T 0184/86 () of 8.11.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T018486.19891108
Datum der Entscheidung: 08 November 1989
Aktenzeichen: T 0184/86
Anmeldenummer: 79101151.3
IPC-Klasse: C08L 55/02
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Thermoplastische Formmassen
Name des Anmelders: Bayer AG
Name des Einsprechenden: Naamloze Vennootschap
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114
Schlagwörter: Inventive step
effect - surprising
state of the art - reassessment
document - late filed - consideration
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
überraschender Effek
Neufestlegung des Standes der Technik
Nichtberücksichtigung von verspätet genannter, nicht
relevanter Literatur aus der Streitpatentschrift
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0155/87

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 17. April 1979 eingereichte europäische Patentanmeldung 79 101 151.3 ist am 7. April 1982 das europäische Patent 5 202 mit einem einzigen Anspruch erteilt worden.

II. Gegen die Erteilung des Patents hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch eingelegt und behauptet, daß das Streitpatent im Hinblick auf

(i) DE-A-2 329 585,

(II) US-A-4 009 226 und

(III) US-A-3 928 494

nicht neu, nicht erfinderisch und nicht ausführbar sei.

III. In der Zwischenentscheidung vom 22. April 1986 hat die Einspruchsabteilung das Patent mit folgendem, geringfügig geänderten Patentanspruch aufrechterhalten (die Änderung betraf die Einfügung des Buchstabens "b)" vor Absatz 2 des kennzeichnenden Teils):

"Thermoplastische Formmassen aus:

1. 70-30 Gew.-Tln eines thermoplastischen Polycarbonats auf Basis von Bisphenol A und

2. 30-70 Gew.-Tln eines Gemisches aus 25-100 Gew.-% Pfropfmischpolymerisaten aus auf einen Kautschuk polymerisierten Monomeren und 0-75 Gew.-% eines Copolymerisats von von 95-50 Gew.-% Styrol, alpha-Methylstyrol, Methylmethacrylat oder Mischungen daraus und 50-5 Gew.-% Acrylnitril, Methacrylnitril, Methylmethacrylat oder Mischungen daraus, dadurch gekennzeichnet, daß als Pfropfmischpolymerisate eine Mischung aus

a) einem Pfropfmischpolymerisat von 50-95, vorzugsweise 50-70 Gew.-% eines Gemisches der Monomeren Styrol und Acrylnitril im Gewichtsverhältnis 50:50 bis 95:5 die auf 5-50, bevorzugt 30-50 Gew.-% eines Polybutadien-Kautschuks bei einer mittleren Teilchengröße von 0,1-2, vorzugsweise 0,3 bis 1 µm, und einem Pfropfgrad von 0,2-0,5 aufgepfropft sind, und

b) einem Pfropfmischpolymerisat von 40-10, bevorzugt 35-20 Gew.-% eines Gemisches der Monomeren Styrol und Acrylnitril im Gewichtsverhältnis 50:50 bis 95:5 und 60-90, bevorzugt 65-80 Gew.-% eines Polybutadien-Kautschuks bei einer mittleren Teilchengröße von 0,1-2 µm, und eine Pfropfgrad von 0,7-0,9 eingesetzt wird, wobei die Formmasse die Pfropfmischpolymerisate a) und b) im Gewichtsverhältnis 1:3 und 3:1 enthält, und ihr Kautschukgehalt 10-25, bevorzugt 15 bis 20 Gew.-% ist".

In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung die Auffassung vertreten, daß der Streitgegenstand - dessen Neuheit und Ausführbarkeit von der Einsprechenden zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt worden waren - sehr wohl auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und der Anspruch damit patentfähig sei. Die Formmassen aus (i) enthielten ein aus Tetraalkylbisphenol-A-Einheiten aufgebautes Polycarbonat, ein thermoplastisches Harz und/oder einen modifizierten Kautschuk. Sie führten zu wärmebeständigen Formteilen, über deren Tieftemperaturverhalten aber nichts verlautbart werde. In (II) und (III) seien Styrol-Acrylnitril-Mischpolymerisate beschrieben, welche zwei ABS-Pfropfpolymerisate enthielten. Die daraus hergestellten Produkte vereinigten in sich außer Glanz auch gute Temperaturschlagzähigkeit und Reißfestigkeit. Weder in (II) noch in (III) gebe es einen Hinweis, wie man das Tieftemperaturbruchverhalten von Polycarbonat-Abmischungen verbessern könne.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit ihrem am 24. Mai 1986 eingegangenen Schriftsatz unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese rechtzeitig begründet.

