T 0504/89 () of 18.4.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T050489.19910418
Datum der Entscheidung: 18 April 1991
Aktenzeichen: T 0504/89
Anmeldenummer: 82110143.3
IPC-Klasse: C08K 3/14
C08K 3/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Korund-Schleifkorn mit keramischer Ummantelung
Name des Anmelders: Hüls AG
Name des Einsprechenden: Lonza AG
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: unadmissible amendment (no) - referral to first
instance - inexpediency to base a decision exclusively
on unadmissibility of the amendment
unzulässige Änderung (nein) - Rückverweisung
Unzweckmäßigkeit, eine Entscheidung allein auf
unzulässige Änderung zu stützen (Gründe Nr. 6.1 bis
6.3)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1037/96

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 4. November 1982 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 82 110 143.3 ist am 28. Januar 1987 das drei Ansprüche umfassende europäische Patent Nr. 80 604 erteilt worden.

Der Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"Korund-Schleifkorn mit keramischer Ummantelung aus 0,25 bis 2 Gew.-%, bezogen auf das Gewicht des unbehandelten Kornes, einer gemahlenen Glasfritte, einem Bindemittel und einem Feinkorn, gekennzeichnet durch einen Gehalt von 1 bis 5 Gew.-% eines schleifaktiven Feinkorns in der Ummantelung mit einer größten Abmessung von 10 bis 50 µm, die 1 bis 10 % des mittleren Durchmessers des Ausgangskornes entspricht, sowie eine daraus resultierende im wesentlichen glatte und nahezu porenfreie keramisierte Oberfläche".

II. Gegen das erteilte Patent hat der Beschwerdegegner und Einsprechende Einspruch eingelegt mit der Begründung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf den den Druckschriften US-A-3 269 815 und EP-A-0 014 236 zu entnehmenden Stand der Technik nicht neu sei oder nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Mit Schreiben vom 29. März 1988 hat der Beschwerdeführer und Patentinhaber auch einen neuen Satz von drei Ansprüchen eingereicht.

Der geltende Anspruch 1 lautet dabei wie folgt:

"Korund-Schleifkorn mit keramischer Ummantelung aus 0,25 bis 2 Gew.-%, bezogen auf das Gewicht des unbehandelten Kornes, einer gemahlenen Glasfritte, einem Bindemittel und 1 bis 5 Gew.-% eines schleifaktiven Feinkorns in der Ummantelung, dessen größte Abmessung 1 bis 10 % des mittleren Durchmessers des Ausgangskornes entspricht, gekennzeichnet durch eine größte Abmessung des schleifaktiven Feinkorns von 10 µm sowie eine daraus resultierende im wesentlichen glatte und nahezu porenfreie keramisierte Oberfläche".

Dieser Anspruch 1 unterscheidet sich von der Fassung des Anspruchs 1 des erteilten Patents dadurch, daß er nicht mehr den Korngrößenbereich "bis 50 µm" enthält.

IV. Mit Rücksicht auf die geänderte Fassung des Anspruchs 1 hat der Einsprechende beantragt, das erteilte Patent aufgrund Artikel 100 c) EPÜ zu widerrufen.

V. Durch Entscheidung vom 21. März 1989, die am 15. Juni 1989 zur Post gegeben worden ist, hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen mit der Begründung, daß der Anspruch 1 der mit Schriftsatz vom 29. März 1988 eingereichten Ansprüche nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ entspreche. * VI. Am 2. August 1989 hat der Patentinhaber gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr Beschwerde erhoben. Die Beschwerdebegründung ist am 28. September 1989 eingegangen.

VII. Eine mündliche Verhandlung hat am 18. April 1991 stattgefunden.

1. Der Patentinhaber beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den mit Schriftsatz vom 29. März 1988 am 2. April 1988 eingegangenen Patentansprüchen 1 bis 3 (vgl. Abschnitt III: Anspruch 1).

Nach Auffassung des Patentinhabers sei die Änderung des Merkmals "... mit einer größten Abmessung von 10 bis 50 µm, ..." nach dem Anspruch 1 des erteilten Patents in "durch eine größte Abmessung ... von 10 µm" nach dem geltenden Anspruch 1 durch den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (S. 3, Z. 4 und 5) gedeckt und stelle auch keine gegen Artikel 123 (2) oder (3) EPÜ verstoßende Änderung oder Erweiterung des erteilten Patents dar. Die Angaben auf Seite 3, Zeilen 34 bis 36 dieser Anmeldung lassen es zu, daß das schleifaktive Korn auch Körner mit einer Korngröße kleiner als 10 µm und größer als 50 µm aufweisen könne. Die an beiden Stellen auf der Seite 3 genannte Abmessung sei eindeutig so zu verstehen, daß damit jeweils nur eine größte Abmessung des schleifaktiven Korns gemeint sei. In diesem Sinne müßten auch die in den Beispielen 1, 21, 22 und 3 nach der Tabelle 1 in der Anmeldung und Patentschrift angegebenen Werte für die Korngröße gesehen werden.

