T 0321/87 () of 26.1.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T032187.19890126
Datum der Entscheidung: 26 Januar 1989
Aktenzeichen: T 0321/87
Anmeldenummer: 80103848.0
IPC-Klasse: C07C 85/06
Verfahrenssprache: DE
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Neopentylamin
Name des Anmelders: Bayer
Name des Einsprechenden: BASF; Ruhrchemie AG
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Anwendung eines Standardverfahrens für bisher anders
hergestelltes Produkt
Inventive step (no)
use of a standard process for a product which has
hitherto produced in a different way
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0372/94
T 1212/01

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 103 848.0, die am 7. Juli 1980 mit deutscher Priorität vom 17. Juli 1979 angemeldet worden war, wurde am 16. Februar 1983 das europäische Patent 22 532 auf der Grundlage von vier Ansprüchen erteilt, von denen die Ansprüche 1 und 4 folgendermaßen lauteten:

"1. Verfahren zur Herstellung von Neopentylamin, das praktisch frei von höher alkylierten Aminen ist, durch Aminierung mit Ammoniak an Hydrier-/Dehydrierkatalysatoren bei erhöhter Temperatur, gegebenenfalls erhöhtem Druck und gegebenenfalls in Gegenwart von Wasserstoff, dadurch gekennzeichnet, daß man Neopentanol mit 0,5 bis 10 Mol Ammoniak umsetzt.

4. Verfahren nach Anspruch 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß man 1 bis 5 Mol Ammoniak pro Mol Neopentanol einsetzt."

II. Gegen die Patenterteilung legten die jetzigen Beschwerdegegnerinnen

(i) BASF AG und

(ii) Ruhrchemie AG am 11. November 1983 bzw. durch ordnungsgemäß bestätigtes Telex vom 15. November 1983 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein.

Sie stützten sich dabei und im späteren Vorbringen insbesondere auf die Dokumente (a) DE-A-2 358 355, (b) DE-B-1 543 377, (h) DE-A-1 493 781 und (i) R. Breslow, Organic Reaction Mechanisms, Seite 76 (1965).

Die Patentinhaberin (jetzige Beschwerdeführerin) hat ihrerseits u.a. auf

(e) Houben-Weyl, Methoden der organischen Chemie, Band XI/1 (1957), Seiten 130 bis 131, hingewiesen.

III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens strich die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) den Anspruch 4 und änderte im Anspruch 1 die Angabe "mit 0,5 bis 10 Mol Ammoniak" in "mit 1 bis 5 Mol Ammoniak" um.

IV. Mit Entscheidung vom 30. Juli 1987 widerrief die Einspruchsabteilung das Patent und führte dazu im wesentlichen aus:

Die Erfindung sei zwar neu, aber nicht erfinderisch. Ausgehend von (a) als nächstem Stand der Technik sei es Aufgabe der Erfindung gewesen, ein Verfahren zur Herstellung von Neopentylamin aus einem hierfür bisher nicht in Betracht gezogenen Ausgangsmaterial, nämlich Neopentanol, vorzuschlagen, dabei eine gute Ausbeute und Selektivität zu erzielen und besonders die Bildung höheralkylierter Amine möglichst zu vermeiden. Zur Lösung dieser Aufgabe habe das Streitpatent die Reaktionsbedingungen von (a) in naheliegender Weise auf die völlig analoge beanspruchte Umsetzung übertragen (Seite 5, Zeilen 5 bis 24). Eine bessere Selektivität sei bei der Aminierung einer einzigen statt zweier Hydroxylgruppen zu erwarten gewesen (Seite 4, Zeile 4 von unten, bis Seite 5, Zeile 4), und das gegebenenfalls überraschende Ausmaß der Selektivitätsverbesserung könne nicht zur Bejahung erfinderischer Tätigkeit genügen (Seite 4, letzte fünf Zeilen).

V. Gegen diese Entscheidung wurde am 11. September 1987 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und hierzu am 16. Oktober 1987 eine Begründung eingereicht. Darin wird im wesentlichen ausgeführt, die Bedeutung von (a) als relevanter Stand der Technik sei wesentlich kleiner als von der Einspruchsabteilung angenommen, weil danach - entgegen den dortigen Angaben - nur wesentlich geringere Ausbeuten erzielbar seien (Seite 2, Absätze 1 und 2). Auch entnehme der Fachmann sowohl (a), als auch (b) ein höheres Molverhältnis OH:NH3 als das nach dem Streitpatent. Ein solches Verhältnis trage dazu bei, eine unerwünschte Mehrfachalkylierung zu unterdrücken. Erfindungsgemäß werde nun überraschenderweise mit einem nur geringen NH3-Überschuß eine hohe Selektivität bei der Neopentylaminbildung erzielt, was auch im Hinblick auf die erforderliche Rückführung des Überschusses von Vorteil sei (Seite 3, zweiter Absatz).

