T 0062/87 () of 8.4.1988

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1988:T006287.19880408
Datum der Entscheidung: 08 April 1988
Aktenzeichen: T 0062/87
Anmeldenummer: 82101193.9
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wärmedämmender Pressstoff auf der Basis von aus der Flammenhydrolyse gewonnenem mikroporösem Oxidaerogel, sowie Verfahren zu seiner Herstellung, eine daraus hergestellt Folie und ein damit hergestelltes kaschiertes Wärmedämmelement
Name des Anmelders: Grünzweig + Hartmann
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Offenkundigkeit/Identität einer Vorbenutzungshandlung
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Unbewiesene Zugehörigkeit einer Erkenntnis zum
allgemeinen Fachwissen
Novelty (yes)
obviousness/identity of prior use
inventive step (yes)
unproved affiliation of a finding to common general
knowledge
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1464/05

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 82 101 193.9, die am 17. Februar 1982 mit deutscher Priorität vom 9. März 1981 angemeldet worden war, wurde am 23. Mai 1984 das europäische Patent 59 860 auf der Grundlage von zwanzig Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1, 10, 12 und 13 lauteten, wie folgt:

"1. Wärmedämmender Preßstoff auf der Basis von aus der Flammenhydrolyse gewonnenem mikroporösem Oxidaerogel mit biegeelastischen oder biegeschlaffen, vorzugsweise anorganischen Fasern und gegebenenfalls weiteren Zuschlagstoffen, wie insbesondere Trübungsmitteln, gekennzeichnet durch die Kombination folgender Merkmale:

a) Die Häufigkeitsverteilung der Faserlänge weist ein Maximum über 10 mm auf; b) der Preßstoff ist bis auf ein Raumgewicht von über 200 kg/m3, vorzugsweise 250 kg/m3, verdichtet; c) die Summe der Gewichtsanteile der Fasern und der Zuschlagstoffe, die jedoch kein Bindemittel enthalten, liegt zwischen 10% und 60% des Preßstoffes; und d) der Gewichtsanteil der Fasern mit einer spezifischen Dichte des Fasermaterials von 2,55 g/cm3, soweit die Fasern eine größere Länge als 10 mm besitzen, liegt zwischen 10% und 30% des Preßstoffes, wobei im Falle von Fasermaterial mit einer von 2,55 g/cm3 abweichenden Dichte die Gewichtsanteile mit einem Faktor abzuwandeln sind, der dem Verhältnis der abweichenden Dichte zu 2,55 entspricht.

10. Verfahren zur Herstellung eines Preßstoffes nach einem der Ansprüche 1 bis 9, bei dem die Bestandteile gemischt und gepreßt werden, dadurch gekennzeichnet, daß die Fasern als letzter Bestandteil zumindest gruppenweise vereinzelt zugemischt werden.

12. Wärmedämmende, biegsame Folie mit einer Dicke bis unter 1 mm aus einem Preßstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 9.

13. Kaschiertes Wärmedämmelement mit wenigstens einer Kaschierungsbahn, wie einer Folie oder einem Blech, und einer zumindest einseitig daran befestigten Dämmschicht, dadurch gekennzeichnet, daß die Dämmschicht (7 bzw. 12 bzw. 24 bzw. 30) aus einem Preßstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 9 besteht."

II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 22. Februar 1985 Einspruch wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ein. Sie stützte sich dabei ausschließlich auf eine als offenkundig angesehene Vorbenutzung, die darin bestanden haben soll, daß sie selbst vor dem Prioritätstag des Streitpatents - ohne Bestehen einer Geheimhaltungspflicht - von einer Drittfirma eine Wärmedämmischung bezogen habe, deren von der Lieferfirma mitgeteilte Zusammensetzung derjenigen nach Anspruch 1 des Streitpatents entsprochen habe; ferner habe sie ihrerseits Strahlheizkörper verkauft, die einen aus der genannten Mischung bestehenden Preßstoff enthielten.

