T 0004/84 () of 10.12.1985

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1985:T000484.19851210
Datum der Entscheidung: 10 Dezember 1985
Aktenzeichen: T 0004/84
Anmeldenummer: 78100916.2
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Sulfonsäurechloriden
Name des Anmelders: Bayer
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114
European Patent Convention 1973 R 58(4)
Schlagwörter: Nichtberücksichtigung ungelöster Nebenaufgaben
Verspätetes Vorbringen
Dokumente - kurz vor der mündl.Verhandlung eingeführt
Sinnvolle Anwendung von R. 58(4)
unsolved side-problem not considered
late submission shortly before oral proceedings
application of Rule 058(4)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0172/89

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 78 100 916.2, die am 18. September 1978 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 28. September 1977 angemeldet worden war, wurde am 8. April 1981 das europäische Patent 1275 auf der Grundlage von sechs Ansprüchen erteilt, deren erster, wie folgt, lautete:

"Verfahren zur Herstellung von Sulfonsäurechloriden der Formel

(FORMULA)

worin

R1, R2 und R3 gleich oder verschieden sind und Wasserstoff, einen niederen Alkyl- oder einen Cycloalkylrest, Halogen, Aryl, Aralkyl, Aryläther oder einen Rest - SO2Cl, - SO2Aryl,

(FORMULA)

oder wo benachbarte Reste R1 und R2 zu einem gegebenenfalls durch eine Sulfonsäurechloridgruppe substituierten cycloaliphatischen, aromatischen oder heteroaromatischen Ring verknüpft sind, wobei die Reste R1 bis R3 durch weitere Reste wie Halogen, Niederalkyl, Aryl, Aroxy, Alkoxy und Aralkyl substituiert sein können, durch Umsetzung einer aromatischen Verbindung der Formel

(FORMULA)

worin R1, R2 und R3 die oben genannte Bedeutung haben, mit Chlorsulfonsäure und Thionylchlorid, dadurch gekennzeichnet, daß man zuerst die aromatische Verbindung und Chlorsulfonsäure in stöchiometrischer Menge bis zu einem Überschuß von 20 Mol-%, bezogen auf jede einzuführende Sulfonsäurechlorid-Gruppe, gegebenenfalls in Gegenwart eines Lösungsmittels und gegebenenfalls in Gegenwart eines Sulfonierungshilfsmittels, zur Reaktion bringt und dann mit überschüssigem Thionylchlorid umsetzt."

II. Gegen die Patenterteilung legte die Einsprechende, gestützt auf die folgenden Dokumente:

(1) Nikolai N. Woroshzov, "Grundlagen der Synthese von Zwischenprodukten und Farbstoffen", Akademie-Verlag, Berlin (1966), Seite 75, Abschnitt 2.3.7., und Seite 76;

(2) Houben-Weyl, Methoden der organischen Chemie, 4. Auflage, Band IX (1955), Seiten 510 bis 514;

(3) DE-C 752 572;

(4) DE-C 1 593 878;

(5) DE-A 2 414 498;

(6) "Organikum", 4. Auflage, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1964, Seite 515 am 7. Januar 1982 Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfange wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.

III. Durch Entscheidung vom 8. November 1983 widerrief die Einspruchsabteilung das Patent und führte dazu aus, der Patentgegenstand sei wohl neu, beruhe aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Bekannt seien nämlich sowohl das Umsetzen von Aromaten mit Chlorsulfonsäure zu den entsprechenden Sulfonsäuren als auch das Versetzen der dabei entstehenden Reaktionsgemische mit Thionylchlorid zur Herstellung entsprechender Sulfonsäurechloride. Auch die Verwendung bloß äquimolarer Mengen Chlorsulfonsäure für die erste Verfahrensstufe sei im Stand der Technik bereits erwähnt, wobei allerdings nur unbefriedigende Ausbeutezahlen genannt seien. Nach den Ausführungsbeispielen des Streitpatents werde stets Chlorsulfonsäure vorgelegt und die umzusetzende aromatische Verbindung zugegeben, d. h. während des größten Teils der Reaktionsdauer liege ein Überschuß an Chlorsulfonsäure vor. Dabei handle es sich um eine übliche Arbeitsweise, bei der ähnliche Ausbeuten wie bei Anwendung überschüssiger Chlorsulfonsäure zu erwarten gewesen seien. Habe so die erste Verfahrensstufe nahegelegen, so gelte das Gleiche für die zweite Stufe, da der Fachmann auf Grund der im Stand der Technik erläuterten Reaktionsmechanismen habe erwarten können, daß große Überschüsse an Thionylchlorid nach vorherigen kleineren Chlorsulfonsäuremengen zu ähnlichen Ergebnissen führen würden wie kleinere Thionylchloridmengen nach vorherigen größeren Chlorsulfonsäureüberschüssen.

