T 0790/24 (Täuschungsmaß für einen Phishing-Angriff/IT-SEAL) of 19.9.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T079024.20250919
Datum der Entscheidung: 19 September 2025
Aktenzeichen: T 0790/24
Anmeldenummer: 19179699.4
IPC-Klasse: H04L 29/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Bestimmung eines Täuschungsmaßes für einen einzelnen Phishing-Angriff gegen eine Person
Name des Anmelders: IT-Seal GmbH
Name des Einsprechenden: Dr. Schön, Neymeyr & Partner Patentanwälte mbB
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag und Hilfsantrag 6 (nein): naheliegende technische Implementierung einer Phishing-Schulungsstrategie
Unzulässige Erweiterung - Hilfsanträge 1 bis 5 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0258/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchs-abteilung, das Streitpatent wegen mangelnder Ausführbarkeit zu widerrufen (Artikel 100 b) EPÜ).

II. Die Kammer hat die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung in einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK dargelegt.

III. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 19. September 2025 statt. Die Schlussanträge der Parteien waren wie folgt:

- Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) bean-tragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen (Hauptantrag); hilfsweise, das Patent in geänderter Fassung gemäß den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 6 aufrechtzuerhalten.

- Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) und des Hilfsantrags 6 lautet (Merkmalsgliederung und Hervorhebung bei diesem und bei den folgenden Anträgen durch die Kammer):

a) "Verfahren zur Bestimmung eines Täuschungsmaßes (1, 13, 14, 15) für einen einzelnen Phishing-Angriff (2, 11) gegen eine Person (3),

b) wobei das Täuschungsmaß (1, 13, 14, 15) ein Maß für die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass der

Phishing-Angriff (2, 11) erfolgreich ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

c) ein für die Vorbereitung des Phishing-Angriffs (2, 11) gegen die Person (3) erforderlicher Zeitaufwand (4) messtechnisch erfasst wird und

d) wobei unter Verwendung des messtechnisch erfassten Zeitaufwands (4) das Täuschungsmaß (1, 13, 14, 15) mit einer vorgegebenen Täuschungsmaßberechnungs-vorschrift (7) ermittelt wird."

V. Die Merkmale a) und d) aus Anspruch 1 des Hauptantrags sind in Hilfsantrag 1 wie folgt modifiziert worden:

a1) "Verfahren zur messtechnischen Bestimmung eines

Täuschungsmaßes für einen einzelnen

Phishing-Angriff gegen eine Person;"

d1) "wobei ausschließlich unter Verwendung des mess-

technisch erfassten Zeitaufwands das Täuschungsmaß

mit einer vorgegebenen Täuschungsmaßberechnungs-

vorschrift ermittelt wird."

VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält das folgende zusätzliche Merkmal:

e2) "wobei der messtechnisch erfasste Zeitaufwand (4)

nach einer vorgegebenen Klasseneinteilungsvor-

schrift einer Klasse zugeordnet wird, wobei jeder

Klasse ein Wert für das Täuschungsmaß (1, 13, 14,

15) zugewiesen ist."

VII. Das Merkmal d1) in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist in Hilfsantrag 3 wie folgt modifiziert worden:

d3) "wobei ausschließlich unter Verwendung des

messtechnisch erfassten Zeitaufwands (4) das

Täuschungsmaß (1, 13, 14, 15) mit einer

von dem einzelnen Phishing-Angriff unabhängig

vorgegebenen Täuschungsmaßberechnungsvorschrift (7)

ermittelt wird."

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beinhaltet alle Änderungen von Anspruch 1 aus den Hilfsanträgen 1 bis 3.

IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 beinhaltet die Merkmale a1), d1), e2) und weitere, mittels der Konjunktion "oder" mit Merkmal e2) verknüpfte Merkmale aus der Patentbeschreibung.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag und Hilfsantrag 6 - Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit

1.1 Die Einspruchsabteilung hat nur über den Einspruchs-grund nach Artikel 100 b) EPÜ entschieden. Da jedoch die Kammer die Feststellungen und Schlussfolgerungen zur Frage der Ausführbarkeit der Einspruchsabteilung nicht teilt, ist es zweckmäßig, auch über den von der Einsprechenden vorgebrachten Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m 56 EPÜ zu entscheiden, zumal beide Parteien im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ausführlich dazu vorgetragen haben und auch die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Meinung hierzu im Bescheid vom 26. Juli 2023 erläutert hat.

1.2 Technizität

Die Kammer ist der Ansicht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 6 technischen Charakter aufweist, weil das beanspruchte Verfahren die messtechnische Erfassung eines Zeitaufwands beinhaltet (siehe Merkmal c)) und damit inhärent technische Mittel (d. h. ein Zeitmessgerät) aufweist (vgl. T 258/03, Leitsatz I).

1.3 Allerdings sind alle übrigen Merkmale von Anspruch 1 nicht-technischer Natur.

1.4 Die Patentinhaberin argumentierte hierzu wie folgt:

"Ein Verfahren zum Bestimmen eines Täuschungsmaßes ist also unmittelbar darauf gerichtet, eine Größe und zwar hier die Erfolgsaussicht eines einzelnen Phishing-Angriffs zu messen, das heißt unter Verwendung einer geeigneten Maßeinheit zu quantifizieren. Im Regelfall wird zur Bestimmung eines Maßes ein geeignetes Messgerät verwendet, wie beispielsweise zur Bestimmung eines Maßes für die Geschwindigkeit mindestens ein Zeitmesser."