III. Mit Entscheidung vom 3. Dezember 1986 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück, indem sie gegenüber dem unbestritten vorbenutzten Gegenstand das Vorliegen sowohl von Neuheit als auch von erfinderischer Tätigkeit anerkannte. Zur Bejahung der Neuheit gelangte sie im wesentlichen auf Grund der Überlegung, daß die im vorbenutzten Material verwendeten Kerlane-Fasern einen so großen Anteil mit eingebundener Perlen enthalten, daß bei einem Kerlane- Gesamtanteil von 13% der von der erteilten Fassung des Streitpatents vorgeschriebene Mindestanteil mindestens 10 mm langer Fasern in Höhe von 10% (bzw. unter Berücksichtigung der Dichte der Kerlane-Fasern von 11%) nicht erreicht werden könne. Die erfinderische Tätigkeit wurde deswegen als gegeben angesehen, weil für den Fachmann keine Veranlassung bestanden habe, den relativ geringen Langfaseranteil des vorbenutzten Materials im beanspruchten Ausmaße zu erhöhen, zumal hierbei mit Schwierigkeiten sowie mit einer unerwünschten Zunahme der Wärmeleitfähigkeit zu rechnen gewesen sei und die Biegbarkeit und Biegefestigkeit dort nicht im Vordergrund gestanden haben.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die unterlegene Einsprechende am 30. Januar 1987 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und dazu am 4. April 1987 eine Begründung eingereicht. Sie macht dort vor allem geltend, der Streitpatentschrift sei nicht zu entnehmen, daß ein Perlenanteil der im Preßstoff enthaltenen Fasern besonders zu berücksichtigen ist; ferner habe die angefochtene Entscheidung die in der Rezeptur der vorbenutzten Mischung erwähnten 2% kleingehackter (immer noch 20-25 mm langer) Glasfasern nicht mit in Rechnung gestellt. Sie hält dementsprechend daran fest, daß es dem Gegenstand des Streitpatents an Neuheit fehle und verneint auch das Vorliegen einer erfinderischen Leistung. Darüberhinaus vorgebrachte Kritik wegen ungenügender Klarheit der Ansprüche wurde zuletzt nicht mehr weiterverfolgt.

V. Die Beschwerdegegnerin setzt sich in ihrer schriftlichen Erwiderung dazu fast ausschließlich mit der nicht mehr relevanten Frage der Klarheit der Ansprüche, insbesondere unter prozeduralen Aspekten, auseinander, bringt dort hingegen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nichts Neues vor.

VI. In der mündlichen Verhandlung am 8. April 1988 legt die Beschwerdegegnerin zusammen mit angepaßten Unterlagen den folgenden neuen, gegenüber der erteilten Fassung hinsichtlich der Faserlänge und des Mindestfaseranteils eingeschränkten Anspruch vor:

"1. Wärmedämmender Preßstoff auf der Basis von aus der Flammenhydrolyse gewonnenem mikroporösem Oxidaerogel mit biegeelastischen oder biegeschlaffen, vorzugsweise anorganischen Fasern und gegebenenfalls weiteren Zuschlagstoffen, wie insbesondere Trübungsmitteln, gekennzeichnet durch die Kombination folgender Merkmale:

a) Die Häufigkeitsverteilung der Faserlänge weist ein Maximum zwichen 10 mm und 70 mm auf; b) der Preßstoff ist bis auf ein Raumgewicht von über 200 kg/m3, vorzugsweise über 250 kg/m3, verdichtet; c) die Summe der Gewichtsanteile der Fasern und der Zuschlagstoffe, die jedoch kein Bindemittel enthalten, liegt zwischen 12% und 60% des Preßstoffes; und d) der Gewichtsanteil der Fasern mit einer spezifischen Dichte des Fasermaterials von 2,55 g/cm3, soweit die Fasern eine größere Länge als 10 mm besitzen, liegt zwischen 12% und 30% des Preßstoffes, wobei im Falle von Fasermaterial mit einer von 2,55 g/cm3 abweichenden Dichte die Gewichtsanteile mit einem Faktor abzuwandeln sind, der dem Verhältnis der abweichenden Dichte zu 2,55 entspricht."

