T 0251/85 () of 19.5.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:T025185.19870519
Datum der Entscheidung: 19 Mai 1987
Aktenzeichen: T 0251/85
Anmeldenummer: 81109423.4
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Polyolgemischen und neue Polyolgemische
Name des Anmelders: CPC Int. Inc.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Product-by-process Ansprüche
Erfinderische Tätigkeit - Zugänglichkeit der Wirkung
Anspruchskategorien
Verleihung oder Rückstrahlung der erfind. Tätigkeit
Getrennte Bewertung
inventive step
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0130/90

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 30. Oktober 1981 angemeldete und am 25. August 1982 veröffentlichte Patentanmeldung 81 109 423.4 mit der Veröffentlichungsnummer 58 246, für welche die Priorität vom 5. November 1980 in Anspruch genommen wurde, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 14. Dezember 1984, deren schriftliche Ausfertigung dem Anmelder am 7. Mai 1985 zugestellt wurde, zurückgewiesen. Dieser Entscheidung liegen 15 Patentansprüche zugrunde, von denen der Anspruch 15 in der Fassung der Eingabe vom 14. Dezember 1984 folgenden Wortlaut hat:

"Durch Wasserabspaltung aus Hexit(en) bei erhöhter Temperatur in Gegenwart saurer heterogener Katalysatoren, insbesondere nach einem der Ansprüche 1 bis 14 hergestelltes Polyolgemisch mit einer Hydroxylzahl von 1030 bis 1600, gekennzeichnet durch einen auf das Gesamtpolyolgewicht bezogenen Monoanhydrohexitgehalt von mindestens 43, vorzugsweise mindestens 50 und insbesondere mindestens 55 Gew.-%;" II. Die Zurückweisung wird damit begründet, daß die Produkte die gemäß dem Verfahren nach Ansprüchen 1 bis 14 hergestellt wurden, gegenüber dem Stand der Technik, nämlich der US-A- 3 454 603 (1) naheliegend seien. Aus diesem Dokument seien strukturanaloge Polyole bekannt. Polyole nach Anspruch 15 der Anmeldung zeichneten sich durch keine andere Verwendbarkeit oder überraschende Eigenschaft aus. Sie seien lediglich das Ergebnis der Erfindung des Herstellungsverfahrens, nicht aber die Erfindung selbst.

III. Gegen diese Entscheidung wurde am 3. Juni 1985 Beschwerde eingelegt; gleichzeitig wurde die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerde wurde am 5. September 1985 begründet. Es wurden wie auch vor der Prüfungsabteilung zwei Fassungen für Anspruch 15 vorgelegt (Hilfsanträge 1 und 2), sowie ein Hilfsantrag 3, der auf die Verfahrensansprüche beschränkt wurde. Eine mündliche Verhandlung fand am 19. Mai 1987 statt.

IV. Die Beschwerdeführerin behauptet, daß die Verfolgung von Produktansprüchen neben Verfahrensansprüchen in einer Anmeldung möglich sei. Werden neue Stoffe, die bei ihrer Verwendung überraschende Eigenschaften zeigen, beansprucht, so sei es auch in der Praxis möglich, an sich bekannte Verfahren zu ihrer Herstellung im Rahmen von Nebenansprüchen zu beanspruchen. Das bedeutet, daß Ansprüche auf Verfahren gewährt würden, die keine erfinderische Tätigkeit aufwiesen. Würde ein neuer Stoff, für dessen Schaffung aufgrund seiner erwarteten Eigenschaften ein Bedarf bestand und der bisher nicht herstellbar war, gemäß einem erfinderischen Verfahren hergestellt, verleihe dieses dem Stoff seine erfinderischen Qualitäten. Ein "Product-by-process"-Anspruch sollte daher gewährbar sein.

V. Um die ursprünglich beantragte Rückerstattung der Beschwerdegebühr zu begründen, behauptete die Beschwerdeführerin, daß sie während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilungeinen dritten Hilfsantrag eingereicht habe. Dieser Antrag soll sich ausschließlich auf die Erteilung eines Patents mit den Ansprüchen 1-14 (Verfahrensansprüchen) bezogen haben. Dies gehe auch deutlich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung hervor. Am Schluß der Verhandlung wurde das Protokoll aber nicht verlesen, so daß die Beschwerdeführerin die Auslassung des dritten Hilfsantrags erst nach Erhalt der Entscheidungsbegründung erfuhr und daher nicht mehr Stellung nehmen konnte. Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, daß eine beschwerdefähige, positive Entscheidung im Hinblick auf den dritten Hilfsantrag der negativen Entscheidung hätte beigefügt sein müssen. Sie betrachtete dieses Versäumnis als einen Verfahrensfehler.

