T 1664/23 () of 30.6.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T166423.20250630
Datum der Entscheidung: 30 Juni 2025
Aktenzeichen: T 1664/23
Anmeldenummer: 13004144.5
IPC-Klasse: B60K 23/08
B60K 17/356
B60K 7/00
B60W 50/00
B60W 30/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fahrzeugantrieb mit einem hydrostatischen Hilfsantrieb, Fahrzeug mit einem derartigen Fahrzeugantrieb und Betriebsverfahren dafür
Name des Anmelders: MAN Truck & Bus SE
Name des Einsprechenden: Volvo Truck Corporation
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 80
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge A bis C (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag D (ja)
Neuheit - Hilfsantrag D (ja)
Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - (ja)
Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag D (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag D (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der geänderter Fassung des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags G.1 EPÜ-konform ist.

II. Folgende Entgegenhaltungen sind für diese Entscheidung relevant:

D1: GB 2 222 645 A;

D2: US 5368120 A;

D3: US 5147010 A;

D4: US 5564519 A; und

D5: US 4236595 A.

III. In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung unter anderem fest, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber D1 neu sei und der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung sowie der Hilfsanträge A, B und C gegenüber einer Kombination von D2 mit D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Hinsichtlich des Hilfsantrags D befand die Einspruchsabteilung, dass er die Erfordernisse der Regel 80 sowie des Artikels 84 EPÜ erfülle, jedoch nicht die des Artikels 123 (2) EPÜ.

IV. Am 30. Juni 2025 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die angefochtenen Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge A bis E, E.1 bis E.4, F, G, 0', A'bis E', E.1' bis E.4', F', G.1 (d.h. Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden), H, I, I.1, J, H', I', I.1' oder J' aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

V. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, d.h. der erteilten Fassung, lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung):

a0) Fahrzeugantrieb für ein Fahrzeug, insbesondere für ein

Nutzfahrzeug, mit

a) einem Hauptantrieb (34) für das Fahrzeug, insbesondere

mit einem Verbrennungsmotor,

b) einem hydrostatischen Hilfsantrieb (3, 4, 32, 33) für

das Fahrzeug und

c) einer Steuereinheit (IV), die mindestens eine

Betriebsgröße des Fahrzeugs erfasst, insbesondere zur automatischen Deaktivierung des hydrostatischen Hilfsantriebs (3, 4, 32, 33) in Abhängigkeit von der mindestens einen Betriebsgröße des Fahrzeugs,

wobei

d) die Steuereinheit (IV) den hydrostatischen Hilfsantrieb

(3, 4, 32, 33) in Abhängigkeit von der mindestens einen Betriebsgröße automatisch steuert oder regelt,

e) der Hauptantrieb (34) eine Hauptantriebsachse (II) des

Fahrzeugs antreibt,

dadurch gekennzeichnet, dass

f) dass ein Drehzahlsensor (9, 10) als Betriebsgröße des

Fahrzeugs die Drehzahl der Hauptantriebsachse (II) misst,

g) dass ein Beschleunigungssensor (26) als Betriebsgröße

des Fahrzeugs einen Ist-Wert der positiven oder negativen Fahrzeuglängsbeschleunigung misst,

h) dass die Steuereinheit (IV) aus der gemessenen Drehzahl

der Hauptantriebsachse (II) einen Vergleichs-Wert der positiven oder negativen Fahrzeuglängsbeschleunigung berechnet, und

i) dass die Steuereinheit (IV) den hydrostatischen

Hilfsantrieb (3, 4, 32, 33) steuert oder regelt, wenn der gemessene Ist-Wert der positiven oder negativen Fahrzeuglängsbeschleunigung von dem berechneten Vergleichs-Wert der positiven oder negativen Fahrzeuglängsbeschleunigung abweicht.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag A unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch folgendes zusätzliche Merkmal:

f0) der hydrostatische Hilfsantrieb (3, 4, 32, 33) mehrere

Hydraulikmotoren (3, 4, 32, 33) aufweist, die jeweils ein Fahrzeugrad (1, 2, 28, 29) antreiben,

