| European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T011024.20250923 | ||||||||
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| Datum der Entscheidung: | 23 September 2025 | ||||||||
| Aktenzeichen: | T 0110/24 | ||||||||
| Anmeldenummer: | 17743313.3 | ||||||||
| IPC-Klasse: | B01J 2/16 A61K 9/16 |
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| Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
| Verteilung: | D | ||||||||
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| Bezeichnung der Anmeldung: | WIRBELSCHICHTANLAGE | ||||||||
| Name des Anmelders: | Hüttlin GmbH | ||||||||
| Name des Einsprechenden: | Glatt Gesellschaft mit beschränkter Haftung | ||||||||
| Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
| Leitsatz: | - | ||||||||
| Relevante Rechtsnormen: |
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| Schlagwörter: | vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens - Beschwerdevorbringen ist auf Anträge gerichtet die Entscheidung zugrunde liegen Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) |
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| Orientierungssatz: |
- |
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| Angeführte Entscheidungen: |
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| Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP 3 515 583 B1 in geänderter Form auf Basis des damaligen Hilfsantrags III den Erfordernissen des EPÜ genüge.
II. Folgende in der Entscheidung zitierten Dokumente sind hier von Relevanz:
D1: WO 03/033126 A1
D4: US 6 187 076 B1
III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgende neue Dokumente ein:
D32: Jacob, M., Thermische Granulationsverfahren -
Wirbelschichtprozesse, Fortbildungsseminar
Granulation, Dresden, 14.-15.4.2011
D33: Parikh, D. M., Handbook of Pharmaceutical
Granulation Technology, 2005, 2. Auflage, Seiten
437 und 438
IV. Die Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 (gemäß Seite 2 der Beschwerdebegründung) des obengenannten Hilfsantrags III (nunmehr Hauptantrag) ist wie folgt.
1a Wirbelschichtanlage (1) umfassend -
1b eine Vielzahl von funktional parallel angeordneten
Granuliereinheiten (2) für die Herstellung von
pharmazeutischen Granulaten, wobei jede
Granuliereinheit (2) aufweist:
1c einen Wirbelschichtbehälter (3) mit einem Deckel
(16),
1d einem Boden (15)
1e und einer zwischen dem Deckel (16) und dem Boden
(15) erstreckten Seitenwand,
1f einen Einlass (4) in der Seitenwand des
Wirbelschichtbehälters (3) zum Einbringen von
pulverförmigem Feststoff sowie
1g einen Auslass (5) in der Seitenwand des
Wirbelschichtbehälters (3) zur Entnahme von Pulver
oder eines fertigen Produkts,
1h eine Fluidzufuhr (6) in dem Boden (15) sowie
1i eine Fluidabfuhr (7) in dem Deckel (16) des
Wirbelschichtbehälters (3),
1j und zumindest eine Einspritzdüse (8) zum
Einspritzen eines Bearbeitungsstoffs in den
Wirbelschichtbehälter (3),
1k und - eine Steuereinheit (12) zum Einstellen von
Prozessbedingungen innerhalb jeder Granuliereinheit
(2).
Der unabhängige Anspruch 10 betrifft ein Verfahren in einer Wirbelschichtanlage nach Anspruch 1.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der Wirbelschichtanlage nach Anspruch 1.
V. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin sind wie folgt.
Der jetzige Hauptantrag hätte nicht von der Einspruchsabteilung zugelassen werden sollen. Die Bedingungen des Artikels 84 EPÜ seien nicht erfüllt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D4 oder D32 oder D33. Auch könne von D32 oder D33 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen werden, was keine Änderung des Beschwerdevorbringens darstelle.
VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) spiegeln sich in den unten angegebenen Entscheidungsgründen wider.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Alternativ wird beantragt, das Patent in geänderter Form auf Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 16 aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag (entspricht Hilfsantrag III der Entscheidung)
1. Zulässigkeit
Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der jetzige Hauptantrag nicht in das Verfahren hätte zugelassen werden dürfen. Der Antrag würde eindeutig gegen Artikel 84 EPÜ verstoßen.
Die Kammer kann nicht erkennen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen falsch und unverhältnismäßig ausgeübt hat. Die Einsprechende hatte keine Einwände unter Artikel 123(2) und 84 EPÜ und die Einspruchsabteilung sah eine prima facie Gewährbarkeit gegeben.
Es sei noch angemerkt, dass das EPÜ keine Rechtsgrundlage dafür bietet, im Beschwerdeverfahren Unterlagen (Dokumente, Anträge oder Beweismittel) auszuschließen, die im erstinstanzlichen Verfahren korrekt, insbesondere ermessensfehlerfrei, zugelassen worden sind, insbesondere wenn die angefochtene Entscheidung auf sie gestützt ist (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage, 2025, V.A.3.4.3).
Deshalb ist der Antrag Teil des Beschwerdeverfahrens.
