T 0300/89 (Änderungen) of 11.4.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T030089.19900411
Datum der Entscheidung: 11 April 1990
Aktenzeichen: T 0300/89
Anmeldenummer: 85308381.4
IPC-Klasse: C08G 63/58
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Minnesota Mining
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Auch wenn sich die Prüfungsabteilung Änderungen vorstellen kann, die die Erteilungsaussichten verbessern könnten, obliegt es dem Anmelder, in seiner Erwiderung auf den ersten Bescheid nach Artikel 96 (2) EPÜ, in dem die Prüfungsabteilung Einwände erhoben hat, gegebenenfalls (auch im Wege von Hilfsanträgen) Änderungen vorzuschlagen, die diese Einwände ausräumen.
2. Der Anmelder ist berechtigt, jederzeit eine mündliche Verhandlung zu beantragen; will er aber vermeiden, daß eine abschlägige Entscheidung ergeht, ohne daß eine mündliche Verhandlung angesetzt worden ist, so sollte er spätestens in seiner Erwiderung auf solch einen (hier: ersten) Bescheid gemäß Artikel 96 (2) EPÜ einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 96
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 R 51
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Zurückweisung nach einem einzigen Bescheid
Übergangene Bitte um telefonische Rücksprache - kein Verfahrensmangel
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0251/90
T 0919/91
T 0366/92
T 0599/92
T 0793/92
T 1032/92
T 1067/92
T 0075/93
T 0163/94
T 0236/94
T 0939/95
T 0042/97
T 0059/97
T 0596/97
T 0201/98
T 0961/98
T 1087/98
T 0638/00
T 0095/04
T 0980/06
T 0435/07
T 0301/10
T 0245/15
T 2707/16

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 85 308 381.4, die am 18. November 1985 unter Inanspruchnahme der Priorität der amerikanischen Voranmeldung US 673 870 vom 21. November 1984 eingereicht und unter der Veröffentlichungsnummer 182 642 veröffentlicht wurde, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 28. November 1988 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung lag ein am 5. September 1988 eingereichter Satz von 14 Ansprüchen zugrunde ...

II. Als einziger Entscheidungsgrund wurde angeführt, die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ seien im Hinblick auf die Lehre des Dokuments

(1) US-A-3 256 226

nicht erfüllt.

(...)

Obwohl die Prüfungsabteilung in anderen Ansprüchen der Anmeldung einen patentfähigen Gegenstand zu erkennen vermochte, hielt sie die Zurückweisung der Anmeldung nach nur einem Bescheid für gerechtfertigt, da ihrer Ansicht nach die Argumentation der Anmelderin in ihrer am 5. September 1988 eingereichten Erwiderung sowohl den Grundgesetzen der Chemie als auch dem Inhalt der Beschreibung widersprach. Eine weitere Prüfung hielt sie außerdem für unvereinbar mit dem vom EPA angestrebten gründlichen, rationellen und zügigen Sachprüfungsverfahren.

III. Am 19. Januar 1989 wurde gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt. Zusammen mit der am 29. März 1989 eingereichten Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) neben dem - bis auf zwei kleinere redaktionelle Änderungen in Anspruch 1 unveränderten - ursprünglichen Anspruchssatz A als Hauptantrag zwei zusätzliche Anspruchssätze B und C vor, die als Hilfsanträge gelten sollten.

Die Ansprüche des Satzes B haben im wesentlichen denselben Umfang wie diejenigen des Satzes A; in Anspruch 1 wird der ethylenisch ungesättigte Polyester am Ende durch die Worte "mit einem Äquivalentgewicht von weniger als 330 pro ethylenische Doppelbindung" definiert. Anspruch 1 des Satzes C spricht zusätzlich von einem Polyester "mit Seitenketten, die eine polymerisationsfähige ethylenische Doppelbindung aufweisen und von der genannten polymerisationsfähigen ethylenisch ungesättigten Verbindung abgeleitet sind".

IV. Die von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(...)

Aus verfahrensrechtlicher Sicht wurde geltend gemacht, daß die Zurückweisung der strittigen Anmeldung, in der die Prüfungsabteilung doch gewährbare Ansprüche erkannt habe, nach nur einem Bescheid einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle, zumal sich die Prüfungsabteilung nicht, wie in der Erwiderung auf ihren Bescheid erbeten, telefonisch mit dem Vertreter der Anmelderin in Verbindung gesetzt habe. Die willkürliche Zurückweisung einer Anmeldung unter solchen Umständen sei dem vom EPA angestrebten Ziel einer "gründlichen, rationellen und zügigen" Sachprüfung wohl kaum zuträglich. Die Einstellung der Prüfung in einer so frühen Phase und in einer Weise, in der das Recht der Beschwerdeführerin auf Beantragung einer mündlichen Verhandlung unterlaufen werden sollte, habe eine gründliche Prüfung der Fragen gar nicht erst erlaubt. Die Prüfungsabteilung sei mitverantwortlich dafür, in Zusammenarbeit mit den Anmeldern sprachliche und sonstige Mißverständnisse bezüglich des wahren Umfangs der Ansprüche auszuräumen.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents mit dem Anspruchssatz A (Hauptantrag), dem Anspruchssatz B (erster Hilfsantrag) oder dem Anspruchssatz C (zweiter Hilfsantrag) sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

Hauptantrag und erster Hilfsantrag

(...)

