T 0007/24 (Regelungsverfahren für Schmelzflusselektrolyse/Trimet Aluminium) of 7.4.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T000724.20250407
Datum der Entscheidung: 07 April 2025
Aktenzeichen: T 0007/24
Anmeldenummer: 16177980.6
IPC-Klasse: C25C 3/20
C25C 7/00
C25C 7/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHMELZFLUSSELEKTROLYSEANLAGE UND REGELUNGSVERFAHREN ZU DEREN BETRIEB
Name des Anmelders: TRIMET Aluminium SE
Name des Einsprechenden: Rio Tinto Alcan International Limited
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
RPBA2020 Art 012(3)
RPBA2020 Art 012(5)
RPBA2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Beschwerdeerwiderung - Substanziierung der Hilfsanträge (nein)
Beschwerdeerwiderung - Berücksichtigung im Verfahren (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1220/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (nunmehr Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP 3 266 904 B1 in geänderter Form auf Basis des Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfülle.

II. Gegen die genannte Entscheidung legten zunächst sowohl die Einsprechende als auch die Patentinhaberin Beschwerde ein. Die Patentinhaberin nahm ihre Beschwerde am 25. Januar 2024 zurück und ist nunmehr Beschwerdegegnerin.

III. Das Streitpatent bezieht sich auf eine Schmelzflusselektrolyseanlage und Regelungsverfahren zu deren Betrieb.

IV. Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (nun Hauptantrag) lautet wie folgt:

"1. Regelungsverfahren zum Betreiben einer Zelle einer Schmelzflusselektrolyseanlage, insbesondere zur Herstellung von Aluminium,

wobei eine erste Regelgröße eine Energiebilanz der Zelle ist, welche die in die Schmelzfluss­elektrolyse­zelle eintretende elektrische Energie und die aus der Schmelzflusselektrolysezelle austretende Wärmeenergie berücksichtigt, und

wobei eine zweite Regelgröße ein thermischer Zustand der Zelle ist und wobei eine dritte Regelgröße oder eine dritte Steuergröße ein chemischer Zustand der Zelle ist."

V. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde u.a. auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D4 US 5,089,093 A

VI. Die Beschwerdeführerin vertrat unter anderem die Auffassung, dass Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ gegenüber D4 nicht erfülle. Ferner erhob sie Einwände betreffend die von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge. Diese seien ferner nicht zuzulassen.

VII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Das beanspruchte Verfahren in Anspruch 1 des Hauptantrags sei neu gegenüber D4, da D4 keine Regelung des thermischen Zustands der Zelle offenbare. Hierunter sei die Temperatur des Elektrolyten als maßgebliche Größe zu verstehen (Absatz [0031] des Streitpatents), nicht jedoch die Überhitzung bzw. das Maß der Überhitzung. Auch verlange der Anspruch, dass die Energiebilanz, der thermische Zustand und der chemische Zustand unabhängig voneinander regelbar seien. Die beanspruchte Regelung des thermischen Zustands gehe weit über das Grunderfordernis einer Schmelzfluss­elektrolyse, die Elektrolyttemperatur über der Erstarrungstemperatur zu halten, hinaus und ermögliche, eine Schmelzflusselektrolyseanlage bei variabler Verfügbarkeit elektrischer Energie sicher und effizient zu betreiben.

Die in der ersten Instanz gestellten Hilfsanträge würden aufrechterhalten. Sie stellten eine angemessene Reaktion auf die Schlussfolgerung der Kammer zum Hauptantrag dar.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag 1 im Einspruchsverfahren), hilfsweise das Patent auf Grundlage eines der in der ersten Instanz gestellten Hilfsanträge aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

1.1 Die Beschwerdeführerin stellt die Neuheit gegenüber D4 in Abrede.

1.2 Die Einspruchsabteilung kam insbesondere unter Berücksichtigung des Anspruchs 14 von D4 zum Schluss, dass das Dokument eine Regelung der Energiebilanz der Zelle offenbare (Einspruchsentscheidung, Seite 11, die zwei letzten Absätze). Im Zusammenhang mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stellte die Einspruchsabteilung fest, dass D4 auch eine Steuerung des chemischen Zustands der Zelle offenbare (Einspruchs­entscheidung, Seite 15, zweiter und dritter Absatz).

