T 0148/88 () of 18.7.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T014888.19890718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 1989
Aktenzeichen: T 0148/88
Anmeldenummer: 83101768.6
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wasserlösliche Peptide sehr schwer löslicher Aminosäuren
Name des Anmelders: Pfrimmer + Co.
Name des Einsprechenden: 1)Lipoid KG 2) Salvia-W.
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja) - unerwarteter Effekt
Inventive step (yes) - surprising effect
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0181/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 83 101 768.6, die am 23. Februar 1983 eingereicht worden war, wurde am 29. Mai 1985 das europäische Patent 87 751 auf der Grundlage von 6 Patentansprüchen für die Vertragsstaaten CH, DE, GB, LI, SE und 2 Patentansprüchen für den Vertragsstaat AT erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende I) einen zulässigen Einspruch ein. Eine Einsprechende (II) hat um Entscheidung nach Aktenlage ersucht und des weiteren keine Beschwerde gegen den Beschluß der Einspruchsabteilung erhoben.

Während des Einspruchsverfahrens wurden von den Einsprechenden insgesamt 11 Dokumente für die Beurteilung der Patentfähigkeit des angegriffenen Patents angezogen, von denen die nachstehend zitierten 7 Dokumente die Basis für die Argumentation der Beschwerdeführerin bilden:

(1) J. Nutr. 108 (1978), 1104-1113 (2) Am J. Clin. Nutr. 29 (1976), 205-215 (3) Clin. Res. 26 (1978), 487 (4) Ernährungsrundschau 28/9 (1981), 304 (5) Nutr. Metab. 21/Suppl. 1 (1977) 170-171 (10) Ferment. Forsch. 10 (1928), S. 302-304 (11) Handbook of Chem. & Physics, 57. Aufl., C-769, C-770 III. Mit einer am 8. Oktober 1987 verkündeten und am 3. Februar 1988 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung die Einsprüche zurück und hielt das Patent unverändert aufrecht.

Die Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Peptide gemäß Anspruch 1 im angezogenen Stand der Technik nicht vorbeschrieben und somit gemäß Art. 54 EPÜ neu seien.

Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) wurde im wesentlichen damit begründet, daß es in Kenntnis des Dokuments (1) nicht naheliegend war, von einem Dipeptid, bestehend aus Alanin und Tyrosin, als wasserlösliche und gut metabolisierbare Ernährungsquelle für Tyrosin abzugehen und statt dessen eine Tripeptidverbindung zu verwenden, bei der die Bindung von Tyrosin bzw. Cystin an die Aminosäure Lysin gemäß der beanspruchten Verbindung über die alpha- und E-Aminogruppen erfolgt. Dies insbesondere deshalb, da aus dem Dokument (1) die Metabolisierbarkeit der E-Bindung nicht hergeleitet werden könne, da dieser spezielle Bindungstyp in dieser Entgegenhaltung nicht erwähnt sei und auch implizit kein Hinweis darauf zu entnehmen sei. Eine Kombination mit der Lehre aus Dokument (4), die hydrolytisch im Verdauungstrakt wirksame Enzyme beschreibe, könne nicht zum Ziel führen. Des weiteren erschiene eine Übertragung der Lehre aus dem Dokument (10) nicht zulässig, da die dort beschriebene Metabolisierbarkeit von alpha-, E-Dileucyl-Lysin durch typische Verdauungsenzyme des Magen-Darm-Trakts auf eine Metabolisierbarkeit des alpha-, E-Dityrosyl- bzw. alpha-, E -Dicystinyl-Lysins nach intravenöser Applikation nicht übertragbar sei. Unter intravenös parenteralen Bedingungen stünden grundsätzlich andere Enzyme zur Verfügung. Schließlich sei, selbst wenn eine Wasserlöslichkeit der fraglichen Aminosäuren bereits in Dokument (1) beschrieben sei, eine derartige Steigerung der Löslichkeit, wie sie in der Patentschrift beschrieben sei, selbst unter Miteinbeziehung löslichkeitstheoretischer Überlegungen, in keiner Weise voraussagbar gewesen. Auch jede andere Kombination einzelner angezogener Dokumente würde nicht zum Ziel führen, so daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Leistung beruhe.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende I (Beschwerdeführerin) am 31. März 1988 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese Beschwerde am 11. Juni 1988 begründet. Zusätzlich zu dem bereits im Einspruchsverfahren diskutierten Stand der Technik, wird die Beschwerde auf drei weitere Dokumente gestützt, nämlich:

