European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T122723.20250521 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 Mai 2025 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1227/23 | ||||||||
Anmeldenummer: | 17709596.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65G 47/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUM UMGANG MIT IN MINDESTENS EINER REIHE HINTEREINANDER BEWEGTEN STÜCKGÜTERN | ||||||||
Name des Anmelders: | KRONES Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KHS GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Rechtliches Gehör - Entscheidung im schriftlichen Verfahren Änderungen - zulässig (ja) Neuheit - Hauptantrag (nein) Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (ja) Zurückverweisung an die erste Instanz |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 3 475 198 widerrufen wurde.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent in vollem Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe nach Artikel 100 c) EPÜ (Änderungen) sowie nach Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit).
III. Am 8. Juli 2024 wurde die Beteiligten für eine mündliche Verhandlung am 3. Juni 2025 geladen.
IV. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) EPÜ vom 24. Januar 2025 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Meinung zur Sach- und Rechtslage mit. Gemäß dieser vorläufigen Meinung
- steht Artikel 123 (2) EPÜ nicht der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hauptantrag entgegen,
- ist der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber der Lehre des Dokuments D8,
- ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Hilfsanträge 1 bis 3 nicht ins Verfahren zuzulassen, nicht zu beanstanden,
- liegen besondere Umstände der Beschwerdesache vor, die nach Artikel 12 (6) VOBK eine Zulassung der Hilfsanträge 4 bis 10 rechtfertigen und
- liegen besondere Gründe im Sinne des Artikels 11 VOBK vor, die einer Zurückverweisung der Angelegenheit nach Artikel 111 (1) EPÜ rechtfertigen.
Entsprechend wäre die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
V. Die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 10. April 2025 auf die Mitteilung der Kammer und beantragte, dass die Kammer im schriftlichen Verfahren entscheide, falls auch die Gegenseite ihr Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklären sollte. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2025 nahm sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung bedingungslos zurück.
Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) reagierte mit Schriftsatz vom 29. April 2025 und nahm in ihrem Schriftsatz ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
die Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung des Hauptantrags vom 5. Januar 2023 (Hauptantrag) und
hilfsweise
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 10, erstmalig vorgelegt im Einspruchsverfahren,
weiter hilfsweise
bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.
VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde,
d.h. den vollständigen Widerruf des Patents.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag vom 5. Januar 2023 lautet in der Merkmalsgliederung gemäß Punkt I.2.2 der angefochtenen Entscheidung:
"1.1 Verfahren zum Umgang mit mindestens einer Reihe (1) hintereinander bewegten Stückgütern (2), die als geschlossene Formation (F) transportiert werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.2 - in einem ersten Verfahrensschritt Lücken zwischen aufeinanderfolgenden Gruppen (1a) einer definierten Anzahl von Stückgütern (2) erzeugt werden,
1.2.1 wobei die Gruppen (1a) jeweils eine definierte Anzahl von Stückgütern (2) aufweisen,
1.3 welche Anzahl der Anzahl an Stückgütern (2) einer zu bildenden Lageanordnung korrespondiert oder welche Anzahl einem Vielfachen der Anzahl an Stückgütern (2) einer zu bildenden Lageanordnung korrespondiert,
1.4 - die Stückgüter (2) innerhalb der Gruppen lückenlos als geschlossene Formation transportiert werden;
1.5 - die Gruppen (1a) zu einem Erfassungsbereich (4) wenigstens eines Manipulators (5) transportiert werden,
1.6 - im Erfassungsbereich (4) in mehreren aufeinanderfolgenden Manipulationsschritten jeweils wenigstens ein transportiertes Stückgut (2) durch den wenigstens einen Manipulator (5) aus der geschlossenen Formation (F) der Gruppe (1a) klemmend und/oder kraft- und/oder formschlüssig erfasst,
1.7 von nachfolgenden Stückgütern (2) der geschlossenen Formation (F) der Gruppe (1a) räumlich abgetrennt und in eine definierte relative Zielposition und/oder Zielausrichtung gegenüber den jeweils nachfolgenden Stückgütern (2) gebracht wird,
1.8 mehrere Stückgüter der Gruppe (1a) durch jeweils aufeinanderfolgende Manipulationsschritte in jeweils unterschiedliche Zielpositionen und/oder Zielausrichtungen gebracht werden,
1.9 wodurch jeweils Lageanordnungen für stapelbare Stückgutlagen mit jeweils einer definierten Anzahl von Stückgütern (2) ausgebildet werden."
