European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1990:T030988.19901031 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 31 October 1990 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0309/88 | ||||||||
Anmeldenummer: | 82106991.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Verbesserung der Gasqualität | ||||||||
Name des Anmelders: | WSW Planungs-GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Krupp-Koppers GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Unadmissible amendment (yes) Unzulässige Änderung (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 1. März 1988 verkündete und am 11. Mai 1988 schriftlich begründete Entscheidung der Einspruchsabteilung des europäischen Patentamts, das europäische Patent 71 280, das aufgrund von zwei Patentansprüchen auf die europäische Patentanmeldung 82 106 991.1 erteilt worden ist, zu widerrufen. Die europäische Patentanmeldung ist als Teilanmeldung aus der früheren europäischen Patentanmeldung 80 104 727.5 (veröffentlicht als EP-A- 28 679) hervorgegangen, für die die Priorität zweier Voranmeldungen in der Bundesrepublik Deutschland vom 8. November 1979 und 4. Januar 1980 in Anspruch genommen worden ist.
II. Die Beschwerde wurde am 1. Juli 1988 eingelegt. Am 4. Juli 1988 wurde die vorgeschriebene Gebühr bezahlt. Am 7. Februar 1989 teilte die Geschäftsstelle der Beschwerdekammer des EPA der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf Artikel 122 EPÜ mit, daß bisher keine Beschwerdebegründung zur Akte gelangt sei. Mit am 7. April 1989 bestätigter Telekopie vom 6. April 1989 wurde eine Beschwerdebegründung eingereicht und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesem Antrag hat die Kammer mit Zwischenentscheidung vom 28. Februar 1990 stattgegeben.
III. Der angefochtenen Entscheidung liegen die erteilten zwei Patentansprüche zugrunde, deren erster wie folgt lautete:
"1. Verfahren zur Verbesserung der Qualität, insbesondere zur Erhöhung des Gehalts an flüchtigen Kohlenwasserstoffen des bei der Verkokung von Steinkohle in Horizontalkammerverkokungsöfen gebildeten Gases, wobei das Gas über den zwischen Ofenfüllung und Koksofendecke verbleibenden horizontal verlaufenden und an die Vorlage der Koksofenbatterie angeschlossenen Gassammelraum abgesaugt wird, dadurch gekennzeichnet, daß das Gas gleichzeitig auch an den beiden Stirnseiten des Koksofens über in etwa dem Volumen des oberhalb der Ofenfüllung ausgebildeten Gassammelraums entsprechende, vertikale Sammelräume derart abgesaugt wird, daß die Menge des Gases, das durch die Ofenfüllung senkrecht nach oben steigt, und durch den horizontalen Gassammelkanal abgesaugt wird, wesentlich verringert wird und das durch die vertikalen Sammelräume, an den Stirnseiten des Ofens abgezogene Gas unmittelbar in die Vorlage der Koskofenbatterie abgeleitet wird."
In der Entscheidung wird ausgeführt, der erteilte Anspruch 1 verstoße gegen das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ, denn in den ursprünglichen Unterlagen (siehe EP- A-28 679, S. 4, Z. 1-5) sei nur von mindestens einem, "sich in Längsrichtung erstreckenden und für die gasförmigen Verkokungsprodukte zugänglichen, im Querschnitt in etwa dem oberhalb der Ofenfüllung ausgebildeten Gasabführungsraum entsprechenden Gassammelraum" die Rede. Aus dieser Fundstelle sei die im erteilten Patentanspruch 1 enthaltene Angabe über das Verhältnis der Volumina von Gasabführungsraum und Gassammelräumen nur herleitbar, wenn man davon ausginge, daß die Länge des horizontalen Gassammelraumes oberhalb der Ofenfüllung etwa doppelt so groß sei wie die Höhe eines der vertikalen Gassammelräume. Dies sei jedoch weder den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zu entnehmen noch in der Praxis der Fall. Vielmehr seien nach den von der Patentinhaberin nicht widerlegten Ausführungen der Einsprechenden übliche Koksöfen 3,5 bis 5 m hoch und 15 m lang.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat schriftlich und in der mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 1990 vorgetragen, daß bei modernen Koksöfen ausweislich des Dokuments
(6) Cokemaking 1 (1987), Nr. 1, S. 17 bis 31
das Verhältnis von Länge zu Höhe immer etwa 2:1 betrage und folglich die Angaben im geltenden Patentanspruch durch die ursprünglichen Unterlagen unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Fachwissens gedeckt seien. Für den Fachmann habe im gegebenen Zusammenhang die Angabe des Querschnitts und des Volumens dieselbe Bedeutung. Davon sei ersichtlich auch die Prüfungsabteilung im Erteilungsverfahren ausgegangen, während die gegenteilige Annahme in der angefochtenen Entscheidung durch den Inhalt dieses Dokuments widerlegt worden sei.
