T 2013/23 () of 4.6.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T201323.20250604
Datum der Entscheidung: 04 Juni 2025
Aktenzeichen: T 2013/23
Anmeldenummer: 15195797.4
IPC-Klasse: B25B 27/00
B25B 27/02
B25B 27/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MOBILES HYDRAULIKWERKZEUG
Name des Anmelders: TKR Spezialwerkzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: WS Wieländer+Schill Professionelle
Karosserie-Spezialwerkzeuge GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 112(1)(a)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung - (nein)
Neuheit - (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0009/81
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 025 824 zurückgewiesen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit gemäß Artikel 100 a) EPÜ sowie unzulässiger Änderungen gemäß Artikel 100 c) EPÜ.

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 13. Januar 2025 teilte die Beschwerdekammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde zurückzuweisen wäre.

IV. Zu dieser Mitteilung nahm die Einsprechende mit Schriftsatz vom 17. Februar 2025 inhaltlich Stellung und reichte zwei Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer ein, worauf die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 25. Februar 2025 erwiderte.

V. Am 4. Juni 2025 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Die Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.

VI. Diese Entscheidung nimmt auf folgende Dokumente zu den geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen OV1 und OV2 Bezug:

D3: Foto des teilweise demontierten Werkzeugs zu OV1,

D4: Technische Zeichnung des Werkzeugs zu OV1,

D6: Foto des Werkzeugs OV2,

D7: Technische Zeichnung des Werkzeugs zu OV2.

VII. Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag) lautet (Merkmalsgliederung entsprechend Punkt I.12 der angefochtenen Entscheidung hinzugefügt):

M1.1) Mobiles Niet- und Stanzwerkzeug mit

- einem hydraulisch zwischen einer Ausgangsposition und einer Endposition verstellbaren Antriebskolben (3),

M1.2) - einem einen den Antriebskolben (3) führenden Zylinderabschnitt (5) aufweisenden Hydraulikwerkzeuggehäuse (4) und

M1.3) - einer lösbar mit dem Antriebskolben (3) und dem Hydraulikwerkzeuggehäuse (4) verbindbaren Ziehwerkzeugeinheit (52) oder Druckwerkzeugeinheit dadurch gekennzeichnet, dass

M1.4) - beiderseits des Hydraulikwerkzeuggehäuses - betrachtet in Längsachsenrichtung des Antriebskolbens, entlang der der Antriebskolben innerhalb des Hydraulikwerkzeuggehäuses verstellbar ist - eine Werkzeugeinheit anordbar und mit dem Antriebskolben verbindbar ist und

M1.5) - das Hydraulikwerkzeuggehäuse (4)

- einerseits zur Anordnung der mit dem Antriebskolben (3) verbindbaren Ziehwerkzeugeinheit (52) und

- andererseits zur Anordnung der mit dem Antriebskolben (3) verbindbaren Druckwerkzeugeinheit ausgebildet ist.

VIII. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Für den Fall, dass die Kammer bei ihrer Auslegung des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents gemäß Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK bleiben sollte, beantragte sie, das Verfahren auszusetzen und der Großen Beschwerdekammer zwei Fragen vorzulegen, wie auf Seiten 1 und 2 des Schriftsatzes vom 17. Februar 2025 angegeben. Hilfsweise beantragte sie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung, falls die Vernehmung von Zeugen für erforderlich gehalten wird.

IX. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde,

d. h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),

hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

Ferner beantragte sie die Zurückweisung des Antrags der Beschwerdeführerin, die Große Beschwerdekammer mit den im Schriftsatz vom 17. Februar 2025 vorgelegten Fragen zu befassen und das Verfahren auszusetzen.

X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten, das sich auf die Überprüfung der Auslegung des erteilten Anspruchs 1 durch die Einspruchsabteilung, die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit von Artikel 100 a) EPÜ und unzulässiger Änderungen von Artikel 100 c) EPÜ sowie einen Antrag auf Vorlage von zwei Fragen an die Große Beschwerdekammer bezog, wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ)

1.1 Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK unter Punkt 7 auf die folgende Sach- und Rechtslage zum Einspruchsgrund unzulässiger Änderungen nach Artikel 100 c) EPÜ hin, die von den Beteiligten weder in Frage gestellt noch kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.

