European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T191423.20250110 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 Januar 2025 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1914/23 | ||||||||
Anmeldenummer: | 19199056.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C04B 14/18 C04B 20/06 C04B 26/26 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | GEBLÄHTES GRANULAT AUS MINERALISCHEM MATERIAL | ||||||||
Name des Anmelders: | Omya International AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (ja) Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja) Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung (ja) Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung 19 199 056.3 zurückzuweisen.
II. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Dokumente wurden bereits von der Prüfungsabteilung zitiert:
D1|EP 0 353 860 A2 |
D2|DE 10 2017 119 371 A1|
D3|CH 709 866 A2 |
D4|EP 2 697 181 B1 |
D5|US 2,626,872 A |
III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsnummerierung in der linken Spalte):
1|"1. Verfahren zur Einstellung der Dichte eines geblähten Granulats |
2|aus sandkornförmigem, mineralischem Material im Zuge des Blähvorgangs, welches Material ein gebundenes Treibmittel aufweist, beispielsweise ein geblähtes Granulat aus Perlitsand, wobei das sandkornförmige, mineralische Material |
3|- in eine Aufgabeöffnung an einem Ende eines Ofenschachts eingebracht wird, |
4|- in einer Förderrichtung entlang einer Wärmebehandlungsstrecke, vorzugsweise durch Schwerkraft, befördert wird, |
5|- während des Beförderns durch die Wärmebehandlungsstrecke auf eine kritische Temperatur erhitzt wird, ab welcher das sandkornförmige, mineralische Material plastisch wird und aufgrund des Treibmittels zu blähen beginnt, |
6|- und das geblähte Granulat an einem anderen Ende des Ofenschachts ausgetragen wird, |
7|wobei das sandkornförmige, mineralische Material nach dem Erhitzen auf die kritische Temperatur auf eine zweite Temperatur oberhalb der kritischen Temperatur erhitzt wird, welche zweite Temperatur unterhalb einer dritten Temperatur liegt, ab welcher dritten Temperatur die Oberfläche des geblähten Granulats aufplatzt und|
8|wobei die zweite Temperatur in Abhängigkeit von der einzustellenden Dichte des geblähten Granulats gewählt wird, |
9|wodurch lediglich ein Teil des im Granulat gebundenen Treibmittels für den Blähvorgang zur Verfügung steht." |
Die Ansprüche 2 bis 9 beziehen sich auf besondere Ausführungsarten der beanspruchten Erfindung.
IV. Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die D1 das Merkmal 8 nicht offenbare. Die Dichte des Produkts ergebe sich, werde jedoch nicht eingestellt. Die D1 habe lediglich zum Ziel, eine möglichst hohe Ausbeute an geschlossenzelligem, geblähten Granulat zu erreichen. Dafür werde z.B. eine Schwimmaufbereitung verwendet, welche es ermögliche, schlecht oder nicht expandierte Partikel abzuscheiden. Granulat mit hoher Dichte werde folglich nicht hergestellt, denn es sei unerwünscht.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage des Hauptantrags, oder hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 1a, 2 bis 5, 5a oder 6 bis 9 zu erteilen, wobei Hilfsantrag 5a mit der Beschwerdebegründung erstmals eingereicht wurde und alle anderen Hilfsanträge die Grundlage der angefochtenen Entscheidung bilden.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
1. Neuheit, Artikel 54(1) und (2) EPÜ
Der angefochtenen Entscheidung zufolge, ist die D1 neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1. Das ist jedoch unzutreffend.
1.1 Dokument D1 offenbart, Perlitsand in einem Ofenschacht bei einer Temperatur von 1200°F-2200°F zu expandieren, d.h., bei einer anspruchsgemäßen zweiten Temperatur und somit oberhalb einer anspruchsgemäßen kritischen Temperatur (D1: Seite 6, Zeilen 17-22; Seite 7, Zeilen 8-16 mit Fig. 3; Seite 7, Zeilen 24-27).