1.3 Die Kammer sieht keinen Grund, warum diese Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung unzutreffend sein sollten. Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung nichts dazu vorgetragen.

Somit ist allein die Frage zu betrachten, ob D4 offenbart, dass eine zweite Regelgröße ein thermischer Zustand der Zelle ist.

1.4 In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, wie der Begriff "thermischer Zustand der Zelle" auszulegen ist.

1.4.1 Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass unter dem thermischen Zustand die Temperatur des Elektrolyten als maßgebliche Größe zu verstehen sei (Absatz [0031] des Streitpatents), nicht jedoch die Überhitzung des Elektrolyten oder die Erstarrungstemperatur, da dies chemische Eigenschaften seien. Der Anspruch unterscheide zwischen dem "thermischen Zustand" einerseits und dem "chemischer Zustand" andererseits, so dass der "thermische Zustand" nicht in einer Weise interpretiert werden dürfe, die mit dem "chemischen Zustand" überlappe. Auch das von der Überhitzung - die lediglich den Aggregatzustand beschreibe - abzugrenzende Maß der Überhitzung, d.h. der Temperatur-Abstand zur Erstarrungstemperatur, sei kein thermischer Zustand, da dieses keinen Rückschluss auf die Temperatur des Elektrolyten zulasse. Auch werde der Aggregatzustand des Elektrolyten durch den chemischen Zustand bestimmt, weitgehend unabhängig von der Temperatur.

1.4.2 Diese Argumente sind nicht überzeugend.

Vielmehr ist der Begriff "thermischer Zustand der Zelle" breit auszulegen. So stellt die Temperatur des Elektrolytbades zwar einen thermischen Zustand der Zelle dar (Absatz [0031] des Streitpatents), dieser Begriff ist jedoch nicht darauf beschränkt. Auch das Maß der Überhitzung ("cell superheat" in D4), welches die Temperaturdifferenz zwischen der Temperatur des Elektrolyten und der Erstarrungstemperatur (genauer: Liquidustemperatur) bezeichnet, betrifft die Temperatur und ist somit ein thermischer Zustand. Nichts anderes ergibt sich dadurch, dass der Bezugspunkt, d.h. die Erstarrungstemperatur des Elektrolyten, von dessen chemischer Zusammen­setzung abhängt und in dem Sinn als chemischer Zustand angesehen werden kann. So gilt dieselbe Abhängigkeit vom chemischen Zustand auch für die Regelung der Temperatur des Elektrolytbades, da die Zieltemperatur notwendigerweise oberhalb der Erstarrungstemperatur liegt und somit ebenfalls von der chemischen Zusammensetzung abhängt. Auch wird bei dieser Betrachtung der thermische Zustand nicht mit dem chemischen Zustand gleichgesetzt, entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin.

1.4.3 Zusammenfassend ist unter dem thermischen Zustand nicht nur die Temperatur des Elektrolytbades zu verstehen, sondern alternativ beispielsweise das Maß der Überhitzung.

1.5 Darüber hinaus ist zu klären, ob der thermische Zustand überhaupt als unabhängige Regelgröße angesehen werden kann.

1.5.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Energiebilanz der Zelle und die Temperatur der Zelle (als thermischer Zustand) zwar miteinander verknüpft seien, jedoch nicht in der Weise, dass eine bestimmte Energiebilanz einer bestimmten Temperatur entsprechen würde. Daher erfolge eine Regelung der Temperatur der Zelle nicht zwangsweise mit einer Regelung der Energiebilanz der Zelle (Einspruchsentscheidung, Seite 12, zweiter Absatz).

1.5.2 Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, dass die Energiebilanz der Zelle, der thermische Zustand der Zelle und der chemische Zustand der Zelle zwar in einem Zusammenhang miteinander stehen könnten, jedoch drei voneinander unabhängige Größen darstellten. Das beanspruchte Verfahren sehe vor, dass diese unabhängig voneinander regelbar seien.