Sie macht geltend, daß angesichts des hohen Perlenanteils der im vorbenutzten Produkt verwendeten Kerlane-Fasern jedenfalls ein gattungsgemäßer Preßstoff mit derart festgelegtem Mindestfaseranteil neu sei. Er beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil der Fachmann 5 bis 8% Faseranteil für ausreichend gehalten und unter Berücksichtigng der Probleme, die sich dann ergeben, keinen Anlaß gehabt habe, diesen zu steigern, zumal er sich hiervon allenfalls eine Erhöhung der Biegbarkeit, nicht aber der Biegefestigkeit des Materials habe versprechen können.

Die Beschwerdeführerin bestreitet unter Hinweis auf Aussagen des Prospektes der Kerlane-Fasern den von der Beschwerdegegnerin zugrundegelegten hohen Perlenanteil und hält daran fest, daß der beanspruchte Preßstoff nicht neu sei. Zudem betrachtet sie es als allgemeines Fachwissen, daß eine Erhöhung des Langfaseranteils zu einer Verbesserung der Biegsamkeit führt; somit fehle es dem Streitpatent auch im Falle hergestellter Neuheit an erfinderischer Tätigkeit.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Aufrechterhaltung des Patents mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Zur formalen Zulässigkeit der neuen Unterlagen ist folgendes anzumerken:

2.1. Die in Merkmal (a) des geltenden Anspruches 1 eingeführte obere Grenze (70 mm) für das Maximum der Häufigkeitsverteilung der Faserlänge entstammt dem ursprünglichen, unverändert erteilten Anspruch 5.

2.2. Die gemäß Merkmal (d) von Anspruch 1 auf 12% angehobene untere Grenze des Faseranteils ist dem ebenfalls unverändert erteilten ursprünglichen Anspruch 2 entnommen.

2.3. Aus der vorstehend gerechtfertigten Änderung von Merkmal (d) ergibt sich logisch zwingend diejenige von Merkmal (c), weil bei einem Anteil allein der Fasern von mindestens 12% auch die Summe der Anteile an Fasern und eventuellen Zuschlagstoffen nicht bloß mindestens 10, sondern gleichfalls mindestens 12% betragen muß.

2.4. Da die übrigen Ansprüche sowie die Zeichnungen unverändert geblieben sind und die Änderungen in der Beschreibung denen gemäß Unterabschnitten 2.1 bis 2.3 entsprechen oder aus ihnen folgen, bestehen unter dem Gesichtspunkt von Art. 123(2) und (3) EPÜ keine Bedenken gegen die Neufassung der Unterlagen.

3. Beim Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents handelt es sich seinem Oberbegriff zufolge um einen wärmedämmenden Preßstoff auf der Basis von

(i) aus der Flammenhydrolyse gewonnenem mikroporösem Oxidaerogel, beispielsweise dem in Anspruch 9 erwähnten Kieselsäure-Aerogel, insbesondere dem unter dem Handelsnamen Aerosil bekannten Produkt, auf das im folgenden einfachheitshalber ausschließlich Bezug genommen wird;

(ii) biegeelastischen oder biegeschlaffen, vorzugsweise anorganischen Fasern, beispielsweise Glasfasern oder den hier vereinfachend in den Vordergrund gestellten mit dem Handelsnamen Kerlane bezeichneten Aluminiumsilikatfasern;

(iii) gegebenenfalls weiteren Zuschlagstoffen.

4. Im Einspruchsverfahren wurde keinerlei der Patentfähigkeit entgegenstehender druckschriftlicher Stand der Technik genannt; vielmehr stützt sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin ausschließlich auf die geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen, deren grundsätzliche Relevanz zunächst zu untersuchen ist.

