T 0344/88 () of 16.5.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T034488.19910516
Datum der Entscheidung: 16 Mai 1991
Aktenzeichen: T 0344/88
Anmeldenummer: 84100751.1
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Thermoplastische Formmassen
Name des Anmelders: Bayer AG
Name des Einsprechenden: DSM Research B.V.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 99(1)
European Patent Convention 1973 Art 116
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 56
European Patent Convention 1973 R 88
Schlagwörter: Admissible opposition (yes)
Correction of the number of patent specification on
which opposition is based
Request for oral proceedings - further inquiry in case
of doubt
Zulässiger Einspruch (ja) - erkennbar unrichtige
Angabe der Nummer einer entgegengehaltenen Patent-
schrift, Berichtigung möglich
Antrag auf mündliche Verhandlung - in Zweifelsfällen
Rückfrage erforderlich
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0222/85
T 0219/86
T 0200/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1408/19

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 21. Januar 1984 eingereichte europäische Patentanmeldung 84 100 751.1 ist am 20. August 1986 das europäische Patent 118 695 mit dem folgenden einzigen Anspruch erteilt worden:

"Thermoplastische Formmasse aus I. 5 bis 80 Gew.-Teilen eines Pfropfpolymerisats von 70 bis 30 Gew.-% eines Gemisches aus

(a) eiem Vinylaromat und/oder C1-C4- Methacrylsäurealkylester und

(b) Acrylnitril oder (Meth)Acrylnitril auf 30 - 70 Gew.-% eines Kautschuks mit einer Glasübergangstemperatur von unter - 10 °C und II. 20 - 95 Gewichts-Teilen eines Terpolymerisats aus

(a) alpha-Methylstyrol

(b) Acrylnitril

(c) Styrol, dadurch gekennzeichnet, daß das Terpolymerisat II durch Lösungs- oder Massepolymerisation eines Gemisches aus

(a) 30 - 40 Gew.-% alpha-Methylstyrol

(b) 26 - 35 Gew.-% Acrylnitril

(c) 44 - 26 Gew.-% Styrol durch kontinuierliche homogene Polymerisation in einem kontinuierlich beschickten Tankreaktor unter stationären und ideal durchmischten Bedingungen bei 120-140 °C, mittleren Verweilzeiten von mehr als 60 Minuten. Monomerumsätzen von 40-55 Gew.-%, in Gegenwart von 0,5- 0,005 Mol.-%, bezogen auf das Gesamtmonomer, eines oder mehrerer, in Radikale zerfallender Polymerisationsinitiatoren mit einer Halbwertszeit von 5 sec. bis 9 Minuten bei 130 °C hergestellt wird und anschließender Entfernung der Restmonomeren bis auf einen Gehalt unter 0,1 Gew.-%, bezogen auf das Terpolymerisat II."

II. Gegen die Erteilung des Patents hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 18. Mai 1987 Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents aus den Gründen des Artikels 100 EPÜ beantragt. Sie hat dazu auf drei Dokumente Bezug genommen, nämlich

(1) BE-A-839 922

(2) EP-A-22 200

(3) FR-A-1 367 288.

Bezüglich (1) hat sie ausgeführt:

"BE-A-839 922 (1) describes terpolymer II:

(a) 22-96 % styrene and/or alpha-methylstyrene

(b) 0-78 % acrylonitril

(c) 0-50 % olefine prepared by continuous homogeneous polymerisation, at 60- 150°C, average dwell times of 10-240 min., monomer conversions of 10-60 mol. %, and in the presence of 0,01- 0,5 mol. %, based on the total monomer, of a polymerisation initiator, which decompose into radicals and have a half time of less than 1/10 of the average dwell time, and subsequent removal of the residual monomers down to a content of below 0,5 % by weight.

Especially of interest is the first process stage of example 11 of (1), wherein the following monomer mixture is used:

27,11 wt.% styrene

43,94 wt.% alpha-methylstyrene

28,95 wt.% acrylonitrile.