2. Der Einsprechende beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, da schon die Änderung des Anspruchs 1 "mit einer Größenordnung" gemäß dem Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung in "mit einer größten Abmessung" nicht zulässig sei. Außerdem entnehme der Fachmann dem Gesamtinhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ganz klar, daß sich der angegebene Zahlenbereich auf den durch die Werte 10 µm und 50 µm begrenzten Korngrößenbereich beschränke.

Er stimme jedoch dem zu, was der Patentinhaber hinsichtlich der Offenbarung auf Seite 3, Zeilen 34 bis 36 der Anmeldung vorgetragen habe, daß aufgrund der statistischen Verteilung auch Körner mit einer Korngröße von 0 bis 10 µm vorhanden sein müssen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nach Artikel 123 (2) EPÜ darf der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht hinausgehen.

2.1. Nach Anspruch 1 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ist das schleifaktive Feinkorn in der Ummantelung des Korund-Schleifkorns" mit einer Größenabmessung von 10 bis 50 µm" vorhanden. In der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (S. 6, Z. 12 bis 14) ist außerdem auf die Beispiele gemäß Tabelle 1 hingewiesen, nach der in den Beispielen 1, 21, 22 und 3 für das Feinkorn Korngrößen in den Bereichen von 10 bis 20 µm, 10 bis 30 µm und 30 bis 50 µm angegeben sind.

Dagegen heißt es auf Seite 3, Z. 1 bis 7 der Beschreibung: "Die Lösung der Erfindungsaufgabe besteht darin, bei ... mit einer größten Abmessung des Feinkorns von 10 bis 50 µm, ..., vorzuschlagen".

Die Änderung der Fassung des Anspruchs 1 von "mit einer Größenabmessung" in "mit einer größten Abmessung" (Anspruch 1 des erteilten Patents) bzw. "durch eine größte Abmessung" (geltender Anspruch 1) wird demnach durch die Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt.

2.2. Im Hinblick auf die Festlegung der größten Abmessung des Feinkorns im geltenden Anspruch 1 auf 10 µm wird auf die Seite 3, Zeilen 34 bis 36 der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hingewiesen. Laut dieser Beschreibung "weist das zugesetzte schleifaktive Feinkorn eine Korngröße von 10 bis 50 µm im 50 %-Punkt auf". Nach Meinung der Kammer und der Beteiligten hätte die zitierte Fassung technisch gesehen keinen Sinn, wenn die Korngrößen des Feinkorns ausschließlich in dem Bereich von 10 bis 50 µm liegen sollten. Das heißt, es wurde nicht bestritten, daß laut der obigen Angaben eine Korngrößenverteilung vorliegen muß, die auch in die Bereiche kleiner als 10 µm und größer als 50 µm hineinreichen kann.

Die auf der Seite 3, Zeilen 4 und 5 offenbarte größte Abmessung des Feinkorns umfaßt daher Bereiche von 0 bis 10 µm, von 0 bis 50 µm oder von 0 bis zu Werten, die zwischen 10 und 50 µm liegen.

Die Festlegung der größten Abmessung des Feinkorns auf 10 µm ist somit gleichfalls durch die Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt.

2.3. Die Kammer kann der Ansicht des Einsprechenden darin nicht folgen, daß der Gesamtinhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ganz klar eine Beschränkung der Korngröße auf den Bereich von 10 µm bis 50 µm vorgebe.

Der Wortlaut des Anspruchs 1 sowie die Beispiele der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung könnten zwar in diese (eingeschränkte) Richtung ausgelegt werden, die Angaben auf Seite 3 (Z. 1 bis 7 und 34 bis 36) der Anmeldung weisen aber eindeutig eine Grundlage für eine breitere Auslegung (vgl. Abschnitt 2.2), nämlich für eine Korngrößenverteilung von 0 bis 50 µm auf.

Die Kammer kann diese beiden eindeutig klaren Angaben nicht einfach als Fehler betrachten, sondern muß die einzige technisch relevante, breitere Auslegung zulassen, dies um so mehr, als die von dem Einsprechenden betonte eingeschränkte Auslegung (10 bis 50 µm) ohne Widerspruch mit der breiteren Auslegung vereinbar ist. In der Tat sind die Beispiele nur als besondere Ausführungsarten anzusehen, die einen Korngrößenbereich angeben, den die breitere Auslegung umfaßt.