4.1. Zu unterscheiden ist dabei einmal zwischen verschiedenen Arten von Handlungen, wie folgt:

(a) Die durch diverse Rechnungen gemäß Anlage A zur Einspruchsschrift vom 21. Februar 1985 belegte Lieferung eines als "Mélange Superisolant" bezeichneten Produktes durch die Firma SEPR an die Beschwerdeführerin und die Verwendung dieses Produktes zur Herstellung anschließend verkaufter Strahlheizkörper;

(b) die telefonische Mitteilung durch SEPR an die Beschwerdeführerin einer Rezeptur der "Mélange Superisolant", festgehalten in der Notiz gemäß Anlage B zur genannten Einspruchsschrift;

(c) die laufende Produktion durch die Beschwerdeführerin einer auf Grund von (b) nachgestellten "Mélange Superisolant" sowie daraus eines Preßstoffes, wie dies aus den diesbezüglich unbestrittenen Aussagen der als Zeugen benannten Herren Gößler und Wilde während der mündlichen Verhandlung vom 8. April 1988 hervorgeht;

(d) die Lieferung an verschiedene Kunden - unbestritten ohne Geheimhaltungsverpflichtung - von Strahlheizkörpern, hergestellt aus dem gemäß (c) nachgestellten Preßstoff.

4.2. Die Handlungen gemäß Punkt (a) des vorangehenden Unterabschnittes müssen im weiteren außer Betracht bleiben, weil (nach Aussage von Herrn Gößler während der mündlichen Verhandlung) die von SEPR in fertigem Zustand bezogene "Mélange Superisolant" nicht näher untersucht, sondern ohne vorherige Analyse weiterverarbeitet wurde, so daß über die Zusammensetzung dieses Produkts nichts Schlüssiges ausgesagt werden kann.

4.3. Dagegen geht aus (b) in Verbindung mit (c) hervor, - auf (d) kommt es in diesem Zusammenhang nicht mehr an -, daß ein Produkt der in der erwähnten Anlage B genannten Zusammensetzung benutzt wurde. Nach dem Datum der Anlage B sowie nach Datum und Inhalt der Anlage D (6.9.79; letzmalige Lieferung der obengenannten Mélange "im Monat August"; Zwang zur schnellstmöglichen eigenen Herstellung der Mélange kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß diese Benutzung vor dem Prioritätstag des Streitpatents (9.3.81) erfolgte. Zu der Offenkundigkeit dieser Vorbenutzung hat die Beschwerdegegnerin zwar gewisse Zweifel angemeldet, weil die Beschwerdeführerin der einzige Bezieher der "Mélange Superisolant" gewesen sei und zu einem Alleinkunden ein besonderes Verhältnis bestehe; doch kann Offenkundigkeit auf Grund der Versicherung der Beschwerdeführerin, wonach eine Geheimhaltungspflicht nicht bestanden habe, zu ihren Gunsten wenigstens zunächst unterstellt werden. Somit ist von einer offenkundigen Vorbenutzung eines Preßstoffes der durch Anlage B im gegebenen Zusammenhang offenbarten Rezeptur auszugehen.

4.4. Was diese Rezeptur anbelangt, so handelt es sich um

(i) 50% eines Aerosils ("Aerosol" ist selbstverständlich ein Schreibfehler);

(ii) 35% Zuschlagstoffe (10% Kaolin und 25% TiO2);

(iii) 15% fasriges Material, wobei dieses näher als "13% Kerlane-Faser 45" sowie "2% kleingehackte Glasfasern lt. Muster" bezeichnet ist.

Die Aussage bezüglich des fasrigen Materials bedarf einer näheren Untersuchung.