IX. Der unabhängige Anspruch 11 gemäß Hauptantrag vom 5. Januar 2023 lautet in der Merkmalsgliederung gemäß Punkt I.2.3 der angefochtenen Entscheidung:
"11.1 Vorrichtung (10) zur Durchführung eines Verfahrens zum Umgang mit in mindestens einer Reihe (1) hintereinander bewegten Stückgütern (2) gemäß einem der Ansprüche 1 bis 10, umfassend
11.2 - mindestens einen Manipulator (5) für Stückgüter (2),
11.3 - wenigstens eine Transporteinrichtung (3), über welche unmittelbar aufeinanderfolgende Stückgüter (2) der Reihe (1) annähernd ohne Beabstandung als geschlossene Formation (F) in Richtung eines Erfassungsbereichs (4) des mindestens einen Manipulators transportierbar sind,
11.4 - wobei die wenigstens eine Transporteinrichtung (3) zur Ausbildung von Lücken zwischen Gruppen (1a) aufeinanderfolgender Stückgüter (2) und/oder zu deren Distanzierung von der nachfolgenden geschlossenen Formation (F) mit Stückgütern (2) mit variabler, insbesondere mit zumindest kurzzeitig gegenüber einer regulären Fördergeschwindigkeit beschleunigter Transportgeschwindigkeit (v3*) antreibbar ist,
11.5 - wobei die Stückgüter (2) innerhalb der Gruppen lückenlos als geschlossene Formation (F) transportiert werden,
11.6 - wobei der mindestens eine Manipulator (5) zum klemmenden und/oder kraft- und/oder formschlüssigen Entgegennehmen jeweils mindestens eines Stückgutes (2) aus der mittels der wenigstens einen Transporteinrichtung (3) in seinen Erfassungsbereich (4) transportierten und von der geschlossenen Formation (F) distanzierten Gruppe (1a) an Stückgütern (2)
11.7 sowie zum räumlichen Abtrennen des mindestens einen Stückgutes (2) von nachfolgenden Stückgütern (2) der geschlossenen Formation (F) der Gruppe (1) und selektiven Überführen des wenigstens einen Stückgutes (2) in eine definierte Zielposition und/oder Zielausrichtung ausgebildet ist,
11.8 wodurch jeweils Lageanordnungen für stapelbare Stückgutlagen mit jeweils einer definierten Anzahl von Stückgütern (2) ausgebildet werden können,
11.9 wobei die definierte Anzahl von Stückgütern (2) jeder voneinander beabstandeten Gruppe (1a) mit der definierten Anzahl von Stückgütern (2) jeder zu bildenden Lageanordnung korrespondiert."
X. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
D7: WO 2009/149052 A1;
D8: WO 2017/182162 A1;
D9: WO 2017/182161 A1;
D10: EP 2 408 696 B1;
D11: WO 2017/182163 A1;
D12: DE 10 2013 113 754 A1
D13: EP 2 107 018 A1;
D14: EP 2 331 300 B1;
D15: EP 2 662 319 B1.
XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß
Artikel 12 (8) VOBK 2020.
1.2 Der Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt gewahrt, da die Beteiligten umfangreich zur Sache vorgetragen haben und die Kammer dieses Vorbringen ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
1.3 Die Beteiligten nahmen ihre zunächst hilfsweise gestellten Anträge auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ ausdrücklich und unbedingt zurück, die Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 29. April 2025 und die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2025.