In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 110 (2) EPÜ wurde seitens der Kammer u. a. auf die in der Beschreibungseinleitung abgehandelte

(IV) DE-A-2 259 565

aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, daß diese Druckschrift bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in erster Linie in Betracht gezogen werden dürfte. Die bisherigen Ausführungen der Beschwerdeführerin würden bei objektiver Betrachtung die Patentfähigkeit des Streitgegenstandes nicht in Frage stellen.

Am 8. November 1989 hat die von den Parteien beantragte mündliche Verhandlung stattgefunden, an der die Beschwerdeführerin, wie vorher via Telefax angekündigt, nicht teilgenommen hat.

V. In ihrer schriftlichen Stellungnahme hatte die Beschwerdeführerin zuvor im wesentlichen ausgeführt, daß man ohne weiteres auf die beanspruchten Formmassen stoße, wenn man die Lehre von (III) auf die aus der

(v) DE-A-1 170 141

bekannten Polycarbonat-Massen übertrage. Wesentlich sei nur, daß man zwei ABS-Pfropfpolymerisate mit unterschiedlichem Pfropfgrad verwende; deren Teilchengrößespiele nur eine untergeordnete Rolle, sie beeinflusse lediglich Glanz und Zugfestigkeit der Formteile. Die in (III) festgestellte Verbesserung der Tieftemperaturschlagzähigkeit wirke sich zweifelsohne auch günstig auf das Tieftemperaturbruchverhalten aus. Es gebe keinen Grund anzunehmen, daß eine solche Eigenschaftsverbesserung bei Polycarbonat-Massen nicht in Erscheinung trete. Bei den sonstigen Parametern im geltenden Anspruch handle es sich ohnehin nicht um kritische Größen. Das genüge, um das Patent zu widerrufen.

VI. Die Argumente, die die Beschwerdegegnerin demgegenüber schriftlich und mündlich vorgetragen hat, lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen:

Ausgangspunkt für die Konzipierung der vorliegenden Erfindung sei in der Tat (IV) gewesen, wo aus aromatischen Polycarbonaten und ABS-Polymerisaten bestehende thermoplastische Mischungen schon beschrieben seien. Auf diese werde sowohl in der Beschreibung des Streitpatents als auch im experimentellen Teil (Vergleichsversuch 1) Bezug genommen. Die bekannten Abmischungen ergeben bei der Verarbeitung Produkte, deren Zusammenfließnähte eine hohe Festigkeit aufweisen. Diese Eigenschaft stehe aber in keinem Zusammenhang mit dem Bruchverhalten bei tiefer Temperatur. Dokument (v) sei nichts weiter als eine Vorstufe in jener Entwicklung und vermittle deshalb keine neuen Erkenntnisse.

Die Tetramethylbisphenol-A-Polycarbonate aus (i) könnten nicht mit den Homobisphenol-A-Polycarbonaten der vorliegenden Erfindung gleichgesetzt werden. Diese Unterschiede seien aus der Gegenüberstellung der Daten für die Kerbschlagzähigkeit und die Zusammenfließnahtfestigkeit derartiger Produkte, die mit der Eingabe vom 13. April 1984 vorgelegt worden sei, eindeutig erkennbar. In Beispiel 5 von (i) würden mit zwei verschiedenen ABS-Polymerisaten versetzte Tetramethylbisphenol-A-Polycarbonate näher untersucht. Diese Untersuchung, die durch weitere experimentelle Befunde (Schreiben vom 1. Oktober 1984) ergänzt worden sei, belege nur, daß die Teilchengröße des Kautschuks auf die Kerbschlagzähigkeit und die Zusammenfließnahtfestigkeit einerseits und auf den Glanz andererseits eine unterschiedliche Wirkung ausübe sowie, daß bei gleichem Kautschukanteil der Polymermischung keine ins Gewicht fallende Änderung dieser mechanischen Eigenschaften eintrete. Eine Beziehung dieser Größen zum Tieftemperaturbruchverhalten werde jedoch nicht hergestellt.