4.4.1. Aus dem ersten Absatz auf Seite 1 des als Anlage E zum Einspruchsschriftsatz vorgelegten Prospektes ergibt sich, daß mindestens dreierlei, dort als "Typ A", "Typ E" und "Kurzfaser" bezeichnete "Kerlane 45"-Produkte existieren. Die Beschwerdegegnerin hat denn auch eingewandt, es stehe nicht fest, ob in der Produktion von "Mélange Superisolant" durch die Beschwerdeführerin tatsächlich, wie von dieser behauptet, Typ A verwendet worden sei. Dies ist jedoch nach Überzeugung der Kammer als erwiesen anzusehen, weil erstens schon nach Seite 3, Abschnitt "Rohfaser", in Anlage C zur Einspruchsschrift eine erhebliche Wahrscheinlichkeit hierfür besteht und zweitens auch die Aussage von Herrn Gößler während der mündlichen Verhandlung dies bestätigt. Die Kammer geht daher davon aus, daß die offenkundig vorbenutzte "Mélange Superisolant" (nachgestellt) 13% des Produkts "Kerlane 45 Typ A" enthielt.

4.4.2. Bezüglich der in der Rezeptur ferner aufgeführten Glasfasern hat die Beschwerdeführerin auf Seite 3, vorletzter Absatz, ihrer Beschwerdebegründung vom 3. April 1987 behauptet, deren Länge habe im Bereiche von 20 bis 25 mm gelegen. Nachdem dies durch die Aussage des Herrn Gößler erhärtet und von der Beschwerdegegnerin nicht subtantiiert bestritten wurde, wird dieesr Sachverhalt von der Kammer gleichfalls als erwiesen angesehen.

5. Das vorbenutzte Produkt wird, eingepreßt in blecherne becherförmige Unterteile von Strahlheizkörpern in großen Mengen verkauft und befriedigt ganz offenbar hinsichtlich der dafür erforderlichen Eigenschaften, insbesondere der Wärmedämmeigenschaften. Die Kammer konnte sich jedoch an Hand eines von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Musters selbst davon überzeugen, daß es nur geringe mechanische Festigkeit, Biegbarkeit und Biegfestigkeit aufweist. Auch ging aus dem mündlichen Vortrag der Beteiligten hervor, daß das vorbenutzte Produkt eben wegen seiner geringen Festigkeit nur zusammen mit den Blechunterteilen versandt werden kann, was insbesondere im Exportgeschäft wegen der erhöhten Transportspesen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil darstellt.

6. Aufgabe des Streitpatents ist es, diesen Nachteil zu überwinden und einen Preßstoff anzugeben, der sich neben den erforderlichen Wärmedämmeigenschaften durch verbesserte mechanische Festigkeit sowie insbesondere gute Biegbarkeit bei gleichzeitig hoher Biegefestigkeit auszeichnet und dadurch neue Anwendungsmöglichkeiten erschließt. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent einen gattungsgemäßen Preßstoff vor, der durch die Kombination der Merkmale (a) bis (d) von Anspruch 1 gekennzeichnet ist. Daß hierdurch die bestehende technische Aufgabe auch tatsächlich gelöst wird, erscheint auf Grund der in Fig. 1 bis 3 angegebenen Kurven, in Verbindung mit der Beschreibung, Seite 6, Zeile 39, bis Seite 8, Zeile 1, sowie Seite 8, Zeilen 27 bis 50, ferner Seite 9, Zeilen 5 bis 24, glaubhaft. Im übrigen ist dieser Sachverhalt nicht bestritten, so daß sich nähere Darlegungen erübrigen.

7. Zur Frage der Neuheit ist folgendes auszuführen:

7.1. Da es sich auch dort um einen wärmedämmenden Preßstoff vergleichbarer Zusammensetzung handelt, ergibt sich Übereinstimmung hinsichtlich des Oberbegriffes unmittelbar aus einer Gegenüberstellung von Abschnitt 3 und Unterabschnitt 4.4 vorliegender Entscheidung.