That means that the terpolymer II as used in the opposed patent is not new, and if it were new it is in any case obvious."

Für den Fall, daß die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Patents ganz oder teilweise beabsichtigen sollte, hat die Beschwerdeführerin mündliche Verhandlung beantragt.

In der Einspruchserwiderung vom 12. August 1987 hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) u. a. darauf hingewiesen, daß die unter (1) genannte Entgegenhaltung mit dem Streitgegenstand in keinem Zusammenhang stehe. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 26. August 1987 die Nummer der belgischen Entgegenhaltung berichtigt, d. h. mit 839 992 (Unterstreichung hinzugefügt) angegeben.

III. Mit Entscheidung vom 27. Mai 1988 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch gegen das Streitpatent aufgrund von Regel 56 (1) EPÜ ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, es fehle den geltend gemachten Einspruchsgründen der mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit die Substantiierung durch Beweismittel bzw. Argumente. Zur fehlenden Neuheit werde Dokument (1) genannt. Da sich (1) mit einem völlig anderen Gegenstand, nämlich elektrochemischen Zellen befasse, könne es als Beweismittel nicht anerkannt werden. Die Geltendmachung der mangelnden Neuheit sei deshalb eine unbewiesene Behauptung.

Für das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit, das sich nach dem Vorbringen der Einsprechenden aus der naheliegenden Kombination von (1) und (2) ergeben solle, verbleibe als einziges Beweismittel nur (2). Zwar führe die Einsprechende aus, welcher Stand der Technik mit (2) bewiesen werden solle. Es werde aber nicht gesagt, warum dieser Stand der Technik die erfindungsgemäße Lösung der gestellten Aufgabe nahegelegt haben solle.

Da auch zu Dokument (3) keine Ausführungen vorlägen, entspreche der Einspruch nicht den Erfordernissen von Artikel 99 (1) und Regel 55 (c) EPÜ.

Eine nachträgliche Berichtigung der Nummer von Dokument (1) sei zwar nach Regel 88 EPÜ möglich, ändere aber nichts an der Tatsache, daß innerhalb der Einspruchsfrist kein geeignetes Beweismittel vorgelegen habe.

Eine mündliche Verhandlung hielt die Einspruchsabteilung nicht für erforderlich, da sich der entsprechende Antrag nur auf die sachliche Prüfung des Einspruchs, nicht aber auf die Prüfung seiner Zulässigkeit gerichtet habe.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 21. Juli 1988 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 26. September 1988 begründet.

Sie ist der Ansicht, daß ihr Einspruch trotz fehlerhafter Bezeichnung der Nummer der belgischen Entgegenhaltung (1) zulässig sei, da er genügend Angaben über den Inhalt der Patentschrift enthalten habe, so daß es der Einspruchsabteilung möglich gewesen wäre, diese zu ermitteln. Die Beschwerdeführerin verweist hierzu auf eine Entscheidung des deutschen Bundespatentgerichts vom 6. August 1981 in GRUR 1982, 34.

Der Fehler könne gemäß Regel 88 EPÜ auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist berichtigt werden. Dies ergebe sich aus dem aus den EPÜ-Bestimmungen zum Einspruch herleitbaren Grundsatz, daß nur rechtsbeständige Patente aufrechtzuerhalten seien.

Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und den Einspruch für zulässig zu erklären.

V. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur sachlichen Prüfung des Einspruchs.

Sie tritt den Argumenten der Beschwerdeführerin entgegen und meint, daß diese nichts vorgetragen habe, was geeignet sei, die Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung in Frage zu stellen. Auch die Beschwerdegegnerin bezieht sich auf eine Entscheidung des deutschen Bundespatentgerichts vom 9. Oktober 1974 in BPatGE 17, 51, die einen ähnlichen Fall behandle und zum gleichen Ergebnis komme wie im vorliegenden Falle die Einspruchsabteilung.

