T 0172/87 () of 12.1.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T017287.19890112
Datum der Entscheidung: 12 Januar 1989
Aktenzeichen: T 0172/87
Anmeldenummer: 82104544.0
IPC-Klasse: D04H 1/54
D06M 17/00
A41D 27/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Versteifend wirkender Einlagestoff für Kleidungsstücke
Name des Anmelders: Carl Freudenberg
Name des Einsprechenden: Kufner Textilwerke
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 69
Schlagwörter: Ausführbarkeit (nein)
nichtaussagekräftiger Parameter im Anspruch ohne
Konkretisierung durch die Beschreibung
Enabling disclosure (no)
non evident parameter claimed without definition in
the description
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0525/90

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 25. Mai 1982 angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 82 104 544.0 wurde am 12. September 1984 (Patentblatt 84/37) das europäische Patent 0 065 781 erteilt.

II. Gegen dieses Patent hat die Fa. Kufner Textilwerke GmbH Einspruch erhoben und zwar u.a. gestützt auf den Einwand nach Artikel 100 b) EPÜ (Ausführbarkeit der Erfindung im Sinne des Artikels 84 EPÜ). Der Einwand der fehlenden Ausführbarkeit wurde in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 1987 wiederholt und besonders hervorgehoben.

Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch in der mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 102 (2) EPÜ zurückgewiesen und das Patent in unveränderter Form aufrechterhalten. Die schriftlich begründete Entscheidung erging am 26. März 1987.

III. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 4. Mai 1987 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die schriftliche Beschwerdebegründung wurde am 27. Juli 1987 eingereicht.

IV. In der Beschwerdebegründung vertritt die Beschwerdeführerin weiterhin die Auffassung, daß das angegriffene Patent den Kriterien des Artikels 100 b) EPÜ nicht genüge, weil die Begriffe "Erweichungstemperatur der hitzeerweichbaren Fasern" und "Erweichungstemperatur der Haftmasse" gemäß den Patentansprüchen in der Beschreibung der Patentschrift nicht ausreichend definiert seien.

In der Eingabe vom 9. August 1988 wird die mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit seitens der Beschwerdeführerin noch wie folgt begründet: Mit dem Hinweis auf die "Vicat"- Meßmethode werde festgestellt, daß einer Polymerwerkstoffprobe mit einem definierten Stahlstift eine bestimmte Vertiefung zugefügt werde. So etwas sei aber in Zusammenhang mit der Haftmasse nicht möglich, da gemäß Definition der Erweichungstemperatur der Haftmasse nach der Patentbeschreibung bei der Haftmasse auf die Viskositätsverminderung (Durchschlagen durch den Oberstoff) abgestellt werde.

V. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) widerspricht mit Hinweis auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 26. März 1987 dem Vorbringen der Beschwerdeführerin.

VI. In der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 1989 knüpft die Beschwerdeführerin an ihren Vortrag im Einspruchsverfahren und Beschwerdeverfahren an und vertritt weiterhin die Auffassung, daß das Patent allein schon wegen der Erfordernisse der Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ zu widerrufen sei, weil bezüglich der Faser keine Meßmethode zur Messung der Erweichungstemperatur angegeben sei und weil die verschiedenen Meßmethoden z. B. nach DIN, Martens, Vicat u. a. zu unterschiedlichen Zahlenwerten führten bzw. weil bei der Messung der Erweichungstemperatur der Haftmasse abgestellt sei auf deren Viskositätsminderung, die wiederum erst in Verbindung mit einem ebenfalls im Patent 0 065 781 nicht näher spezifizierten Oberstoff wirksam (sichtbar) werde. Damit sei die Definition des Einlagestoffes aber untrennbar an den Oberstoff geknüpft, was mit einer unpräzisen Definition des Einlagestoffs selbst gleichzusetzen wäre.

Bei dieser Sachlage ist es nach Auffassung der Beschwerdeführerin nicht möglich festzustellen, ob die im angegriffenen Anspruch 1 angegebene Relation der beiden Erweichungstemperaturen erfüllt sei oder nicht. Diese Überlegung gelte in erhöhtem Maße für die Lehre des Anspruchs 2, da es hierbei nicht nur auf die Festlegung einer höheren oder niedrigeren Temperatur, sondern auf einen bestimmten Bereich der Temperaturunterschiede ankomme.