Auch die fakultativen Maßnahmen des Anspruchs 1 seien naheliegend gewesen. Denn die Gegenwart eines Lösungsmittels sei nichts Neues; ferner sei die katalytische Wirkung von z. B. DMF (Dimethylformamid) bei Chlorierung mittels Thionylchlorid gemäß zweiter Stufe bekannt, und der Fachmann hätte sich nicht davon abhalten lassen, das DMF schon zu Beginn der Umsetzung in erster Stufe zuzugeben.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 20. Dezember 1983 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 24. Februar 1984, im wesentlichen wie folgt, begründet:

Abgesehen von - nicht vergleichbaren - Ausgangsaromaten mit reaktiven Gruppen erhalte man nach dem Stand der Technik mit nur stöchiometrischen Mengen Chlorsulfonsäure komplexe Gemische mit unbefriedigenden Sulfonsäuregehalten und hohen Sulfonsäureanhydrid- und Sulfonanteilen. Es habe für den Fachmann kein Anreiz bestanden, solche komplexe Gemische zur Erzielung angemessener Sulfonsäurechloridausbeuten weiter mit Thionylchlorid zu behandeln; im Gegenteil habe das Vorurteil bestanden, daß auch bei Nachchlorierung mit Thionylchlorid für die erste Stufe ein Chlorsulfonsäureüberschuß erforderlich sei.

Bei dem in der ersten Stufe gegebenenfalls zugesetzten Sulfonierungshilfsmittel (z. B. DMF) handle es sich um kein vorab eingesetztes Chlorierungshilfsmittel, sondern um ein Mittel zur Unterdrückung von unerwünschter Sulfonbildung. Zum Beleg hierfür wurde mit Schreiben vom 6. November 1984 ein Versuchsbericht ("Anlage 3") vorgelegt.

Zu ihrer Entlastung hatte die Beschwerdeführerin schon in der Vorinstanz und hat sie weiterhin im Beschwerdeverfahren eine größere Zahl von Dokumenten herangezogen, von denen sie sich zuletzt noch auf die folgenden stützt:

(7) Chim. Chim. Technol. 14 (19), 1530 bis 1532, (1971) in Form der deutschen Übersetzung;

(9) Houben-Weyl, 4. Aufl., Band IX, Seite 552;

(12) BIOS 986, I, 56 (in der Vorinstanz falsch zitiert als Seite 385);

(14) Organikum, 8. Aufl., Seite 538 (1968);

(16) Ullmann, 4. Aufl., Band 8, Seite 420 (1974); sowie die in (1) als Referenz (171) angezogene Literaturstelle in Form ihrer englischen Übersetzung:

(17) J. of General Chemistry of the USSR, Vol. XXIII (1953), Seiten 103 - 110.

V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat diesem Vorbringen widersprochen. Sie verweist darauf, daß die patentgemäße Aufgabenstellung "verbesserter Ausbeuten" nicht oder doch nur bei Rückführung der Chlorsulfonsäure aus dem Waschturm gelöst werde, während sonst mit überschüssiger Chlorsulfonsäure bessere Ergebnisse erzielt würden. Sie bestreitet ferner die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach kein Anreiz dafür bestanden habe, das durch Behandeln von Ausgangsaromaten mit stöchiometrischen Chlorsulfonsäuremengen entstandene Gemisch mit Thionylchlorid nachzuchlorieren; in Wirklichkeit sei auf Grund der literaturbekannten Reaktionsmechanismen als Ergebnis eine Ausbeuteverbesserung an Sulfonsäurechloriden zu erwarten gewesen.