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag B unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch folgendes zusätzliche Merkmal:

d0) der Fahrzeugantrieb zwei Achsen aufweist, nämlich

eine gelenkte Vorderachse (I) mit dem Hilfsantrieb (3, 4) und

eine Hauptantriebsachse (II) mit dem Hauptantrieb (34),

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag C unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch folgenden zusätzlichen Merkmalen:

f01) der hydrostatische Hilfsantrieb (3, 4, 32, 33) mehrere

Hydraulikmotoren (3, 4, 32, 33) aufweist, die jeweils ein Fahrzeugrad (1, 2, 28, 29) antreiben,

f02) die Steuereinheit (IV) die einzelnen Hydraulikmotoren

(3, 4, 32, 33) unabhängig voneinander ansteuert.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag D unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch folgendes zusätzliche Merkmal:

j) die Steuereinheit (IV) den hydrostatischen Hilfsantrieb

(3, 4, 32, 33) aktiviert, wenn eine Abweichung von Ist-Wert und Vergleichs-Wert der Fahrzeuglängsbeschleunigung auftritt.

Der Anspruch 16 gemäß Hilfsantrag D lautet wie folgt:

Betriebsverfahren für einen Fahrzeugantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 14, dadurch gekennzeichnet, dass der hydrostatische Hilfsantrieb (3, 4, 32, 33) in Abhängigkeit von mindestens einer Betriebsgröße des Fahrzeugs automatisch gesteuert oder geregelt wird.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit

1.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit da er durch die Kombination von D2 mit D1 nahegelegt ist (Artikel 56 EPÜ).

Die Kammer folgt zur Gänze der Begründung der Einspruchsabteilung, welche die Argumente der Patentinhaberin zutreffend berücksichtigt hat.

1.2 Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass sich der in Anspruch 1 definierte Gegenstand von dem Fahrzeugantrieb aus D2 durch die Merkmale h und i unterscheidet.

1.3 Sowohl die Einspruchsabteilung als auch die Einsprechende formulieren die zu lösende Aufgabe als Bereitstellung einer alternativen oder zusätzlichen Methode zu der in D2 gezeigten Lösung zur Ermittlung des Radschlupfs der Hauptantriebsachse.

1.4 Die Patentinhaberin bestreitet diese Formulierung und argumentiert, dass die technische Wirkung nicht nur im Ermitteln eines Radschlupfs bestehe. Vielmehr erfordere Merkmal i auch ein entsprechendes Ansteuern des Hilfsantriebs, wenn ein Radschlupf ermittelt werde. Dieser Aspekt bzw. das hierzu verwendete Merkmal des "Hilfsantriebs" werde in der rein auf die Radschlupfermittlung formulierten Aufgabe nicht berücksichtigt.

Darüber hinaus sei diese Formulierung rückblickend, da die formulierte Aufgabe einen Teil des Lösungsgedankens enthalte: eine andere Methode zur Ermittlung des Radschlupfs vorzuschlagen.

Letztlich sollten "Alternativen" gleichwertig austauschbar sein. Die im Anspruch vorgeschlagene Lösung sei jedoch vorteilhafter, da sie falsche Steuerangriffe vermeiden könne, wie sie mit dem in D2 offenbarte Vergleich (Drehzahldifferenz) geschehen könnten.

Somit löse die Erfindung mit den Unterscheidungsmerkmalen h und i die im Streitpatent formulierte Aufgabe, einen verbesserten Fahrzeugantrieb mit hydrostatischem Hilfsantrieb zu schaffen.

Die D1 lehre dem Fachmann auf naheliegende Weise nicht, dass diese Aufgabe so zu lösen sei, wie es in Anspruch 1 des Streitpatents vorgeschlagen werde.

1.5 Dies überzeugt aus folgenden Gründen nicht.

Zunächst stellt die Kammer fest, dass der Antrieb in D2 derart funktioniert, dass, wenn Schlupf in der Hauptantriebsachse (hintere rechte und linke Räder) ermittelt wird, der hydrostatische Hilfsantrieb (6, 7 und 8) so angesteuert wird, dass im Schritt 260 in Figur 4 das Druckregelventil RV1 gesteuert wird, damit der Förderdruck der Hydraulikpumpe 6 einen Wert zwischen mittlerem und hohem Druck annimmt. Dadurch werden die Antriebskräfte der vorderen linken und rechten Räder erhöht, was die Fahrstabilität des Kraftfahrzeugs verbessert. Der Schlupf wird dabei ermittelt, wenn die gemessene Drehzahl der vorderen Räder (an der Hilfsantriebsachse) von der gemessenen Drehzahl der hinteren Räder (an der Hauptantriebsachse) abweicht (siehe Spalte 7, Zeilen 46 bis 58).

