T 0202/83 () of 6.3.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:T020283.19840306
Datum der Entscheidung: 06 März 1984
Aktenzeichen: T 0202/83
Anmeldenummer: 80200887.0
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Haut- und Schleimhautpräparat, Verfahren zu seiner Herst und Mittel zur Durchführung des Verfahrens
Name des Anmelders: Soloco Basel AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 82
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 R 30(c)
Schlagwörter: Einheitlichkeit
Lösung auch anderer als der erfindungsgem. Aufgabe
unity
solution of a problem different from the problem
according to the invention
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0559/07
T 0390/08

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 22. September 1980 angemeldete und am 8. April 1981 veröffentlichte Patentanmeldung 80 200 887.0 mit der Veröffentlichungsnummer 0 026 532, für welche die Priorität der Voranmeldung in der Schweiz vom 27. September 1979 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung 2.1.07. 001 des Europäischen Patentamts vom 12. Juli 1983 zurückgewiesen. In der Entscheidung wird ausgeführt, daß Anspruch 14 keine ausführbare technische Lehre im Sinne von Artikel 83 EPÜ enthalte und Anspruch 15 mangels Einheitlichkeit nicht neben den Gegenständen der Ansprüche 1-13 beansprucht werden könne. Diese Ansprüche haben folgenden Wortlaut:

"14) Verfahren zur Herstellung des Präparates nach Anspruch 1 unmittelbar vor dessen Anwendung durch Kontaktieren eines in wässriger Salpetersäure löslichen Metallnitrits und einer wässrigen Salpetersäurelösung der Konzentration 6 bis 10 Millimol/ml und vom pH-Wert unterhalb von 1, dadurch gekennzeichnet, daß man ein als Applikator bestimmtes poröses, spitzes Stäbchen mit einem solchen Metallnitrit vorbehandelt oder imprägniert.

15) Mittel zur Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 14, bestehend aus einem porösen, spitzen Applikatorstäbchen, welches mit einem in wässriger Salpetersäurelösung löslichen Metallnitrit in einer Menge von 0,01 bis 5 mg imprägniert ist."

Hinsichtlich Anspruch 14 wird nicht bestritten, daß unter bestimmten, dort aber nicht genannten Bedingungen ein Präparat gemäß Anspruch 1 zu erhalten sei.

Diese Verfahrensmaßnahmen seien jedoch nicht ohne weiteres zu ermitteln, zumal das erhaltene "Präparat" zur direkten Applikation bestimmt ist. Andererseits sei ebenso unbestreitbar, daß dann, wenn man den Säuretropfen so lange an dem nitritgetränkten Applikator beläßt, daß das gesamte am Stäbchen befindliche Nitrit in Lösung gehen kann, sich an einem Applikator, der gemäß Anspruch 15 mit 5 mg Nitrit imprägniert ist, nur dann ein Präparat nach Anspruch 1 erhalten lasse, wenn die Menge an Säure am Applikator mindestens 1 ml beträgt. Dieser Wert sei für den als Applikator konkret genannten Zahnstocher unrealistisch groß.

Anspruch 15, der nach seinem Oberbegriff ein Mittel zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 14 sei, zerstöre die Einheitlichkeit des Anmeldungsgegenstandes, weil - wie ausgeführt - das beanspruchte imprägnierte Stäbchen nicht nur zur Herstellung eines Präparats nach Anspruch 1 geeignet sei.

II. Gegen diese Entscheidung vom 12. Juli 1983 richtet sich die am 1. September 1983 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr erhobene Beschwerde, die am 5. November 1983 im wesentlichen wie folgt begründet wurde:

Die anmeldngsgemäße Lehre wende sich an den Fachmann, von dem man einen Sinn für Realität erwarten könne. Es werde dem behandelnden Arzt nicht in den Sinn gekommen, den Zahnstocher z.B. während einer Stunde in die Säurelösung oder etwa in 1 Liter der Säurelösung einzutauchen, so daß das gesamte am Stäbchen befindliche Nitrit in Lösung gehe. Es sei primär eine Frage des Maßes bzw. der Proportionen: Wo als Hilfsmittel ein Zahnstocher geboten werde, werde man vernünftigerweise mit Sekunden und Zehntelmillilitern operieren.

Darüber hinaus gebe die Beschreibung genügend Hinweise, um dem Fachmann - wenn nötig - zur richtigen Durchführung der Erfindung zu verhelfen.