(i) Pediat. Res. 13 (1979), S. 894-899 (II) DE-A-22 60 189 (III) Advances in Experimental Medicine and Biology, Vol. 105 (1978), S. 549-570.

Die Beschwerdeführerin führt aus, daß die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts in der angefochtenen Entscheidung von einem unvollständigen Stand der Technik ausgegangen sei und den bereits vorliegenden Stand der Technik zum Teil in nicht ausreichendem Maße berücksichtigt habe. Insbesondere sei offenbar völlig außer acht gelassen worden, daß in dem angegriffenen europäischen Patent nicht nur die Verwendung der wasserlöslichen Peptide für Infusionslösungen, d. h. für parenterale Verabreichung, sondern auch für die Verwendung wasserlöslicher Peptide für die orale Verabreichung beansprucht würde.

Die dem europäischen Patent zugrundeliegende Aufgabe, die darin bestehe, die schwerlöslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin in eine wasserlösliche Form zu überführen, so daß sie dem Organismus sowohl oral als auch parenteral zugeführt werden könnte und dabei bioverfügbar blieben, sei aus dem Stand der Technik, nämlich der Druckschrift (1) hinlänglich bekannt. Den Druckschriften (4) und (10) sei weiterhin zu entnehmen, daß Tripeptide, die dadurch gebildet werden, daß die alpha- und E-Aminogruppe des Lysins mit einer weiteren Aminosäure verknüpft werden (in den genannten Druckschriften beispielsweise dem Glycin), durch die Aminopeptidase des Dünndarms sowie durch Erepsin und Trypsin hydrolisiert und somit metabolisierbar gemacht würden. Letztlich sei in der Druckschrift (III) derselbe Typ von Tripeptiden verschrieben wie in den Druckschriften (4) und (10), und es sei nachgewiesen, daß sie von Homogenaten der Intestinalmocosa, der Leber und der Nieren hydrolisiert würden. Damit sei klargestellt, daß dieser Typ von Tripeptiden auch unter Umgehung des Verdauungstrakts, also beispielsweise bei parenteraler Verabreichung, durch die Leber und Nieren abgebaut und damit metabolisierbar würden.

Aufgrund der dargelegten Umstände sei es somit eindeutig belegt, daß der Fachmann ohne weiteres zu den beanspruchten Tripeptiden gelangen konnte.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) tritt dieser Auffassung mit folgenden Argumenten entgegen:

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung würde völlig zu recht und klar darlegen, daß die als nächstliegender Stand der Technik angesehene Entgegenhaltung (1) dem Fachmann keinerlei Hinweis auf die erfindungsgemäßen Tripeptide geben konnte, um das Problem, die extrem schwer löslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin in eine für die Ernährung optimal nutzbare Form zu überführen. Auch die neu in das Verfahren eingeführten Druckschriften (i)-(III) führten nicht zum Gegenstand des Patents; insbesondere liege der Offenbarung der Druckschrift (III) eine völlig andere Aufgabe zugrunde, als dem angegriffenen Patent, so daß die dort enthaltene Offenbarung den Fachmann nicht zur Lösung des genannten Problems hätte anregen können.