Eine Temperatur von 2200°F soll nicht überschritten werden, um Risse und Fissuren zu vermeiden, was der anspruchsgemäßen dritten Temperatur entspricht (D1: Seite 7, Zeilen 28-30 und 39-46).
Die Merkmale 2 bis 7 sind daher in der D1 offenbart.
Des weiteren entnimmt die Fachperson der D1, dass das expandierte Granulat sowohl überexpandierte Partikel, als auch nicht oder nicht ausreichend expandierte Partikel enthält (D1: Seite 10, Zeilen 6-8). Diese Partikel sind unerwünscht und werden erst in einem folgenden Partikelklassierungsschritt abgetrennt. Eine enge Korngrößenverteilung des eingesetzten Perlitsandes begünstigt die Ausbeute an dem gewünschten geblähtem, geschlossenporigen Granulat (im folgenden "gewünschtes Endprodukt"; D1: Seite 6, Zeilen 23-39).
Der Fachperson ist bekannt, dass die Aufheizgeschwindigkeit von größeren Partikeln unter sonst gleichen Bedingungen langsamer ist. Da eine breite Korngrößenverteilung den Ausschuss an nicht oder nicht ausreichend expandierten Partikeln erhöht, besteht im Lichte der D1 für die Fachperson kein Zweifel, dass zumindest einige der nicht oder nur unzureichend expandierten Partikel noch gebundenes Treibmittel enthalten. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass auch diese Partikel kein Treibmittel mehr enthielten (angefochtene Entscheidung, Absatz 1.3) ist durch nichts belegt.
Das Merkmal 9 ist daher auch offenbart.
1.2 Es bleibt daher zu prüfen, ob auch die Merkmale 1 und 8 in der D1 explizit oder implizit offenbart sind. Sie werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nochmals angegeben:
1|"1. Verfahren zur Einstellung der Dichte eines geblähten Granulats|
|... |
8|wobei die zweite Temperatur in Abhängigkeit von der einzustellenden Dichte des geblähten Granulats gewählt wird,|
|...|
1.2.1 D1 zufolge führen Risse und Fissuren zu einer reduzierten Ausbeute bei der Schwimmaufbereitung des geblähten Granulats (D1: Seite 7, Zeilen 28-30), weil durch das Eindringen von Flüssigkeit offenporige Partikel absinken (D1: Seite 10, Zeilen 6-8; Seite 12, Zeilen 24-27).
Die D1 hat zum Ziel, die Ausbeute an geblähtem, geschlossenporigen Granulat, d.h. dem gewünschten Endprodukt, zu maximieren (D1: Seite 6, Zeilen 34-39). Das gewünschte Endprodukt wird vom geblähten Granulat z.B. durch Schwimmaufbereitung oder Luftklassierung gewonnen. In diesen Klassierverfahren spielen sowohl die Klassiermediumdichte als auch die Dichte der einzelnen Partikel des Granulats eine Rolle. Beispielsweise schwimmt bei der Schwimmaufbereitung das gewünschte Endprodukt auf dem Klassiermedium auf (D1: Seite 10, Zeilen 6-15).
Der Umstand, dass die dem Expandieren folgenden Verfahrensschritte eine Partikelklassierung umfassen, in der die Dichte der Partikel des geblähten Granulats eine Rolle spielt, darf nicht damit verwechselt werden, dass die Dichte des geblähten Granulats beim Einstellen der zweiten Temperatur eine Rolle spielt.
In der D1 wird die zweite Temperatur so eingestellt, dass eine maximale Ausbeute des gewünschten Endprodukts erzielt wird. Die Dichte des gewünschten Endprodukts spielt dabei keine Rolle.
Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der maximalen Ausbeute des gewünschten Endprodukts mit der Dichte des geblähten Granulats besteht.