Die Beschwerdeführerin widerspricht diesem Sachvortrag vor allem mit dem Hinweis auf den Fachmann, für den das Patent insgesamt eine ausführbare Lehre offenbare, auch wenn im Einzelfall die exakte Messung der Erweichungstemperaturen von Faser bzw. Haftmasse nicht möglich sein möge. Aus einer Probesiegelung sei aber zumindest feststellbar, welcher Partner des Einlagestoffes die höhere Erweichungstemperatur habe, um die Bedingung des strittigen Anspruchs 1 zutreffend einstellen zu können, nämlich Erweichungstemperatur der Haftmasse höher als jene der Faser.

Es wird seitens der Beschwerdegegnerin hervorgehoben, daß der Oberstoff in diesem Zusammenhang irrelevant sei, da die Temperaturdifferenz bezüglich Erweichung von Haftmasse bzw. Faser bei jedem Oberstoff in der Grundtendenz gleich bleibe.

Bezüglich der Festlegung der Erweichungstemperaturen ist nach Darlegung der Beschwerdegegnerin gerade die visuelle Prüfung (Lupe) anwendbar, wonach damit entscheidbar sei, ob erst die Haftmasse oder erst die Faser erweiche. Damit sei dem Fachmann auch in Verbindung mit einem Oberstoff die Möglichkeit gegeben zu entscheiden, ob irgendein Produkt der Temperaturregel von Anspruch 1 entspreche oder nicht.

Die Beteiligten hielten in der mündlichen Verhandlung ihre bisherigen Anträge aufrecht.

Die Beschwerdeführerin beantragt mithin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde auf der Basis der erteilten Ansprüche 1 und 2 bzw. hilfsweise auf deren Zusammenfassung zu einem einzigen Anspruch.

VII. Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Versteifend wirkender Einlagestoff für ein Kleidungsstück, bestehend aus einem textilen Flächengebilde mit einem Gehalt von wenigstens 40 Gew.-% bezogen auf den Faseranteil, thermisch erweichbarer Fasern sowie aus einer Oberflächenbeschichtung aus einer thermisch erweichbaren Haftmasse, dadurch gekennzeichnet, daß die thermisch erweichbaren Fasern eine Erweichungstemperatur haben, die niedriger ist als die Erweichungstemperatur der Haftmasse sowie einen Schrumpfungskoeffizienten bei Erweichungstemperatur, der weniger als 3% beträgt."

Der Kennzeichenteil des geltenden erteilten Anspruchs 2, der Relevanz für den Hilfsantrag hat, lautet:

"dadurch gekennzeichnet, daß die Differenz zwischen der Erweichungstemperatur der Haftmasse und der Erweichungstemperatur der Fasern 20-60°C beträgt."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64; sie ist zulässig.

2. Gegen den erteilten Anspruch 1 (Hauptantrag) wurde seitens der Einsprechenden und Beschwerdeführerin u.a. der Einwand gemäß Artikel 100 b) EPÜ erhoben. Da diese Frage entscheidungserheblich ist, wird vorerst darauf abgestellt. Dieses Vorgehen deckt sich mit dem Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 12. Januar 1989.

3. Der strittige Anspruch 1 erteilter Fassung ist abgestellt auf einen versteifend wirkenden Einlagestoff, wie er in der Konfektionsindustrie Einsatz findet, um Kleidungsstücken ein besseres Aussehen zu vermitteln. Beim Konfektionär (Verarbeiter) werden derlei Einlagestoffe auf einen Oberstoff auflaminiert und ggf. auch einem Tiefziehvorgang unterzogen.

Während bei einem bekannten Einlagestoff z. B. nach GB-A- 1 415 538 eine Faser Anwendung findet, die eine höhere Erweichungstemperatur aufweist als diejenige der Haftmasse, soll gemäß Aufgabe des Streitpatents ein Einlagestoff geschaffen werden, der wie üblich mit dem Oberstoff verbindbar ist, d. h. durch Anwendung von Druck und Wärme beim Kaschieren, und der bei diesem Vorgang oder anschließend unter Ausbildung schüsselartiger Einwölbungen bleibend tiefgezogen werden kann. Mit dieser Aufgabenstellung des Streitpatents soll in Abkehr von der Lehre der GB-A-1 415 538 ein Einlagestoff geschaffen werden, der gut tiefziehbar ist, ohne daß die Verbindung von Einlagestoff und Oberstoff (Haftmasse!) in starkem Maße gefährdet werde. Diese Gefährdung liegt in der Möglichkeit einer Delaminierung begründet, weil bei einer Temperatur, bei der die Faser beim Tiefziehen des Einlagestoffes erweicht, die tieferschmelzende Haftmasse bereits erweicht ist, so daß sich der Oberstoff von dem Einlagestoff in dieser Phase lösen kann. Eine ähnliche Gefahr für die Verbindung von Oberstoff und Einlagestoff stellen Reinigungsvorgänge am fertigen Kleidungsstück dar, da auch hierbei die Haftmassen-Verbindung sich lösen kann.