VI. Zu der von der Kammer anberaumten mündlichen Verhandlung ist die Beschwerdeführerin nach vorheriger Mitteilung an die Kammer, daß sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe, nicht erschienen. Die Beschwerdegegnerin bezog sich in der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich auf die Tabelle I in der Druckschrift (1), deren Werte deutlich demonstrierten, daß bereits für die dort aufgeführten Dipeptide keine voraussagbare und insbesondere nicht einheitliche Wasserlöslichkeit beschrieben sei; beispielsweise unterschieden sich die Wasserlöslichkeiten gleicher Dipeptide, je nachdem wie sie miteinander verknüpft seien. Eine Voraussage für eine Weiterentwicklung der Wasserlöslichkeit durch die Bildung der erfindungsgemäßen Tripeptide sei daher nicht möglich. Im Hinblick darauf sei die enorme Verbesserung der Wasserlöslichkeit gegenüber den einzelnen Aminosäuren Tyrosin und Cystin um jeweils den Faktor von etwa 1000 schlichtweg verblüffend und die neuen Verbindungen daher erfinderisch.

Die Beschwerdeführerin, die nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, beantragt in ihrer Beschwerdebegründung, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das angegriffene Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft wasserlösliche Peptide sehr schwer löslicher Aminosäuren der allgemeinen

Formel

wobei R jeweils ein Tyrosinyl- oder ein Cystinylrest ist.

3. Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und damit nächstliegender Stand der Technik ist das Dokument (1), in dem Wege aufgezeigt werden, wie die sehr schwer wasserlöslichen Aminosäuren Cystin und Tyrosin in eine Form gebracht werden können, die die Wasserlöslichkeit verbessert, so daß eine intravenöse Applikation möglich ist, wobei gleichzeitig die Metabolisierbarkeit der Aminosäuren erhalten bleibt. Gemäß der Tabelle 1 der genannten Entgegenhaltung wird dieser Weg durch die Bildung von Dipeptiden verschiedener Art beschritten. Dabei wird die in Frage stehende Aminosäure Tyrosin mit verschiedenen anderen Aminosäuren zu einem Dipeptid verbunden, wobei die jeweils zweite Aminosäure wechselweise am Amino- oder Carboxylende angekoppelt wird. In allen aufgezeigten Fällen dieser Bildung von Dipeptiden, werden bessere Wasserlöslichkeiten erreicht, als sie das Tyrosin allein aufzeigt, für das nach der Tabelle 1 des Dokuments (1) ein Wert von 0,4 mg/ml H2O angegeben wird. Demgegenüber zeigt beispielsweise das Dipeptid Tyrosyl-Histidin eine Löslichkeit von 100 mg/ml H2O, also eine um etwa den Faktor 250 verbesserte Löslichkeit. In diesem Dokument ist somit gezeigt, daß mit der Bildung von Dipeptiden die Wasserlöslichkeit der einzelnen Aminosäuren erheblich verbessert werden kann.

4. Gegenüber dem Dokument (1) besteht die Aufgabe für die vorliegende Erfindung darin, die Wasserlöslichkeit der sehr schwer löslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin weiter zu verbessern, ohne daß die Metabolisierbarkeit dieser Aminosäuren beeinträchtigt wird.

Die Lösung der Aufgabe besteht im Zurverfügungstellen der im Anspruch 1 genannten Tripeptide, bei denen die jeweils schwerlöslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin an die alpha- und E-Aminogruppe der Aminosäure Lysin gebunden werden. Der auf diese Weise erreichte Effekt bezüglich der Wasserlöslichkeit der beiden genannten Aminosäuren ist in der Patentschrift auf Seite 2, Spalte 2, Zeilen 5-10 sowie Seite 3, Spalte 4, Zeilen 33-41 geschildert. Danach beträgt die Löslichkeit der beanspruchten Verbindung mit der Aminosäure Tyrosin 622 g/l H2O gegenüber der Löslichkeit des Tyrosins allein von 0,384 g/l H2O; das Tripeptid ist somit um den Faktor 1,62 x 103 besser löslich als das freie Tyrosin. Bezüglich der Wasserlöslichkeit der beanspruchten Verbindung unter Verwendung des Cystins beträgt die Wasserlöslichkeit 125 g/l H2O, verglichen mit der Wasserlöslichkeit für Cystin allein von 0,09 g/l H2O. Für diesen Fall wurde somit glaubhaft eine Verbesserung der Wasserlöslichkeit um den Faktor 1,38 x 103 erreicht. Die gestellte Aufgabe wurde somit zweifellos durch das Zurverfügungstellen der beanspruchten Verbindungen gelöst.