VI. Beide Parteien verweisen abschließend auf die Entscheidung des Europäischen Patentamts T 222/85 (ABl. 1988, 128), in der die Erfordernisse von Artikel 99 (1) und Regel 55 c) EPÜ näher erläutert werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Gemäß Regel 56 (1) EPÜ ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen, wenn er nicht Artikel 99 (1) EPÜ sowie Regel 1 (1) EPÜ und Regel 55 Buchstabe c) EPÜ entspricht.

Regel 55 Buchstabe c) EPÜ schreibt vor, daß die Einspruchsschrift u. a. die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten muß. Dadurch soll sichergestellt werden, daß der Standpunkt des Einsprechenden in der Einspruchsschrift so deutlich dargelegt wird, daß sowohl der Patentinhaber als auch die Einspruchsabteilung die angeführten Einspruchsgründe richtig verstehen und auf ihre Stichhaltigkeit prüfen können (vgl. T 222/85, ABl. 1988, 128, 132, Punkt 4). Werden druckschriftliche Vorveröffentlichungen zur Begründung herangezogen, so muß einerseits der technische Zusammenhang zwischen dem Patentgegenstand und dem entgegengehaltenen Dokument dargelegt werden. Andererseits ist aber auch das entgegengehaltene Dokument ausreichend zu bezeichnen.

Denn ebenso wie eine formgerechte Einspruchsbegründung neben der Bezeichnung der Vorveröffentlichung die Angabe der Textstelle erfordert, auf die der Einsprechende sich stützt, reicht umgekehrt die bloße Angabe der Textstelle ohne hinreichende Bezeichnung der vorveröffentlichten Druckschrift nicht aus (so auch die Richtlinien D-IV,1.22 1 Buchstabe f).

3. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin zwar den technischen Zusammenhang zwischen dem Patentgegenstand und der Entgegenhaltung (1) dargelegt und genau angegeben, auf welche Textstellen sie sich zur Begründung ihres Einspruchs stützt, sie hat jedoch die Nummer der Entgegenhaltung unzutreffend bezeichnet und diese erst nach Ablauf der Einspruchsfrist berichtigt.

4. Die Einspruchsabteilung hat deshalb die Erfordernisse von Regel 55 Buchstabe c) EPÜ als nicht erfüllt angesehen und sich zur Begründung im wesentlichen auf folgenden Satz der Richtlinien (aaO) berufen: "Die Begründung ist so abzufassen, daß der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung den behaupteten Widerrufsgrund ohne eigene Ermittlungen abschließend prüfen können."

Eine zwar mögliche nachträgliche Berichtigung nach Regel 88 EPÜ hielt die Einspruchsabteilung nicht für hilfreich, da dies nichts an der Tatsache ändere, daß innerhalb der Einspruchsfrist kein geeignetes Beweismittel vorgelegt worden sei.

5. Die Richtlinien sind nicht rechtsverbindlich. Wie die allgemeine Einleitung dazu selbst einräumt, sollen sie nur für die Bearbeitung von normalen Fällen als Anleitung dienen; auch der Prüfer kann deshalb in Ausnahmefällen von ihnen abweichen. Erst recht nicht binden sie die für die Auslegung des EPÜ letztinstanzlich zuständigen Beschwerdekammern.