Weiterhin führte die Patentinhaberin aus, dass gemessene Werte an sich patentierbar seien, unabhängig von ihrer Verwendung.

1.5 Dieses Argument überzeugt nicht.

- Erstens handelt es sich beim "Täuschungsmaß" um keine gemessene Größe. Auch wenn die "Täuschungs-maßberechnungsvorschrift" im Beispiel auf Seite 5, Zeilen 17 bis 19 eine 1:1 Umrechnung von der gemessenen Zeit zum Täuschungsmaß sein sollte, ist das Merkmal d) nicht auf eine solche Umrechnung eingeschränkt.

- Zweitens ist das beanspruchte und aus der gemessenen Zeit abgeleitete "Täuschungsmaß", anders als die Geschwindigkeit, keine technische Größe, sondern ein im Geschäftsgebiet der Schulungen zu Phishingangriffen möglicherweise relevantes Maß. Diesbezüglich stimmt die Kammer mit dem Einsprechenden überein, dass abgeleitete Größen nicht notwendigerweise technischen Charakter aufweisen. Vielmehr kommt es auf die Ausgestaltung und Verwendung der konkreten abgeleiteten Größe an.

- Drittens wird das bestimmte "Täuschungsmaß" nicht weiter verwendet. Folglich können die Merkmale a) und b) nicht zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen.

Bezüglich der Berücksichtigung des entsprechenden "Zeitaufwands" (siehe Merkmal c)) merkt die Kammer an, dass die Erfassung des Zeitaufwands für die Vorbereitung des Phishing-Angriffs in einem

nicht-technischen, geschäftlichen Kontext (wie z. B. die Schulung und Erhöhung der Aufmerksamkeit von Mitarbeitern eines Unternehmens gegenüber möglichen Phishing-Attacken; vgl. [0008] der Patentschrift) steht und daher nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen kann.

Die in Merkmal d) ganz allgemein angegebene "Täuschungsmaßberechnungsvorschrift" führt ebenso wenig zu einer technischen Wirkung. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine nicht weiter spezifizierte mathematische Berechnungsvorschrift, die als Ergebnis eine nicht-technische Größe ergibt.

1.6 Die messtechnische Erfassung des Zeitaufwands gemäß Merkmal c) ist daher das einzige Merkmal von Anspruch 1, das zu einer technischen Wirkung, d. h. zur quantitativen Erfassung des Zeitaufwands, führt. Die Durchführung einer Zeitmessung in einem technischen System war jedoch zum relevanten Zeitpunkt allgemein bekannt und wäre auch von der einschlägigen Fachperson zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe, den zu berücksichtigenden Zeitaufwand zu quantifizieren, zweifellos herangezogen worden.

1.7 Alle übrigen Merkmale von Anspruch 1 tragen jedoch nicht zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands bei. Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1.8 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. 56 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Streitpatents wie erteilt (Hauptantrag) entgegen.

1.9 Zudem ist aus denselben Gründen auch Hilfsantrag 6, dessen Anspruch 1 identisch mit demjenigen des Hauptantrags ist, nach Artikel 56 EPÜ nicht gewährbar.

2. Hilfsanträge 1 bis 5 - Anspruch 1 - Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Die Patentinhaberin brachte vor, dass die Änderung in Merkmal d1) (welches in Anspruch 1 aller dieser Hilfsanträge enthalten ist) eine Stütze in der in Anspruch 3 definierten Berechnungsvorschrift sowie in den Beispielen auf Seite 5, Zeilen 17ff der ursprünglichen Beschreibung findet. Insbesondere sei die Einschränkung "ausschließlich" auf Seite 4, Zeilen 8 bis 11 und Seite 5, Zeilen 3 bis 5 der ursprünglichen Beschreibung implizit offenbart, da keine anderen Werte oder Beispiele angegeben seien. Zudem sei der "Erfahrungswert" kein Teil des "Täuschungsmaßes" (Seite 5, Zeilen 7 bis 15).

2.2 Die Ansicht der Patentinhaberin ist unzutreffend. Die Kammer stimmt vielmehr mit der Einsprechenden überein, dass die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht keine Basis dafür enthält, dass das beanspruchte "Täuschungsmaß" ausschließlich unter Verwendung des "messtechnisch erfassten Zeitaufwands" ermittelt wird. Die Formulierung gemäß Merkmal d1) schließt die Verwendung anderer Parameter aus, während die ursprünglichen Unterlagen keine solche Lehre offenbaren. Ganz im Gegenteil wird in der Passage auf Seite 5, Zeilen 7 bis 15 der ursprünglichen Beschreibung sogar offenbart, dass "erfindungsgemäß vorgesehen" ist, "auch einen Erfahrungswert der den konkreten Phishing-Angriff vorbereitenden Person zu berücksichtigen" und dass die Erfahrung des Angreifers "bei dem berechneten Täuschungsmaß berücksichtigt werden" kann (Hervorhebung durch die Kammer). Folglich ist das Argument, dass keine anderen Werte oder Beispiele angegeben seien, nicht überzeugend.

2.3 Aus diesen Gründen sind die Hilfsanträge 1 bis 5 nach Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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