7.2. Nach Anlage E zur Einspruchsschrift, Seite 1, Zeilen 1 bis 3, sind bei Kerlane 45, Typ A, mindestens 50% der Fasern über 50 mm lang, d.h. das Maximum der Häufigkeitsverteilung liegt über 50 mm und kann zwischen 50 und 70 mm liegen. Merkmal (a) des Anspruchskennzeichens ist somit im vorbenutzten Produkt verwirklicht.

7.3. Nach Seite 4, Absatz 3, letzte drei Zeilen der Einspruchsschrift soll die Dichte (= das Raumgewicht) des vorbenutzten Produktes zwischen 290 und 370 kg/m3 betragen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet diese Zahlen nicht, will sie vielmehr dahinstehen lassen (Einspruchserwiderung vom 29. Juli 1985, Seite 3, Beginn des letzten Absatzes). Zudem ergibt sich aus der Streitpatentschrift (Seite 3, Zeilen 10 bis 12, 30 bis 32 und 40 bis 49), daß solche Raumgewichte im üblichen Bereich liegen. Die Kammer sieht daher auch Merkmal (b) als durch die Vorbenutzungsform verwirklicht an.

7.4. Die Verwirklichung von Merkmal (c) geht unmittelbar aus Unterabschnitt 4.4, Punkte (ii) und (iii) hervor.

7.5. Ob Merkmal (d) die Neuheit des Streitpatentgegenstandes herzustellen vermag, bedarf eingehender Überlegungen:

7.5.1. Die Kammer versteht Anspruch 1 und insbesondere dessen Merkmal (d) so, daß mit "Gewichtsanteil der Fasern" nur derjenige Anteil des Preßstoffes gemeint ist, der tatsächlich aus Fasern einer größeren Länge als 10 mm besteht, unter Nichteinbeziehung der kürzeren Fasern und der "Perlen", die in dem eingesetzten "Faserlieferanten" - also z.B. in dem eingesetzten "Kerlane 45, Typ A" - notgedrungen herstellungsbedingt enthalten sind. Wenn die Rezeptur von Anlage B zur Einspruchsschrift also von "13% Kerlane-Faser 45" (zu ergänzen: "vom Typ A") sowie zusätzlich von "2% kleingehackte(n) Glasfasern" (zu ergänzen: "20 bis 25 mm lang") spricht, so kann hieraus keineswegs auf einen 15%igen Faseranteil im Sinne des Merkmals (d) geschlossen werden; vielmehr ist darauf abzustellen, wieviele Gewichtsprozente mehr als 10 mm langer Fasern in einem nach dieser Rezeptur hergestellten Preßstoff tatsächlich enthalten sind, d.h. bei einer - unstreitig im Bereiche des fachmännischen Könnens liegenden Analyse des vorbenutzten Produktes zutage gekommen wären.

7.5.2. Zunächst ist im Sinne des Merkmals (d) die Dichte des Materials zu berücksichtigen, aus dem die Fasern bestehen. Nach der eigenen Berechnung der Beschwerdeführerin (Beschwerdebegründung vom 3.4.87, Seite 3, dritter Absatz) gelangte man zu einem korrigierten Anteil von 11,84% vom eingesetzten Kerlane beigesteuerter Fasern, falls man unterstellte, das Kerlane bestehe ausschließlich aus mehr als 10 mm langen Fasern, d.h. es sei von kürzerern Fasern und Perlen frei. Hinsichtlich der kürzeren Fasern wird man dies tatsächlich zugunsten der Beschwerdeführerin in erster Näherung unterstellen dürfen, weil bei einem Maximum der Häufigkeitsverteilung oberhalb von 50 mm, wie es der Kerlane-Prospekt ausweist, die Anzahl Fasern mit weniger als 10 mm zu vernachlässigen sein dürfte.