5. Die Beschwerdeführerin hat die Neuheit des geltenden Anspruchs 1 nicht bestritten und die Kammer sieht keinen Grund, diesbezügliche Einwände zu erheben, so daß sich nähere Ausführungen hierzu erübrigen.

6. Es bleibt somit die Frage zu beantworten, ob hinsichtlich der gestellten Aufgabe das Zurverfügungstellen der beanspruchten Verbindungen eine erfinderische Leistung darstellt.

6.1. Ausgehend von Dokument (1) ist zu entscheiden, ob der Fachmann, in dem Bestreben, die Wasserlöslichkeit der fraglichen Aminosäuren erheblich zu verbessern, aufgrund der bekannten Werte für Dipeptide eine Weiterentwicklung in die Richtung von Tripeptiden ins Auge gefaßt hätte. Analysiert man die Wasserlöslichkeitswerte aus der Tabelle 1 des Dokuments (1), so ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. In der Tabelle erscheinen Löslichkeitswerte für 11 verschiedene Dipeptide, die mit der Aminosäure Tyrosin gebildet wurden; die jeweils zweite Aminosäure ist dabei entweder Alanin, Arginin, Histidin, Lysin, Serin, Glycin oder Glutamat. Im Falle der Verknüpfung mit den Aminosäuren Arginin, Hystidin, Glycin und Glutamat wurden die genannten Aminosäuren jeweils einmal am Aminoende und einmal am Carboxylende des Tyrosins gekoppelt. Die Palette der Wasserlöslichkeit dieser Dipeptide reicht von 4 bis 100 mg/ml H2O. Auffällig ist bei den Werten der große Unterschied zwischen der Wasserlöslichkeit zweier Dipeptide, die aus den gleichen Aminosäuren bestehen, jedoch, wie erwähnt, verschieden peptidisch miteinander verbunden sind; beispielsweise weist das Dipeptid Tyrosyl-Glycin eine Wasserlöslichkeit von 5,5 mg/ml H2O auf, das Dipeptid Glycyl-Tyrosin dagegen von 24 mg/ml H2O.

6.2. Die beste Löslichkeit wird mit dem Dipeptid Tyrosyl-Hystidin mit 100 mg/ml H2O erreicht. Insgesamt lassen die Werte jedoch keine Voraussage zu, in welcher Richtung weitergearbeitet werden könnte, um die Wasserlöslichkeit erheblich zu verbessern. Allenfalls wäre ein sinnvoller Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung das Dipeptid Tyrosyl-Histidin, da es die beste Wasserlöslichkeit aufweist.

6.3. Das heterogene Bild der Wasserlöslichkeit von Dipeptiden, die unter Verwendung des schwer wasserlöslichen Tyrosins gezeigt wird, erscheint wenig ermutigend für die Lösung der Aufgabe, die sehr schwer wasserlöslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin in eine sehr gut wasserlösliche Form zu überführen.