Es komme nicht darauf an, einen zahlenmäßig bestimmten Wert innerhalb des Bereichs von 0,01 bis 5 mg Nitrit per ml zu erreichen; solange der Nitritgehalt in diesem weiten Bereich liege, sei die Wirksamkeit des Präparats gewährleistet.

Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung aufzuheben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 - 108 sowie Regel 64 EPÜ. Sie ist daher zulässig.

2. Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Die Frage, ob eine Erfindung offenbart ist, darf nicht allein aufgrund der Patentansprüche beurteilt werden (vgl. T 14/83 "Vinylchloridharze", zur Veröffentlichung vorgesehen), es kommt vielmehr darauf an, daß der Fachmann das Wesen der Erfindung aus den Gesamtunterlagen der Patentanmeldung erkennen und die Erfindung ausführen kann.

3. Die Prüfungsabteilung versucht an Hand eines einfachen Rechenexperiments die Nichtausführbarkeit der Lehre nach den Ansprüchen 14 und 15 nachzuweisen. Nach ihrer Berechnung erfordert ein mit der Höchstmenge von 5 mg Nitrit imprägniertes Applikatorstäbchen zur Erzielung eines Präparats nach Anspruch 1, d.h. 5 mg Nitrit je ml, einen unrealistisch großen Salpetersäuretropfen von 1 ml.

Die Unmöglichkeit, einen so großen Tropfen an einem spitzen Applikatorstäbchen nach Anspruch 14 und 15 zu erzeugen, ist natürlich auch dem sachkundigen Leser der vorliegenden Patentanmeldung bewußt, so daß jeder Gedanke in dieser Richtung von vorneherein ausscheidet. Die Vorinstanz hat offenbar ihren Blick einseitig auf die Patentansprüche gerichtet und übersehen, daß die auf die o.g. Ansprüche bezogene Ausführungsforn des Verfahrens auf S. 25 ab Zeile 17 bis S. 26a Zeile 14 beschrieben ist. Danach soll das nitritimprägnierte Stäbchen mit der Salpetersäurelösung gerührt (S. 26 Z. 3/4) oder z.B. während 15 Sek. in diese eingetaucht werden (S. 26 Z. 27-29). Es ist klar, daß hierbei das definitionsgemäß in wässriger Salpetersäure lösliche Metallnitrit z.T. in Lösung geht. Der o.g. konkrete Zahlenwert über die Eintauchzeit in Verbindung mit den weiteren Angaben über die Imprägnierung des Stäbchens (Konzentration der Nitrit Lösung), Eintauchtiefe und -zeit) kann als grober Anhaltspunkt für weitere Versuche in dieser Richtung dienen. Dabei wird der Fachmann auch die Porosität des Stäbchens berücksichtigen und für stärker poröse Applikationsstäbchen eine längere Eintauchzeit vorsehen. Solche Versuche liegen im Routinebereich und erfordern keine erfinderischen Überlegungen.

Dabei wird man beim Arbeiten nahe den Eckwerten nach Anspruch 15 gelegentlich in Kauf nehmen müssen, daß zur Gewährleistung der einzuhaltenden Mindest- und Höchstkonzentration an Nitrit im Tropfen am Appliktionsstäbchen ein Test auszuführen ist. Ein in-vitro-Test dieser Art ist für den unteren Grenzbereich in der Beschreibung angegeben (Gelbfärbung von Rattenhaar, vgl. S. 4 und 6). Die Tabelle 4 in S. 9 gibt sogar das Einsetzen dieser Verfärbung in Minuten in Abhängigkeit von der Nitritkonzentration an; dieser Test bestätigt die strenge Parallelität zwischen Farbtest und therapeutischer Wirksamkeit, auf die sich die Anmelderin beruft (vgl. S. 4 Z. 15-18), und kann daher als direktes Maß für die Nitritkonzentration dienen.

