European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1986:T011385.19860424 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 April 1986 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0113/85 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79102635.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verwendung eines 6-Amino-3-methyl-phenol enthaltenden Mittels zum Färben von Haaren | ||||||||
Name des Anmelders: | Wella | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit bejaht Ersatz von bedenklichem Farbstoff durch unbedenklichen inventive step (yes) harmless dyestuff as substitute for harmful one |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 79 102 635.4, die am 25. Juli 1979 mit deutscher Priorität vom 3. August 1978 angemeldet worden war, wurde am 1. September 1982 das europäische Patent 8039 erteilt. Die Erteilung erfolgte auf der Grundlage von neun Patentansprüchen, deren erster lautet:
"Verwendung eines Mittels zum oxidativen Färben von Haaren, dadurch gekennzeichnet, daß es als Farbkomponente 6-Amino-3-methylphenol enthält."
II. Gegen die Patenterteilung legte die Einsprechende, gestützt auf die Dokumente
(1) Nowak, "Die kosmetischen Präparate", 2. Auflage (1975), 618;
(2) DE-B- 1 143 605 und
(3) Beilstein, Band 13, 519 (1930),
am 10. Mai 1983 Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfange wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit.
III. Durch Entscheidung vom 25. März 1985 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück und führte dazu im wesentlichen aus, die beanspruchte Verwendung sei neu: zwar seien aus (1) und (2) die Verwendung von Isomeren des patentgemäß vorgeschlagenen 6-Amino-3-methylphenols zum oxidativen Haarfärben sowie dieses selbst - ohne Verwendungshinweis - aus (3) bekannt; nicht aber dessen beanspruchte Verwendung. Diese beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, da auf Grund der mit den genannten Isomeren erzielten Ergebnisse nicht zu erwarten gewesen sei, daß gerade das 6-Amino-3-methylphenol auch in Abwesenheit von Kupplersubstanzen oder physiologisch bedenklichen Komponenten, wie dem 4-Nitro-1,2-diaminobenzol, beim oxidativen Haarfärben intensive Gelbtöne erzeugt.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 12. April 1985 unter gleichzeitiger Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 7. Juni 1985 begründet. Sie trägt im wesentlichen Folgendes vor:
Insoweit das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit damit begründet werde, daß patentgemäß Kupplersubstanzen nicht notwendig seien, stehe das Schutzbegehren hiermit nicht im Einklang, da es nicht auf die Verwendung kupplerfreier Haarfärbemittel beschränkt sei. Im übrigen habe nicht nur die Verwendung von 6-Amino-3-methylphenol zusammen mit Kupplern angesichts der entsprechenden Verwendung gewisser Isomerer gemäß (2) nahegelegen; vielmehr erwähne (1) die Mitverwendung von Kupplern nicht und rege den Fachmann daher auch zur versuchsweisen Verwendung von Isomeren ohne Kuppler an.
V. Die Beschwerdegegnerin hat diesem Vorbringen widersprochen und dazu ausgeführt, es sei überraschend gewesen, daß das 6-Amino-3-methyl-phenol -im Gegensatz zu den Isomeren der Entgegenhaltung - einerseits allein, d. h. ohne Kuppler, eingesetzt werden könne und andererseits in Gegenwart von Kupplern nur mit sich selbst reagiere, wobei - ebenfalls im Gegensatz zu den Isomeren - intensive Gelbfärbung auftrete. Hierdurch werde ein Ersatz des physiologisch bedenklichen 4-Nitro-1,2-diaminobenzols möglich. Auf Anregung der Kammer hat sie ferner Material vorgelegt, das belegen soll, daß das 6-Amino-3-methyl-phenol physiologisch weniger bedenklich ist als übliche Nitrofarbstoffe.
VI. Die Kammer hat als weiteren Stand der Technik noch das bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigte Dokument
(4) American Perfumer and Aromatics, Band 68 (1956), 34-37, ins Verfahren eingeführt.
