T 0325/87 () of 31.5.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T032587.19890531
Datum der Entscheidung: 31 Mai 1989
Aktenzeichen: T 0325/87
Anmeldenummer: 82111708.2
IPC-Klasse: B29C 45/40
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Spritzgusswerkzeug mit Entnahmevorrichtung
Name des Anmelders: BASF AG
Name des Einsprechenden: Fahr-Bucher GmbH
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Entgeg.halt.erstm.i.d.Beschw.begr.genannt-berücksi. ja
nächstl.St.d.Technik z.Beurteilung d. erfind. Tätigk.
Inventive step - man skilled in the art;
document cited for the first time in the statem.grounds
- considered (yes); closest prior art for the
assessment of inventive step
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0032/81
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 16. Dezember 1982 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 82 111 708.2 ist am 17. April 1985 das europäische Patent 83 766 erteilt worden.

II. Nachdem der vom Beschwerdeführer eingelegte Einspruch durch Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 2. Juli 1987 zurückgewiesen worden war, hat der Beschwerdeführer am 29. August 1987 unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr Beschwerde erhoben.

Die schriftliche Begründung ist am 3. November 1987 eingegangen. Darin vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die den folgenden erstmals genannten Entgegenhaltungen, DE-B-1 297 568 DE-B-2 705 998 DE-C-493 849 DE-C-167 756 DE-B-2 713 660 zu entnehmenden Lehren in Verbindung mit den, jeder der folgenden, bereits im Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen, US-A-4 204 824 DE-U-7 904 564 zu entnehmenden Lehre nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Mit Bescheid vom 15. Dezember 1988 hat die Beschwerdekammer ihre vorläufige Ansicht dargelegt, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 aufgrund der der DE-U-7 904 564 zu entnehmenden Lehre in Verbindung mit der Lehre, wie sie der DE-B-1 297 568 bzw. 2 705 998 oder der bereits im Einspruchsverfahren genannten US-A-3 988 939 zu entnehmen sei, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit zu beruhen scheint.

IV. Mit Schriftsatz vom 6. Februar 1989 hat der Beschwerdegegner dem Vorbringen der Beschwerdekammer widersprochen und einen neuen Anspruch 1, der dem weiteren Verfahren zugrunde gelegt werden soll, vorgelegt.

Nach Ansicht des Beschwerdegegners stellt der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 eine optimale Merkmalskombination unter mehreren Lösungsmöglichkeiten optimale Merkmalskombination dar, für die im gesamten vorliegenden Stand der Technik kein Hinweis gegeben ist. Im besonderen enthielten die von der Beschwerdekammer angesprochenen Dokumente nichts, was auf eine praktische Anwendung von Kurbeltrieben und Kettentrieben bei einem Spritzgußwerkzeug mit einer Entnahmevorrichtung nach der DE-U-7 904 564 hinweisen würde. Außerdem sei zu bedenken, daß die hier in Verbindung gebrachten Fachgebiete - Spritzgießtechnik auf der einen Seite und Förder- bzw. Preß-Stanzwerktechnik auf der anderen Seite - sehr unterschiedlich seien.

V. Der geltende Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Spritzgußwerkzeug mit einer feststehenden und einer bewegbaren Formhälfte (1, 2) sowie mit einer mit der bewegbaren Formhälfte (2) in Verbindung stehenden Entnahmevorrichtung (5) für die Formteile (38), bestehend aus einer mit der bewegbaren Formhälfte verbundenen Montageplatte (4), einem auf der Montageplatte drehbar gehaltenen und auf einer Zahnstange (9), die an der feststehenden Formhälfte (1) befestigt ist, abrollbaren Zahnrad (8), durch welches die Bewegung der Formhälfte (2) in eine Zu- bzw. Ausfahrbewegung von Greifwerkzeugen (17) umgesetzt wird, dadurch gekennzeichnet, daß zur Übertragung der Bewegung das Zahnrad (8) mit einer Kurbel (22) und diese wiederum über eine angelenkte Schubstange (23) mit einer zum Antrieb eines weiteren Zahnrades (25) als Zahnstange ausgebildeten Schwinge (24) verbunden und die Welle dieses Zahnrades mit einem Kettentrieb (26, 27) gekoppelt ist, an dessen Transportkette (28) eine Halteplatte (12) für die Greifwerkzeuge (17) befestigt ist."

VI. Der Beschwerdeführer beantragt den Widerruf des angefochtenen europäischen Patents.

Der Beschwerdegegner stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die erstmals mit der Beschwerdebegründung genannten Entgegenhaltungen sind im Sinne von Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet vorgebracht zu betrachten. Zur Begründung hierfür ist auf die Tatsache hinzuweisen, daß die Patentansprüche im Einspruchsverfahren sowie, bis zum Zeitpunkt der Einreichung dieser Entgegenhaltungen, auch im Beschwerdeverfahren keine Änderung erfuhren. Folglich hätte der Beschwerdeführer diese Entgegenhaltungen bereits während der Einspruchsfrist nennen müssen. Die von der Kammer aufgrund von Artikel 114 (1) EPÜ von Amts wegen durchgeführte Überprüfung hat jedoch ergeben, daß zwei dieser Entgegenhaltungen einen Stand der Technik dokumentieren, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine Bedeutung hat. In Ausübung der Ermessensbefugnis nach Artikel 114 (2) EPÜ entscheidet deshalb die Kammer, daß die verspätet vorgebrachten Entgegenhaltungen DE-B-1 297 568 und DE-B-2 705 998 im vorliegenden Fall infolge offensichtlicher Erheblichkeit zu berücksichtigen sind (vgl. auch Bescheid vom 15. Dezember 1988).