Der bloße Umstand, dass das geblähte Granulat eine Dichte aufweist und es bei einer bestimmten zweiten Temperatur hergestellt wurde, bedeutet nicht automatisch, dass die zweite Temperatur im Hinblick auf eine zu erreichende Dichte des geblähten Granulats gewählt wurde.
Merkmal 8 setzt voraus, dass eine bestimmte Dichte gewählt werden muss, die es durch eine geeignete Anpassung der zweiten Temperatur und nicht etwa durch andere denkbare Maßnahmen, wie zum Beispiel durch die Veränderung der Aufenthaltszeit im Schachtofen, zu erreichen gilt. Es setzt auch voraus, dass die Dichte die zu erreichende Größe ist und nicht die Ausbeute wie in der D1.
Dass bei sonst gleichen Prozessparametern eine Veränderung der zweiten Temperatur unmittelbar eine Veränderung der Dichte des geblähten Granulats bewirkt, ist unerheblich. Der D1 entnimmt die Fachperson nur, dass dadurch die Mengen der über- und unterexpandierten Partikel und ggf. die Ausbeute an gewünschtem Endprodukt verändert werden. Rückschlüsse von der zweiten Temperatur auf die Dichte des gewünschten Endprodukts oder des geblähten Granulats offenbart die D1 nicht.
Der Umstand, dass Anspruch 1 auch eine Temperatur umfasst, die zur maximalen Ausbeute an gewünschtem Produkt gemäß der D1 führt, ist ebenso unerheblich.
D1 offenbart nämlich nicht, den Verfahrensschritt gemäß Merkmal 8 durchzuführen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu.
2. Zurückverweisung, Artikel 111 (1) EPÜ
Nach Artikel 111 (1) EPÜ kann die Kammer entweder mit der Prüfung der Anmeldung fortfahren oder die Sache zur weiteren Bearbeitung an die für die angefochtene Entscheidung zuständige Stelle zurückverweisen.
Artikel 11 VOBK sieht vor, dass die Kammer einen Fall nur dann zur weiteren Verfolgung zurückverweist, wenn besondere Gründe dafür vorliegen. Diese Bestimmung ist jedoch in Verbindung mit dem Grundsatz zu sehen, dass der Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens darin besteht, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 Absatz 2 VOBK).
In Anbetracht der folgenden Tatsachen ist die Kammer der Auffassung, dass besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK tatsächlich vorliegen.
Die Frage der erfinderischen Tätigkeit wurde in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung), was auch die Beschwerdeführerin anerkennt (Beschwerdebegründung, Seite 4, Absatz 5).
Die Beschwerdeführerin ist auch der Auffassung, dass keines der Dokumente D2 bis D5 einen Hinweis auf Merkmal 8 gibt (Beschwerdebegründung, Seite 5, drittletzter Absatz).
Weil jedoch bereits die Rechercheabteilung davon ausgegangen ist, dass die Merkmale 1 und 8 in der D1 offenbart sind (Punkt 3.1 der Stellungnahme nach Regel 62 EPÜ), hat die Kammer erhebliche Zweifel daran, dass die Recherche darauf abzielte, Dokumente zu finden, die die Merkmale 1 und 8 enthalten. Da die Prüfungsabteilung diese Auffassung von Anfang an geteilt hat (Mitteilung vom 11. September 2020, Punkt 2), ist auch nicht davon auszugehen, dass sie eine zusätzliche Recherche hinsichtlich dieser Merkmale durchgeführt hat.
Eine zusätzliche Recherche nach weiterem Stand der Technik erscheint daher notwendig (siehe auch T 1241/17, Gründe 9; T 1227/19, Gründe 6.4; T 98/21, Gründe 10). Weil es im Europäischen Patentamt vorgesehen ist, dass Recherchen von der ersten Instanz durchgeführt werden, liegen solche besonderen Gründe in diesem Fall vor.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Bearbeitung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.