1.4 Die Beschwerdesache ist auf Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 EPÜ entscheidungsreif, so dass der ursprünglich für den 3. Juni 2025 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben wird.
2. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
2.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte die Feststellung in den Punkten II.3 und II.4 der Entscheidungsgründe, dass die Merkmalskombination des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Offenbarung der ursprünglich eingereichten Unterlagen unzulässig erweitert sei.
2.2 Hinsichtlich der Frage, ob eine Änderung den Erfordernissen des Artikel 123 (2) EPÜ genügt, ist grundsätzlich zu prüfen, was die Fachperson der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann ("Goldstandard", vgl. G 3/89 und G 11/91 sowie G 2/10). Es kommt daher nicht allein auf die Offenbarung der ursprünglich eingereichten Ansprüche an, sondern auf die Gesamtoffenbarung, also insbesondere auch auf die ursprüngliche Beschreibung in Zusammenschau mit den ursprünglich eingereichten Figuren. Zu prüfen ist ferner, ob die Änderung dazu führt, dass die Fachperson neue technische Informationen erhält (hierzu insbesondere G 2/10).
2.3 Für die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Unzulässigkeit der Änderungen waren zwei Feststellungen erheblich.
Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass die Merkmale 1.4, 1.5 und 1.6 nicht in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart seien, da nunmehr eine Mehrzahl an geschlossenen Formationen definiert sei, die als zu den gebildeten Gruppen zugehörend spezifiziert sind.
Ferner sei das Merkmal 1.2 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart, weil der letzte Absatz des Anspruchs 1 der ursprünglich eingereichten Unterlagen vorgerückt wurde und der Schritt der Lückenbildung als ein "erster Verfahrensschritt" eingeführt wurde. Diese Änderung impliziere die Einführung einer zeitlichen Komponente und damit auch eine Reihenfolge der Verfahrensschritte.
2.4 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die von der geschlossenen Formation abgetrennte Gruppe für sich eine geschlossene Formation bilden kann. Sie gab dazu an, dass wenn in einem betreffenden Gebiet, nämlich der Packtechnik, von einem lückenlosen Transport gesprochen werde, es sich um eine Förderung von Stückgütern als geschlossene Formation handele. Die Seite 7, Zeilen 20 und 21, der ursprünglichen Beschreibung liefere eine ausreichende Offenbarung für eine Ausgestaltung der Gruppen als geschlossene Formation. Das in den Ansprüchen 1 und 11 gemäß Hauptantrag beschriebene Funktionsprinzip sei in den Figuren 4 und 5 der ursprünglichen Unterlagen dargestellt und werde zudem in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 16, Zeilen 2 bis 11, näher beschrieben. Dabei sei es deutlich, dass es mit dem beschriebenen Funktionsprinzip nicht möglich sei, dass die ursprünglich gebildete Formation derart aufgelöst werde, dass die Stückgüter nicht mehr als "geschlossene Formation" innerhalb der gebildeten Gruppen transportiert werden.
Ferner könne der "erste Verfahrensschritt" nicht so verstanden werden, dass es sich um eine Definition einer zeitlichen Komponente handele, welche zusätzlich noch festlege, dass dieser Schritt genau am Anfang erfolgen müsse. Merkmal 1.1 verlange ausdrücklich, dass zunächst Stückgüter in mindestens einer Reihe hintereinander und als geschlossene Formation transportiert werden.