VII. In der mündlichen Verhandlung am 24. April 1986 haben die Beteiligten ihre Standpunkte bekräftigt. Die Beschwerdeführerin bestreitet weder die - jedenfalls vergleichsweise - physiologische Unbedenklichkeit der patentgemäß zu verwendenden Verbindung, noch den durch Vergleichsfärbungen belegten Farbeffekt; sie hält jedoch beides für voraussehbar und bezweifelt ferner, daß die patentgemäß verwendete Verbindung, auch wenn sie nicht als einzige, sondern zusammen mit einer weiteren Farbkomponente verwendet wird, nur mit sich selbst und nicht mit dieser reagiere -eine Voraussetzung für ihre Verwendbarkeit als Nuancierfarbstoff.
Die Beschwerdegegnerin verweist besonders auf den Unterschied zwischen der patentgemäß erzielten intensiven Gelbfärbung und den durch die bekannte Verwendung von Stellungsisomeren des 6-Amino-3-methylphenols erzielten gold- bis rötlichblonden Farbtönen, den die Beschwerdeführerin hingegen nicht für gravierend erachtet.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents; die Beschwerdegegnerin beantragt Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Erfindung betrifft die Verwendung von 6-Amino-3- methylphenol zum oxidativen Färben von Haaren. Ausweislich der Dokumente (1), (2) und (4) wurden bereits Stellungsisomere dieser Substanz für diesen Zweck eingesetzt. Unstreitig werden hierbei aber keine intensiven Gelbtöne erzielt, wie sie erfindungsgemäß angestrebt werden. Dieser strukturell äußerst nahestehende Stand der Technik eignet sich daher nicht als Ausgangspunkt für die Ermittlung der bestehenden technischen Aufgabe.
Hingegen hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung der Kammer vorgetragen, daß solche intensiven Gelbtöne bzw. eine Tönung in Richtung auf solche in der Praxis bislang durch die Verwendung von 4-Nitro-1,2-diaminobenzol erzeugt wurden. Diese Aussage hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten, sondern als "vermutlich" richtig bezeichnet. In diesem Zusammenhang sei auch auf Seite 36 von (4) verwiesen, wo in Tabelle 6 als Verbindung 29 das 4-Nitro-1,2-diaminobenzol als das menschliche Haar "greenish yellow" färbend aufgeführt ist. Dieser Stoff weist aber eine relativ hohe akute Toxizität auf.
3. Hiervon ausgehend besteht die Aufgabe der Erfindung darin, ein Anwendungsverfahren vorzuschlagen, nach dem eine intensive Gelbfärbung bzw. eine Nuancierung in Richtung auf ein intensives Gelb mittels einer physiologisch unbedenklichen Farbstoffkomponente erzielt wird.
4. Das Streitpatent stellt zur Lösung dieser Aufgabe die Verwendung von 6-Amino-3-methylphenol als (alleinige oder nuancierende) Farbkomponente bereit.
5. Diese Aufgabe wird nach dem Streitpatent auch glaubhaft gelöst:
5.1. Die alleinige Verwendung von 6-Amino-3-methylphenol ist hinsichtlich der Färbewirkung durch die im Prüfungsverfahren am 11. Juli 1981 eingereichten Färbemuster, hinsichtlich der physiologischen Unbedenklichkeit durch das am 2. Oktober 1985 vorgelegte umfangreiche Material belegt.
5.2. Für die Verwendung als nuancierende Farbkomponente gilt hinsichtlich der physiologischen Unbedenklichkeit selbstverständlich das Gleiche. Der Nuancierungseffekt wird in Beispiel 2 der Streitpatentschrift gezeigt. Die Beschwerdeführerin hat jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung eingewendet, daß die für diese Verwendung erforderliche Eigenschaft des 6-Amino-3-methylphenols, nur mit sich selbst und nicht mit anwesenden weiteren Farbkomponenten zu reagieren, von der Beschwerdegegnerin wohl geltend gemacht, aber nicht belegt worden sei.
