T 0198/87 () of 21.6.1988

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1988:T019887.19880621
Datum der Entscheidung: 21 Juni 1988
Aktenzeichen: T 0198/87
Anmeldenummer: 82102381.9
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von wasserverdünnbaren Bindemittellösungen/Verwend. v. Monoalkylglykolethern
Name des Anmelders: BASF AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - neue Basis
Zurückverweisung an die Erstinstanz
inventive step - new basis
remittal to the first instance
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0268/90
T 0424/05

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 82 102 381.9, die am 23. März 1982 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28. März 1981 eingereicht worden war, wurde am 19. September 1984 das europäische Patent 0 062 226 auf der Grundlage von sechs Verfahrensansprüchen erteilt. Der unabhängige Anspruch 1 lautete wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von wasserverdünnbaren Bindemittellösungen für Beschichtungs- und Imprägnierstoffe unter Verwendung von Monoalkylglykolethern als Lösungsmittel, dadurch gekennzeichnet, daß als Monoalkylglykolether solche verwendet werden, die mindestens 2 Gewichtsprozent eines Reaktionsproduktes aus Isopropanol und Propylenoxid enthalten."

II. Gegen die Patenterteilung wurde von den Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) fristgerecht Einspruch erhoben. Zur Begründung der Einsprüche wurden insgesamt fünf Dokumente genannt.

III. Mit Entscheidung vom 14. April 1987 wies die Einspruchsabteilung beide Einsprüche zurück und führte dazu im wesentlichen aus, der Patentgegenstand sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, da die Patentinhaberin mit den in ihrem Patent vorgeschlagenen Isomeren eine durch den Stand der Technik nicht nahegelegte Auswahl getroffen habe.

IV. Die Beschwerdeführerinnen legten gegen diese Entscheidung unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr fristgerecht Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde jeweils innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachgereicht.

V. In beiden Beschwerdebegründungen wurde die Patentfähigkeit des Gegenstandes des Patents bestritten, wobei eine Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang folgende drei neue Dokumente anführte:

(6) AT-B-236 129

(7) Coating Chemicals - PROPASOL Solvents P and B, Union Carbide Corp., New York, October 1965, Seiten 1 - 6

(8) Römpps Chemie-Lexikon, 7. Auflage, 1975, Bd. 5 (Pi - S), Seite 2811 "Propasol" VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 21. Juni 1988 in Gegenwart aller betroffenen Parteien statt.

i) Zur Begründung ihrer Beschwerden führten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes aus:

Die Patentinhaberin habe nur den völlig naheliegenden Schritt vom linearen zum verzweigten Isomeren getan. Dabei sei die Auswahl aus den 6 möglichen verzweigten Isomeren jedoch lediglich nach dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und technisch leichten Zugänglichkeit erfolgt.

Im übrigen wisse der Fachmann aufgrund einer allgemein bekannten Regel, daß lineare Verbindungen weniger flüchtig seien als die entsprechenden verzweigten Isomeren. Obwohl es bei chemischen Verbindungen keine direkte Relation zwischen der Verdunstungszahl (VZ) und dem Lösevermögen gebe, sei jedoch davon auszugehen, daß bei gleicher Anzahl C-Atomen und folglich unverändertem Molekulargewicht keine Änderung des Lösevermögens zu erwarten gewesen sei beim Einsatz eines verzweigten Isomern gemäß Streitpatent anstelle des in Dokument (7) vorbeschriebenen n-Propoxypropanol (Propasol P). Ausnahmen zu der eingangs erwähnten Regel seien allerdings möglich. Bei der von der Beschwerdegegnerin angegebenen VZ von 65 für Propasol P stimme jedenfalls die Größenordnung.

ii) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diesem Vorbringen widersprochen.

Sie machte im wesentlichen geltend, daß der Schritt vom linearen Propasol P, d. h. vom n-Propoxypropanol, gemäß Dokument (7) zum verzweigten Isopropoxypropanol gemäß Streitpatent nicht nahegelegen habe, da beim Übergang von der linearen zur verzweigten Verbindung zwar mit einer höheren Flüchtigkeit des Lösungsmittels gerechnet werden konnte aufgrund der besagten Regel, aber keineswegs mit einer praktisch unveränderten Erhaltung des Lösevermögens. Im Gegenteil sei bei der Herabsetzung der Verdunstungszahl (VZ) mit einer Verschlechterung des Lösevermögens zu rechnen gewesen. Mit einer VZ von 36 sei das erfindungsgemäße Lösungsmittel praktisch doppelt so flüchtig wie das vorbeschriebene Propasol P mit einer VZ von 65, wobei aber ersteres immer noch ein Lösevermögen habe, das mindestens so gut sei wie das des bekannten Mittels, so daß man in der Praxis mit möglichst wenig Lösungsmitteln auskommt.