VI. In einem Bescheid vom 4. Juni 1985 hat die Kammer ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, daß das Verfahren des erteilten Anspruches 1 (entsprechend dem derzeitigen Hauptantrag) nahegelegen habe; daß dagegen ein entsprechend dem nunmehrigen Hilfsantrag beschränktes Schutzbegehren unter Umständen Bestand haben könnte.

VII. In der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 1985 haben die Beteiligten ihre Standpunkte bekräftigt.

Die Beschwerdeführerin betont, die Aufgabe des Streitpatents bestehe primär darin, angesichts der üblichen Abwässerbelastung durch hydrolysierte oder neutralisierte unverbrauchte Chlorsulfonsäure ein ökologisch günstigeres Verfahren bereitzustellen; erst in zweiter Linie gehe es um die Sicherung guter Sulfonsäurechloridausbeuten und, damit verbunden, Unterdrückung von nicht motwendigerweise lästiger Sulfonbildung. Kernpunkt der Erfindung seies demgemäß, im wesentlichen nur ein Mol Chlorsulfonsäure pro Mol Ausgangsaromat einzusetzen. Hiergegen habe ein Vorurteil bestanden, da dem Stand der Technik zu entnehmen sei, daß bei Einsatz von äquimolaren Chlorsulfonsäuremengen nur unbefriedigende Ausbeuten an Sulfonsäure und demgemäß auch - nach anschließender Behandlung mit Thionylchlorid - an Sulfonsäurechlorid zu erwarten waren. Selbst wenn man aber als Ergebnis der ersten Stufe eine weitgehend vollständige Bildung von aromatischer Sulfonsäure unterstelle, sei auf Grund von (9) bei der anschließenden Thionylchloridbehandlung in erster Linie die Entstehung von Sulfonsäureanhydrid zu erwarten gewesen.

Die Beschwerdeführerin beantragt Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfange; hilfsweise Aufrechterhaltung im Umfange der in der mündlichen Verhandlung überreichten neuen Unterlagen. Die neuen Patentansprüche gemäß Hilfsantrag unterscheiden sich von der erteilten Fassung sachlich dadurch, daß zufolge ihrem Anspruch 1 nunmehr zwingend (statt nur gegebenenfalls) in Gegenwart eines Sulfonierungshilfsmittels gearbeitet wird.

Die Beschwerdegegnerin beantragt dagegen Zurückweisung der Beschwerde. Hinsichtlich des Verfahrens nach Hauptantrag betont sie, dem Dokument (4) sei das beanspruchte Verfahren mit Ausnahme der Mengenverhältnisse bereits zu entnehmen, während im Hinblick auf (7), (171) und insbesondere auch (2), Seite 510, Zeilen 6 bis 13 von unten, von einem Vorurteil gegen den Einsatz bloß äquimolarer Chlorsulfonsäuremengen nicht gesprochen werden könne.

Zur Frage des Naheliegens der Sulfonierungshilfsmittel verweist sie noch auf die am 2. Dezember 1985 eingereichten weiteren Dokumente:

(20) "Beitrag zur Kenntnis der Sulfonierung aromatischer Verbindungen mit Schwefeltrioxid", Dissertation von R. Fleury (1966),

(21) US-A-2 704 295 und

(22) J. Org. Chem. 20 (1955), Seiten 455 bis 465; in Verbindung mit

(23) "Sulfonation and Related Reactions" von E. E. Gilbert (1965), Seiten 66 bis 70.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Gegen die Fassung der geltenden Ansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag bestehen keine formalen Bedenken, weil sie den Schutzbereich des europäischen Patents nicht erweitern. Die Ansprüche gemäß Hauptantrag sind mit der erteilten Fassung identisch. Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag unterscheiden sich hiervon sachlich bloß dadurch, daß im Anspruch 1 eine Fakultativmaßnahme durch Wegfall des Wortes "gegebenenfalls" (und eine rein redaktionelle Wortumstellung) zur zwingenden Maßnahme wurde. Der Wegfall des Anspruchs 2 und die Umnumerierungen in den übrigen Ansprüchen folgen hieraus zwingend.