V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß das Dokument (6) nachveröffentlicht sei und daher am Prioritätstag des Streitpatents prinzipiell nicht zum allgemeinen Fachwissen gehört haben könne. Auch bezöge sich der Inhalt dieses Dokuments weitgehend auf Koksöfen, die erst nach diesem Datum geplant und gebaut worden seien. Eine dem Fachmann geläufige feste Korrelation zwischen dem Querschnitt und der Höhe eines Koksofens der hier relevanten Bauart habe am Prioritätstag des Streitpatents, auf den es hier allein ankomme, nicht bestanden.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig, da sie gemäß Zwischenentscheidung vom 28. Februar 1990 frist- und formgerecht erhoben worden ist.
2. Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.
2.1 Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß die Feststellungen der Einspruchsabteilung über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zutreffen. Demnach läßt sich der geltende Anspruchswortlaut nicht aus dem Wortlaut dieser Unterlagen herleiten, da die einzige hierfür in Betracht kommende Angabe darin (S. 4, Z. 1-6) nicht die Beziehung zwischen den Volumina der vertikalen und horizontalen Gassammelräume, sondern diejenige zwischen deren Querschnitten betrifft. Dies wird auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.
2.2 Angesichts der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen und von der Beschwerdegegnerin nicht bestrittenen neuen Tatsachen sind die Feststellungen der Einspruchsabteilung über die Dimensionen üblicher Horizontalkammerkoksöfen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, zu modifizieren. Wie sich aus Dokument (6), S. 22, Fig. 18 ergibt, sind vor dem Prioritätstag des Streitpatents (8. November 1979) Koksöfen in Betrieb gewesen, für die sich aus den beispielhaften Angaben für kleine Öfen ein Verhältnis der Länge zu 2 x der Höhe von 1,3 und für mittlere Öfen von 1,2 errechnen läßt. Lediglich bei einer größeren japanischen Anlage beträgt dieses Verhältnis 1,07. Die Abweichungen vom Verhältnis 1 : 1 betragen also bei diesen Beispielen nicht 30 bis 100 %, sondern maximal 30 %.
2.3 Diese Feststellung führt jedoch zu keiner anderen Beurteilung der Frage der unzulässigen Änderung, denn die ursprünglichen Unterlagen enthalten keinerlei Angaben darüber, mit welchem Ofentyp das beanspruchte Verfahren durchgeführt werden soll. Es liegt ferner auf der Hand, daß die ursprünglich offenbarte Bemessungsregel, die das Verhältnis zweier Querschnitte zueinander betrifft, grundsätzlich nicht ohne zusätzliche Angaben in eine Bemessungsregel für das Verhältnis zweier Volumina umgerechnet werden kann. Derartige Angaben fehlen jedoch in den ursprünglichen Unterlagen des
Der Austausch der Bemessungsregel, die sich aus den ursprünglichen Unterlagen ergibt, durch diejenige, die im geltenden Patentanspruch 1 als erfindungswesentliches Merkmal enthalten ist, ändert daher nach Überzeugung der Kammer den beanspruchten Gegenstand gegenüber der ursprünglichen Offenbarung derart, daß nunmehr eine andere Erfindung (aliud) beansprucht wird. Dies widerspricht jedoch dem Normzweck des Artikels 123 (2) EPÜ, ursprünglich nicht Offenbartes von der Patentierung auszuschließen.