1.2 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt II.15.3 der angefochtenen Entscheidung, dass das Merkmal M1.4 von Anspruch 1 eine unzulässige Erweiterung nicht begründe.

1.3 Laut der Beschwerdeführerin betreffe der Gegenstand von Anspruch 1 ein Werkzeug, bei dem das Hydraulikwerkzeuggehäuse mit einer Ziehwerkzeug- oder Druckwerkzeugeinheit verbunden sei, und kein "kit-of-parts". Daher ergebe sich das Merkmal "erlaubt es, die Verstellbewegung sowohl zum Antrieb einer druckwirkenden als auch zum Antrieb einer zugwirkenden Werkzeugeinheit zu verwenden" aus Absatz [0006] der A1-Schrift des Streitpatents nicht zwangsläufig aus Merkmal M1.4 mit den Merkmalen M1.1 und M1.5.

1.4 Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt nicht. Vielmehr folgt die Kammer den Entscheidungsgründe unter den Punkten II.15.1 und II.15.3 der angefochtenen Entscheidung.

Das Merkmal M1.4 ist im Absatz [0006] der A1-Schrift offenbart. Dabei geht das strittige Merkmal unmittelbar und eindeutig aus den im Anspruch 1 enthaltenen Merkmalen M1.1, M1.4 und M1.5 hervor. Die Aufnahme des Merkmals M1.4 in den Anspruch 1 führt daher nicht zu einer unzulässigen Erweiterung.

1.5 Der Einspruchsgrund unzulässiger Änderungen von Artikel 100 c) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.

2. Auslegung des erteilten Anspruchs 1

2.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die Auffassung der Einspruchsabteilung unter Punkt II.16.2 der angefochtenen Entscheidung, dass das Merkmal M1.1 von Anspruch 1 aufgrund der Formulierung "Niet- und Stanzwerkzeug" ein "kit-of-parts", Teilesatz oder System betreffe, bei dem das Stanzwerkzeug zum Teilesatz dazugehöre und somit der Gegenstand des Anspruchs 1 die Druckwerkzeugeinheit (zum Stanzen) umfasse.

2.2 Die Beschwerdeführerin führte aus, dass Merkmal M1.3 definiere, dass das Hydraulikwerkzeuggehäuse lösbar mit der Ziehwerkzeugeinheit oder Druckwerkzeugeinheit verbunden sei, aber nicht das Vorhandensein sowohl der Ziehwerkzeugeinheit als auch der Druckwerkzeugeinheit. So sei Merkmal M1.3 als Zweckangabe formuliert, und die beiden Komponenten seien mit der Formulierung "oder" verknüpft. Das "kit-of-parts", Teilesatz oder System umfasse also nur das Grundgerät mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse und die Zug- oder Druckwerkzeugeinheit.

Merkmal M1.5 definiere, dass das Hydraulikwerkzeuggehäuse einerseits mit der Ziehwerkzeugeinheit und andererseits mit der Druckwerkzeugeinheit verbindbar sei, sei also eine reine Zweckangabe. Anspruch 1 definiere daher lediglich ein Hydraulikwerkzeuggehäuse, das entweder mit der Ziehwerkzeugeinheit oder mit der Druckwerkzeugeinheit verbunden sei. Auch aus Merkmal M1.5 ergebe sich nicht das Vorhandensein der Druckwerkzeugeinheit.

Entgegen der Auslegung durch die Einspruchsabteilung komme es bei der Prüfung der Frage der Neuheit lediglich darauf an, ob das Gehäuse der offenkundigen Vorbenutzungen OV1 oder OV2 zur Anbringung sowohl einer Ziehwerkzeugeinheit als auch einer Druckwerkzeugeinheit geeignet sei.