Die beiden US-Patentschriften (II) und (III) richteten sich auf Formmassen aus zwei verschiedenen ABS-Pfropfpolymerisaten und einem Copolymerisat. Die Pfropfpolymerisate unterschieden sich allein schon durch die unterschiedliche Teilchengröße der Pfropfbasen voneinander. Demgegenüber würden erfindungsgemäß zwei Pfropfpolymerisate eingesetzt, die sich nur im Pfropfgrad, nicht aber in der Teilchengröße unterscheiden. Über eine Verwendung solcher Zusätze in Polycarbonatmischungen werde in keiner der beiden Entgegenhaltungen etwas ausgesagt.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents; ferner beantragt sie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Beschwerde abzuweisen und die Aufrechterhaltung des Patents.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Art. 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ und ist somit zulässig.

2. Was die zur Debatte stehenden Entgegenhaltungen anbelangt, so hat die Beschwerdeführerin die Dokumente (II) und (III) nach Ablauf der Einspruchsfrist und das Dokument (v) erst im Beschwerdeverfahren genannt, d. h. diese Dokumente sind verspätet genannt worden. Ein plausibler Grund für die verspätete Nennung dieser Druckschriften ist nicht erkennbar.

2.1. Die Einspruchsabteilung hat die beiden zuerst genannten US-Dokumente zugelassen, sie aber letzten Endes, wie aus der Zwischenentscheidung vom 22. April 1986 ersichtlich ist, als nicht entscheidungserheblich angesehen. Von dem ihr unter Art. 114 (2) EPÜ eingeräumten Ermessen, die Entgegenhaltungen (II) und (III) unberücksichtigt zu lassen, hat die Einspruchsabteilung keinen Gebrauch gemacht.

2.2. Anders verhält es sich mit der deutschen Auslegeschrift (v). Die Druckschrift ist in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents verzeichnet und brauchte infolgedessen lediglich aufgegriffen zu werden. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch keine Sonderbehandlung etwa in dem Sinn, daß die Druckschrift automatisch als sich im Beschwerdeverfahren befindlich zu betrachten wäre und in diesem Stadium nach Belieben ausgewertet werden könnte. Die von der Kammer durchgeführte Relevanzprüfung hat ergeben, daß (v) keine zusätzliche Information enthält, die über das in (IV) Offenbarte hinausgeht. Für die Entscheidungsfindung ist (v) somit ohne Belang.

Die Kammer macht daher von ihrer Befugnis nach Art. 114 (2) EPÜ Gebrauch und läßt das verspätet genannte Dokument, ohne daß dies näher begründet werden müßte, unberücksichtigt (z. B. T 156/84 - ABl. EPA 1988, 372; ähnlich T 198/88 vom 3. August 1989, Ziff. 2, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).

3. Das Streitpatent betrifft thermoplastische Formmassen auf der Basis von aromatischem Polycarbonat (PC).

Formmassen dieses Typs sind bereits bekannt. Von ihrer chemischen Zusammensetzung her kommen nach übereinstimmender Ansicht von Beschwerdegegnerin und Kammer die aus Dokument (IV) bekannten PC-Abmischungen dem Streitgegenstand am nächsten. Sie bestehen aus

1'.70-30 Gew-Tln eines thermoplastischen PC auf der Grundlage von Bisphenol A und

2'.30-70 Gew-Tln eines Gemisches aus einem ABS-Pfropfmischpolymerisat (25-100 Gew.-%) und einem AS-Copolymerisat (0-75 Gew.-%).

Die Formmassen zeichnen sich durch gute Verarbeitbarkeit aus. Die mechanischen Eigenschaften daraus hergestellter Formteile sind mit Produkten, die aus "reinem" PC gefertigt sind, vergleichbar. Sie besitzen eine hohe Festigkeit in der Zusammenfließnaht (ZFNF), was die Herstellung von kompliziert geformten Gegenständen, wie Gittern, erlaubt. Allerdings verlieren sie bei niedrigen Temperaturen ihre Schlagzähigkeit und brechen unter Splitterbildung. Trotz ihrer sonst guten Eigenschaften sind sie daher z. B. im Fahrzeuginnenausbau so gut wie nicht verwendbar; dort wird eine hohe Bruchfestigkeit oder zumindest splitterfreier Bruch auch bei Temperaturen von - 30° C verlangt (IV, S. 2 Abs. 2; Streitpatent, S. 2, Abs. 1 und 2).

4. Es bestand daher die technische Aufgabe, thermoplastische PC-Formmassen zu entwickeln, bei denen ohne Preisgabe der sonstigen günstigen Eigenschaften das Tieftemperaturbruchverhalten entscheidend verbessert ist.