7. Aus den Dokumenten (4), (10) und (III) sind Tripeptide bekannt, die insoweit als analog zu den beanspruchten Verbindungen anzusehen sind, als in ihnen die Aminosäure Lysin an der alpha- und E-Aminogruppe mit jeweils einem Molekül einer anderen Aminosäure substituiert ist. Im Dokument (4) wird beispielsweise an Modellpeptiden des alpha-, E- und alpha, E -bis-Glycin-oder Phenylalanin-Lysins das kinetische Verhalten der alpha- und/oder E-Peptidbindung gegenüber einer Reihe von Proteinasen studiert. Es zeigte sich, daß die Aminopeptidasen des Dünndarms in der Lage sind, diese Verbindung zu spalten, so daß die Metabolisierbarkeit der Aminosäure Lysin gewährleistet ist. Das im Dokument (10) beschriebene Tripeptid d,l-alpha, E-Dileucyl-Lysin ist ebenfalls ein an der alpha- und E-Aminogruppe substituiertes Lysin, wobei die zweite Aminosäure hier das Leucin ist. Die Verbindung wird als in Wasser leicht löslich beschrieben und es wird nachgewiesen, daß das Tripeptid durch die Verdauungsenzyme Erepsin sowie Trypsin-Kinase spaltbar und somit metabolisierbar ist. Dokument (III) schließlich beschreibt Lysintripeptide der gleichen Art, wobei im besonderen ein alpha-N-E-N-Dialanyl-Lysin hergestellt wurde, deren Hydrolyse durch Homogenate der Intestinalmucosa, der Leber und der Nieren mit jeweils 100 %, 30 % und 100 % beschrieben wird. Diese Druckschrift belegt somit, daß ein an den alpha-und E-Aminogruppen mit einer anderen Aminosäure zweifach substituiertes Lysin nicht nur durch die bei oraler Gabe zum Einsatz kommenden Verdauungsenzyme abgebaut wird, sondern auch durch solche Enzyme, die in der Leber und in der Niere aktiv sind. In den drei genannten Druckschriften ist das Ziel der Substituierung der alpha- und E-Aminogruppen des Lysins der Schutz dieser Aminosäure, die in nicht substituiertem Zustand bei ihrer Weiterverarbeitung für Ernährungszwecke ansonsten Veränderungen unterliegt, die ihre Metabolisierbarkeit verschlechtern.

8. Würde nun der Fachmann in Kenntnis der bisher diskutierten Dokumente in dem Bestreben, die Wasserlöslichkeit der sehr schwer wasserlöslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin erheblich zu verbessern, den Weg beschreiten, Tripeptide zu bilden, die je zwei Moleküle der sehr schwer löslichen Aminosäuren aufweisen? Bei der Beurteilung dieser Frage erscheinen die in der Entscheidung T 2/83, "Simethicon-Tablette" (Abl. EPA 1984, 265) entwickelten Überlegungen relevant zu sein, wonach Weiterentwicklungen dann eine erfinderische Tätigkeit aufweisen, wenn das Ergebnis der Weiterentwicklung nicht vorhersehbar war. Im vorliegenden Fall wäre nach Meinung der Kammer der Fachmann bei einer eventuellen Überlegung, ob die Dipeptide aus dem Dokument (1) so zu entwickeln seien, daß eine Form von Peptiden gewählt wird, die mehr schwer wasserlösliche Moleküle enthält als das bekannte Dipeptid, jedoch andererseits bekanntlich im Körper metabolisierbar ist, zu dem Ergebnis gelangt, daß der fragliche Typ von Verbindungen allenfalls einen erträglichen Kompromiß zwischen einer noch akzeptablen Wasserlöslichkeit und der im Stand der Technik beschriebenen Metabolisierbarkeit darstellen könnten. Tatsächlich ist der eingetretene Effekt einer etwa 1000-fach verbesserten Wasserlöslichkeit der beanspruchten Tripeptide verblüffend. Dieses Ergebnis einer eventuellen Weiterbildung der Dipeptide war nach Meinung der Kammer keineswegs zu erwarten. Man kann daher annehmen, daß der Fachmann bei Kenntnis der oben diskutierten Druckschriften in die Richtung der beanspruchten Tripeptide hätte weiterarbeiten können, es jedoch mit der geschilderten Erfolgserwartung tatsächlich nicht getan hätte. Die erforderliche erfinderische Leistung liegt somit vor.

9. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, daß die in den Druckschriften (4), (10) und (III) beschriebenen Tripeptide, die als analog aufgebaut mit den beanspruchten Tripeptiden angesehen werden müssen, ebenfalls eine gute Wasserlöslichkeit aufwiesen. Dieser Umstand sei für den Fachmann Hinweis genug, eine Verbesserung der Wasserlöslichkeit der sehr schwer löslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin in gleicher Weise zu versuchen. Die Ansicht wird von der Kammer nicht geteilt, da die in den genannten Druckschriften mit dem Lysin in alpha-und E-Position verbundenen Aminosäuren bei weitem nicht so schwer wasserlöslich sind, wie Tyrosin und Cystin. Dies geht klar aus dem Dokument (11), 2. Tabelle auf Seite C-769 hervor.