3. Im Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 ist von einem Spritzgußwerkzeug nach der DE-U-7 904 564 als Stand der Technik ausgegangen. Bei dem bekannten Spritzgußwerkzeug werden die Greifwerkzeuge durch die bewegbare Formhälfte über eine Zahnrad/Zahnstangen-Anordnung angetrieben. Ein Zahnrad, welches in einem an der Formhälfte befestigten Gestell gelagert ist, läuft auf einer feststellbaren Zahnstange ab und treibt dabei eine weitere mit den Greifwerkzeugen verbundene Zahnstange direkt an. Infolge der schnellen Öffnungs- und Schließbewegungen der bewegbaren Formhälfte wirken auf die Greifwerkzeuge hohe Beschleunigungskräfte, die schnellen Verschleiß oder gar Beschädigungen verursachen können.

4. Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Spritzgußwerkzeug mit einer Entnahmevorrichtung zu entwickeln, bei dem die Bewegungsübertragung von der bewegbaren Formhälfte auf die Entnahmevorrichtung möglichst schonend erfolgt (vgl. EP-B-0 083 766, Spl. 1 Z. 17 bis 39 und Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 6. Februar 1989, S. 1, Absatz 2 sowie S. 3, letzten Absatz).

Die obige Aufgabe wird durch die Lehre des geltenden Anspruchs 1 gelöst. Nach dieser Lehre beruht die Lösung auf dem Gedanken, den "geradlinigen" Bewegungsablauf der Entnahmevorrichtung während der Öffnungs- und Schließbewegung der Formhälften in einen "sinusförmigen" Bewegungsablauf abzuändern.

5. Das die Lösung dieser Aufgabe bildende Spritzgußwerkzeug nach dem geltenden Anspruch 1 ist durch den schriftlich belegten Stand der Technik nicht bekanntgeworden. Da ihre Neuheit von dem Beschwerdeführer nicht bestritten worden ist, erübrigt es sich, dies näher zu begründen.

6. Die Ausbildung des Spritzgußwerkzeugs nach der Lehre des geltenden Anspruchs 1 hat jedoch nahegelegen. Hierzu ist im einzelnen folgendes auszuführen:

6.1. Eine Anregung zur Lösung der obengenannten Aufgabe konnte der Fachmann bereits in den Entgegenhaltungen US-A-3 988 939, DE-B-1 297 568 und DE-B-2 705 998 finden.

6.1.1. Die US-A-3 988 939 befaßt sich mit einer Vorrichtung für den intermittierenden Antrieb einer Spannvorrichtung für Werkstücke. Bei dem bekannten Getriebe rollt auf einer, von einem Stellmotor angetriebenen Zahnstange (127) ein Zahnrad (137) ab, das zur Übertragung der Bewegung mit einer Kurbel (129) und diese wiederum über eine angelenkte Schubstange (131) mit einer zum Antrieb eines weiteren Zahnrads (149) als Zahnstange ausgebildeten Schwinge (133) verbunden ist. Die Welle (145) des weiteren Zahnrads (149) ist dabei mit der Spannvorrichtung verbunden. Dieses Getriebe ermöglicht die Umwandlung der "nicht-harmonischen" Beschleunigung bzw. Verzögerung einer geradlinigen hin-und hergehenden Bewegung in eine "sinusförmige" Beschleunigung bzw. Verzögerung: Vgl. Sp. 1, Z. 18 bis 22; Sp. 2, Z. 40 bis 51; Sp. 3, Z. 16 bis 32; Sp. 4, Z. 6 bis 28; Figuren 2 bis 4.

6.1.2. Aus der DE-B-1 297 568 ist ein Antriebsgetriebe für den intermittierenden Antrieb eines Förderers für Werkstücke bei automatischen Pressen oder dgl. bekannt. Die Welle eines Zahnrads, die mit einer Förderkette gekoppelt ist, wird über eine Zahnstange (26), einen Schwinghebel und eine Kurbel (31, 32) angetrieben, wobei die letztere auf einer angetriebenen Welle gelagert ist. Dadurch werden die Beschleunigungen und Verzögerungen des Förderers über den Antriebshub, ähnlich wie bei einer "harmonischen Schwingung", verteilt, so daß ein stoßfreier Betrieb möglich ist: Vgl. Sp. 1, Z. 1 bis 16, 29 bis 36; Figuren 1 und 2.