Bezugnehmend auf die Rechtsauskünfte EPA Nr. 15/85, ABl. 10/1984, 491) machte die Kammer den Unterschied in der Behandlung von Hilfsanträgen in Verfahren vor der Prüfungsabteilung und in Verfahren vor der Beschwerdekammer deutlich.

Die Kammer hielt es ferner für unwahrscheinlich, daß die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag klar und deutlich vorgetragen habe; denn wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte die Prüfungsabteilung ein Patent ohne Entscheidungsbegründung erteilen können.

Nach diesen Erklärungen hat die Beschwerdeführerin, der diese Frage sehr wichtig erschien, den Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr zurückgenommen.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent gemäß Hauptantrag, ggf. gemäß Hilfsantrag 1, 2 oder 3 zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Ansprüche 1 bis 14 und der Anspruch 15 im Hauptantrag sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Merkmale des Anspruchs 15 finden ihre Stütze im ursprünglichen Anspruch 15 und Seite 3, Z. 37.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 15 bezieht sich auf ein durch Wasserabspaltung aus Hexiten hergestelltes Polyolgemisch. Ähnliche Polyolgemische sind schon in (1) für chemische Synthesen veröffentlicht. Jedoch haben solche Gemische gemäß den Erklärungen der Beschwerdeführerin entweder weniger als 43% Monoanhydrohexit oder sie sind entweder nicht erhaltbar oder sie enthalten beträchtliche Mengen von unerwünschten Verunreinigungen. Gegenüber diesem Stand der Technik bestand daher die technische Aufgabe, verbesserte Mittel, die für dieselben chemischen Synthesen, insbesondere zur Herstellung von Polyurethanen geeignet sind, zur Verfügung zu stellen. Die Lösung dieser Aufgabe besteht nach Anspruch 15 in einem Polyolgemisch, gekennzeichnet durch einen auf das Gesamtpolyolgemisch bezogenen Monoanhydrohexitgehalt von mindestens 43 %, das mit einer Hydroxylzahl von 1030 bis 1600 mit einem Verfahren nach Ansprüchen 1 bis 14 hergestellt wird. Das besondere Verfahren stellt sicher, daß ein erhöhter Reinheitsgrad unmittelbar erreicht wird.

4. Diese Erzeugnisse sind an sich neu, weil eben keine Entgegenhaltung ein Polyolgemisch nach Anspruch 15 individualisiert erwähnt. Damit ist jedoch die erfinderische Tätigkeit für die Produkte auch dann nicht belegt, wenn das Herstellungsverfahren selbst erfinderisch ist. Auch wenn die beanspruchten Polyolgemische - wegen der Unsicherheiten hinsichtlich ihrer genauen Zusammensetzung - teilweise durch das Herstellungsverfahren definiert wurden, muß der Gegenstand des Anspruchs in einem absoluten Sinne ausgelegt werden.

5. Solche durch "Product-by-process" umschriebenen Gegenstände sind, wie auch andere übliche Erzeugnisse, nur dann gewährbar, wenn die Stoffe selbst neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (T 150/82, "Anspruchskategorien", ABl. 7/1984, 309 und T 248/85, "Bestrahlungsverfahren", ABl. 8/1986, 261). Das heißt, daß die erfinderische Tätigkeit für die beanspruchten Mittel gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik auf Grund der ihnen eigenen Wirkungen beurteilt werden muß. Die Kammer vertritt die Auffassung, daß der Idee einer sog. "Rückstrahlung" oder "Verleihung" der erfinderischen Qualität von einer Anspruchskategorie zur anderen, d.h. einer automatischen Übertragung des erfinderischen Charakters, nicht zugestimmt werden kann. Auch die Patentierbarkeit von Analogieverfahren wurde nicht mit dieser Überlegung gerechtfertigt (s. T 119/82, "Gelatinierung", ABl. 5/1984, 217).