7.5.3. Dagegen enthält das für die Herstellung des vorbenutzten Produkts verwendete Kerlane 45, Typ A, unstreitig einen nennenswerten Anteil Perlen. Hierzu ist anzumerken, daß nach den unwidersprochenen Ausführungen der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung nicht etwa ein Teil dieser Perlen in die Fasern integriert ist, also sozusagen bloß Verdickungen der Fasern darstellte und somit mangels gegenteiliger Ausführungen in der Streitpatentschrift dem Faseranteil zuzurechnen wäre; sondern daß es sich bei den Perlen um eigene Bestandteile handelt, die - wenigstens im Prinzip - durch Ausschütteln von den Fasern trennbar sind. Demnach gelangt man zur Menge der dem Kerlane entstammenden Fasern, indem man von der Kerlanemenge den Perlenanteil abzieht.

7.5.4. Streitig zwischen den Parteien ist nun, wie groß - prozentuell gerechnet - dieser Perlenanteil ist: Die Beschwerdeführerin verweist auf den Prospekt gemäß Anlage E, wo auf Seite 2, Abschnitt "Physikalische Eigenschaften", Zeile 8, der "Anteil des Nichtfasermaterials" mit 8% angegeben ist; sie schließt daraus auf einen Perlenanteil von höchstens 8%.

Die Beschwerdegegnerin bezeichnet es dagegen als "branchenüblich", daß in den "Nichtfaseranteil" bloß Fremdkörper einer Größe von mehr als 250 µm einbezogen werden.

In Wahrheit enthalte selbst das von SEPR an sie selbst gelieferte Produkt "Spezial-A" (vgl. Anlage C zur Einspruchsschrift, Seite 4, eingerückte Zeilen der unteren Seitenhälfte), aus dem ein Teil der Perlen ausgeschüttelt wurde, noch bis zu 30%, das Produkt "Normal-A" sogar bis zu 50% Perlen. Sie stützt diese Behauptung mit einem Hinweis auf die Anlage A1 zu ihrer Eingabe vom 11. August 1986, woraus von ihr vorgeschriebene Sollwerte von = 18,0 > 100 µm + = 6,0 > 250 µm, d.h. von insgesamt 24% Perlen sowie im konkreten Fall ein tatsächlicher Durchschnittswert von 25,8 + 5,6 = 31,4% Perlen zu entnehmen sind. Da das Produkt "Spezial-A" nur an sie selbst geliefert worden sei, stelle ein Perlenanteil von 30% noch eine für die Beschwerdeführerin sehr günstige Schätzung dar.

Nach Überzeugung der Kammer sind die vorstehenden Darlegungen der Beschwerdegegnerin glaubhaft, zumal diese Darlegungen von der als Einsprechenden beweispflichtigen Beschwerdeführerin nicht im Tatsächlichen, sondern nur durch Verweis auf die nach Auffassung der Kammer gering zu gewichtende "Faustregel" von Seite 5, Zeilen 38 ff, der Streitpatentschrift angegriffen werden. Die Kammer legt ihren weiteren Überlegungen daher einen Perlenanteil des Kerlane 45, Typ A, von 30% zugrunde. Ausgehend von dem dichtekorrigierten Kerlane-Anteil von 11,84% gemäß Unterabschnitt 7.5.2 ergibt sich somit ein vom Kerlane beigesteuerter Faseranteil von 11,84 x 0,7 8,3%.

7.5.5. Zählt man hierzu noch die von beiden Beteiligten diskussionslos ohne Korrektur eingesetzten 2% Glasfasern, so gelangt man zu einem Faseranteil von 10,3%. Ob dieser Prozentsatz, wie die Beschwerdegegnerin entgegen der Beschwerdeführerin meint, zur Berücksichtigung einer beim Mischen und Pressen eintretenden Faserzerkleinerung weiter um einen "Erfahrungswert" von 25%, also auf etwa 7,7%, zu kürzen ist oder nicht, kann dahingestellt bleiben, da schon der Wert von 10,3% deutlich unterhalb der nunmehr beanspruchten Untergrenze von 12% Langfaseranteil gemäß Streitpatent liegt, Merkmal (d) somit in jedem Falle neu ist und dem geltenden Anspruch 1 Neuheit verleiht.