Ausgehend vom vorgenannten Problemkreis (Aufgabe) vermittelt Anspruch 1 der Streitpatentschrift die Lehre, daß der vorbekannte Einlagestoff gemäß GB-A-1 415 538 derart abgewandelt wird, daß die thermisch erweichbaren Fasern eine Erweichungstemperatur aufweisen, die unterhalb derjenigen der Haftmasse liegt, wobei die Fasern außerdem noch einen bestimmten Schrumpfungskoeffizienten aufweisen sollen.

3.1. Es stellt sich die Frage, ob Anspruch 1 oder Anspruch 1 in Verbindung mit den restlichen Teilen der Streitpatentschrift eine ausführbare Lehre vermittelt (Artikel 100 b) bzw. 83 bzw. 69 (1) EPÜ).

3.2. Anspruch 1 verwendet das Wort "Polymerchemie" nicht, aber für jeden Fachmann ist klar, daß dieses Gebiet gemeint ist, wenn er Begriffe wie "thermisch erweichbare Faser oder Haftmasse" liest (vgl. Oberbegriff bzw. Kennzeichenteil des erteilten Anspruchs 1). Der nächste Schritt bei der Untersuchung des erteilten Anspruchs 1 auf seine Lehre muß deshalb den im Anspruch verwendeten Parametern "Erweichungstemperaturen" gelten.

Mag auf den ersten Blick der Wortlaut des Anspruchs 1 erteilter Fassung noch den Anschein einer Anleitung geben, wie der Fachmann bei der Materialauswahl von Haftmasse und Faser vorzugehen hat, so wird aber spätestens bei näherer Betrachtung des Sachverhalts klar, daß Anspruch 1 erteilter Fassung keine deutliche und vollständige Offenbarung einer Erfindung darstellt. In diesem Zusammenhang ist zunächst abzuklären, welche Funktion die im Anspruch 1 angegebenen Bestandteile des Einlagestoffes haben und wie diese Bestandteile hinsichtlich ihrer Stoffparameter im unabhängigen Anspruch definiert sind.

Den Fasern des Einlagestoffes kommt als Teil eines textilen Flächengewebes unstrittig die Funktion des Stützgewebes zu, welches in Verbindung mit einem Oberstoff dessen Eigenschaften wie Aussehen, Formhaltigkeit, usw. mitbestimmt. Der der Faser zugeordnete Stoffparameter "Erweichungstemperatur" hat somit erkennbar etwas damit zu tun, wie die Faser im späteren Einsatz des Einlagestoffes reagiert, sei es beim Kaschieren (Verbinden des Einlagestoffes mit einem Oberstoff) oder sei es beim Tiefziehen eines Verbundes aus Einlagestoff und Oberstoff.

Dem anderen Bestandteil des Einlagestoffes, nämlich der Haftmasse kommt -wie der Name bereits hinlänglich verdeutlicht - eine ganz andere Funktion zu, die mit der Verbindung des Einlagestoffes mit dem Oberstoff zu tun hat und im weiteren Sinne diejenige eines Klebers ist. Verkleben bedeutet aber nichts anderes, als daß die thermisch erweichbare Haftmasse beim Kaschieren so weit erwärmt wird, daß sie in den viskosen Bereich übergeht und in die Freiräume/Hohlräume des Oberstoffs eindringt. Daraus erhellt, daß es bei der Haftmasse nicht auf das "Erweichen" ankommt, sondern auf das "Viskoswerden" bzw. "Schmelzen". Ein solcher Parameter ist aber bezüglich der Haftmasse Anspruch 1 nicht entnehmbar, vielmehr wird die Haftmasse mit dem gleichen Stoffparameter "Erweichungstemperatur" charakterisiert wie die Faser, obwohl der Wirkmechanismus von Faser und Haftmasse grundlegend verschieden ist.