3. Der Gegenstand des Patents betrifft ein Verfahren zur Herstellung von formelmäßig breit definierten aromatischen Sulfonsäurechloriden durch Behandlung entsprechender Ausgangsaromaten zuerst mit Chlorsulfonsäure und anschließend mit Thionylchlorid.

4. Zweistufige Sulfochlorierungsverfahren dieser Art sind aus (3), (4) und (5) bereits bekannt, wobei (4) dem Patentgegenstand insofern am nächsten kommt, als dieses Dokument- wenn auch im Rahmen eines Gesamtverfahrens zur Herstellung von Chlorthiophenolen - die Herstellung von formelmäßig unter das Streitpatent fallenden Sulfonsäurechloriden offenbart. Nach (4) werden diese Sulfonsäurechloride hergestellt, indem man den Ausgangsaromaten zunächst mit einem kräftigen Überschuß Chlorsulfonsäure (die Beispiele 2 und 5 verwenden ein Molverhältnis von 2 : 1 bzw. 6 : 1) und anschließend mit Thionylchlorid (nach Beispielen 2 und 5 im Molverhältnis von je 1,1 : 1) behandelt. Da nach den genannten Beispielen Gesamtausbeuten an Chlorthiophenol von 94 bzw. 90 % erhalten werden, ist die Ausbeute an Sulfonsäurechlorid wohl noch größer als (im unteren Grenzfall gleich groß wie) diese Prozentwerte. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß das dort umgesetzte p-Dichlorbenzol nach unwiderlegter Aussage der Beschwerdeführerin ein besonders gut geeigneter Ausgangsstoff ist und die Ausbeuten naturgemäß je nach Ausgangsstoff schwanken; doch kann jedenfalls von sehr guten Ausbeuten des Verfahrens nach (4) gesprochen werden. Dagegen bringt es dieses Verfahren - unstreitig - mit sich, daß die dabei anfallende unverbrauchte Chlorsulfonsäure, wie in der Streitpatentschrift, Seite 2, Zeilen 5 ff., ausgeführt, nur durch Hydrolyse und gegebenenfalls Neutralisation beseitigt werden kann und dabei zu einer unerwünschten Abwässerbelastung führt.

5. Demgegenüber liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein ökologisch günstigeres Verfahren unter Wahrung guter Ausbeuten und, damit verbunden, Vermeidung übermäßiger Sulfonbildung bereitzustellen.

6. Als Lösung wird gemäß Hauptantrag (unter Weglassung bloß fakultativer Maßnahmen) ein Verfahren vorgeschlagen, nach dem man den Ausgangsaromaten zuerst mit Chlorsulfonsäure in stöchiometrischer Menge bis zu einem Überschuß von 20 Molprozent und dann mit überschüssigem Thionylchlorid behandelt.

7. Daß die gestellte Aufgabe hierdurch auch tatsächlich gelöst wird, liegt hinsichtlich der ökologischen Zielsetzung auf der Hand, da bei Einsatz von nur im wesentlichen stöchiometrischen Chlorsulfonsäuremengen offensichtlich nach Abschluß der Reaktion keine oder nur geringe Mengen unverbrauchter, zu einer Abwasserbelastung führender Chlorsulfonsäure vorliegen können.