1.5.3 Auch diese Argumente sind nicht überzeugend. Aus den obigen Ausführungen zum Begriff "thermischer Zustand der Zelle" ergibt sich bereits, dass dieser (d.h. die zweite Regelgröße) unmittelbar mit dem chemischen Zustand der Zelle (d.h. der dritten Regel- oder Steuergröße) verknüpft ist. Dies geht auch aus dem Streitpatent selbst hervor, wenn es heißt, dass der kritischste Teil der Zelle der Elektrolyt ist, dessen Temperatur auf jeden Fall oberhalb seiner Erstarrungstemperatur gehalten werden muss, um die Schmelzflusselektrolyse­anlage funktionsfähig zu halten, wobei die Erstarrungstemperatur wiederum den chemischen Zustand bestimmt, welcher vom AlF3-Überschuss abhängt (Absatz [0031]). Im Hinblick auf die Temperatur des Elektrolytbades wird im Streitpatent des Weiteren gelehrt, dass sich diese in einem relativ breiten Temperaturband befindet und dies durch die regelungs­technische Berücksichtigung der Wärmebilanz bewirkt wird, welche in die Schmelzfluss­elektrolyse­zelle eintretende elektrische Energie und die aus der Zelle austretende Wärmeenergie berücksichtigt (Absatz [0018], Hervorhebung durch die Kammer), d.h. die Temperatur des Elektrolytbades wird ausdrücklich als Konsequenz der Regelung der Energiebilanz beschrieben, d.h. als Konsequenz der ersten Regelgröße.

1.5.4 Auch der Wortlaut des Anspruchs, der ein Regelungsverfahren betrifft, definiert lediglich, dass eine zweite Regelgröße ein thermischer Zustand der Zelle ist und eine dritte Regelgröße oder eine dritte Steuergröße ein chemischer Zustand der Zelle ist. Aus dem Anspruchswortlaut geht nicht hervor, wie das beanspruchte Regelungsverfahren diese Regelgrößen berücksichtigt. Der Anspruch besagt damit nicht, dass es sich um unabhängig voneinander bzw. unabhängig von der Energiebilanz regelbare Größen handelt, was - wie oben ausgeführt - ohnehin nicht im Einklang mit der Lehre des Streitpatents wäre.

1.5.5 Aus diesen Gründen ist der thermische Zustand direkt mit der ersten und dritten Regelgröße verknüpft und stellt insbesondere die Konsequenz der Regelung der Energiebilanz dar.

1.6 Abschließend ist zu klären, ob das in D4 offenbarte Regelungsverfahren beinhaltet, dass ein thermischer Zustand der Zelle eine zweite Regelungsgröße ist.

1.6.1 Die Einspruchsabteilung kam zum Schluss, dass D4 keine Regelung des thermischen Zustands der Zelle offenbare. Zwar werde in D4 angegeben, dass durch das dort beschriebene Verfahren eine weitgehend stabile Elektrolyt­badtemperatur bewirkt werde, dies beinhalte jedoch keine Regelung der Elektrolyt­badtemperatur, bei der die gemessene Badtemperatur des Elektrolyten mit dessen Solltemperatur verglichen werde und basierend auf der Differenz zwischen den beiden Temperaturen eine Nachregulierung der Badtemperatur erfolge (Einspruchsentscheidung, Seite 12, erster und zweiter Absatz).

1.6.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass eine "Regelgröße" fortlaufend erfasst, mit der Führungsgröße verglichen und im Sinn einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst werden müsse, wie im Streitpatent angegeben (Absatz [0016]). Eine Regelgröße könne simuliert werden, dies erfordere aber eine kontinuierliche Berechnung genau dieser Regelgröße auf Grundlage eines mathematischen Modells, das die Wechselwirkungen der simulierten Größe mit allen relevanten Randbedingungen und sämtlichen Einflüssen und äußeren Störungen berücksichtigt. Die Offenbarung in D4 in Bezug auf die für den Wärmeaustrag zur Verfügung stehende Energie sei lediglich eine vereinfachte Berechnung und keine Simulation. Dies gelte umso mehr für den thermischen Zustand der Zelle, der in D4 ebenfalls nicht simuliert werde und auch nicht mit einer Führungsgröße verglichen werde.

In D4 werde lediglich der spezifische Widerstand der Zelle gemessen, der von der durch das Schmelzen bzw. Erstarren der Krusten beeinflussten AlF3-Konzentration abhänge und somit einen chemischen - nicht thermischen - Zustand darstelle.