2.5 Die Kammer folgt der Argumentation der Beschwerdeführerin.
2.6 Der Begriff der "geschlossenen Formation" wird in den ursprünglichen Unterlagen zwar allein in Zusammenhang mit der einlaufenden, zusammenhängenden Reihe an Stückgütern genutzt, aus denen durch Lückenbildung die Gruppen gebildet sind. Aus Sicht der Kammer hat dieser Begriff allerdings für die Fachperson - aber auch im Allgemeinen - eine klar definierte Bedeutung. Diese besteht darin, dass die Stückgüter eine Formation bilden, d.h. gemeinsam eine bestimmte, zusammenhängende bzw. strukturierte Anordnung. Letztere zeichnet sich durch einen Schluss zwischen den Stückgütern aus, d.h. diese stehen in Kontakt oder in unmittelbarer räumlicher Nähe bzw. in einem engen räumlichen Zusammenhang. Der Begriff der "geschlossenen Formation" wird von der Fachperson also aufgrund ihres eigenen Fachwissens verstanden und nicht durch eine besondere Offenbarung in der ursprünglichen Beschreibung. Damit versteht die Fachperson unmittelbar, dass jede der anspruchsgemäßen Gruppen jeweils in sich als geschlossene Formationen gebildet ist, weil die Stückgüter in der Gruppe im Wesentlichen gemeinsam und lückenlos transportiert werden.
Deshalb kann auch die zuletzt von der Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 29. April 2025 vorgebrachten Bemerkungen zu ihrer Argumentationslinie nicht überzeugen. Die ursprüngliche Beschreibung enthält eben keinen Hinweis, dass die offenbarte Lehre dem Begriff der "geschlossenen Formation" eine besondere Bedeutung zuweist, welcher allein der der zu dem Erfassungsbereich des Manipulators transportierten Reihe an Stückgütern zuzuordnen ist. Für eine solche besondere, das allgemeine Begriffsverständnis einschränkende Definition des Begriffs gibt es, auch wenn die Beschreibung augenscheinlich diesen Begriff nur in Zusammenhang mit der zu dem Erfassungsbereich transportierten Reihe ausdrücklich erwähnt, keinen Hinweis in den ursprünglichen Unterlagen. Vielmehr wird die Fachperson in jeder gemeinsamen, lückenlosen Formation von mehreren Stückgütern unmittelbar und eindeutig eine geschlossene Formation erkennen.
2.7 Die Kammer schließt sich zudem nicht dem Argument an, dass mit der Formulierung "erster Verfahrensschritt" eine zeitliche Komponente derart streng definiert ist, dass die in Merkmal 1.2 geforderte Erzeugung von Lücken zwischen aufeinanderfolgenden Gruppen als erster und damit initialer Verfahrensschritt zu verstehen ist, wie es die Beschwerdegegnerin vorträgt und letztlich auch die Einspruchsabteilung feststellte. Sie stimmt vielmehr der Beschwerdeführerin zu, dass es sich für die Fachperson aus dem Wortlaut der Merkmale 1.1 und 1.2 unmittelbar und eindeutig ergibt, dass die Bildung der Gruppen aus einer Reihe hintereinander bewegten Stückgütern, die als geschlossene Formation transportiert werden, erfolgt. Dies setzt notwendigerweise voraus, dass zunächst eine solche Reihe gebildet ist, also Stückgüter als geschlossene Formation transportiert werden.
Damit vermag die Kammer nicht erkennen, dass der Anspruch Ausführungsformen zulässt, in denen die Lückenbildung bereits erfolgt, bevor sich die geschlossene Formation (erstmalig) zum Erfassungsbereich hin in Bewegung setzt, wie es die Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 29. April 2025 vorbringt.
2.8 Im Ergebnis führen die Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht dazu, dass die Fachperson gegenüber der ursprünglich eingereichten Anmeldung neue technische Informationen erhält.
2.9 Das oben Diskutierte gilt in gleichem Maße auch für Anspruch 11, zu dem die Beteiligten nicht gesondert vorgetragen haben.
2.10 Folglich steht Artikel 123 (2) EPÜ nicht der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hauptantrag entgegen.