Der Lösungsvorschlag, wie er im Anspruch des Streitpatents niedergelegt ist, besteht, kurz gesagt, darin, dem thermoplastischen Grundmaterial zwei ABS-Pfropfcopolymerisate beizumischen, deren wesentliches Unterscheidungsmerkmal ein unterschiedlicher Pfropfgrad ist.

Es erscheint glaubhaft, daß das angestrebte Ziel so erreicht wird. Zu diesem Zweck wurden Prüfkörper angefertigt, bei deren Herstellung zum einen unter den Anspruch fallende Formmassen verwendet wurden, zum anderen auf eine gängige Rezeptur des nächstliegenden Standes der Technik zurückgegriffen wurde; ihr Kautschukgehalt lag bei etwa 20 Gew.-%. Nur erstere ergaben das gewünschte günstige Erscheinungsbild: So ist die Neigung zum Splitterbruch bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt bei diesen deutlich herabgesetzt; das ist bei dem Vergleichsmaterial nicht der Fall; im gleichen Zuge sind Zähigkeit, ZFNF und Wärmeformbeständigkeit bei den Produkten gemäß Streitpatent unverändert gut. Die in der Tabelle zusammengefaßte Bewertung erfolgte in der Weise, daß man Prüfkörper auf niedrige Temperaturen (bis -40° C) abkühlt, eine Fallkalotte auf sie einwirken läßt und dann anhand von vorgegebenen Bruchbildern das Bruchverhalten ermittelt (Streitpatent, Tabelle iVm Fig. 1-7, S. 2 Abs. 3).

5. Die im Anspruch gemäß Streitpatent niedergelegte Lehre ist in keiner der der Kammer vorliegenden Druckschriften beschrieben und somit neu im Sinne von Art. 54 EPÜ.

6. Es bleibt noch zu untersuchen, ob die vorgenommene Modifizierung der bekannten PC-Formmassen angesichts der bestehenden Aufgabe nahegelegen hat (Art. 56 EPÜ).

6.1. Bei der Beurteilung dieser Frage hat man von (IV) auszugehen, wo, wie eingangs ausgeführt, aus zwei, maximal drei Bestandteilen bestehende, thermoplastische PC-Formmassen beschrieben sind, deren Grundkonzept weitgehend mit dem des beanspruchten Typs übereinstimmt.

Wie beim Streitpatent richtet sich das Hauptaugenmerk auf das ABS-Pfropfcopolymerisat bzw. den Einfluß, den dieses auf die Eigenschaften der resultierenden Formmasse ausübt. Als Pfropfgrundlage dient grobteiliges Polybutadien; die in den konkreten Ausführungsformen dafür verwendete mittlere Teilchengröße liegt bei 0,3 bis 0,4 µm (durch den Pfropfvorgang vergrößert sich die Teilchengröße nur unmerklich); der Pfropfgrad ist nicht angegeben. Der Kautschukanteil der Formmasse beträgt vorzugsweise 10 bis 30 Gew.-%.

Alles, was sich aus der Entgegenhaltung herauslesen läßt, ist dies, daß ein Unterschreiten des im Anspruch für Kautschuk vorgeschriebenen Grenzwertes und daß die Verwendung von feinteiligem Kautschuk anstelle von grobteiligem als Pfropfgrundlage zu einem nicht hinnehmbaren Abfall der ZFNF führt. Eine weitergehende Aussage enthält die Druckschrift nicht. Das hier vorrangig interessierende Bruchverhalten von PC-Massen bei tiefen Temperaturen wird nicht angesprochen. Es verwundert deshalb auch nicht, daß es keinen Hinweis darauf gibt, wie die vorhandene Materialschwäche beseitigt werden kann. Ebenso fehlt es an einer Gesetzmäßigkeit, die es erlauben würde, aus vorhandenen physikalischen Kenndaten (z. B. Elastizitätsmodul, Wärmeformbeständigkeit) Rückschlüsse auf das Tieftemperaturbruchverhalten zu ziehen. Somit deutet absolut nichts darauf hin, daß die Lösung des anstehenden Problems in der Verwendung von zwei "grobteiligen" ABS-Pfropfcopolymerisaten liegt, die sich im Propfgrad unterscheiden.

6.2. Auch in Dokument (i) geht es um thermoplastische Formmassen. Deren Hauptbestandteile sind ein aromatisches PC, dessen lineare Kette zumindestens zu 50 % aus o, o, o', o'-Tetraalkyl-Bisphenol-A-Struktureinheiten besteht (TA-Bisphenol-A-PC), ein thermoplastisches Harz (z. B. AS-Copolymer) und/oder ein gegebenenfalls modifizierter Kautschuk (z. B. ABS-Pfropfcopolymerisat).