2. Artikel 84 EPÜ
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin befinde sich die Fluidabfuhr (7) in den Figuren 1 und 2 des Patents nicht wie beansprucht "in dem Deckel (16)", sondern unterhalb des Deckels. Dies sei widersprüchlich und verletze die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Unbeschadet der Frage, ob der Einwand unter Artikel 84 EPÜ als Teil des Beschwerdeverfahrens anzusehen ist (Artikel 12(4) und (6) EPÜ), da er - wie unter Punkt 1. angegeben - nicht vor der Einspruchsabteilung vorgebracht wurde, ist er nicht überzeugend. Aus den Figuren 1 und 2 ist ersichtlich, dass das oberste Rechteck als Deckel anzusehen ist. Darin befindet sich die Öffnung 7, im Einklang mit Merkmal 1i des Anspruchs 1. Dies ist auch in Absatz [0019] der Beschreibung formuliert: "... in dem Deckel vorhandenen Fluidauslass ...".
Die Bedingungen des Artikels 84 EPÜ sind somit erfüllt.
3. Artikel 56 EPÜ
3.1 Die Erfindung betrifft eine Wirbelschicht-Granulationsanlage.
3.2 D1 ist unstrittig nächstliegender Stand der Technik, und offenbart eine Vorrichtung enthaltend drei Module, wobei die drei Module jeweils vier funktionell parallel angeordnete Fluidisierungseinheiten enthalten (Figur 4). Es ist unbestritten, dass D1 die Merkmale 1f, 1g, 1h, 1i nicht offenbart. Es kann dahingestellt bleiben, ob die obere horizontale Linie in der Figur 5 der D1 als Deckel angesehen werden kann. Jedenfalls gibt es keine Fluidabfuhr in diesem Teil. Auch kann dahingestellt bleiben, ob das Merkmal 1j aus D1 unmittelbar und eindeutig hervorgeht. Die Figur 5 zeigt eine Einspritzdüse 54, und es besteht die Möglichkeit, dass jede Granuliereinheit eine solche aufweist, wenn Granulation stattfindet (Seite 23, Zeilen 8 bis 18; "may be associated to each fluidizing unit"). Der Einspruchsabteilung ist dahingehend zuzustimmen, dass die Formulierung "zum Einstellen von Prozessbedingungen innerhalb jeder Granuliereinheit" in Anspruch 1 sehr unspezifisch ist, da die Prozessbedingungen nicht angegeben sind. Deshalb ist Merkmal 1k nicht geeignet einen Unterschied gegenüber D1 herzustellen (Punkt 2.1 der Entscheidung, zweitletzter Absatz (Seite 9)).
3.3 Die zu lösende Aufgabe kann darin gesehen werden, eine Anlage bereitzustellen, die einen kontinuierlichen Betrieb erlaubt. Das in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, dass die Aufgabe eigentlich nur das Vermeiden des Zerlegens der Anlage bei Befüllung sei, ist gleichbedeutend mit einem kontinuierlichen Betrieb.
3.4 Die Aufgabe wird durch eine Wirbelschichtanlage gemäß Anspruch 1 gelöst, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Wirbelschichtbehälter einen Einlass in der Seitenwand zum Einbringen von pulverförmigem Feststoff, sowie einen Auslass in der Seitenwand zur Entnahme von Pulver oder eines fertigen Produkts, eine Fluidzufuhr in dem Boden und eine Fluidabfuhr in dem Deckel umfasst.