Die von der Einspruchsabteilung formulierte technische Aufgabe stellt außerdem keine rückblickende Betrachtung dar, da sie keine Hinweise auf die fehlenden Merkmale h und i erkennen lässt. Was das Argument der vorteilhaften Lösung anbelangt, so erklärt das Streitpatent hingegen selbst eine gleichwertige Darstellung der folgenden beiden Methoden zur Ermittlung des Durchdrehens bzw. übermäßigen Schlupfs der Hauptantriebsachse (siehe Absätze [0044] und [0045] des Patents):

- Drehzahldifferenz zwischen Vorderachse (Hilfsantriebsachse) und Hinterachse (Hauptantriebsachse) sowie

- Abweichung des Ist-Wertes der Fahrzeugbeschleunigung, die über einen Beschleunigungssensor gemessen wurde, vom Vergleichswert der Fahrzeugbeschleunigung, der aus der gemessenen Drehzahl der Hauptantriebsachse berechnet wurde.

Diese beiden oben genannten Alternativen zur Ermittlung des Schlupfs der Hauptantriebsachse stellt auch D1 als gleichwertig dar (siehe Figuren 4 und 5 sowie die entsprechende Passage der Beschreibung). Die beanspruchte Alternative ist daher, wie die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt hat (siehe Seite 10, fünfter Absatz der angefochtenen Entscheidung), bereits aus D1 bekannt und stellt somit eine naheliegende Alternative dar (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 11. Auflage 2025, I.D.4.5).

2. Hilfsanträge A, B, C

2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge A, B und C beruht aus denselben Gründen wie der des erteilten Anspruchs 1 angesichts der Kombination von D2 mit D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

2.2 Die zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 der Hilfsanträge A, B und C sind bereits in D2 offenbart.

2.3 Dergleichen hat die Einspruchsabteilung festgestellt (siehe Punkt 18 der angefochtenen Entscheidung). Auch ist dies von der Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren nicht bestritten worden. Ausweislich der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin besteht der Zweck der Hilfsanträge A, B und C in einer Spezifizierung des Merkmals "hydraulischer Hilfsantrieb" um eine Abgrenzung zu Dokument D1 zu erreichen.

3. Hilfsantrag D

Die Ansprüche 1 bis 16 des Hilfsantrags D unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 bis 16 dadurch, dass Anspruch 1 das folgende zusätzliche Merkmal enthält:

j) die Steuereinheit (IV) den hydrostatischen Hilfsantrieb

(3, 4, 32, 33) aktiviert, wenn eine Abweichung von Ist-Wert und Vergleichs-Wert der Fahrzeuglängsbeschleunigung auftritt.

3.1 Regel 80 EPÜ

3.1.1 Die oben genannte Änderung ist durch einen Einspruchsgrund veranlasst und verstößt somit nicht gegen Regel 80 EPÜ.

3.1.2 Die Einsprechende argumentiert, dass die Bedingung unter Merkmal j den Gegenstand von Anspruch 1 nicht weiter einschränke, da die Bedeutung der Aktivierung eines hydrostatischen Hilfsantriebs unklar sei und höchstens dieselbe Steuerungsfähigkeit wie Merkmal i beschreibe. Somit verstoße die Hinzufügung von Merkmal j zu Anspruch 1 gegen Regel 80 EPÜ, da sie nicht durch einen Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ veranlasst sei.

3.1.3 Die Kammer folgt dem nicht.

Die Änderung von Anspruch 1 besteht darin, dass das zusätzliche technische Merkmal j hinzugefügt wurde. Ob dieses Merkmal den Gegenstand des Anspruchs weiter einschränkt und ob es klar formuliert ist, wird im Rahmen einer Prüfung festgestellt, die auf die Prüfung der Voraussetzungen nach Regel 80 EPÜ folgt. Die Patentinhaberin hat das Merkmal hinzugefügt, um den Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit auf den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu überwinden. Die Änderung ist also durch einen Einspruchsgrund veranlasst. Dabei spielt es insbesondere keine Rolle, ob die vorgenommene Änderung erfolgreich ist oder nicht.

3.2 Klarheit

3.2.1 Der Anspruch 1 ist klar (Artikel 84 EPÜ). Insbesondere ist das Merkmal j - Aktivierung des hydrostatischen Hilfsantriebs - für den Fachmann klar.