6. Die Beschwerdeführerin hat eingeräumt, daß sich die beanspruchten Polyolgemische durch keine neue Anwendbarkeit oder überraschende Eigenschaft auszeichnen. Daß eine Erhöhung des Monoanhydrohexitgehalts und eine gleichzeitige Verringerung von anwesenden Verunreinigungen für die bekannten Zwecke ein vorteilhaftes Ausgangsmaterial schaffen wird, war durchaus vorhersehbar. Die Wirkungen des beanspruchten Gegenstandes sind daher nicht überraschend und waren für den Fachmann sofort zugänglich als er in der Lage war den Gegenstand selbst herzustellen.

7. Es wurde auch vorgetragen, daß der erfinderische Charakter der gegebenen Produkte sich aus der Tatsache ergebe, daß für die Herstellung derselben keine brauchbare Methode gegeben war, zumindest vor der Entdeckung der in der Anmeldung beanspruchten Verfahren. Die Kammer wäre bereit gewesen, für solche Gegenstände ein Patent zu gewähren, wenn dem Fachmann nach dem Stand der Technik kein Weg zur Verfügung gestanden hätte, um die gewünschten Polyolgemische ohne Rücksicht auf Schwierigkeiten, Wirtschaftlichkeit oder Verluste irgendwie herzustellen. Die Möglichkeit die erfinderische Tätigkeit auf dieser Basis zu bejahen, war schon im Fall T 219/83, "Zeolithe" (ABl. 7/1986, 211, insbes. S. 220-221) erkennbar. Das ist aber hier nicht der Fall.

8. Die Anmeldung erwähnt selbst, gegenüber dem Stand der Technik, verschiedene Trennungsverfahren, sowie Destillation und Chromatographie, die jedoch angesichts der bestimmungsgemäßen Verwendung "zur Herstellung von Kunstharzen zu aufwendig und kostspielig" sind (S. 3, Z. 1-15). Es lag kein Grund für die Annahme vor, daß die Polyole eine solche intensive Reinigung und Trennung nicht überstehen würden, oder daß es unmöglich wäre, das Gemisch durch eine getrennte Herstellung und Reinigung der Komponenten und folgende Mischung vorzubereiten, obwohl das mühsam und sehr unwirtschaftlich wäre. Unter diesen Umständen erscheint es nicht glaubhaft, daß die erwarteten Wirkungen und Anwendungen der beanspruchten Gegenstände dem Fachmann überhaupt nicht zugänglich waren, bis die angeblich unüberwindbare Bariere der Herstellung durch die erste praktisch brauchbare Methode überhaupt überwunden wurde. Der Gegenstand des Sachanspruchs 15 ist daher nicht erfinderisch. Dasselbe gilt für Hilfsanträge 1 und 2 in welchen Anspruch 15 in anderer Form aber mit demselben Inhalt vorgelegt wurde.

9. Die Verfahrensansprüche 1 bis 14 sind schon bei der Prüfungsabteilung als erfinderisch und patenfähig anerkannt worden. Die Kammer hat keinen Grund die Richtigkeit dieses Ergebnisses zu bezweifeln. Die technische Aufgabe war die Bereitstellung der verbesserten Polyolgemische, im Vergleich mit denen, die nach dem nächstliegenden Stand der Technik erhältlich sind. Diese Aufgabe wird in überraschender Weise in Gegenwart von zusätzlichen Wassermengen in der Wasserabspaltungsreaktion gelöst. Nach den auf den bisherigen Stand der Technik gestützten Ausführungen der Beschwerdeführerin hätte man eher die Abwesenheit von Wasser angestrebt. Die beanspruchten Verfahren sind daher nicht nur neu, sondern auch erfinderisch. Die Aufrechterhaltung des Patents nach Hilfsantrag 3, mit den Verfahrensansprüchen 1 bis 14, kann daher zugestimmt werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Es wird daher wie folgt entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanzzurückverwiesen mit der Auflage ein Patent auf der Grundlage der Verfahrensansprüche 1 bis 14 in der veröffentlichten Fassung (Hilfsantrag 3, eingegangen am 5. September 1985) und der ungeänderten Beschreibung zu erteilen.

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