VII. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, hilfsweise die Sache zur Durchführung von Vergleichsversuchen an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden entsprechen den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie sind daher zulässig.

2.1. Eine der beiden Beschwerdeführerinnen hat nach Ablauf der Einspruchsfrist, nämlich zusammen mit der Begründung der Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, drei neue Dokumente angeführt, auf die sie ihre Begründung stützt. Es handelt sich hierbei um die Dokumente (6), (7) und (8), die ohne Angabe von Gründen für das späte Vorlegen von der Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren genannt wurden.

2.2. Die Prüfung von Dokument (6) durch die Kammer hat ergeben, daß dieses Dokument lediglich als technologische Hintergrundinformation zu werten ist, die nicht über das hinausgeht, was in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents schon als allgemein bekanntes Fachwissen dargestellt wird. Dieses Dokument ist daher für die Entscheidungsfindung als nicht relevant anzusehen. Die Beschwerdeführerinnen haben dies in der mündlichen Verhandlung zuletzt auch nicht mehr bestritten.

Aufgrund von Artikel 114 (2) EPÜ bleibt das nachgereichte Dokument (6) deshalb unberücksichtigt.

Bei Dokument (7) handelt es sich jedoch nach Auffassung der Kammer um ein Dokument, das dem Gegenstand des Streitpatents sehr nahekommt und deshalb aufgrund von Artikel 114 (1) EPÜ berücksichtigt werden muß.

Dokument (8) ist ein Auszug aus einem Fachlexikon (Römpps Chemie-Lexikon) und insofern relevant, als sich daraus eindeutig ergibt, daß es sich bei dem in Dokument (7) genannten Lösungsmittel Propasol P (n-Propoxypropanol) um das 1-Propoxy-2-propanol handelt.

3. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft ein Verfahren zur Herstellung von wasserverdünnbaren Bindemittellösungen unter Verwendung von Monoalkylglykolethern.

4. Nächstkommender Stand der Technik ist Dokument (7), eine Firmenschrift der Union Carbide Corp., in welcher Propasol P, d. h. n-Propoxypropanol, als geeignetes Lösungsmittel für die Herstellung von Wasserlacken beschrieben wird aufgrund seiner beträchtlichen Löslichkeit in Wasser und seiner geringen Toxizität.

5. Demgegenüber bestand die Aufgabe im Streitpatent darin, ein flüchtigeres Lösungsmittel als Propasol P zu finden, wobei dessen Lösevermögen mindestens so gut sein soll wie das des bekannten Mittels, so daß besonders lösungsmittelarme Bindemittellösungen hergestellt werden können, die dadurch aus sowohl biologischer als auch physiologischer Sicht vorteilhafter sind als die bisher möglichen.

Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 des Streitpatents dadurch gelöst, daß ein Lösungsmittel verwendet wird, das mindestens 2 Gewichtsprozent eines Reaktionsproduktes aus Isopropanol und Propylenoxid enthält.

Aufgrund der Darlegungen in der Beschreibung des Streitpatents (siehe insbesondere Seite 2, Zeile 50 bis Seite 3, Zeile 40), die auch von den Beschwerdeführerinnen nicht bestritten wurden, ist es für die Kammer glaubhaft, daß hierdurch die gestellte Aufgabe auch tatsächlich gelöst wird.

6. Die Beschwerdeführerinnen haben in der mündlichen Verhandlung die Neuheit des beanspruchten Verfahrens zuletzt nicht mehr bestritten. Da auch die Kammer aufgrund ihrer eigenen Prüfung keinen Grund hat, die Neuheit des Hauptanspruchs in Frage zu stellen, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu.