5.5. Aus den vorstehend genannten Gründen kann der Gegenstand des Anspruchs 1 somit bei keinem dieser Anträge gegenüber der Lehre des Stands der Technik als neu erachtet werden. Zweiter Hilfsantrag

Zu einem anderen Ergebnis führt hingegen die Prüfung des zweiten Hilfsantrags.

(...)

Daher ist der Umstand, daß der Polyester zusätzlich ungesättigte Seitenketten aufweist, als Strukturmerkmal anzusehen, das dem beanspruchten Gegenstand Neuheit verleiht.

8. Nachdem der einzige Zurückweisungsgrund - mangelnde Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 - auf den Anspruch 1 des Satzes C nicht mehr zutrifft, muß die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden. Da der als zweiter Hilfsantrag eingereichte Anspruchssatz C der Prüfungsabteilung aber nicht vorlag, wird der Beschwerde insoweit nicht stattgegeben. Außerdem kann das angestrebte Patent nicht erteilt werden, weil die Sachprüfung noch nicht abgeschlossen ist. Die Kammer macht daher von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.

9. Verfahrensrechtliche Überlegungen

9.1. Da der Beschwerde nicht stattgegeben wird, kann nach Regel 67 EPÜ auch die Beschwerdegebühr nicht, wie von der Beschwerdeführerin beantragt, zurückgezahlt werden. Allerdings bedürfen die Behauptungen der Beschwerdeführerin, die Prüfungsabteilung habe sich im Hinblick auf Artikel 96 (2) EPÜ während des Prüfungsverfahrens wesentliche Verfahrensmängel zuschulden kommen lassen (s. vorstehend Nr. IV), einer Klärung durch die Kammer; wenn sich diese Behauptungen als richtig erwiesen, hielte es die Kammer nämlich für sinnvoll, die Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht zu unterstützen, um der Prüfungsabteilung Gelegenheit zu geben, in künftigen Fällen anders zu verfahren.

Für das Verfahren nach Artikel 96 (2) EPÜ gilt, daß alle in diesem Rahmen ergehenden Bescheide der Prüfungsabteilung "zu begründen sind; dabei sollen alle Gründe zusammengefaßt werden, die der Erteilung des Patents entgegenstehen" (R. 51 (3) EPÜ). Außerdem fordert die Prüfungsabteilung den Anmelder "so oft wie erforderlich" zur Einreichung einer Stellungnahme auf (Art. 96 (2) EPÜ); sie fordert ihn ferner auf, "soweit erforderlich die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen in geänderter Form einzureichen" (R. 51 (2) EPÜ). Somit ist es in das Ermessen der Prüfungsabteilung gestellt, entweder auf ihren Bescheid hin eine Stellungnahme und Änderungen zu verlangen, was im Bedarfsfall auch geschehen sollte, oder aber (nach ihrem ersten Bescheid) auf Zurückweisung der Anmeldung zu entscheiden. Darüber, wie dieses Ermessen ausgeübt werden sollte, gibt die Entscheidung T 84/82 (ABl. EPA 1983, 451) Auskunft. Unter Nummer 7 heißt es dort:

"7. Gelingt es dem Anmelder nicht, die im ersten Bescheid dargelegte Auffassung der Prüfungsabteilung, daß die Erfindung nicht patentfähig ist, auch nur ansatzweise zu widerlegen, und erscheint ein solches Bemühen aufgrund der Sachlage auch bei Vornahme von Änderungen aussichtslos, so liegt es nach Artikel 96 (2) EPÜ im Ermessen der Prüfungsabteilung, das Vorbringen des Anmelders als vollständig und endgültig anzusehen und deshalb davon auszugehen, daß es nicht sinnvoll wäre, ihm Gelegenheit zu weiteren Stellungnahmen zu geben; die Prüfungsabteilung kann die Anmeldung unter diesen Umständen im zweiten Bescheid zurückweisen. Es ist das erklärte Ziel des Europäischen Patentamts, die Sachprüfung gründlich, rationell und zügig durchzuführen; dies setzt allerdings bei den Anmeldern Bereitschaft zur Mitarbeit voraus. Weitere Stellungnahmen sind nur so lange erforderlich, wie das Vorbringen des Anmelders noch Aussicht auf Erteilung eines Patents erkennen läßt."