3.2.2 Die Einsprechende argumentiert im Wesentlichen, dass unklar sei, was die Aktivierung des hydrostatischen Hilfsantriebs bedeute. "Bewegung" oder "Nicht-Stillstand" oder Ähnliches könne es nicht bedeuten, da die Hydraulikmotoren 4 in Figur 4 des Patents drehfest mit dem Rad verbunden seien und sich daher immer mit diesem bewegten. Außerdem sei unklar, ob die Merkmale i und j zwei verschiedene Steuerungsfunktionen der Steuereinheit beschrieben. Tatsächlich gebe es keinen Unterschied. Selbst wenn die Merkmale i und j unterschiedliche, d. h. unabhängige Steuerungsfunktionen beschrieben, sei unklar, wie diese zu betreiben seien. Anspruch 1 umfasse eine Antriebseinheit mit einer Steuereinheit, die den hydrostatischen Hilfsantrieb (Merkmal i) vor dessen Aktivierung (Merkmal j) durch einen offenen oder geschlossenen Regelkreis steuere. Die Einspruchsabteilung kam daher zu Unrecht zu dem Schluss, dass die Merkmale i und j unterschiedliche Aktionen darstellten.

3.2.3 Sowohl die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung (siehe Punkte 19.2 und 19.3) als auch die Patentinhaberin liegen jedoch richtig in ihrer Auffassung, dass der Begriff "aktivieren" des hydrostatischen Hilfsantriebs für den Fachmann eindeutig ist. Der hydrostatische Hilfsantrieb im Fahrzeug gilt als aktiviert, wenn er ein Drehmoment auf die Reifen überträgt und somit in einem antreibenden Zustand ist, d.h., wenn er Vortrieb erzeugt. Dieses Verständnis ergibt sich auch aus der Beschreibung des Patents (siehe Absätze [0002], [0003] und [0010]).

Die Auslegung der Einsprechenden macht Anspruch 1 nicht unklar. Wenn der hydrostatische Hilfsantrieb auf "Neutral" gestellt ist, ist er inaktiv und wird daher von der Steuereinheit gesteuert bzw. geregelt, bevor er aktiviert wird, um ihn zu aktivieren. Ein Antrieb hat auch dann einen inneren Widerstand, ein sogenanntes Schleppmoment, wenn er entkoppelt ist, also keine antreibende Funktion ausübt (inaktiv ist). Dieser Widerstand resultiert aus den beweglichen Teilen des Antriebsstrangs im entkoppelten Zustand. Allerdings führt dieses Schleppmoment nicht dazu, dass der Antrieb als "aktiv" anzusehen ist, da er seine antreibende Funktion nicht ausführt.

Weiterhin stellt die Kammer fest, dass die Merkmale i und j lediglich zwei Folgen einer Bedingung definieren: Wenn eine Abweichung zwischen dem Ist- und dem Vergleichswert der Fahrzeuglängsbeschleunigung auftritt, steuert oder regelt die Steuereinheit den hydrostatischen Hilfsantrieb und aktiviert ihn.

Dies bedeutet, dass der hydrostatische Hilfsantrieb nicht nur aktiviert, sondern auch gesteuert oder geregelt wird.

3.3 Mangelnde Offenbarung

3.3.1 Das nach dem Hilfsantrag D geänderte Streitpatent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

3.3.2 In diesem Zusammenhang bringt die Einsprechende zwei Einwände vor: der erste betrifft den Gegenstand des Anspruchs 1, der zweite den der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 und 14.

3.3.3 Der erste Einwand ist eine Folge des Einwands gemäß Artikel 84 EPÜ und hängt von der behaupteten Unklarheit des Begriffs "Aktivieren" ab. Da dieser Begriff, wie oben erläutert, klar ist, bleibt der erste Einwand gegenstandslos.

3.3.4 Hinsichtlich des zweiten Einwands bringt die Einsprechende im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie im Einspruchsverfahren vor, die von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung berücksichtigt wurde (siehe Punkt 17.1 der angefochtenen Entscheidung).