VI. Die Beschwerdegegnerinnen bestreiten diese Ausführungen. Eine erfinderische Tätigkeit ergebe sich auch für den nunmehr auf ein Verhältnis von 1 bis 5 Mol NH3 pro OH- Gruppe eingeschränkten Anspruch nicht. Auch das Verfahren nach (b) empfehle nur 2 bis 5 Mol NH3 pro OH-Gruppe und führe zu erstaunlich hohen Ausbeuten an primären Aminen (Seite 2 Absätze 2 bis 4, des Schriftsatzes vom 2. März 1988 sowie Seite 2, Absatz 2 des Schriftsatzes vom 18. April 1988).

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der am 28. Januar 1984 vorgelegten neuen Ansprüche aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Der geltende Anspruch 1 unterscheidet sich von der erteilten Fassung lediglich durch Einbeziehung des damaligen Anspruches 4; er unterliegt daher keiner Beanstandung gemäß Art. 123 (3) EPÜ. Die Kammer hat zwar erhebliche Zweifel daran, ob der im Laufe des Prüfungsverfahrens erfolgte Ersatz des Temperaturbereiches "von 200 bis 300°C" im ursprünglichen Anspruch 1 durch "bei erhöhter Temperatur" (erteilte Fassung) im Rahmen von Art. 123 (2) EPÜ zu rechtfertigen war; im Hinblick auf die folgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit, und da dieser Gesichtspunkt im Einspruchsverfahren bisher nicht aufgegriffen wurde, sei jedoch zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt, daß dies der Fall ist.

3. Als nächstliegender Stand der Technik kommen die in der Streitpatentschrift beispielhaft aufgeführten Verfahren zur Herstellung von Neopentylamin mittels Hydrierung von Trimethylacetaldoxim an Raney-Nickel (J.Am.Chem.Soc. 60 (1938), 660), Reduktion von Pivalonitril mit Lithiumalanat (J.Am.Chem.Soc. 74 (1952), 4055), Hoffmann'schem Abbau von tertiärem Butylacetamid (J.Am.Chem.Soc. 71 (1949), 2810) oder Reduktion von Trimethylacetamid mit Diboran (J.Am.Chem.Soc. 86 (1964), 3566) in Frage.

Sie alle beschreiben Methoden zur Herstellung der spezifischen Verbindung Neopentylamin, wobei je nach Verfahren Ausbeuten zwischen 41 und 86 % erzielt werden, und liegen daher nach Auffassung der Kammer von der Aufgabe her gesehen, dem Streitpatent näher als (1) oder anderer Stand der Technik, der ohne Nennung von Neopentylamin die Gewinnung von Mono-oder Diaminen beschreibt.

4. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe kann nun darin gesehen werden, ein technisch leicht handhabbares Verfahren vorzuschlagen, durch das Neopentylamin mit guter Ausbeute und Selektivität, insbesondere möglichst frei von höher alkylierten Aminen, erhältlich ist. Bei der Wahl des Ausgangsstoffes (Neopentanol) handelt es sich hingegen um ein Lösungselement, das als solches nicht in die Aufgabenstellung eingeht (vgl. angefochtene Entscheidung, Seite 5, Absatz 2).

5. Als Lösung dieser Aufgabe stellt das Streitpatent ein Verfahren bereit, bei dem von höher alkylierten Aminen praktisch freies Neopentylamin durch Aminierung von Neopentanol mit Ammoniak an Hydrier- /Dehydrierkatalysatoren bei erhöhter Temperatur und einem NH3:OH-Molverhältnis von 1 bis 5 zu 1 erhalten wird. Daß die bestehende Aufgabe hierdurch auch tatsächlich gelöst wird, erscheint auf Grund der Beispiele glaubhaft und wird auch von den Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten.

6. Die beanspruchte Lösung ist schon deswegen neu, weil im nachgewiesenen Stand der Technik die Herstellung von Neopentylamin durch Umsetzung von Neopentanol mit Ammoniak nicht spezifisch beschrieben ist. Nähere Ausführungen hierzu erübrigen sich, da die Neuheit nicht bestritten ist.