Diese auf den ersten Blick belanglos erscheinende Änderung (Substitution) des Bisphenol-A-Grundmoleküls führt zu einem grundlegenden Wandel im Eigenschaftsbild des Polymerisats. Dieser erfaßt nicht nur ausschließlich auf TA-Bisphenol-A-Basis beruhende Formmassen, sondern gleichermaßen auch solche, welche den substituierten Baustein zum Teil im Molekül enthalten und deshalb als "gemischte" PC bezeichnet werden. Er findet seinen Niederschlag in den z. T. weit auseinanderdriftenden Meßwerten für eine Reihe von mechanischen Eigenschaften (so für ZFNF, Kerbschlagfestigkeit und Einfriertemperatur), die an entsprechenden Prüfkörpern ermittelt wurden. (Werte in dieser Reihenfolge für Homo-Bisphenol-A-PC: 110 cmkp/cm2; >20 cmkg/cm2; 150° C; für TA-Bisphenol-A-PC: 13 cmkp/cm2; 4 cmkg/cm2; 210° C; für TA-Bisphenol A/Bisphenol A-Copolymer (50 Mol-%): etwa 15 cmkp/cm2; 3 bzw. 5 cmkg/cm2; vgl. (i), Beispiele 1, 2 f, 2 k, 6, 7 o, 7 n, S. 12 Abs. 2; Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 13. April 1984). Daraus folgt, daß Erkenntnisse, die an TA-Bisphenol-A-PC-Produkten gewonnen wurden, nicht auf Formmassen aus "reinem" Bisphenol A übertragbar sind. Schon aus diesem Grund konnte nicht erwartet werden, daß von (i) Impulse in Richtung auf die patentgemäße Lösung ausgehen. Auch die Auswertung des Beispiels 5 der Entgegenhaltung (vgl. hierzu die Ausführungen der Beschwerdegegnerin unter Abs. VI), ändert an dieser Situation nichts.

Kurzum: Weder die Information aus (IV) noch die aus (i) hilft weiter. Der mit der Entwicklung splitterbruchfester PC-Massen betraute Fachmann ist de facto auf sich gestellt.

6.3. Schließlich sind in den beiden US-Dokumenten zur unmittelbaren Verarbeitung bestimmte Formmassen offenbart. Sie enthalten, in eine AS-Matrix eingebettet, zwei ABS-Pfropfmischpolymerisate, deren Teilchengröße und deren Pfropfgrad voneinander verschieden sind. Eine Verwendung der Gemische als Weichkomponente in einem anderen Polymer, resp. in PC, ist nicht vorgesehen. Insoweit fehlt (II) und (III) der Bezug zum Streitgegenstand.

6.4. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Entgegenhaltung (i) als den nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet. Bei ihrer Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist sie von einem TA-Bisphenol-A-PC ausgegangen.

Diesem Standpunkt kann sich die Kammer, wie oben ausgeführt, nicht anschließen. Das wiederholte Vorbringen der Beschwerdegegnerin, welches in die gleiche Richtung zielt und welches mit sachdienlichem Zahlenmaterial versehen war (Eingaben vom 24. April und 1. Oktober 1986), konnte auf keinen Fall unberücksichtigt bleiben. Ebenso mußte auf den in der Streitpatentschrift vorhandenen Vergleichsversuch eingegangen werden. Seitens der Beschwerdeführerin ist hierzu zu keinem Zeitpunkt Gegenteiliges vorgebracht worden.

6.5. Zusammenfassend ist festzustellen, daß es der Beschwerdegegnerin überraschend gelungen ist, mit Hilfe der im Anspruch definierten ABS-Polymeren den bekannten thermoplastischen PC-Formmassen "innewohnenden" Mangel, der am Fertigprodukt als Splitterbruch in Erscheinung tritt, weitgehend zu beseitigen. Damit steht der Fachwelt ein Werkstoff zur Verfügung, der unter Beibehaltung bisheriger verarbeitungs- und anwendungstechnischer Vorteile auch den gestiegenen Anforderungen der Praxis genügt.

7. Nach alledem beruht der Gegenstand des geltenden Anspruchs auf erfinderischer Tätigkeit. Der Anspruch ist damit patentfähig.

Auf den nicht begründeten Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist nicht weiter einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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