Auch die - unbestrittenen - Ausbeutezahlen an gebildetem Sulfonsäurechlorid gemäß Beispielen 12 bis 14 der Streitpatentschrift (den einzigen, in denen ohne die Fakultativmaßnahmen des Anspruchs 1 gearbeitet wird) erscheinen hinreichend hoch, um als "gut" im Sinne der Aufgabenstellung gelten zu können. (Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach verbesserte Ausbeuten nicht oder nur bei Rückführung der Chlorsulfonsäure des Waschturms erzielt werden, liegt neben der Sache, da eine Ausbeutenverbesserung nicht zur gestellten Aufgabe gehört.) Dagegen wird nach den Beispielen 12 bis 14 eine sehr erhebliche Menge Sulfon - 14,4 bis 17,4 % - gebildet. Obwohl (4) zu den Mengen des gebildeten Sulfons keine expliziten Angaben enthält, kann aus den Ausbeutezahlen des dort gewünschten Endproduktes zwingend auf viel niedrigere Sulfonmengen geschlossen werden. Die Nebenaufgabe der Vermeidung übermäßiger Sulfonbildung ist demnach durch den Patentgegenstand nach Hauptantrag nicht gelöst und kann daher bei dessen Beurteilung nicht in Betracht gezogen werden (vgl. hierzu T 20/84 "Shell-Aryloxybenzaldehyd", Abl. EPA 6/1982, Seiten 217 -225, insbesondere den Leitsatz).

8. Die Neuheit des Patentgegenstandes ergibt sich daraus, daß die in Abschnitt 6 vorliegender Entscheidung unterstrichenen Mengenverhältnisse für ein zweistufiges Verfahren entsprechend (4) nicht vorbeschrieben sind. Sie ist im übrigen nicht bestritten, so daß sich nähere Ausführungen hierzu erübrigen.

9. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von (4) auszugehen. Es ist zu untersuchen, ob die Wahl der zuvor erwähnten Mengenverhältnisse für den Fachmann angesichts der Aufgabe ein gegenüber (4) ökologisch günstigeres Verfahren zur Herstellung von Sulfonsäurechloriden in guten Ausbeuten vorzuschlagen, nahelag oder nicht.

9.1. Da sich die ökologischen Nachteile des Verfahrens nach (4), wie am Schluß von Abschnitt 4 ausgeführt, als Folge der nach Abschluß des Verfahrens vorliegenden Mengen an unverbrauchter Chlorsulfonsäure ergeben, die ihrerseits durch deren Einsatz im Überschuß bedingt sind, lag für den Fachmann, der sich die obige Aufgabe gestellt hatte, jedenfalls der Gedanke nahe zu untersuchen, ob denn ein solcher Überschuß tatsächlich notwendig sei. Es lag somit nahe, die Literatur daraufhin durchzusehen, ob aromatische Sulfonsäuren, von denen man durch weitere Behandlung mit Thionylchlorid zu den gewünschten Sulfonsäurechloriden gelangen konnte, oder für eine solche weitere Behandlung geeignete Reaktionsgemische auch bereits in annehmbaren Ausbeuten unter Einsatz nur im wesentlichen äquimolarer Megen Chlorsulfonsäure erhältlich seien.

9.2. Bei der Durchsicht der einschlägigen Literatur mußte der Fachmann insbesondere auf die folgenden Aussagen stoßen:

(i) Nach (1), Seite 75, Zeilen 4 bis 8 des Abschnittes 2.3.7., sowie Seite 76, Absatz 2, bleibt bei der Umsetzung mit äquimolaren Mengen Chlorsulfonsäure die Reaktion bei der Sulfonsäure stehen, wobei als Beleg u.a. auf die Originalarbeit (171) verwiesen wird.

(ii) Auch zufolge (2), Seite 510, vorletzter Absatz, erhält man mit molaren Mengen Chlorsulfonsäure vorwiegend die entsprechende Sulfonsäure.

(iii) Sowohl nach (7) - vgl. insbesondere Versuch 4 von Tabelle 1 auf Seite 2 der deutschen Übersetzung - als auch nach (171) - siehe Tabelle 2 auf Seite 106 der englischen Fassung - waren hierbei recht gute Sulfonsäureausbeuten zu erwarten, jedenfalls wenn man nicht (wie bei den Versuchen 1 und 5 der genannten Tabelle 2) bei extrem tiefen Temperaturen (- 40°) arbeitete.