Aus dem Gattungsbegriff "Niet- und Stanzwerkzeug" folge nicht, dass eine Komponente zum Stanzen vorhanden sein müsse, um den Gegenstand des Anspruchs 1 zu verwirklichen. Merkmal M1.1 sei daher derart auszulegen, dass die Vorrichtung in Verbindung mit einer Komponente (Ziehwerkzeugeinheit oder Druckwerkzeugeinheit), die nicht zwingend Gegenstand der Vorrichtung sein müsse, zum Nieten und Stanzen geeignet sei.

2.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdegegnerin.

2.3.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 betrifft gemäß Merkmal M1.1 ein Niet- und Stanzwerkzeug. Die Beschwerdeführerin versucht über eine bestimmte Interpretation insbesondere des Merkmals M1.1 von Anspruch 1 lediglich eine Eignung des beanspruchten Werkzeugs zum Nieten und/oder Stanzen herzuleiten. Das Merkmal M1.1 ist jedoch an sich ein funktionelles Merkmal und erfordert als solches, dass das beanspruchte Werkzeug zum Stanzen und Nieten ausgebildet und nicht nur geeignet ist. Die Formulierung "Niet- und Stanzwerkzeug" ist dabei keine bloße Angabe über eine Eignung des Werkzeugs zum Nieten und Stanzen, sondern spezifiziert die Ausbildung des Werkzeugs genau zu diesem Zweck im funktionellen Merkmal M1.1.

Die durch den Gattungsbegriff definierte Funktionalität des beanspruchten Werkzeugs zum Nieten und Stanzen ist auch durch die Beschreibung des Streitpatents (siehe beispielsweise Absätze [0007] und [0008]) gestützt. Demnach sind die Ziehwerkzeugeinheit und die Druckwerkzeugeinheit mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse wahlweise verbindbar, wobei diese jeweils dann auch kraftübertragend mit dem Antriebskolben gekoppelt sind.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt Anspruch 1 nicht lediglich auf die bloße Eignung einer Anschlussmöglichkeit einer Zieh- und Druckwerkzeugeinheit ab. Hingegen umfasst der Gegenstand von Anspruch 1 das Vorhandensein sowohl einer Druckwerkzeugeinheit als auch einer Ziehwerkzeugeinheit, bei denen es sich um aus mehreren Bauteilen zusammengefasste Baugruppen handeln kann, die jeweils dem Einsatzzweck entsprechend zur Anwendung kommen. Das Hydraulikgehäuse ist gemäß den Merkmalen M1.4 und M1.5 dazu ausgebildet, dass beiderseits eine Werkzeugeinheit, nämlich einerseits die Ziehwerkzeugeinheit und andererseits die Druckwerkzeugeinheit, angeordnet und mit dem Antriebskolben verbunden werden kann.

2.3.2 Aus Absatz [0011] des Streitpatents geht weiter hervor, dass die Ziehwerkzeugeinheit die Nietfunktion und die Druckwerkzeugeinheit die Stanzfunktion ausführt. Anspruch 1 erfordert nicht, dass beide Funktionen gleichzeitig in einer Einheit angeordnet sind. Die beanspruchte Vorrichtung ist somit ein sogenannter Teilesatz oder ein System, bestehend aus einem Hydraulikwerkzeuggehäuse mit Antriebskolben, einer separaten Ziehwerkzeugeinheit mit Nietfunktion und einer separaten Druckwerkzeugeinheit mit Stanzfunktion.

Die Kammer merkt an, dass während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Beteiligten übereinstimmend erklärten, dass der Begriff "kit of parts" als Teilesatz zu verstehen ist.

Die Ziehwerkzeugeinheit und die Druckwerkzeugeinheit können wahlweise lösbar mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse und dem Antriebskolben verbunden werden. Wenn eine der Ziehwerkzeugeinheit und der Druckwerkzeugeinheit mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse und dem Antriebskolben verbunden ist, ist die andere Werkzeugeinheit als Satzteil vorhanden und gehört zum beanspruchten Teilesatz Niet- und Stanzwerkzeug.