Insbesondere argumentiert die Einsprechende, dass - da das Patent und alle oben genannten Ansprüche einschließlich Anspruch 1 keinerlei Angaben dazu enthielten, wie die verschiedenen offenen oder geschlossenen Regelkreise gebildet würden oder welcher mögliche Sollwert für die verschiedenen Regelkreise gelten solle - es dem Fachmann nicht möglich sei, zu einem Fahrzeugantrieb mit einem hydrostatischen Hilfsantrieb zu gelangen, der gleichzeitig durch verschiedene offene oder geschlossene Regelkreise gesteuert werde. Die Kombination von bedingten Regelungsverfahren aus verschiedenen Ansprüchen sei keine Aufgabe, die durch Gewichtung verschiedener Regelungsverfahren aus verschiedenen Ansprüchen gelöst werden könne, wie von der Einspruchsabteilung angegeben. Um verschiedene Steuerungsverfahren gewichten zu können, müsse der Fachmann wissen, welche Art von Steuerung jedes Steuerungsverfahren beinhalte. Da er jedoch nicht einmal wisse, wie die verschiedenen offenen oder geschlossenen Regelkreise in den genannten Ansprüchen zu implementieren seien, wisse er sicherlich auch nicht, wie er diese - erst noch zu ermittelnden -Steuerungen kombinieren müsse, beispielsweise durch Gewichtung, wie von der Einspruchsabteilung vorgeschlagen, um zu einem Ergebnis zu gelangen.

3.3.5 Die Kammer ist jedoch der Meinung, dass der Fachmann die unterschiedlichen Auslösebedingungen für die Steuerung bzw. Regelung des hydrostatischen Hilfsantriebs gemäß den erteilten Ansprüchen ausführen. kann. Selbst wenn die verschiedenen Bedingungen gleichzeitig eintreten würden, weiß er, dass die Steuerung im offenen oder geschlossenen Regelkreis so erfolgen muss, dass der hydrostatische Hilfsantrieb aktiviert bzw. deaktiviert wird, sobald mindestens eine der in den Ansprüchen spezifizierten Bedingungen erfüllt ist bzw. keine erfüllt ist.

Dabei ist festzustellen, dass der Wortlaut dieser Ansprüche nicht ausschließt, dass die Steuerung bzw. Regelung des hydrostatischen Hilfsantriebs bei Eintreten jeder der beanspruchten Auslösebedingungen dieselbe sein kann. Wie die Einsprechende richtig erkannt hat, wird die entsprechende Steuerung bzw. Regelung nämlich nicht thematisiert.

Darüber hinaus hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung richtig festgestellt, dass selbst wenn jeder unterschiedlichen Auslösebedingung eine unterschiedliche Steuerung bzw. Regelung zugeordnet wäre, der Fachmann weiß, dass im Fall des gleichzeitigen Auftretens mehrerer Auslösebedingungen entweder eine dieser Steuerungen bzw. Regelungen zu priorisieren ist oder zusätzliche Steuerungen bzw. Regelungen definiert werden können. Die Ansprüche fordern lediglich eine Steuerung bzw. Regelung beim Eintreten der Bedingungen, und der Fachmann ist in der Lage, den hydrostatischen Hilfsantrieb bei derartigen Auslösebedingungen allgemein zu steuern bzw. zu regeln.

3.4 Unzulässige Erweiterung

3.4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).

3.5 Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung festgestellt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, da die Aktionen "steuern/regeln" und "aktivieren" als parallel ausgeführte Verfahrensschritte offenbart seien. Absatz [0015] der ursprünglich eingereichten Anmeldung (siehe A-Schrift) könne nicht als Grundlage für die Änderung dienen, da darin nur von "aktivieren" die Rede sei, nicht jedoch gleichzeitig von "steuern/regeln" (Punkt 19.4 der Entscheidung).

Die Einsprechende argumentierte zudem, dass das in Absatz [0015] der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarte Merkmal, wonach der tatsächliche Wert und der Referenzwert verglichen werden, weggelassen werde.

Darüber hinaus enthalte die ursprünglich eingereichte Anmeldung keine Offenbarung einer Steuereinheit, die gemäß den Merkmalen i und j arbeite. Absatz [0015] offenbare zwar eine einzige Ausführungsform, die den hydrostatischen Hilfsantrieb aktiviere, schweige sich jedoch über die Möglichkeit aus, dass die Steuereinheit den hydrostatischen Hilfsantrieb in Reaktion auf eine Beschleunigungswertabweichung durch einen offenen oder geschlossenen Regelkreis steuern könne. Somit stütze Absatz [0015] in keiner Weise die Kombination der Merkmale i und j.