9.3. Danach bestand für den Fachmann keineswegs, wie die Beschwerdeführerin meint, ein Vorurteil oder auch nur ein Hemmnis, äquimolare Mengen Chlorsulfonsäure in die erste Stufe des zweistufigen Verfahrens nach (4) "einzusetzen".

9.4. Die Verwendung von überschüssigem Thionylchlorid in der zweiten Verfahrensstufe durch (4) ist jedenfalls in geringerem Ausmaß (Molverhältnis 1,1 : 1 in den Beispielen 2 und 5) bereits verwirklicht. Zwar wird nach dem Streitpatent vorzugsweise ein größerer Überschuß ("1,2 bis 3 ..., insbesondere ... 1,5 bis 2 Mol; siehe Seite 4, Zeilen 29 bis 30) Thionylchlorid verwendet; doch ist das beanspruchte Verfahren einerseits nicht hierauf beschränkt, und sind andererseits größere Mengen Thionylchlorid für ähnliche Verfahren bereits offenbart, siehe z. B. die letzten vier Zeilen der Tabelle auf Seite 2 von (3), so daß hierin besonders dann keine außergewöhnliche Maßnahme zu erblicken ist, wenn - wie beim Verfahren des Streitpatents - infolge Einsatzes geringerer Mengen von Clorsulfonsäure offensichtilch ein erhöhtes Bedürfnis einer "Nachchlorierung" mit Thionylchlorid besteht.

9.5. Zu dem Hinweis der Beschwerdeführerin auf (9) ist zu bemerken, daß dort ja die Herstellung von Sulfonsäureanhydrid im Vordergrund steht. Zu dem heißt es auch dort (Seite 552, Zeilen 4 bis 5 des Abschnitts a), daß "je nach den Arbeitsbedingungen" gleichzeitig Sulfonsäurechloride gebildet werden, und aus den beiden unmittelbar hierauf folgenden Reaktionsgleichungen (Molverhältnis Sulfonsäure : SOCl2 von 2 : 1 für die Herstellung von Sulfonsäureanhydrid, von 1 : 1 für die Herstellung von Sulfonsäurechlorid) wird für den Fachmann, der dieser isolierten Literaturstelle besondere Beachtung schenken wollte, sofort klar, daß überschüssiges Thionylchlorid die konkurrierenden Reaktionen zu Gunsten der Bildung von Sulfonsäurechlorid beeinflussen muß.

9.6. Nach allem beruhte das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Damit fällt der Hauptantrag als Ganzes. Auf die Unteransprüche braucht hier im Hinblick auf den Hilfsantrag nicht eingegangen zu werden.

10. Anders verhält es sich mit dem Verfahren gemäß Hilfsantrag, wonach die erste Verfahrensstufe (und damit in der Regel mangels Isolation eines Zwischenprodukts ebenso die zweite Verfahrensstufe) in Gegenwart eines - in der Beschreibung Seite 3, Zeilen 35 bis 55, definierten - Sulfonierungshilfsmittels, z. B. DMF oder Essigsäure durchgeführt wird.

10.1. Wie aus einem Vergleich der Sulfonbildung nach den Beispielen 1 bis 11 einerseits und 12 bis 14 andererseits hervorgeht, wird diese durch die Gegenwart des Sulfonierungshilfsmittels in erheblichem Ausmaß unterdrückt. Wie ferner aus dem am 8. November 1984 eingereichten Versuchsbericht "Anlage 3" hervorgeht, erklärt sich dieser günstige Einfluß z. B. des DMF entgegen der vorher geäußerten Vermutung der Beschwerdegegnerin nicht etwa durch dessen unstreitig bekannte katalytische Wirkung bei der Überführung von Sulfonsäuren in Sulfonsäurechlorid mittels Thionylchlorid (siehe z. B. (6), Seite 515, erster Absatz des laufenden Textes); vielmehr ist durch diesen Versuchsbericht belegt, daß DMF die Sulfonbildung in der ersten Verfahrensstufe entscheidend unterdrückt, und das Gleiche erscheint mangels Gegenbeweises für die übrigen "Sulfonierungshilfsmittel" glaubhaft. Durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages ist somit die gestellte Aufgabe voll, d. h. einschließlich der Nebenaufgabe "Unterdrückung der Sulfonbildung" gelöst.