2.3.3 Das Merkmal M1.3 ist durch das "oder" relativ allgemein formuliert, es schließt jedoch das Vorhandensein beider Werkzeugeinheiten nicht aus, wie nach Merkmal M1.1 gefordert. Die Figuren 1 und 2 des Streitpatents zeigen zwar keine Druck- bzw. Stanzwerkzeugeinheit. Nach Absatz [0025] des Streitpatents ist eine Druckwerkzeugeinheit nicht dargestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht zum Ausführungsbeispiel gehört. Somit gibt die Gesamtoffenbarung des Streitpatents keinen Hinweis von dem Verständnis des Begriffs "Niet- und Stanzwerkzeug" im Merkmal M1.1 abzuweichen, nämlich, dass das beanspruchte Werkzeug sowohl zum Nieten als auch zum Stanzen ausgebildet ist.

2.3.4 Die von der Beschwerdeführerin beispielhaft vorgebrachte Übertragung der Auslegung der Einspruchsabteilung auf einen Bohrhammer bzw. Bohrmaschine ist für die Auslegung des Anspruchs 1 des Streitpatents ohne Belang. Maßgeblich ist Anspruch 1 unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen des Streitpatents (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, II.A.6.3). Inwieweit also ein auf einen Bohrhammer gerichteter Gegenstand den vorliegend beanspruchten Gegenstand so definierte, dass sowohl ein Bohrer als auch ein Schlagwerkzeug vorhanden seien, ist für die Auslegung des erteilten Anspruchs 1 ohne Belang.

2.3.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit auf ein Niet- und Stanzwerkzeug gerichtet, dessen Bestandteil sowohl die Ziehwerkzeugeinheit als auch die Druckwerkzeugeinheit ist, die wahlweise lösbar mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse und dem Antriebskolben verbunden sind.

3. Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

3.1 Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK unter Punkt 8 auf die folgende Sach- und Rechtslage zur Neuheit hin, die von den Beteiligten weder in Frage gestellt noch vor dem Hintergrund der oben unter Punkt 2.3.5 dargelegten Schlussfolgerung während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wesentlich kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.

3.2 Die Beschwerdeführerin bemängelte die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt II.16.3 der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der jeweiligen geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung OV1 und OV2 sei, und argumentierte, dass die Auslegung des Merkmals M1.1 durch die Einspruchsabteilung nicht nachvollziehbar sei. Die Geeignetheit zum Verbinden des Hydraulikgehäuses mit einer Ziehwerkzeugeinheit oder einer Druckwerkzeugeinheit reiche aus, um den Gegenstand des Anspruchs 1 vorwegzunehmen. Die OV1 und OV2 stehe neuheitsschädlich entgegen, da die Druckwerkzeugeinheit nicht zwingendes Merkmal des Anspruchs 1 sei.

Bei OV1 handele es sich um ein Blindnietwerkzeug gemäß Merkmal M1.1. Bei OV1 könnte anstelle des Deckels hinten am Gehäuse das Innengewinde für den Deckel verwendet werden, um ein Druckwerkzeug anzubringen. Die Merkmale M1.4 und M1.5 forderten nicht, dass zum Drücken auch tatsächlich eine entsprechende Werkzeugeinheit angebracht sei. Es genüge vielmehr die bloße Geeignetheit, die aufgrund des Innengewindes im mittleren Gehäuseteil gemäß OV1 vorhanden sei. Es komme auch nur darauf an, ob der Kolben gemäß OV1 geeignet sei, eine Druckwerkzeugeinheit anzutreiben. Die Fachperson müsse bei dem Werkzeug gemäß Streitpatent in gleicher Weise wie bei OV1 die hintere Hülse durch die Druckwerkzeugeinheit ersetzen, die, um eine Funktion sicherzustellen, derart ausgebildet sein müsse, dass sich die Druckfeder abstützen könne.

Entsprechendes gelte hinsichtlich OV2. Statt des Deckels mit dem Drehknopf könnte bei diesem Werkzeug hinten ebenfalls an das Gewinde eine Druckwerkzeugeinheit angebracht werden.

3.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdegegnerin.