3.5 Die erfolgreiche Lösung der Aufgabe wurde nicht bestritten.
3.6 Die vorgeschlagene Lösung ist aus folgenden Gründen nicht naheliegend.
3.6.1 D4 offenbart in Figur 4A einen Wirbelschichtreaktor zur Reduktion von Erzen, und betrifft somit ein komplett anderes Gebiet als D1, welches z.B. pharmazeutische Produkte betrifft (Seite 1, Zeilen 11-14). Auch wenn D4 einen Wirbelschichtreaktor offenbart, so ist dieser nicht für die Granulation vorgesehen und enthält auch keine Einspritzdüse. Eine Fachperson, die von einer Anlage aus D1 mit Einspritzdüse, also mit dem Ziel zu Granulieren (Seite 23, Zeilen 8 bis 18), ausgeht und einen kontinuierlichen Betrieb vorsehen will, wird das Dokument D4 nicht in Betracht ziehen. Zudem betrifft D4 eher einen großindustriellen Maßstab, während es das Ziel in D1 ist, eine Anlage für kleinere Mengen vorzusehen (Seite 1, Zeile 9). Der in D4 gezeigte Reaktor ist zudem für andere Verfahrensbedingungen ausgelegt als der in D1. Es ist nicht ersichtlich, wie die aus D4 bekannten Merkmale in D1 eingeführt werden sollen, um einen funktionstüchtigen Reaktor zu erhalten. Eine solche Konstruktion basiert somit auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
3.6.2 Unbeschadet der Frage ob D32 als Teil des Beschwerdeverfahrens anzusehen ist (Artikel 12(4) und (6) VOBK), würde die Fachperson, die die gestellte Aufgabe ausgehend von D1 lösen will, auch in der allgemeinen Anlagenstruktur, die auf Seite 34 des Dokumentes D32 gezeigt ist, nicht die vorgeschlagene Lösung finden. Selbst wenn die Fachperson die Anlagenstruktur aus D32 in D1 übernehmen würde, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, so enthält D32 keine strukturellen Merkmale, die erkennen lassen könnten, dass die Anlage ohne Weiteres in D1 angewendet werden könnte. D32 offenbart eher ein Flussdiagramm als eine detaillierte Anlage. Auch enthält der in D32 sehr schematisch gezeigte Apparat keine Einspritzdüse, sodass es auch nicht klar ist, wieso nur ein paar Merkmale aus D32 isoliert in einen Reaktor gemäß D1 eingeführt werden sollen. Zudem scheint die auf Seite 34 gezeigte Anlagenstruktur unter Berücksichtigung der Flächenangabe "5 m**(2)" auf Seite 33 der D32 eher für großindustrielle Anwendungen vorgesehen zu sein. Somit wäre sie auch, wie oben angegeben, mit der in D1 gezeigten Anlage wohl nicht kompatibel.
3.6.3 Auch bei D33 kann die Frage der Zulassung (Artikel 12(4) und (6) VOBK) offen gelassen werden. D33 offenbart in Figur 6 (S. 438) schematisch einen sehr spezifischen Aufbau für ein Granulationsverfahren. Auch hier gibt es keine strukturelle Offenbarung und Details der Anlage, oder zumindest in dem vorliegenden Teil des Dokumentes sind solche nicht vorhanden. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Fachperson nur ein paar Merkmale daraus isolieren würde, um diese dann in einen Reaktor, der in einem Aufbau gemäß Figur 4 der D1 verwendet wird, einzufügen. Auch ist hier nicht erkennbar, ob die Anlage für eher geringe Mengen geeignet wäre. Die Argumentation, die Merkmale 1f, 1g, 1h und 1i aus D33 isoliert in D1 einzufügen, basiert somit auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
3.6.4 Obwohl die Unterscheidungsmerkmale gegenüber D1 an sich trivial erscheinen, erlauben sie in Kombination mit den bekannten Merkmalen einen kontinuierlichen Betrieb der Vielzahl von parallel angeordneten Granuliereinheiten. Eine solche Kombination geht aus dem zitierten Stand der Technik nur mittels einer rückschauenden Betrachtungsweise hervor.
3.7 Zudem hat die Beschwerdeführerin erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer einen Einwand unter Artikel 56 EPÜ ausgehend von D32 oder von D33 vorgebracht.
Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15 Absatz 1 grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Es ist eindeutig, dass die Änderung des nächstliegenden Standes der Technik als Änderung des Beschwerdevorbringens anzusehen ist, da sie eine neue Kombination von Tatsachenelementen enthält (T 1649/10, Gründe 3.2; T 1365/18, Gründe 7.3; J 14/19, Gründe 1.8; Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage, 2025, V.A.4.2.3 n) ii)). Ausgehend von einem der Dokumente D32 oder D33 wären die Unterscheidungsmerkmale andere, die zu lösende Aufgabe möglicherweise auch, und die Diskussion des Naheliegens demzufolge auch.
Im vorliegenden Fall liegen in der Sicht der Kammer aus folgenden Gründen keine außergewöhnlichen Umstände vor.
D32 und D33 wurden erstmalig im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin eingereicht und als sekundäre Dokumente für die erfinderische Tätigkeit benutzt, wobei D1 als nächstliegender Stand der Technik gewählt wurde.
Dieser Einwand wurde in der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK und auch in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer diskutiert. Dabei traten keine neuen Sachverhalte auf, die einen neuen Angriff zu einem solch späten Verfahrensstadium veranlasst hätten. Weder die Mitteilung, noch die Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer können im vorliegenden Fall die erforderlichen außergewöhnlichen Umstände bedingen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage, 2025, V.A.4.5.5 f)).
Diese Angriffe (ausgehend von D32 oder D33) werden somit nicht berücksichtigt und sind nicht Teil des Beschwerdeverfahrens.
3.8 Es gibt also keinen Grund von der Meinung der Einspruchsabteilung abzuweichen. Eine ähnliche Argumentation gilt für Verfahrensanspruch 10, der die Merkmale des Anspruchs 1 beinhaltet.
3.9 Die Kammer sieht daher keinen Grund, warum die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllt sein sollten, wie von der Einsprechenden behauptet.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.