Beschwerde eingereicht hat, so wäre dies ein Anreiz dazu, Beschwerden am letzten Tag der Frist von zwei Monaten einzureichen, um so der Gegenpartei die Möglichkeit zu einer parallelen Beschwerde zu nehmen. Die Vorstellung, daß das materielle Recht der Beteiligten durch verfahrenstaktische Manöver entscheidend beeinflußt werden darf, ist dem Rechtssystem des EPÜ fremd.

Führt - wie so häufig - ein Einspruch zur Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang und wird zwar vom Patentinhaber, nicht aber vom Einsprechenden Beschwerde eingelegt, so liegt es zweifellos noch immer im Ermessen der Kammer, in der Sache ggf. eine andere Auffassung zu vertreten als die Einspruchsabteilung und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Es wäre entgegen der Regel, wenn die Kammer, die den Widerruf des Patents ins Auge faßt, alle diesbezüglichen Argumente eines Einsprechenden (Beschwerdegegners), der aufgrund von Artikel 107 EPÜ Verfahrensbeteiligter ist, unberücksichtigt lassen müßte, nur weil er selbst keine Beschwerde eingelegt hat, obwohl sie doch gerade diesen Sachverhalt von sich aus ermittelt.

3.4 Im vorliegenden Fall hielt sich die Kammer deshalb für durchaus berechtigt, sich mit dem Hauptantrag zu befassen, zumal jede Entscheidung über den Hilfsantrag implizit auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit des im Hauptantrag enthaltenen Anspruchs 1 würde eingehen müssen. Obwohl die Kammer ihre Entscheidung über die Verfahrenslage zu Beginn der mündlichen Verhandlung treffen mußte, wurde ihre Endentscheidung davon nicht berührt.

4. ...

Hauptantrag

5. ...

8.5 Zusammenfassend ist festzustellen, daß der beanspruchte Gegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich eine gemäß der Lehre des Dokuments D(g) vorgenommene Änderung der im Dokument D(i) offenbarten Zusammensetzungen darstellt. Da dieser Schritt im Hinblick auf die zu lösende technische Aufgabe naheliegt, kann keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden.

9. Da Anspruch 1 nicht gewährbar ist, sind es auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 14 nicht, die sich auf bevorzugte Ausführungsarten des Gegenstands des auf ein Stoffgemisch gerichteten Hauptanspruchs beziehen und mit diesem stehen und fallen. Dasselbe gilt für die Verfahrensansprüche 15 bis 20, da ein Antrag nur als Ganzes in Betracht gezogen werden kann.

Hilfsantrag

10. ...

11. Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, daß er als Verfahrensanspruch formuliert ist und die Bedingung eines Mindestgelgehalts von 75 % enthält ...

Der Gegenstand des auf ein Verfahren gerichteten Hauptanspruchs weist daher keine erfinderische Tätigkeit auf.

12. Da Anspruch 1 nicht gewährbar ist, sind es auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 nicht, die auf bevorzugte Ausführungsarten des Gegenstands des ein Verfahren betreffenden Hauptanspruchs gerichtet sind und mit diesem stehen und fallen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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