Die Kammer unterstützt zwar im großen und ganzen diese Ausführungen, hält jedoch eine gewisse Relativierung für angebracht. In den Richtlinien für die Prüfung, C-VI, 2.5 wird ganz richtig festgestellt: "Der Prüfer hat sich in der Phase der erneuten Prüfung von dem maßgeblichen Grundsatz leiten zu lassen, daß die endgültige Entscheidung (Erteilung oder Zurückweisung) in möglichst wenig Arbeitsgängen zustande kommen sollte, und er hat das Verfahren entsprechend zu leiten." Auch wenn sich der Prüfer Änderungen vorstellen kann, die die Erteilungsaussichten verbessern könnten, obliegt es daher nach Auffassung der Kammer dem Anmelder, in seiner Erwiderung auf den ersten Bescheid, in dem die Prüfungsabteilung Einwände erhoben hat, gegebenenfalls (auch im Wege von Hilfsanträgen) Änderungen vorzuschlagen, die diese Einwände ausräumen.

Im vorliegenden Fall wurde der Einwand mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 eindeutig im ersten Bescheid nach Artikel 96 (2) EPÜ erhoben und näher erläutert. Wenn die Beschwerdeführerin die Gefahr einer sofortigen abschlägigen Entscheidung und der Notwendigkeit einer Beschwerde hätte abwenden wollen, wäre es eindeutig sinnvoll gewesen, bei der Prüfungsabteilung Hilfsanträge (wie sie im vorliegenden Beschwerdeverfahren vorgelegt wurden) einzureichen. Die Prüfungsabteilung wäre dann verpflichtet gewesen, jeden dieser Hilfsanträge in derselben Weise zu prüfen, wie es die Beschwerdekammer im Rahmen dieser Beschwerde getan hat.

9.2. Zu der Behauptung, die Prüfungsabteilung habe durch ihr Vorgehen im vorliegenden Fall das Recht der Beschwerdeführerin auf Beantragung einer mündlichen Verhandlung unterlaufen, merkt die Kammer folgendes an:

"Ein Beteiligter hat", wie in der Entscheidung T 299/86 vom 23. September 1987 (Leitsatz veröffentlicht in ABl. EPA 1988, 88) festgestellt, "nur dann Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, wenn er sie beantragt. Andernfalls kann das EPA auch eine ihn beschwerende Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen" (Nr. 2). "Sofern und solange (der Beteiligte) keinen solchen Antrag gestellt hat, läuft er Gefahr, daß eine abschlägige Entscheidung ohne Anberaumung einer solchen Verhandlung ergeht, wenn dies ansonsten vertretbar ist. Da ein Antrag auf mündliche Verhandlung jederzeit zurückgezogen werden kann, ist es aus der Sicht der Beteiligten eindeutig sicherer, ihn frühzeitig zu stellen, wenn eine mündliche Verhandlung notwendig werden könnte. Die Zurücknahme eines solchen Antrags sollte natürlich so früh wie möglich und rechtzeitig vor dem anberaumten Termin erfolgen" (Nr. 5).

Wenn die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall beabsichtigte, eine mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung zu beantragen, hätte sie also spätestens zusammen mit ihrer Erwiderung auf den (ersten) Bescheid der Prüfungsabteilung einen solchen Antrag stellen sollen, wenn sie eine abschlägige Entscheidung ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vermeiden wollte.

9.3. Was schließlich die Beanstandung der Beschwerdeführerin anbelangt, der Prüfer sei ihrer Bitte um telefonische Rücksprache nicht nachgekommen, so sei auf die Richtlinien, C-VI, 4.4 und 6 verwiesen, in denen die einschlägige Praxis klar dargelegt ist. Solche formlosen Rücksprachen und die diesbezügliche Praxis sind deutlich von dem durch Artikel 96 (2) und Regel 51 EPÜ geregelten förmlichen Prüfungsverfahren zu unterscheiden. Die in sein Ermessen gestellte Entscheidung über eine solche formlose Rücksprache hat der Prüfer entsprechend den Richtlinien unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu treffen. Wird das Ermessen, wie im vorliegenden Fall, nicht im Sinne des Anmelders ausgeübt, so kann diese Entscheidung ihrem Wesen nach kein Verfahrensmangel sein, weil das Verfahren für solche Rücksprachen insofern formlos ist, als es nicht durch das EPÜ geregelt wird und die darin vorgesehenen Verfahren lediglich ergänzt.

Dem Prüfer kann jedenfalls nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er auf eine telefonische Rücksprache mit der Beschwerdeführerin verzichtet hat.

9.4. Aus den vorstehend genannten Gründen ist die Kammer der Ansicht, daß das Verfahren vor der Prüfungsabteilung nicht gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstößt und keinen Verfahrensmangel aufweist, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen könnte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag werden zurückgewiesen.

3. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des am 29. März 1989 - als zweiter Hilfsantrag - eingereichten Anspruchs 1 des Satzes C an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

4. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird abgelehnt.

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