10. Im Gegensatz zu der Entscheidung der Einspruchsabteilung ist die Kammer allerdings der Auffassung, daß eine gute Metabolisierbarkeit der in den Dokumenten (4), (10) und (III) beschriebenen Lysin-Tripeptiden auch bei nicht oraler Verabreichung als wahrscheinlich anzusehen ist, da insbesondere in Dokument (III) die Hydrolisierbarkeit der genannten Verbindungen auch in der Leber und den Nieren beschrieben ist. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Patentinhaberin selbst durch die Formulierung der Patentansprüche 3 und 4 dokumentiert, daß die Erfindung nicht darin liegt, wasserlösliche Peptide für die Infusion zur Verfügung zu stellen; die genannten Ansprüche beziehen sich auf die Verwendung der in Anspruch 1 genannten Tripeptide zur oralen bzw. parenteralen Ernährung.

11. Die Beschwerdeführerin hatte im Einspruchsverfahren auf die Entscheidung T 192/82 "Formmassen" (Abl. EPA 1984, 415) Bezug genommen, die ihrer Meinung nach eine mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Situation in der Weise entschieden hat, daß es dem Fachmann freistehen muß, die besten gegebenen Mittel für seine Zwecke zu verwenden; zwar kann die Verwendung von Mitteln, die eine zu erwartende Verbesserung bewirkt, durchaus patentfähig sein, wenn sie auf einer zusätzlichen Wirkung beruhe, vorausgesetzt, daß dies eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten erforderlich mache. Fehlten jedoch entsprechende Alternativen, so läge eine "Einbahnstraßen-Situation" vor, bei der die Verwendung des Mittels trotz eines etwaigen unerwarteten "Extra-Effekts" in naheliegender Weise zu vorhersehbaren Vorteilen führe. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde bereits ausgeführt, daß sich der vorliegende Fall von dem dort zu entscheidenden Fall unterscheide, da mehrere Alternativen zur Auswahl standen, so daß nicht von einer "Einbahnstraßen-Situation" gesprochen werden könne. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Für die Lösung der Aufgabe, die sehr schwer löslichen Aminosäuren Tyrosin und Cystin sehr gut wasserlöslich zu machen, standen fraglos mehrere Alternativen zur Verfügung. Selbst wenn der Fachmann den Weg der zweifachen Substitution der Aminogruppe einer anderen Aminosäure gewählt hätte, wären alternativ zu dem tatsächlich verwendeten Lysin andere Aminosäuren in Frage gekommen, die ebenfalls, außer der obligatorischen alpha-Aminogruppe, weitere Aminogruppen aufweisen.

12. Abschließend sei auf die Entscheidung T 181/82 (ABl. 1984, 401) verwiesen, in der entschieden wurde, daß ein Indiz für die erfinderische Tätigkeit der nachweisbare Effekt der Erfindung, verglichen mit dem des nächstliegenden Standes der Technik ist. Die Kammer schließt sich den Ausführungen der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung an, daß die gänzlich unerwartet gute Wasserlöslichkeit der beanspruchten Verbindungen in keiner Weise vorhersehbar war.

13. Der übrige, genannte Stand der Technik liegt weiter ab als die vier hier diskutierten Dokumente und bedarf somit keiner weiteren Erörterung.

14. Da nach alledem dem Stand der Technik kein Hinweis darauf zu entnehmen war, die Aminosäuren Tyrosin und Cystin auf die vorgeschlagene Weise sehr gut wasserlöslich zu machen und zudem die Metabolisierbarkeit sicherzustellen, beruht der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die auf den patentfähigen Anspruch 1 zurückgezogenen Ansprüche 2 bis 4 werden durch dessen erfinderische Tätigkeit mitgetragen.

Die Ansprüche 5 und 6 betreffen die Verwendung der neuen und erfinderischen Verbindungen gemäß Anspruch 1 und sind somit in gleicher Weise wie dieser als erfinderisch anzusehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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