Bei den in den OV1 und OV2 beschriebenen Werkzeugen handelt es sich bereits nicht um Niet- und Stanzwerkzeuge, sondern um Blindnietadapter, die allein zum Setzen von Blindnieten verwendet werden können, wobei durch eine Verstellung des Antriebskolbens von diesem eine Zugkraft auf die zu setzenden Blindnieten aufgebracht wird. Die dargestellten Blindnietadapter sind nicht zum Einsatz als Stanzwerkzeug offenbart.

Somit zeigen die in OV1 und OV2 dargestellten Werkzeuge kein Niet- und Stanzwerkzeug mit einer Ziehwerkzeugeinheit und einer Druckwerkzeugeinheit, die wahlweise lösbar mit dem Hydraulikwerkzeuggehäuse und dem Antriebskolben verbunden werden können. Die in der OV1 und OV2 dargestellten Werkzeuge zeigen nur eine Ziehwerkzeugeinheit. Eine Druckwerkzeugeinheit ist überhaupt nicht dargestellt.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann der Kolben gemäß OV1 auch nicht als Druckwerkzeugeinheit angesehen werden. Denn der Gegenstand von Anspruch 1 sieht vor, wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt, dass die Druckwerkzeugeinheit mit dem Antriebskolben lösbar verbindbar ist. Dabei trifft auch die Auffassung der Einspruchsabteilung zu, dass bei einer Verwendung des Kolbens 19 bei dem Blindnietadapter BR20 als Druckwerkzeugeinheit der Deckel 34 nicht mehr vorhanden sein könnte. Daher wäre die Funktion des Kolbens nicht mehr gegeben. Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch, dass die Druckwerkzeugeinheit mit dem Antriebskolben gekoppelt ist, weshalb dieser entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerin an der Druckwerkzeugeinheit abgestützt werden kann.

Dass bei OV1 eine Druckwerkzeugeinheit angebracht werden könnte und die Werkzeugeinheiten zum Ziehen und Drücken in Längsrichtung des Kolbens angeordnet sein könnten, sind bloße Mutmaßungen und Behauptungen der Beschwerdeführerin und in den das jeweilige Werkzeug gemäß OV1 und OV2 darstellenden Dokumenten D3, D4, D6 und D7 nicht gezeigt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lässt sich aus einer angeblich nahezu identischen Konstruktion nach OV1 oder OV2 hinsichtlich des Werkzeuggehäuses mit Innengewinde und angeblich nahezu identisch ausgebildeten Blindnietapplikation mit der im Streitpatent gezeigten Konstruktion nicht das Vorhandensein einer Druckwerkzeugeinheit in OV1 oder OV2 herleiten.

Die Werkzeuge gemäß der geltend gemachten OV1 und OV2 zeigen bereits nicht unmittelbar und eindeutig, dass diese zum Stanzen ausgebildet sind. Dass weder OV1 noch OV2 eine Druckwerkzeugeinheit zeigt, wurde im Übrigen von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer selbst eingeräumt. Eine lösbar mit dem Antriebskolben verbindbare Druckwerkzeugeinheit zum Stanzen ist OV1 oder OV2 somit nicht zu entnehmen.

Unabhängig von der Frage der Offenkundigkeit der geltend gemachten Vorbenutzungen OV1 und OV2, zeigen diese daher kein Niet- und Stanzwerkzeug mit sämtlichen Merkmalen von Anspruch 1.

3.4 Aufgrund der mangelnden Relevanz der geltend gemachten Vorbenutzungen OV1 und OV2 hinsichtlich mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1, ist eine Stellungnahme oder Entscheidung der Kammer zu den von der Beschwerdeführerin angebotenen Zeugenbeweisen durch Einvernahme der Zeugen Hirt und Lay und zu dem Antrag auf Zurückverweisung nicht erforderlich.

3.5 Der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit von Artikel 100 a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.

4. Vorlagefragen

4.1 Die Beschwerdeführerin beantragte, der Großen Beschwerdekammer die folgenden zwei Fragen vorzulegen:

"I. Ist eine Geeignetheitsangabe, die sich aus der Bezeichnung einer Vorrichtung ergibt, die aus mehreren Komponenten besteht, so auszulegen, dass alle für die Geeignetheitsangabe erforderlichen Komponenten vorhanden sein müssen, um den Gegenstand des Patentanspruchs zu erfüllen?