7. Es verbleibt nur noch zu prüfen, ob angesichts der gestellten Aufgabe das beanspruchte Verfahren auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

7.1. Obwohl bei der Kammer insbesondere durch das neu vorgelegte Dokument (7) ernsthafte Bedenken hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens aufgekommen sind, reichten diese aber letztlich nicht zur völligen Überzeugung der Kammer. Zweifel an der Richtigkeit des Vortrags der Beschwerdeführerinnen blieben nicht zuletzt dadurch bestehen, daß diese keine Vergleichsversuche vorgelegt haben, welche der Kammer erst eine wirklich objektive Beurteilung der technischen Vorgänge ermöglicht hätten, auf die es im vorliegenden Fall ankommt.

7.2. Die Beschwerdeführerinnen gehen davon aus, daß der Fachmann auf der Suche nach einem flüchtigeren Mittel als das bekannte, lineare n-Propoxypropanol (Propasol P) ohne weiteres zu den entsprechenden verzweigten Isomeren gegriffen hätte aufgrund einer allgemein bekannten Regel, die besagt, daß lineare Verbindungen weniger flüchtig seien als die entsprechenden verzweigten Isomeren und er dadurch in der Lage gewesen wäre, sich ohne Mühe ein Lösungsmittel mit einer niedrigeren VZ zu beschaffen als das bisher bekannte.

Daß dem nicht so sei, wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht bestritten. Auch die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, daß es diese Regel gibt. Einig waren sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung allerdings darüber, daß besagte Regel nicht unbedingt in allen Fällen gilt und Ausnahmen möglich sind. Außerdem wurde seitens der Beschwerdeführerinnen anerkannt, daß für die von der Beschwerdegegnerin genannte VZ von 65 für Propasol P jedenfalls die Größenordnung stimmt und im Streitpatent eine Herabsetzung der VZ des Lösungsmittels auf einen Wert von nur 36 erreicht werden kann.

8. Nicht unwidersprochen blieb aber die Behauptung der Beschwerdeführerinnen, daß beim Übergang vom unverzweigten zum verzweigten Lösungsmittel keine Änderung des Lösevermögens zu erwarten gewesen sei, da hierdurch die Anzahl C-Atome und folglich das Molekulargewicht unverändert blieben.

Die Beschwerdegegnerin hat diese Behauptung zurückgewiesen mit der Gegenbehauptung, beim Übergang von der linearen zur verzweigten Verbindung sei zwar mit einer höheren Flüchtigkeit des Lösungsmittels zu rechnen gewesen, aber keineswegs mit einer Erhaltung dessen Lösevermögen.

Hier liegt jedoch ein offener Widerspruch in den Vorbringen der Parteien vor, den die Kammer derzeit aus eigener Sachkunde heraus nicht aufzulösen vermag. In einem solchen Fall trifft die Beweislast den Einsprechenden (vgl. T 219/83, Zeolithe, ABl. EPA 1986, 211), der Vergleichsversuche hätte vorlegen sollen, da es im vorliegenden Fall Sache der Beschwerdeführerinnen ist, die Glaubhaftigkeit ihrer Behauptung zu belegen und nicht Sache der Beschwerdegegnerin, d. h. der Patentinhaberin, zu beweisen, daß eine nicht glaubhaft belegte Behauptung des Einsprechenden falsch ist.

Die Beschwerdeführerinnen haben sich deshalb in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt, die Glaubhaftigkeit ihres Vortrags durch Vergleichsversuche zu belegen, da es sich erst jetzt herausgestellt habe, daß ihr Vortrag die Kammer ohne Vergleichsversuche nicht restlos hat überzeugen können.

9. Angesichts der besonderen Relevanz des Dokuments (7) und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit auf einer völlig neuen Basis vorzunehmen, ist es angemessen, das Verfahren an die erste Instanz zurückzuverweisen, zumal auch erstmals Vergleichsversuche durchzuführen sind, die über den Ausgang des Einspruchsverfahrens von Bedeutung sein werden. In einem solchen Fall muß der Gesichtspunkt der Verfahrensverzögerung, der mit jeder Zurückweisung verbunden ist, hinter der ausreichenden Prüfung der Sache in zwei Instanzen zurücktreten.

Die Kammer macht daher von der ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur weiteren Prüfung verbunden mit der Durchführung von Vergleichsversuchen durch die Beschwerdeführerinnen an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der Beschwerdegegnerin bleibt es unbenommen ihrerseits Vergleichsversuche vorzulegen, wenn sie dies für sachdienlich erachtet.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Durchführung von Vergleichsversuchen an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

3. Den Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) wird aufgegeben die Vergleichsversuche spätestens 2 Monate nach Zustellung dieser Entscheidung vorzulegen.

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