Der erteilte Anspruch 1 definiert mithin zumindest den Bestandteil "Haftmasse" des Einlagestoffes mit einem nicht aussagekräftigen Parameter.

Wollte der Fachmann für die Faser und die Haftmasse ein und dieselben Kriterien bei einer Materialauswahl anwenden, dann wird er bei der Faser mit dem Stoffparameter "Erweichungstemperatur" vielleicht ans Ziel kommen, obwohl Anspruch 1 nichts über die Meßmethodik spezifiziert, er wird bei der Haftmasse aber sicherlich scheitern, weil es bei der Haftmassenauswahl nicht auf den Stoffparameter "Erweichungstemperatur", sondern - wie vorstehend dargelegt wurde - auf die Viskosität bzw. Schmelztemperatur wirkungsmäßig ankommt. Das Schmelzverhalten der Haftmasse bzw. die Temperatur, bei der ein solches Schmelzverhalten eintritt, ist aber nicht mehr mit dem Einlagestoff selbst zu beschreiben, sondern hierzu bedarf es eines Oberstoffs, in dessen Zwischen/Hohlräume die Haftmasse eindringen muß, um die Funktion des Haftens von Einlagestoff und Oberstoff zu erfüllen.

3.3. Nach Artikel 69 (1) EPÜ ist der Schutzbereich des europäischen Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, wobei aber die Beschreibung (und die Zeichnung) zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen ist. Wesentlich sind in diesem Zusammenhang die Passagen von Sp. 3 Z. 13 bis 20 bzw. die Tabelle unterhalb der Sp. 1 und 2 der Streitpatentschrift.

Aus Sp. 3 Z. 13 bis 16 der Patentschrift gewinnt der Fachmann keine über die Aussage des erteilten Anspruchs 1 hinausgehende Aussage, da dort der Begriff "Erweichungstemperatur" (der Faser) im reinen Wortsinne definiert ist. Dem Fachmann ist zudem an keiner Stelle der Streitpatentschrift ein Hinweis gegeben, nach welcher Methode die Erweichungstemperatur der Faser gemessen wird, sei es nach DIN, Vicat, Martens u.a.. Es gehört zweifelsfrei zum Wissen des Fachmannes, daß bei Formbeständigkeitsprüfungen die Meßmethode einen entscheidenden Einfluß auf das Meßergebnis hat.

Die Patentschrift Sp. 3 Z. 17 bis 20 bzw. Tabelle unterhalb Sp. 1/2 bestätigt was unter Punkt 3.2 angedeutet wurde und verdeutlicht, daß der Begriff "Erweichungstemperatur" bei der Haftmasse grundlegend anders auszulegen ist als im Falle der Faser, da es bei der Haftmasse um die Herabsetzung der Viskosität, das Durchschlagen durch einen Oberstoff bzw. um ein Schmelzen geht, vgl. Tabelle rechts oben unter dem Wort "Haftmasse".

Da aber ein Oberstoff bestimmter Zusammensetzung, Dichte usw. (Norm-Oberstoff) weder im erteilten Anspruch 1, noch insgesamt in der Patentschrift definiert ist, ist auch die in der Beschreibung gegebene Definition der Erweichungstemperatur der Haftmasse nicht aussagekräftig und vermittelt damit keinen Hinweis, wie der Einlagestoff gemäß Anspruch 1 auszuführen ist.

4. Die Zusammenfassung der Argumente, wonach erstens im erteilten Anspruch 1 und im gesamten Patent Angaben über die Meßmethoden für die Erweichungstemperaturen für die Fasern und die Haftmasse fehlen, zweitens bezüglich des Stoffparameters "Erweichungstemperatur der Haftmasse" dem Fachmann zwei Definitionen möglich sind, nämlich im Wortsinne d.h. im Sinne des Stoffparameters der Faser bzw. im Sinne der Beschreibung des Patents (Schmelzen/Durchschlagen), drittens der Stoffparameter der Haftmasse erst unter Einbeziehung eines nirgendwo im Patent spezifizierten Oberstoffs möglich ist (Durchschlagen), brachte die Kammer zu der Auffassung, daß weder der erteilte Anspruch 1 noch das Patent (gemäß Hauptantrag) eine nacharbeitbare Lehre beinhalten und daß somit der Einwand unter Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ gerechtfertigt ist.