3. Hauptantrag - Ansprüche 1 und 11 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54 und 56 EPÜ)
3.1 Im Einspruchsverfahren erhob die Beschwerdegegnerin Einwände mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber den jeweiligen Lehren der Dokumente D7, D8, D9 und D12, sowie mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß Hauptantrag gegenüber den jeweiligen Lehren der Dokumente D7, D9, D10, D11 und D12. Ferner erhob sie Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Gegenstände der Ansprüche 1 und 11 gegenüber der Kombination der Lehren der Dokumente D13 mit D14 oder der Kombination der Lehren der Dokumente D15 mit D14.
Diese Einwände waren angesichts der getroffenen Entscheidung nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.
Zumindest die von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren sämtlich weiter aufrechterhaltenen Neuheitseinwände wurden indes von den Beteiligten sowohl in der Beschwerdebegründung als auch in der Beschwerdeerwiderung ausführlich behandelt. Sie erscheinen auch nicht als besonders komplex, als dass die Kammer nicht bereits eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage treffen konnte.
3.2 Zwischen den Beteiligten war allein strittig, ob der Lehre des Dokuments D8 das Merkmal 1.3 zu entnehmen sei.
Die Beschwerdeführerin trug vor, dass dem Dokument D8 zu entnehmen sei, dass eine kürzere Reihe aus beispielsweise vier Stückgütern eine Gruppe bilde, für die Fachperson aber aus dem Dokument D8 kein Hinweis zu entnehmen sei, dass aus einer Anzahl von vier Stückgütern eine Stückgutlage gebildet werde, sondern vielmehr bekannt sei, dass eine Stückgutlage eine Anzahl von Stückgütern im mehrstelligen Bereich umfasse.
Die Kammer folgt jedoch der Argumentation der Beschwerdegegnerin, dass die in Merkmal 1.3 genannten Lageanordnung nicht mit einer vollständigen oder fertigen Stückgutlage gleichzusetzen ist, sondern auch eine Teil- bzw. Vorgruppierung zur Bildung einer Stückgutlage darstellen kann. Entgegen der in dem Schriftsatz vom 10. April 2025 angegebenen Meinung der Beschwerdeführerin, sieht die Kammer nicht, dass Merkmal 1.3 durch weitere Merkmale des Anspruchs 1 anders bzw. mit weiteren Beschränkungen auszulegen wäre, insbesondere dass sich auch in der Zusammenschau mit der Kombination mit den Merkmalen 1.2 und 1.2.1 in zwingender Weise ergäbe, dass eine Gruppe gebildet wird, deren Anzahl an Stückgütern mit einer palettierfähigen Lage korrespondiert.
Damit ist das Merkmal 1.3 aus der Offenbarung der Seite 32, Zeilen 13 bis 15, des Dokuments D8 zu entnehmen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist im Ergebnis nicht neu gegenüber der Lehre des Dokuments D8.
4. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 (Artikel 114 EPÜ)
4.1 Die Hilfsanträge 1 bis 10 wurden von der Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt. Angesichts ihrer Auffassung zu der Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ ließ die Einspruchsabteilung sämtliche Hilfsanträge nicht ins Verfahren zu.
Die Entscheidung über die unbestritten aus Artikel 114 EPÜ in ihrem Ermessen stehende Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 erfolgte auf Grundlage der Erwägung der Einspruchsabteilung, dass die Hilfsanträge 1 bis 10 zumindest prima facie nicht geeignet waren, die aus ihrer Sicht bestehenden Mängel in Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zu beseitigen.
4.2 Die Kammer hält es angesichts ihrer oben dargelegten von den Feststellungen der angefochtenen abweichenden Meinung zu der Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ durch den Hauptantrag für geboten zu prüfen, ob die Hilfsanträge nicht aus Artikel 12 (6) Satz 1 VOBK im Beschwerdeverfahren zuzulassen sind.