6. Die zitierte Patentschrift 839 922 betrifft eine nicht- wässrige elektrochemische Zelle und weist keinerlei Bezugspunkte zum Patentgegenstand, der sich mit thermoplastischen Formmassen befaßt, auf. Es war somit für den Patentinhaber und die Einspruchsabteilung unschwer erkennbar, daß die vom Beschwerdeführer angegebene Nummer eine andere Entgegenhaltung als die in den Einspruchsgründen beschriebene betraf. Die Beschreibung der Entgegenhaltung war ferner so detailliert, daß die Einspruchsabteilung die Druckschrift aufgrund der gemachten Angaben aus dem vorhandenen Prüfstoff eindeutig hätte ermitteln können. So hat der Beschwerdeführer die Zusammensetzung des Terpolymerisats II der Entgegenhaltung sowie die einzelnen Verfahrensschritte zu seiner Herstellung genau angegeben. Damit sind die gemäß Regel 55 c) EPÜ zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel so ausreichend bezeichnet, daß der Einspruchsgrund von der Einspruchsabteilung und der Patentinhaberin richtig verstanden und auf seine Stichhaltigkeit geprüft werden konnte (vgl. T 222/85, Punkt 4 am Ende). Es wäre überspitzter Formalismus, würde man angesichts eines derart ins einzelne gehenden Tatsachenvortrags die Zulässigkeit des Einspruchs ausschließlich an der unzutreffend angegebenen Nummer der entgegengehaltenen Patentschrift scheitern lassen.

Es kommt hierbei nicht darauf an, ob in der zwischen dem Eingang des Einspruchsschriftsatzes und dem Ablauf der Einspruchsfrist verbleibenden Zeitspanne tatsächlich eine Berichtigung von seiten des Amtes erfolgt ist. Entscheidend ist allein, daß innerhalb der Einspruchsfrist das Versehen erkennbar und die Einspruchsabteilung aufgrund der Beschreibung der Entgegenhaltung in der Lage war, diese zweifelsfrei zu ermitteln.

Den Überlegungen der unter V erwähnen Entscheidung des deutschen Bundespatentgerichts, auf die die Beschwerdegegnerin Bezug nimmt, kann die Kammer aufgrund obiger Darlegungen nicht folgen; abgesehen davon wurde diese Entscheidung auch im nationalen Bereich durch die unter IV genannte Entscheidung desselben Gerichts fortentwickelt und erweitert.

7. Die unrichtige Angabe der Nummer der Entgegenhaltung (1) konnte daher gemäß Regel 88, Satz 1 EPÜ berichtigt werden. Eine solche Berichtigung hat grundsätzlich rückwirkende Kraft; vgl. T 219/86, ABl. EPA 1989, 254 und T 200/89 (wird veröffentlicht; Leitsätze s. Vorblätter zu ABl. EPA 1990, Nr. 10). Dies bedeutet, daß (1) als innerhalb der Einspruchsfrist richtig herangezogen gilt.

8. Abschließend sei noch kurz auf den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin auf mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (Artikel 116 (1) EPÜ) eingegangen.

Diesen hat die Einspruchsabteilung streng nach seinem Wortlaut interpretiert. Zwar trifft es zu, daß bei Verwerfung eines Einspruchs als unzulässig formal nicht über die Aufrechterhaltung des Patents entschieden wird. Der Bestand des Patents ist aber die Folge dieser Entscheidung. Deshalb darf bei einem Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung nicht ausschließlich vom Wortlaut des Antrags ausgegangen werden. Es mag durchaus vorkommen, daß der Hilfsantrag eines Verfahrensbeteiligten auf mündliche Verhandlung nur die materiellrechtliche Auseinandersetzung über den Bestand des angegriffenen Patents betreffen soll, eine mündliche Verhandlung über Zulässigkeitsfragen dagegen nicht beabsichtigt ist; dies ist aber nicht die Regel. Angesichts der besonderen Wichtigkeit des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Form einer mündlichen Verhandlung ist, wenn bei vernünftiger Würdigung des Antragswortlauts vermutet werden kann, daß auch hierzu eine mündliche Verhandlung begehrt wird, eine solche anzuberaumen oder in echten Zweifelsfällen der Umfang des Hilfsantrags durch Rückfrage bei dem betreffenden Antragsteller zu klären. Die Einspruchsabteilung wird in Zukunft diesen Grundsatz zu beachten haben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 27. Mai 1988 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß der Einspruch zulässig ist.

3. Die Sache wird zur Prüfung des Einspruchs an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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