8. Zu untersuchen bleibt, ob der Gegenstand von Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

8.1. Nach den unwiderlegten Ausführungen der Beschwerdegegnerin dienen bei dem durch die Vorbenutzungsform repräsentierten Stand der Technik die Fasern bloß dem Zusammenhalt des Preßstoffs; sie vermögen diesem dort aber keine erhebliche Festigkeit, insbesondere keine nennenswerte Biegbarkeit bei gleichzeitig hoher Biegefestigkeit im Sinne der bestehenden Aufgabe zu verleihen.

8.2. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß es Fachleuten des einschlägigen Gebietes zum Prioritätszeitpunkt geläufig war, d.h. dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen ist, daß eine Erhöhung des Anteils an Fasern (gleich welcher Länge) zu einer Verschlechterung der Wärmedämmeigenschaften führt. Gegen eine nennenswerte Erhöhung des Faseranteils bestand daher von vornherein ein gewisses Hemmnis, d.h. der Fachmann würde an sie nur dann ernsthaft denken, wenn schon geringfügig mehr Fasern in anderer Hinsicht deutliche Vorteile versprächen, und er würde auch dann mit der Erhöhung sehr vorsichtig verfahren.

8.3. Nun hat die Beschwerdeführerin zwar behauptet, es sei ebenfalls bereits zum Prioritätszeitpunkt allgemeines Fachwissen gewesen, daß lange Fasern die Biegefestigkeit von Preßstoffen erhöhen; die Beschwerdegegnerin bestreitet dies jedoch, und die als Einsprechende beweispflichtige Beschwerdeführerin hat ihre Behauptung in keiner Weise - etwa durch Vorlage dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnender vorveröffentlichter Literatur - belegt. Somit kann diese Behauptung nicht als erwiesen gelten und muß die Erhöhung der Biegefestigkeit durch Vergrößerung des Langfaseranteils als überraschend angesehen werden.

8.4. Falls der Fachmann übrigens dennoch - auf Grund irgendwelcher, nicht ersichtlicher Erwägungen - versucht hätte, den Faseranteil zu erhöhen, und zwar vorsichtig, um eine zu starke Verschlechterung der Wärmedämmeigenschaften zu vermeiden, so hätte er einerseits - vgl. Fig. 2 und 3 in den Zeichnungen der Streitpatentschrift - noch keine ins Gewicht fallende Verbesserung der mechanischen Eigenschaften konstatiert; andererseits wäre er bald mit den auf Seite 8, Zeilen 9 bis 16, der Streitpatentschrift erwähnten Probleme konfrontiert gewesen. (Die Beschwerdeführerin will zwar auf Grund einer als geheimes Know-how bezeichneten Vorbehandlung der zu mischenden Komponenten keine solchen Probleme haben; dies erscheint jedoch mangels allgemeiner Verfügbarkeit dieses Know-how unbeachtlich.) Der Durchschnittsfachmann wäre daher auch im Falle solcher Versuche nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents gelangt. Nach allem beruht dieser Gegenstand daher auf erfinderischer Tätigkeit.

9. Die Ansprüche 10, 12 und 13 richten sich auf ein Herstellungsverfahren für den Preßstoff bzw. auf Anwendungsformen des Preßstoffes nach Anspruch 1. Ihr Gegenstand ist daher ebenfalls neu und beruht auf derselben erfinderischen Idee; sie sind daher gleichfalls patentfähig.

10. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9, 11, 14 bis 19 und 20 werden von der Patentfähigkeit der Ansprüche 1 bzw. 10 bzw. 13 bzw. 12 und 13 getragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

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