10.2. Die Neuheit dieses Verfahrens folgt zwingend aus derjenigen des Verfahrens nach Anspruch 1 des Hauptantrages.

10.3. Demnach ist, wiederum ausgehend von (4), das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit zu untersuchen.

10.3.1. Weder (4) selbst, noch einem der übrigen in den Abschnitten II und IV von "Sachverhalt und Anträgen" genannten Dokumente ist auch nur der geringste Hinweis darauf zu entnehmen, daß die Sulfonierung aromatischer Verbindungen mit Chlorsulfonsäure vorteilhafterweise in Gegenwart eines der patentgemäßen Sulfonierungshilfsmittel vorzunehmen sei. Erst recht nicht ist dieser Literatur eine Anregung zu entnehmen, im Sinne der obigen Nebenaufgabe solche Sulfonierungshilfsmittel zur Unterdrückung übermäßiger Sulfonbildung einzusetzen. Die Feststellung der Vorinstanz, die katalytische Wirkung von DMF bei Chlorierung mit Thionylchlorid (zweite Stufe ) sei bekannt, trifft zwar zu; die weitere Feststellung hingegen, der Fachmann hätte sich nicht davon abhalten lassen, das DMF schon zu Beginn der Umsetzung (erste Stufe) zuzusetzen, geht ins Leere: Nicht darauf kommt es an, ob der Fachmann sich hätte abhalten lassen, etwa im Sinn eines bestehenden Vorurteils; sondern darauf, daß er keinen Anlaß hatte, gezielt das DMF (oder ein anderes Sulfonierungshilfsmittel) schon bei der ersten Stufe einzusetzen.

10.3.2. Mit Eingabe vom 28. November 1985, eingegangen am 2. Dezember 1985, hat die Beschwerdegegnerin auch die weiteren Dokumente (20) bis (23) vorgelegt, die das Naheliegen des Sulfonierungshilfsmittels belegen sollen.

Hinsichtlich dieses Materials, das dem Berichterstatter erst am Morgen des 9. Dezember 1985, einen Tag vor der mündlichen Verhandlung, vorlag, ist zunächst zu untersuchen, ob es zu berücksichtigen ist oder als verspätet vorgebracht nach Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt gelassen werden kann.

10.3.3. In einer früheren Entscheidung (T 01/80, Reaktionsdurchschreibepapier", Abl. EPA 7/1981, 206 ff., insbesondere Leitsatz II sowie Seiten 209/210) wurde bereits festgestellt, daß jedenfalls neue Beweismittel, die gleichzeitig mit der Beschwerdebegründung vorgelegt werden, nicht als verspätet gelten. Hinsichtlich später vorgebrachten Materials wurde die Frage damals offen gelassen.

10.3.4. In einer weiteren Entscheidung (T 129/82 vom 14. Februar 1984 unveröffentlicht) hat die Kammer Vergleichsversuche, die etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden waren, als rechtzeitig eingegangen angesehen, da diese noch ohne eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens berücksichtigt werden konnten.

10.3.5. Auf Grund der Fakultativmerkmale im erteilten Anspruch 1 sowie des erteilten Anspruchs 2 war an sich für die Beschwerdegegnerin von Anfang an erkennbar, daß es auf das Merkmal des Sulfonierungshilfsmittels entscheidend ankommen könnte, auch wenn ein entsprechend eingeschränkter Hilfsantrag nicht vorlag. Spätestens mit Erhalt des Bescheides vom 4. Juni 1985 (vgl. hierzu Abschnitt VI und den dritten Absatz von Abschnitt VII) mußte die Beschwerdegegnerin jedoch diese Möglichkeit erkennen. Von da an bis zur mündlichen Verhandlung standen ihr sechs Monate zur Verfügung; dennoch hat sie diesen langen Zeitraum nicht genutzt, sondern, wie in Abschnitt 10.3.2. angeführt, die Dokumente (20) bis (23), erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Unter den genannten Umständen sieht die Kammer diese neuen Beweismittel als verspätet vorgebracht an; sie brauchen daher nicht berücksichtigt zu werden.