Die beanspruchte Regelung des thermischen Zustands gehe weit über das Grunderfordernis einer Schmelzfluss­elektrolyse, die Elektrolyttemperatur über der Erstarrungstemperatur zu halten, hinaus. Letzteres könne auch allein durch chemische Maßnahmen erzielt werden, d.h. ohne das beanspruchte Regelungsverfahren. Durch die erfindungsgemäße Regelung sei es möglich, eine Schmelzflusselektrolyseanlage bei variabler Verfügbarkeit elektrischer Energie sicher und effizient zu betreiben, und dies außerhalb der durch Erfahrungswerte relativ zuverlässig vorhersagbaren Betriebsparameter, insbesondere bei höheren oder niedrigeren Temperaturen des Elektrolyten, dickerer oder dünnerer Kruste und größerem oder kleinerem AlF3 Überschuss.

1.6.3 Auch diese Argumente sind nicht überzeugend.

Wie bereits ausgeführt (vgl. insbesondere Punkt 1.4.3), ist der thermische Zustand der Zelle nicht auf die Badtemperatur des Elektrolyten beschränkt. Auch ist es gemäß der Lehre des Streitpatents nicht erforderlich, eine Regelungsgröße direkt zu messen; so kann diese auch simuliert werden (Absatz [0016]). Dies schließt eine Berechnung ein, da der Begriff "Regelgröße" keine bestimmte Genauigkeit der Simulation impliziert. Das Merkmal in Anspruch 1, gemäß welchem eine zweite Regelgröße ein thermischer Zustand der Zelle ist, ist daher nicht darauf beschränkt, dass die Badtemperatur des Elektrolyten direkt gemessen, mit dessen Solltemperatur verglichen und basierend auf der Differenz zwischen den beiden Temperaturen eine Nachregulierung der Badtemperatur erfolgt.

D4 offenbart ein Regelungsverfahren, bei dem eine erste Regelgröße eine Energiebilanz der Zelle ist, welche die in die Schmelzfluss­elektroylse­zelle eintretende elektrische Energie und die aus der Schmelzfluss­elektroylse­zelle austretende Wärmeenergie berücksichtigt (s. Punkte 1.2 und 1.3). Die Regelung der Energiebilanz gemäß D4 kann nur so verstanden werden, dass diese zum Ziel hat, die Elektrolyse funktionsfähig zu halten, d.h. ein Erstarren des Elektrolyten zu vermeiden, und insbesondere ein thermisches Gleichgewicht in der Zelle mit stabiler Temperatur zu halten (vgl. D4, Spalte 2, Zeilen 47-60). Im Lichte der oben genannten Schlussfolgerungen (Punkte 1.4.3 und 1.5.5) ergibt sich bereits hieraus, dass der thermische Zustand, beispielsweise das Maß der Überhitzung, folglich ebenfalls eine Regelgröße ist. Dies wird in D4 in Anspruch 15 des D4, der sich auf den für die Offenbarung der Regelung der Energiebilanz herangezogenen Anspruch 14 (vgl. oben Punkt 1.2) rückbezieht, auch definiert. So nennt Anspruch 14 in D4 ausdrücklich das Überwachen des spezifischen Widerstands des Elektrolytbades als Indikator für das Maß der Überhitzung (cell superheat), und das Anpassen der Wärmeabfuhr, wenn der spezifische Widerstand vorgegebene Grenzwerte überschreitet, um die Überhitzung wieder in den vorgegebenen Bereich zu bringen. Eine ähnliche Lehre findet sich auch in Figur 1 (oberer Kasten: superheat target range; sowie die rechte Kette im Fließschema) und wird in Spalte 14 (control string 3) beschrieben, siehe insbesondere die Zeilen 40-41, gemäß welchen der spezifische Widerstand des Bads verwendet wird, um die thermischen (und chemischen) Bedingungen in Echtzeit zu detektieren. Das Maß der Überhitzung ist somit eine Regelgröße in dem Sinn, dass sie fortlaufend (indirekt) erfasst, mit der Führungsgröße verglichen und im Sinn einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird, entsprechend der von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Definition. Das Maß der Überhitzung stellt aus den bereits genannten Gründen (Punkt 1.4.3) einen thermischen Zustand der Zelle dar, auch wenn dieser in D4 indirekt anhand des spezifischen Widerstands als Indikator erfasst wird, der von der AlF3-Konzentration abhängt, welche als solche zwar als chemischer Zustand angesehen werden kann, aber wiederum von der Temperatur des Elektrolytbades abhängt, durch welche die Krusten erstarren bzw. schmelzen. Dies zeigt lediglich erneut, dass die beanspruchten drei Regel- (bzw. Steuer-)größen im vorliegenden Fall miteinander verknüpft sind, wie oben ausgeführt (s. Punkte 1.5.3 und 1.5.5). Das Maß der Überhitzung ist auch nicht identisch mit der Steuerung des chemischen Zustands, welche gemäß der angefochtenen Entscheidung dadurch vorweggenommen wird, dass gemäß D4 immer wieder Al2O3 zugefügt wird (Einspruchs­entscheidung, Seite 15, zweiter und dritter Absatz; s.o. Punkte 1.2 und 1.3).