Auch Absatz [0011] stelle keine Verbindung zwischen "regeln" und "aktivieren" her, sondern nur zwischen "steuern" und "aktivieren".

3.5.1 Gemäß Artikel 123(2) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Nach etablierter Rechtsprechung der Beschwerdekammer besteht das Grundprinzip des Artikels 123(2) EPÜ darin, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (G 2/10, Punkt 4.3).

Zu prüfen ist also, ob der Fachmann den beanspruchten Gegenstand als - explizit oder implizit - unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde.

3.5.2 Wie von der Einspruchsabteilung richtig erkannt und oben erläutert, handelt es sich bei den Merkmalen i und j um zwei unterschiedliche Maßnahmen. Zum einen wird der hydrostatische Hilfsantrieb aktiviert und zum anderen geregelt bzw. gesteuert, wenn der Ist-Wert der Fahrzeuglängsbeschleunigung vom Vergleichs-Wert abweicht. Dabei ist zu beachten, dass das Merkmal j nicht besagt, dass der Hilfsantrieb "nur" bei einer Beschleunigungswertabweichung aktiviert wird. Er wird zwar bei einer Beschleunigungswertabweichung aktiviert, der Anspruch schließt jedoch nicht aus, dass auch andere zusätzliche Kriterien den Hilfsantrieb aktivieren könnten.

Sowohl der Einspruchsabteilung als auch der Einsprechenden ist darin zuzustimmen, dass in Absatz [0015] der ursprünglichen Anmeldung nur von einer Aktivierung die Rede ist.

Dieser ist jedoch auch im Zusammenhang mit den Absätzen [0007] bis [0011] zu lesen.

Aus diesen Absätzen ergibt sich unmittelbar und eindeutig, dass die Erfindung in der automatischen Steuerung oder Regelung des hydrostatischen Hilfsantriebs besteht. Ferner ist offenbart, dass diese automatische Steuerung oder Regelung nur mit einer Aktivierung des hydrostatischen Hilfsantriebs verbunden ist (vgl. Absätze [0009], [0011] und [0015]). Auch wenn in Absatz [0011] nur ausdrücklich auf eine Steuerung Bezug genommen wird, geht aus der ursprünglich eingereichten Offenbarung unmittelbar und eindeutig hervor, dass die Begriffe "Steuerung" und "Regelung" für denselben Zweck austauschbar verwendet werden. Der einzige Unterschied besteht darin, ob es sich um einen geschlossenen oder offenen Regelkreis handelt, der nicht strukturell oder funktionell mit der Aktivierung des Hilfsantriebs verbunden ist.

Dem Einwand der Einsprechenden, dass Anspruch 1 den in Absatz [0015] offenbarten Vergleich zwischen den Werten nicht enthalte, kann nicht gefolgt werden. Der Vergleich ist in Anspruch 1 implizit enthalten, damit die Steuereinheit eine Abweichung zwischen den Werten erkennen kann.

3.6 Der in der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden gemäß Artikel 123(3) EPÜ formulierte Einwand gegen den Gegenstand des Anspruchs 1 wird als Folge des Einwands der unzulässigen Erweiterung erhoben. Da keine unzulässige Erweiterung vorliegt, geht dieser Einwand ins Leere.

3.7 Erfinderischen Tätigkeit - Anspruch 1

3.7.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch die von der Einsprechenden vorgetragenen Kombinationen des Stands der Technik nicht nahegelegt (Artikel 56 EPÜ), nämlich:

- D2 mit D1;

- D2 mit D1 und D4; und

- D1, D3, D4 oder D5 mit D2 oder D4.

3.7.2 Die Angriffe der Einsprechenden basieren auf der Annahme dass D2 und/oder D4 die einzigen Entgegenhaltungen sind, die das Merkmal j offenbaren.

D2 offenbare Merkmal j, da die Aktivierung der Hydraulikmotoren 8a und 8b für die Vorderräder 5a und 5b bei Auftreten von Beschleunigungsschlupf in mechanisch angetriebenen Rädern in D2 ausdrücklich offenbart werde (siehe Spalte 4, Zeilen 7-12 und Spalte 8, Zeilen 55-57).