2.4. Die neuen Ansprüche 2 und 3 sind identisch mit den Ansprüchen 2 und 3 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

2.5. Der Gegenstand des angefochtenen Patents geht mithin nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

3. Nach Artikel 123 (3) EPÜ dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird.

Dieser Schutzbereich des europäischen Patents wird nach Artikel 69 EPÜ durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Der Inhalt des Anspruchs 1 des erteilten Patents umfaßt - wie im obigen Abschnitt 2.2 festgestellt worden ist - einen Korngrößenbereich für das schleifaktive Feinkorn von 0 bis 50 µm. Durch die Festlegung der größten Abmessung des Feinkorns auf 10 µm im geltenden Anspruch 1 ist der bisherige Bereich von 0 bis 50 µm verkleinert worden auf 0 bis 10 µm.

Die Beschränkung der größten Abmessung auf 10 µm ist somit eine Änderung des Anspruchs 1, durch die dessen Schutzbereich nicht erweitert wird.

4. Aus den Ausführungen in den Abschnitten 2. und 3. ergibt sich, daß durch den geltenden Anspruch 1 nicht gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ verstoßen wird.

5. Die Einspruchsabteilung hat ihre Entscheidung allein damit begründet, daß der im Artikel 100 c) EPÜ genannte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form entgegensteht und deswegen die Prüfung des Grunds des Artikels 100 a) EPÜ sich erübrigt. Bei dieser Sachlage hielt es die Kammer im Einvernehmen mit den Beteiligten für notwendig, der Einspruchsabteilung Gelegenheit zu geben, zusammen mit den Beteiligten zu prüfen, ob auch die Voraussetzungen nach den Artikeln 54 und 56 EPÜ für die Anerkennung der Patentfähigkeit des Gegenstands des geltenden Anspruchs 1 erfüllt sind. Daher macht die Kammer von der ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

6.1. Eine Rückverweisung wäre im vorliegenden Fall wohl nicht notwendig gewesen, hätte die Einspruchsabteilung den Einspruch auch unter der Hypothese geprüft, daß der abgeänderte Anspruch 1 den Erfordernissen von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ entspricht. Es hätte also geprüft werden können, ob gerade die vorgenommene Beschränkung des Korngrößen-Bereichs notwendig ist, um die erfinderische Tätigkeit bejahen zu können. Das Ergebnis hätte sein können, daß hierzu überhaupt keine Beschränkung oder eine andere genügt, die keinen Bedenken begegnet. Das Ergebnis hätte ferner sein können, daß nur diese Beschränkung noch die Bejahung der erfinderischen Tätigkeit erlaubt. Schließlich hätte das Ergebnis sein können, daß weder diese noch eine andere Änderung des erteilten Anspruchs den Widerruf des Patents unter dem Gesichtspunkt fehlender erfinderischer Tätigkeit abzuwenden vermag.

6.2. Bei einer solchen hypothetischen Prüfung wäre erkennbar geworden, ob es auf die Beschränkung überhaupt ankommt und welches ihre Bedeutung ist. Erweist sich dabei, daß es auf die Änderung nicht ankommt, weil sie in dieser Weise überhaupt nicht gebraucht wird oder aber auch in dieser Weise nicht helfen kann, dann kommt es auch auf ihre Zulässigkeit nach Artikel 123 EPÜ nicht an. Kommt es aber auf die Änderung an, dann sind tiefere Erkenntnisse über ihre technische Bedeutung im Rahmen von Problem und Lösung der Erfindung gewonnen, die dann auch der Beantwortung der nunmehr entscheidenden Frage zugute kommen, ob die Änderung nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig ist. Solche Überlegungen können auch den Patentanmelder oder Patentinhaber dazu führen, daß er eine Änderung unterläßt, die ihm im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit nicht hilft. Andererseits wird er eine Änderung zu vermeiden suchen die im Hinblick auf Artikel 123 EPÜ nicht zugelassen werden kann.

6.3. Zusammenfassend kann folgendes gesagt werden:

Grenzt sich ein Patentanmelder oder Patentinhaber gegenüber dem Stand der Technik durch eine Anspruchsänderung ab, die im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ auf Bedenken stößt, so ist es durchaus zweckmäßig, die Bedeutung der Änderung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen. Dadurch kann entweder eine Beschwerde überhaupt, zumindest aber die Rückverweisung an die erste Instanz vermieden werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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