Zwar muss das beanspruchte Regelungsverfahren - wie bereits erwähnt - zwingend gewährleisten, dass die Schmelzfluss­elektrolyse funktionsfähig bleibt, d.h. die Temperatur des Elektrolyten oberhalb der Erstarrungs­temperatur gehalten wird. Darüber hinausgehende Anforderungen an den Zweck des Regelungsverfahrens, beispielsweise in welchen Grenzen die Aufnahme elektrischer Energie aus dem Stromnetz variieren kann, ergeben sich aus dem Anspruch hingegen nicht. Die entsprechenden Betrachtungen der Beschwerdegegnerin betreffen allenfalls die zu lösende technische Aufgabe.

1.7 Folglich beinhaltet das in D4 offenbarte Regelungsverfahren neben der ersten Regelgröße und der dritten Steuer- oder Regelgröße (s.o. Punkte 1.2 und 1.3) auch eine Regelung des thermischen Zustands der Zelle.

1.8 Das beanspruchte Verfahren ist daher nicht neu.

Hilfsanträge

2. Berücksichtigung im Verfahren

2.1 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung zwar pauschal erklärt, dass sie "alle im Einspruchsverfahren gestellten Hilfsanträge" aufrechterhalte, diese jedoch im Beschwerdeverfahren in keiner Weise substanziiert; die Beanstandungen der Beschwerdeführerin in deren Beschwerdebegründung betreffend die Hilfsanträge wurden nicht erwidert. Das Erfordernis, anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen (Artikel 12(3) VOBK), war somit in Bezug auf die Hilfsanträge nicht erfüllt.

Die Kammer kam daher in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK zur vorläufigen Meinung, dass diese unter Artikel 12(5) VOBK nicht zu berücksichtigen sein dürften (vgl. T 1220/21 Gründe 4.3. und 4.5).

2.2 Die Beschwerdegegnerin nahm in ihrer Eingabe vom 5. Dezember 2024 zur vorläufigen Meinung der Kammer Stellung, jedoch nur, insoweit diese den Hauptantrag betraf; sie erwähnte mit keinem Wort die Hilfsanträge. Erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer trug sie vor, dass ihre Argumente von der Entscheidung der Kammer in Bezug auf den Hauptantrag abhängen würden und die Hilfsanträge eine angemessen Reaktion darauf sein könnten.

2.3 Jedoch wäre eine in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmalig vorgetragene Substanziierung der Hilfsanträge eine Änderung des Vorbringens, deren Berücksichtigung unter die Bedingungen des Artikel 13(2) VOBK fällt. Solche Änderungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Im vorliegenden Fall wurden außergewöhnlichen Umstände weder von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, noch kann die Kammer solche erkennen. Insbesondere gibt es keinen Grund, warum die Beschwerdegegnerin selbst in ihrer Eingabe vom 5. Dezember 2024 - nach Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer, in der auf die fehlende Substanziierung hingewiesen wurde - nicht zu den Hilfsanträgen vorgetragen hat, und dies, obwohl die Kammer in Bezug auf den Hauptantrag zur vorläufigen Meinung gekommen war, dass dieser nicht neu zu sein schien.

2.4 Daher sind die Hilfsanträge weder unter Artikel 12(5) VOBK noch unter Artikel 13(2) VOBK zu berücksichtigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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