7. Es bleibt daher zu untersuchen, ob das beanspruchte Verfahren auf erfinderischer Tätigkeit beruht oder ob es für den Fachmann im Lichte der oben definierten Aufgabe auf Grund des angezogenen Standes der Technik nahelag.

7.1. Ein Fachmann der - ausgehend von dem in Abschnitt 3 vorliegenden Entscheidung genannten, spezifisch auf die Herstellung von Neopentylamin gerichteten Stand der Technik -die bestehende Aufgabe zu lösen suchte, würde zuerst unter den zum allgemeinen Fachwissen gehörenden Standardverfahren nach einer geeigneten Methode Ausschau halten. Die Umsetzung von Alkoholen mit Ammoniak an Hydrier-/Dehydrierkatalysatoren bei erhöhter Temperatur sowie gegebenenfalls bei erhöhtem Druck und in Gegenwart von Wasserstoff ist ein solches Standardverfahren; vgl. (e) oder, aus jüngerer Zeit, Kirk-Othmer, Encyclopedia of Chemical Technology, 3rd edition, Vol. 2 (1978), Seiten 276-277. Die Heranziehung dieser allgemeinen Methode war daher naheliegend; dies umso mehr, als dort die in Frage kommenden Verfahren in der Reihenfolge ihrer Bedeutung aufgeführt sind (Seite 276, Abschnitt "Manufacture", Zeilen 4 bis 5), wobei die Umsetzung von Alkoholen mit Ammoniak (in erster Linie mit Dehydratisier-, in zweiter mit Wasserstoff an Dehydrierkatalysatoren) zu vorderst genannt ist.

7.2. Im Hinblick auf (b), Spalte 3, Zeilen 38 bis 40, wonach man Ammoniak im Überschuß, "vorzugsweise 2 bis 5 Mol je Hydroxylgruppe", verwendet, kann auch das im Anspruchskennzeichen hervorgehobene Merkmal von 1 bis 5 Mol Ammoniak pro Mol Neopentanol nicht entscheidend zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Im übrigen gehören auch Molverhältnisse etwa dieses Bereiches dem allgemeinen Fachwissen an; vgl. Kirk-Othmer, a.a.O. (Seite 276, Zeilen 6 bis 5 von unten).

7.3. Gegenüber dem genannten Stand der Technik vermögen auch die Stellen von (h) auf Seite 3, Zeilen 3 bis 5, und Seite 17, Zeilen 5 bis 13, nicht etwa ein allgemeines Vorurteil gegen die Herstellung von Aminen durch Umsetzung primärer Alkohole mit NH3 zu begründen. Abgesehen davon, daß generell eine einzelne Patentschrift oder wissenschaftliche Originalarbeit - im Gegensatz zu Standardwerken, Lehrbüchern oder dergleichen - zur Begründung eines solchen Vorurteils nicht ausreicht, ist dem genannten Dokument höchstens die Lehre zu entnehmen, daß NH3 unter den speziellen dort beschriebenen Bedingungen (Chromitkatalysatoren usw.) "nicht in wirksamer Weise mit primären Alkoholen reagiert".

7.4. Noch zusätzlich nahegelegt wird das beanspruchte Verfahren für die Herstellung gerade von Neopentylamin durch (a), worin bereits die analoge Gewinnung des entsprechenden Diamins aus Neopentylglykol bei einem molaren Verhältnis NH3:OH von 4:1 bis 40:1 (nach dem hinsichtlich des Katalysators am nächsten kommenden Beispiel 1 von 6,1:1) beschrieben ist, und zwar mit guter Ausbeute und hoher Spezifität (vgl. die Angaben der Beispiele).

7.5. Selbst wenn man unterstellte, das Ausmaß des nach dem Streitpatent erzielten Effektes hinsichtlich Ausbeute und Selektivität sei überraschend, so vermöchte nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ein solches Ausmaß erfinderische Tätigkeit dann nicht zu begründen, wenn es das Ergebnis von - wie hier gezeigt - naheliegenden Maßnahmen ist. Im übrigen erscheint die nach dem Streitpatent erzielte hohe Spezifität in Gestalt weitgehender Abwesenheit von Di- und Trineopentylamin angesichts der dem Chemiker bekannten starken sterischen Hinderung von Neopentylgruppen keineswegs so überraschend; siehe hierzu (i), insbesondere die erste gezeigte Formel mit zugehörigem Text.

7.6. Nach allem beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

8. Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 betreffen lediglich übliche Maßnahmen und sind daher ebenfalls nicht gewährbar, zumal über einen Antrag nur als ganzen entschieden werden kann.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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