10.3.6 Im übrigen ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, wie diese Dokumente zur Zurückweisung der Beschwerde hätten beitragen können: (20) bis (22) betreffen Verfahren zur Sulfonierung mit Schwefeltrioxid, wobei eine Sulfonunterdrückung mittels z. B. Essigsäure - einem der patentgemäßen Sulfonierungshilfsmittel - erwähnt wird. Beim Patentgegenstand handelt es sich aber um eine Sulfonierung mit Chlorsulfonsäure (sowie anschließend mit Thionylchlorid); für sich allein genommen sind diese drei Dokumente daher nicht relevant. Auch (23) befaßt sich mit der Schwefeldioxidsulfonierung und erwähnt in diesem Zusammenhang die Wirkung von Essigsäure als Sulfonunterdrücker. Zur Erklärung wird eine (unbewiesene) Hypothese (intermediäre Bildung von Pyrosulfonsäure) aufgestellt und auch zur Erklärung der Sulfonbildung bei der Sulfonierung mittels Chlorsulfonsäure herangezogen. Dies reicht jedoch nach Auffassung der Kammer nicht aus, die Relevanz dieser Dokumente darzutun.

10.3.7. Auf Grund der obigen Ausführungen lag es nicht nahe, die Sulfonierung aromatischer Verbindungen mit äquimolaren Mengen Chlorsulfonsäure in Gegenwart eines der definierten Sulfonierungshilfsmittel durchzuführen. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit. Gleiches gilt für die Unteransprüche 2 bis 5 (gemäß Hilfsantrag), die von der Patentfähigkeit des Hauptanspruches getragen werden.

10.4. Gegen die Beibehaltung von Beispiel 26 erteilter Fassung, in dem kein externes Sulfonierungshilfsmittel erwähnt wird, bestehen trotz der vorgenommenen Anspruchsbeschränkung keine Bedenken; denn beim Ausgangsstoff dieses Beispiels handelt es sich um Diphenyläther, also einen Stoff, der selbst unter die Definition der Sulfonierungshilfsmittel fällt (vgl. Seite 3, Zeile 48).

11. Es bleibt noch zu untersuchen, ob eine entsprechende Entscheidung unmittelbar ergehen konnte oder ob Regel 58 (4) EPÜ anzuwenden wäre.

11.1. Die Kammer hat bereits entschieden (Entscheidung vom 26. November 1985, T 219/83, zur Veröffentlichung vorgesehen), daß eine Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ im Einspruchsbeschwerdeverfahren nur dann erforderlich ist, wenn den Parteien eine sachliche Stellungnahme zur Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang in der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist (siehe Leitsatz 2 der angezogenen Entscheidung).

11.2. Ein anderer Fall liegt hier vor: Wie bereits in Abschnitt 10.3.5. ausgeführt, mußte die Beschwerdegegnerin spätestens mit Erhalt des Bescheides vom 4. Juni 1985 erkennen, daß eine Aufrechterhaltung des Patents im Umfange des nunmehrigen Hilfsantrages ernsthaft in Betracht kam. Sie hatte im Anschluß daran Gelegenheit, hiergegen bestehende Bedenken geltend zu machen. Sie hat von dieser Gelegenheit in ihrer Eingabe vom 9. Juli 1985 auch Gebrauch gemacht. Somit ist nicht ersichtlich, warum ihr eine eventuelle weitere Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten gewesen sein sollte. Da die Sache nach der mündlichen Verhandlung in jeder anderen Hinsicht entscheidungsreif ist, konnte die Entscheidung unmittelbar ergehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

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