II. Falls die Frage zu I. mit Nein beantwortet wird: Ergibt sich aus der Definition eines Merkmals, gemäß welchem die Vorrichtung entweder mit einer ersten Komponente oder mit einer zweiten Komponenten verbindbar ist, dass sowohl die erste Komponenten als auch die zweite Komponente vorhanden sein muss, um den Gegenstand des Anspruchs zu erfüllen?"

4.2 Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass die in den Vorlagefragen definierten Fragen zum einen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung seien.

Zum anderen widerspreche die Auslegung des Produktanspruchs als "kit-of-parts" der bisherigen Rechtsprechung des EPA. So beziehe sich die Rechtsprechung auf Anspruchsformulierungen, bei denen eine räumliches Nebeneinander beansprucht werde, die Komponenten aber klar Teil des Anspruchsgegenstandes seien. Voraussetzung für einen zulässigen kit-of-parts Anspruch sei, dass ein räumliches Nebeneinander (kit-of-parts) beansprucht werde. Hierfür sei Voraussetzung, dass die Bestandteile durch eine zielgerichtete Verwendung in funktioneller Einheit stünden (T 9/81). In der zitierten Entscheidung, die ein Kombinationspräparat betreffe, seien die Ansprüche klar so formuliert gewesen, dass alle Komponenten des Präparats Gegenstand des Anspruchs seien. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung würde im vorliegenden Fall ein kit-of-parts Anspruch auf einen Gegenstand ausgeweitet, bei dem zumindest eine Komponente des "kits" nur optional vorhanden sei. Somit seien die Vorlagefragen auch zur Herstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung relevant.

4.3 Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ kann eine Beschwerdekammer auf Antrag eines am Beschwerdeverfahren Beteiligten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, eine Frage an die Große Beschwerdekammer verweisen, wenn die Beschwerdekammer eine Entscheidung hierzu für erforderlich hält.

4.4 Zum einen gibt die Beschwerdeführerin keine Begründung an, warum die in den Vorlagefragen definierten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung seien. Dieses unsubstantiierte Vorbringen der Beschwerdeführerin vermag die Kammer nicht von der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der beiden Fragen zu überzeugen.

Zum anderen ist, wie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer durch die Beteiligten übereinstimmend erklärt (siehe auch unter obigem Punkt 2.3.2), der Begriff "kit-of-parts" im vorliegenden Fall als Teilesatz zu verstehen. Hingegen bezeichnet nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern und der zitierten Entscheidung T 9/81 ein "kit-of-parts" das räumliche Nebeneinander von funktionell aufeinander abgestimmten Einzelkomponenten. Dass die Auslegung eines Produktanspruchs als Teilesatz der bisherigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern widerspreche oder hierzu divergierende Rechtsprechung vorliege, zeigt die Beschwerdeführerin dabei nicht auf.

Aus Sicht der Kammer liegen daher die in Artikel 112 (1) a) EPÜ definierten Voraussetzungen zur Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer nicht vor.

4.5 Die Kammer sieht im Hinblick auf eine fehlende Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung in der vorliegenden Sache keine Grundlage für die Vorlage der von der Beschwerdeführerin formulierten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer (RdB, a.a.O., V.B.2.3.3).

4.6 Wie oben unter den Punkten 2.3 und 3.3 dargelegt, ist die Kammer auch unabhängig von der Beantwortung der beiden Vorlagefragen in der Lage über die Auslegung und Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 zweifelsfrei zu entscheiden. Damit sind die von der Beschwerdeführerin auf die Auslegung der in der ersten Frage angegebenen Geeignetheitsangabe sowie auf das Ergebnis der in der zweiten Frage angegebenen Definition eines Merkmals gerichteten Fragen für die Entscheidung in der Sache nicht relevant.

Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist somit für die Entscheidung des Falls im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ nicht erforderlich.

4.7 Der Antrag auf Vorlage der zwei Fragen an die Große Beschwerdekammer einschließlich des Antrags auf Aussetzung des Verfahrens wird daher zurückgewiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

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