5.3. Dieser Einwand geht ins Leere; denn einerseits sind die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdegegnerin nach Ansicht der Kammer, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Beispiels 2, glaubhaft, und andererseits sind sie auch bereits in der erteilten Fassung der Streitpatentschrift enthalten (siehe Spalte 3, Zeile 62, bis Spalte 4, Zeile 18), so daß die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit hatte, sie zu überprüfen. Sie hat diesen Punkt jedoch weder vor der Vorinstanz, noch im schriftlichen Beschwerdeverfahren aufgegriffen. Die Kammer hat bereits in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung T 219/83 vom 26. November 1985 sinngemäß entschieden, daß eine Unsicherheit, die sich daraus ergibt, daß die Beteiligten in einem Einspruchsverfahren entgegengesetzte Tatsachenbehauptungen aufstellen, ohne sie belegen zu können und ohne daß das EPA den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln kann, zu Lasten des Einsprechenden geht. Dieser Grundsatz gilt auch hier. Das Vorliegen der in Rede stehenden Eigenschaft ist daher als derzeit nicht widerlegt anzuerkennen.
6. Der Patentgegenstand ist neu, da keines der entgegengehaltenen Dokumente die Verwendung von 6-Amino-3-methylphenol als Farbkomponente von Haarfärbemitteln offenbart. Die Neuheit ist auch unbestritten, so daß sich nähere Ausführungen hierzu erübrigen.
7. Es ist daher zu untersuchen, ob es für den Fachmann angesichts der Aufgabe, eine physiologisch unbedenkliche intensive Gelbfärbung bzw. -tönung von Haar ähnlich der mittels 4-Nitro-1,2-diaminobenzol erhältlichen zu erzielen, nahelag, hierzu 6-Amino-3-methylphenol zu verwenden.
7.1. Auf Grund der weitverbreiteten Anwendung von Aminophenolen, einschließlich Aminokresolen, in Haarfärbemitteln, bei der es - soweit ersichtlich -nicht zu ernsthaften toxikologischen Problemen gekommen ist, mag es auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, unter den Aminokresolen nach weiteren physiologisch unbedenklichen Farbkomponenten Ausschau zu halten, solange man die erfindungsgemäß angestrebte intensive Gelbfärbung außer Betracht läßt.
7.2. Die in der entgegengehaltenen Literatur konkret erwähnten Aminokresole führen nach den dortigen Angaben zu goldblonden bis rotblonden - (1), Seite 618, letzte vier Zeilen -, gold- bis rötlichblonden - (4), Seite 35, Tabelle 4, Beispiele 17 und 18 - bzw. zusammen mit weiteren Farbkomponenten zu tiefvioletten, tiefblauvioletten und orange Farbtönen -(2), Spalten 3 und 4, Beispiele 1 bis 3. Von intensiv gelben Farbtönen ist nirgends die Rede. Daher konnte der Fachmann durch die Entgegenhaltungen auch keine Anregung dafür erhalten, zur Erzielung einer intensiven Gelbfärbung - die nach Ansicht der Kammer von Blondtönen deutlich verschieden ist - Aminokresole einzusetzen, geschweige denn gerade das erfindungsgemäß vorgesehene 6-Amino-3-methylphenol zu verwenden.
7.3. Hinsichtlich der Verwendung von 6-Amino-3-methylphenol als Nuanciermittel kommt noch hinzu, daß sich dieses hierfür erst auf Grund einer weiteren Eigenschaft qualifiziert, nämlich der Fähigkeit, nur mit sich selbst und nicht mit anwesenden weiteren Farbkomponenten zu reagieren. Diese Eigenschaft konnte aufgrund der entgegengehaltenen Literatur ebenfalls nicht erwartet werden.
7.4. Nach allem ist dem Gegenstand des Anspruches 1 erfinderische Tätigkeit zuzuerkennen.
8. Die hierauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 9 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des Anwendungsverfahrens nach Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit mit getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.