6.1.3. Die DE-B-2 705 998 betrifft eine Transportvorrichtung für eine Bearbeitungsstation. Zum Antrieb der Transportvorrichtung dient ein mechanischer Schrittantrieb. Der Antrieb erfolgt von einer gleichförmig umlaufenden Welle (30) aus, auf der eine Kurve (31) und eine Kurbel (32) drehfest angebracht sind. Die Kurbel (32) ist gelenkig mit einer Schubstange (33) verbunden, deren anderes Ende gelenkig mit einem Zahnsegment (34) in Verbindung steht, das um eine Achse (35) schwenkbar ist. Das Zahnsegment (34) ist mit einem Zahnrad (37) in Eingriff, dessen Welle (39) mit einem Kettenförderer 17, an dem Greifwerkzeuge (18) befestigt sind, gekoppelt ist. Aufgrund der Kurbelbewegung arbeitet der Antrieb schonend, weil er gleichmäßige Beschleunigungs- und Verzögerungsverhältnisse gestattet: Vgl. Sp. 4, Z. 28 bis 37; Sp. 5, Z. 57 bis Sp. 6, Z. 8; Sp. 8, Z. 15 bis 22; insbesondere Figuren 3 und 5.

6.1.4. Diese Entgegenhaltungen enthalten demnach verschiedene Beispiele für die dem Fachmann ganz allgemein bekannte Tatsache, daß zur Erzielung eines "sinusförmigen" Bewegungsablaufs eines Antriebs für eine diesem Antrieb nachgeschaltete Vorrichtung - denn erst ein solcher Bewegungsablauf ermöglicht eine ausgeglichene Beschleunigung und Abbremsung der nachgeschalteten Vorrichtung - ein Kurbeltrieb ausreicht, dessen Gestänge aus einer umlaufenden Kurbel, einer Koppel und einem schwingenden oder hin- und hergebenden Teil (Schwinge) besteht. Dabei ist es für den "sinusförmigen" Bewegungsablauf unerheblich, ob die Koppel als Schubstange (s. US-A-3 988 939 und DE-B-2 705 998) oder als Schwinghebel (DE-B-1 297 568), und die Schwinge als Zahnstange (US-A-3 988 939, DE-B-1 297 568) oder als Zahnsegment (DE-B-2 705 998) ausgebildet ist.

6.1.5. Da die Aufgabe (Bewegungsübertragung der angetriebenen Formhälfte auf eine mit dieser in Verbindung stehenden Entnahmevorrichtung), die durch den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gelöst werden soll, nicht auf dem Gebiet der Spritzgußtechnik, sondern auf dem der Getriebetechnik liegt, ist der Fachmann dieses Gebiets der zur Aufgabenlösung berufene Fachmann und nicht derjenige des im Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 angegebenen Gebiets. Die Kammer folgt hiermit der Auffassung, wie sie bereits in der Entscheidung T 32/81, "Reinigungsvorrichtung für Förderbänder/FIVES-CAIL BABCOCK (ABl. EPA, 1982, 225) zum Ausdruck kommt.

6.1.6. Für diesen Fachmann liegt es jedoch auf der Hand, aufgrund der den in Abschnitten 6.1.1 bis 6.1.3 genannten Entgegenhaltungen zu entnehmenden Beispielen auch bei einem Spritzgußwerkzeug einen Kurbeltrieb der bekannten Art zu verwenden, wenn er die dem Spritzgußwerkzeug nach dem Oberbegriff des geltenen Anspruchs 1 bzw. nach der DE-U-7 904 564 anhaftenden Nachteile, die an den Greifwerkzeugen zeugen durch die schnellen Öffnungs- und Schließbewegungen der Formhälften auftreten, vermeiden will. D. h., eine allgemein bekannte Technik wird für den Zweck eingesetzt, für den sie aufgrund ihrer bekannten Eigenschaften vorgesehen ist.

6.1.7. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß beim Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 die vom Kurbeltrieb angetriebene Vorrichtung eine Transportkette mit einer Halteplatte für die Greifwerkzeuge ist. Diese Ausbildung hat mit der Art der Bewegungsübertragung von der Antriebsseite (Zahnrad 8) auf die Abtriebsseite (Zahnräder 25, 26, 27) nichts zu tun, wie auch den genannten Entgegenhaltungen ohne weiteres entnommen werden kann. Sie trägt daher zur Aufgabenlösung nichts bei.

6.2. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 wird somit dem Fachmann durch den verfügbaren Stand der Technik nahegelegt; dieser Gegenstand beruht mithin nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

7. Der geltende Anspruch 1 kann daher nicht aufrechterhalten werden.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 fallen zusammen mit dem Anspruch 1, da ihr Rechtsbestand von diesem abhängt.

Der in Artikel 100 a) EPÜ genannte Einspruchsgrund steht somit der Aufrechterhaltung des angefochtenen europäischen Patents entgegen; aufgrund von Artikel 102 (1) i.V.m. Regel 66 (1) EPÜ ist es daher zu widerrufen.

8. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf den Einwand des Beschwerdeführers einzugehen, daß der geltende Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ nicht erfülle.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent 83 766 wird widerrufen.

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