2.4 Die Beschwerdeführerin meint, im vorliegenden Fall hätte der Fachmann gewußt, daß alle üblichen Horizontalkammerkoksöfen praktisch gleich gebaut seien und ein ungefähres Verhältnis von Höhe zu Länge wie 1 : 2 aufgewiesen hätten. Unter diesen Umständen habe er die ursprünglichen Angaben über die Querschnittsverhältnisse der Gassammelräume ohne weiteres als gleichbedeutend mit den nunmehr im Anspruch genannten Volumenverhältnissen erkannt, so daß kein anderer Gegenstand beansprucht werde. Diese Auffassung wird jedoch durch Dokument (6), das die Beschwerdeführerin als einzigen Beleg des allgemeinen Fachwissens am Prioritätstag vorgelegt hat, nicht gestützt. Dieses nachveröffentlichte Dokument kann hierfür selbstverständlich nur insoweit herangezogen werden, als es sich auf vor dem Prioritätstag des Streitpatents bereits bekannte Sachverhalte bezieht. Dies sind in erster Linie die in Fig. 18 zusammengefaßten Daten (siehe vorstehend unter Punkt 2.2). Demnach war zumindest bei den angeführten Beispielen für kleine und mittlere Koksöfen ein deutlich und immer in Richtung größerer Länge vom Verhältnis 2 x Höhe zu Länge = 1 : 1 abweichendes Höhe/Längenverhältnis verwirklicht worden. Derartige systematische Abweichungen können nach Überzeugung der Kammer nicht deshalb unter die beanspruchte Bemessungsregel subsumiert werden, weil im Patentanspruch 1 von einem Volumenverhältnis von "etwa" 1 : 1 und in den ursprünglichen Unterlagen von einem Querschnittsverhältnis von "etwa" 1 : 1 für die horizontalen und vertikalen Gassammelräume die Rede ist. Es ist schon fraglich, ob der Fachmann im vorliegenden Fall unter der Angabe "etwa" Abweichungen von bis zu 30 % verstanden haben kann. Ganz ausgeschlossen ist es jedoch nach Überzeugung der Kammer, unter einer solchen Angabe eine systematische Abweichung, wie sie hier vorliegt, und nicht nur eine Streuung um einen Mittelwert zu verstehen.
2.5 Ferner liefert das Dokument (6) keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Fachmann am Prioritätstag gerade dem Verhältnis von Länge zu Höhe bei Horizontalkammerverkokungsöfen überhaupt irgend eine besondere Bedeutung beigemessen hat (siehe z. B. S. 20-21, Kapitel "Degree of slenderness"). Selbst wenn man annimmt, daß dieser Übersichtsartikel in einer Fachzeitschrift für das allgemeine Fachwissen repräsentativ ist, kann nämlich nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß die in diesem Dokument aus dem Jahre 1987 angestellten Überlegungen, die verschärften Umweltschutzauflagen auf möglichst wirtschaftliche Weise durch Verminderung der Länge der sehr wartungsintensiven Türdichtungen im Verhältnis zur ausgebrachten Koksmenge zu erfüllen, schon im Jahre 1979 Allgemeingut der Fachwelt waren. Außerdem führen nicht einmal diese Überlegungen zwingend zu dem hier in Rede stehenden Verhältnis (siehe S. 22-23, Kapitel "Environmental protection").
2.6 Die Beschwerdeführerin hat daher nicht glaubhaft gemacht, daß der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents die in Rede stehenden Querschnitts- und Volumenangaben als gleichwertig angesehen hätte.
2.7 Für die hier zu treffende Entscheidung kommt es auch nicht darauf an, ob im Erteilungsverfahren subjektiv von einer derartigen Gleichwertigkeit ausgegangen worden ist, denn das Einspruchs(beschwerde)verfahren dient gemäß Art. 100 c) EPÜ gerade dazu, das Ergebnis des Erteilungsverfahrens auch im Hinblick auf die Erfordernisse des Art. 123 (2) EPÜ zu überprüfen. Diese Überprüfung hat ergeben, daß der Fachmann den Gegenstand der erteilten Patentansprüche 1 und 2 den Erstunterlagen nicht entnehmen kann, so daß ein klarer Verstoß gegen Art. 123 (2) EPÜ vorliegt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.