D4 offenbare Merkmal j, da Figur 6 zusammen mit der dazugehörigen Beschreibung ein Verfahren offenbare, bei dem ein Hinterradschlupf erfasst werde (Schritt 114), die Hydraulikpumpe in Abhängigkeit vom erfassten Schlupf gesteuert werde (Schritte 120 bis 130) und anschließend die Kupplungen 14 verbunden würden (Schritt 132). Diese Verbindung der Kupplungen führe zu einer "Aktivierung" des hydrostatische Hilfsantriebs. Figur 6 von D4 zeige eindeutig eine Ausführungsform, bei der der hydrostatische Hilfsantrieb "aktiviert" werde, wenn ein Schlupf erkannt werde.

3.7.3 Die Angriffe der Einsprechenden können jedoch nicht den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegen.

Weder bei D2 noch bei der D4 wird die Aktivierung des hydrostatischen Hilfsantriebs offenbart oder andeutet, wenn eine Abweichung zwischen dem Ist-Wert und dem Vergleichs-Wert der Fahrzeuglängsbeschleunigung auftritt.

D2 und D4 betreffen einen Allradantrieb, bei dem die Antriebsleistung des bereits aktivierten hydrostatischen Hilfsantriebs erhöht wird, sobald Schlupf in der Hauptantriebsachse detektiert wird.

In D2 wird der hydrostatische Hilfsantrieb bereits bei der Auswahl der Position des Schalthebels (D, R; siehe Spalte 5, Zeile 53 ff.) aktiviert.

In D4 wird die Kupplung 14 nicht durch das Vorhandensein von Schlupf (geschweige denn durch einen Vergleich des Ist-Werts mit dem Vergleichswert der Fahrzeuglängsbeschleunigung) aktiviert, sondern durch den Zustand der Kupplungsverbindung selbst in Schritt 130 der Figur 6. Das Ergebnis dieses Schritts 130 bestimmt, ob der hydrostatische Hilfsantrieb aktiviert wird oder nicht (siehe Spalte 12, Zeile 52 ff.), unabhängig davon, ob Schlupf vorhanden ist oder nicht (siehe auch Ergebnis des Schritts 114).

3.8 Anspruch 16

3.8.1 Der Gegenstand des Anspruch 16 ist neu im Hinblick auf D2 (Artikel 54 EPÜ) und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3.8.2 Die Einspruchsabteilung hat festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 15 des im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrag G nicht neu gegenüber D2 sei. Der Wortlaut dieses Anspruchs entspricht dem Wortlaut des Anspruchs 16 des Hilfsantrags D. Dabei begründet die Einspruchsabteilung, dass der Anspruch 15 definiere, dass der hydrostatische Hilfsantrieb in Abhängigkeit von mindestens einer nicht näher definierten Betriebsgröße gesteuert werde.

Im Gegensatz dazu beschreibe der Anspruch 1 die Steuerung in Abhängigkeit von vier klar definierten Betriebsgrößen. Somit sei das einzige Verfahrensmerkmal des Anspruchs die Steuerung des hydrostatische Hilfsantriebs in Abhängigkeit von mindestens einer Betriebsgröße, und dies sei schon D2 offenbare.

Die Einsprechende hielt diesen Einwand für den Gegenstand des Anspruchs 16 des Hilfsantrags D in Beschwerdeverfahren aufrecht. Insbesondere sei das Verfahren als "ein für einen Fahrzeugantrieb geeignetes Betriebsverfahren" zu verstehen, das einen hydrostatischen Hilfsantrieb in Abhängigkeit von mindestens einer Betriebsgröße des Fahrzeugs automatisch steuere.

3.8.3 Der Wortlaut des Anspruchs 16 "Betriebsverfahren für einen Fahrzeugantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 14 ..." entspricht jedoch dem Wortlaut "Verfahren zum Betreiben eines Fahrzeugantriebs nach einem der Ansprüche 1 bis 14 ...", da das beanspruchte Verfahren genau den Antrieb nach den Ansprüchen 1 bis 14 betreibt. Das bedeutet, dass das Verfahren nach Anspruch 16 zumindest die Betriebsverfahrensmerkmale von Anspruch 1 umfasst, damit es den Antrieb betreiben kann, wie in Anspruch 1 definiert.

Infolgedessen ist der Gegenstand des Anspruchs 16 aus denselben Gründen wie für den Gegenstand des Anspruchs 1 neu und erfinderisch.

4. Weder die Parteien noch die Kammer haben Einwände, die Angelegenheit an die erste Instanz zur Anpassung der Beschreibung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags D eingereicht mit Schreiben vom 27. September 2021 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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