5. Da auch der Hilfsantrag, nämlich Zusammenfassung der erteilten Ansprüche 1 und 2 an dieser Sachlage nichts zu ändern vermag, da im Falle eines einzuhaltenden Temperaturbereiches von 20-60°C, das Problem der exakten Temperaturerfassung bzw. Temperaturzuordnung noch viel kritischer wird und weder die Ansprüche des Patents noch das Patent selbst diesbezüglich etwas Klärendes hergeben, ist auch der Hilfsantrag abzulehnen, da auch für ihn die Einwände gemäß Hauptantrag gelten. Bei dieser Sachlage war das Patent somit zu widerrufen.

6. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin gab der Kammer keinen Anlaß von vorgenannter Auffassung des Sachverhalts abzugehen. Es wurde zur Verteidigung des Patents (Haupt- bzw. Hilfsantrag) vorgetragen, daß das Patent gerade den Fachmann anspreche und daß gerade der Fachmann immer dort, wenn das Patent nur andeutungsweises Vorgehen offenbare, selbst tätig würde, um z.B. mit einer Probesiegelung zu untersuchen, wie die zu untersuchende Charge eines Einlagestoffes reagiere. Verwiesen wurde auch auf die Streuung der Chargen in sich, die breite Auswirkung auf das Siegelergebnis hätte. Aus der Tatsache heraus, daß jede Siegelpresse und daß jeder Oberstoff anders reagiere, wurde abgeleitet, daß stets Vorversuche auszuführen wären. Diesen Überlegungen kann die Kammer indes nicht folgen.

Sofern es darauf ankommt, eine nur in Umrissen angegebene Lehre technisch umzusetzen, müßte nach Auffassung der Kammer zumindest das Patent in seiner Gesamtheit Angaben darüber enthalten, wie eine Siegelung vorzunehmen wäre (Druck, Temperatur) bzw. von welcher Seite die Wärmezufuhr zu erfolgen habe. Der einzusetzende Oberstoff hätte ebenfalls spezifiziert sein müssen, da nur die Angabe von Normbedingungen dem Fachmann das Mittel in die Hand gibt die Lehre des Patents möglicherweise ausführbar zu machen. Derlei Angaben fehlen aber sowohl in den erteilten Ansprüchen wie im Patent schlechthin.

Das Argument der Beschwerdeführerin bezüglich der freien Wahl der Untersuchungsmethode bis hin zur visuellen Prüfung (Lupe) ist für die Kammer ebenso nicht durchgreifend. Es wird nicht bestritten, daß Veränderungen unter Temperatur grundsätzlich an Fasern bzw. Haftmassen sichtbar werden können. Der vorliegende Fall liegt aber komplizierter, da eine Temperaturabstimmung zwischen zwei Partnern vorzunehmen ist, von denen jeder für sich problematisch zu untersuchen ist. Die visuelle Prüfung der Haftmasse setzt unstrittig einen definierten Oberstoff voraus, da das Durchschlagen auch eine Frage des Oberstoffs und nicht nur der Haftmasse ist. Die erteilten Ansprüche schließen hingegen keinen genau spezifizierten Oberstoff ein, auch nicht das Patent in seiner Gesamtheit. Mithin muß auch das Argument, daß ganz gleich welche Untersuchungsmethode Anwendung finde, immer die Aussage verifizierbar wäre, daß ggf. die Haftmasse später erweiche als die Faser oder mit den Worten des Patents ausgedrückt die Durchschlagstemperatur der Haftmasse nach Auffassung der Beschwerdegegnerin immer über der Erweichungstemperatur der Faser liege, zurückgewiesen werden.

Schließlich führte die Beschwerdegegnerin auch noch die Kommunikation zwischen Hersteller und Verarbeiter der Einlagestoffe ins Feld. Nach Auffassung der Kammer ist aber hierin keine Stütze für die Ausführbarkeit des Patents zu sehen, weil das was der Verarbeiter mit dem Einlagestoff macht nicht Gegenstand des Patents ist, welches ausschließlich auf den Einlagestoff abgestellt ist.

7. Bei vorgegebener Sachlage war auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ nicht einzugehen, weil das Patent bereits aus den Gründen der Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ zu widerrufen war. Damit findet auch die Diskussion über die Berücksichtigung nach Artikel 114 (2) EPÜ verspätet vorgetragener Dokumente bzw. einer verspätet geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung ihre Erledigung.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und das europäische Patent Nr. 0 065 781 widerrufen.

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