Allerdings erscheint dieser Farbtest für die Nitritbestimmung im Bereich über 3 mg/ml nicht geeignet, weil dabei keine weitere Verkürzung der Verfärbungsdauer beobachtet wird (vgl. Tab. 4). Ein ähnlicher Schnelltest, der das Überschreiten der zulässigen Höchstkonzentration an Nitrit anzeigt, ist der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung nicht zu entnehmen. Dies ist auch nicht erforderlich, weil der Fachmann, an den sich die Lehre von der Einhaltung des Nitritbereichs richtet, auch über das Wissen zur analytischen Nitritbestimmung verfügt. Dies gilt auch dann, wenn man - im Hinblick auf die Herstellung des Präparats unmittelbar vor dessen Verwendung den behandelnden Arzt als eigentlichen Adressaten der Lehre nach Anspruch 14 ansieht; denn dessen ärztliche Sorgfaltspflicht gebietet es, sich eines mit der Nitritbestimmung vertrauten Gehilfen zu bedienen, wenn er von der Rezeptur des Pharmaherstellers abweicht. Hierauf wird er nur dann verzichten, wenn er die Konzentration der Nitritmenge im Tropfen dadurch einstellt, daß er die Salpetersäuremenge errechnet, die zur Auflösung der gesamten Nitritmenge am Stäbchen erforderlich ist (z.B. 1 ml Salpetersäure für ein Stäbchen, das mit 5 mg Nitrit imprägniert ist) und dann den Tropfen aus der so erhaltenen Lösung bezieht.

Daraus ergibt sich, daß auch Anspruch 14 eine im Sinne von Art. 83 EPÜ ausführbare Lehre enthält.

4. Nach Auffassung der Vorinstanz zerstört Anspruch 15 die Einheitlichkeit des Anmeldungsgegenstandes, weil - entgegen dem Erfordernis nach Regel 30 c) EPÜ - die dort beanspruchten Stäbchen nicht nur zur Herstellung eines Präparats nach Anspruch 1 geeignet seien.

Nach dieser Bestimmung ist Artikel 82 EPÜ so auszulegen, daß in einer europäischen Anmeldung insbesondere ein Anspruch auf ein Erzeugnis, ein Anspruch auf ein besonders angepaßtes Verfahren zu dessen Herstellung und ein Anspruch auf ein Mittel, der zur Ausführung des Verfahrens besonders entwickelt wurde, enthalten sein kann. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regel kann daher bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen eine Anmeldung unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit nicht beanstandet werden. Allerdings ist zu betonen, daß die Anforderungen der Regel 30 c) EPÜ nicht bei jedem Gegenstand zur Ausführung eines Verfahrens erfüllt sind. Vielmehr setzt die Bestimmung voraus, daß das Mittel zur Ausführung des Verfahrens besonders entwickelt wurde, d.h. durch seine körperlichen Merkmale die Eignung für das erfindungsgemäße Verfahren aufweist. Dies hat zur Folge, daß sich ein solches Mittel im Zusammenhang mit dem hierzu vorgesehenen Verfahren dann nicht als einheitlich qualifiziert, wenn es offensichtlich auch zur Lösung anderer technischer Aufgaben dienen kann. Daß ein solcher Fall hier vorliegt, ist weder behauptet worden, noch für die Kammer erkennbar. Der Umstand, daß - wie der Entscheidung zu entnehmen - mit den Stäbchen nach Anspruch 15, nitrithaltige Gemische hergestellt werden können, die über den Bereich des Anspruchs 1 weit hinausgehen, jedenfals wenn man sie losgelöst von der Verfahrensweise des Anspruchs 14 betrachtet, zerstört das anmeldungsgemäße Gesamtkonzept nicht, weil solchen Gemischen erkennbar keine weiteren technisch sinnvollen Aufgaben zugrundeliegen. Vielmehr sind die beanspruchten Stäbchen zur Ausführung des Verfahrens nach Anspuch 14 als besonders entwickelt anzusehen, weil sie die Nitritkomponente des Präparats nach Anspruch 1 in zweckmäßiger Form enthalten. Demnach ist der Anmeldungsgegenstand derzeit als einheitlich zu beurteilen.

5. Bei der nachstehend getroffenen Anforderung erübrigte es sich, die Beschwerdeführerin aufzufordern, das Kennzeichen des Anspruchs 14 zu ändern in "... daß man ein als Applikator bestimmtes poröses spitzes Stäbchen verwendet, das mit 0,01 bis 5 mg des Metallnitrits vorbehandelt oder imprägniert wurde."

6. Nach alledem tragen die Zurückweisungsgründe die angefochtene Entscheidung nicht. Indes ist die Erteilung des nachgesuchten Patents derzeit nicht möglich, weil bisher weder eine vollständige Recherche durchgeführt (vgl. den Recherchenbericht), noch eine Bewertung der Mittel nach Anspruch 15 auf die Patentierungsvoraussetzungen hin erstinstanzlich vorgenommen wurde.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Es wird wie folgt entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung 2.1.07.001 des Europäischen Patentamts vom 12. Juli 1983 wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zur weiteren Sachprüfung zurückverwiesen.

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