4.3 Gemäß Artikel 12 (6) Satz 1 VOBK lässt die Kammer Anträge, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, nicht zugelassen wurden, nicht zu, es sei denn, die Entscheidung über die Nichtzulassung war ermessensfehlerhaft oder die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigten eine Zulassung.
4.4 Die Kammer vermag keinen Fehler in der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung als solche erkennen. Denn auch wenn die Feststellungen der Einspruchsabteilung im Ergebnis inhaltlich zu beanstanden sind (siehe oben, Punkt 2. dieser Entscheidung), so hat die Einspruchsabteilung dennoch ihr Ermessen nach den richtigen Kriterien und wenn auch in der Beurteilung letztlich nichtzutreffend, so doch erkennbar nicht in willkürlicher Weise ausgeübt.
4.5 Es bleibt zu erwägen, ob die oben dargelegte, von der angefochtenen Entscheidung abweichende vorläufige Meinung der Kammer zu Artikel 123 (2) EPÜ einen Umstand darstellt, der eine Zulassung der Hilfsanträge rechtfertigen könnte.
4.6 Dabei berücksichtigt die Kammer, dass die Lehre des Dokuments D8 in Hinblick auf die Erörterung der Neuheit von Anfang an Gegenstand des Einspruchsverfahren war und in der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung im Gegensatz zur Frage der Erfüllung des Artikels 123 (2) EPÜ als kritisch für die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrags angesehen wurde. Eine weitere Befassung mit dieser Frage war daher für die Beschwerdeführerin ab diesem Verfahrenszeitpunkt zumindest nicht überraschend.
Der Kammer ist - auch mangels gegenteiligen Vorbringens der Beschwerdeführerin - davon überzeugt, dass zumindest prima facie keiner der Hilfsanträge 1 bis 3 eine geeignete Reaktion auf den Neuheitseinwand gegenüber dem Dokument D8 darstellt. Die Hilfsanträge 1 bis 3 beinhalten sämtlich insbesondere Klarstellungen in Hinblick auf die Differenzierung zwischen der eingehenden Formation und einer zweiten Formation sowie der Reihenfolge der Verfahrensschritte und damit nicht zu dem gegenüber der Lehre von Dokument D8 als relevant erachteten Merkmal 1.3.
4.7 Zumindest aber in Hinblick auf Hilfsantrag 4, der eine Klarstellung zu der Formulierung der Lagenanordnung und damit in Hinblick auf die im Rahmen der Neuheit des Hauptantrags diskutierte Thematik enthält, erscheinen sich der Kammer auf den ersten Augenschein keinen Bedenken im Hinblick auf die Frage der Neuheit gegenüber der Lehre des Dokuments D8 aufzudrängen.
Die zu Artikel 123 (2) und (3) EPÜ vorgebrachten Einwände der Beschwerdegegnerin erschöpfen sich auf eine Bezugnahme auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung zum Hauptantrag. Zu der in Punkt 12.7 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK bereits formulierten vorläufigen Meinung der Kammer, dass diese deshalb nicht überzeugen können, trug die Beschwerdegegnerin nicht weiter vor und hielt auch in Kenntnis dieser vorläufigen Meinung ihren Antrag auf mündliche Verhandlung nicht aufrecht. Aus diesem Verhalten der Beschwerdegegnerin ergibt sich unmittelbar, dass sie ihren Einwand aus Artikel 123 (2) und (3) EPÜ gegen Hilfsantrag 4 nicht über die entsprechenden Einwände gegen den Hauptantrag weiterverfolgt, so dass darüber bereits durch die in obigen Punkt 2. dieser Entscheidung darlegten Schlussfolgerungen abschließend entschieden ist und es keiner weiteren Entscheidung zu den Einwänden bedarf.
Im Ergebnis erkennt die Kammer in der Neubeurteilung der Sachlage durch die Kammer und der Beseitigung der nunmehr von der Kammer als relevant erachteten Hindernisse durch Hilfsantrag 4 besondere Umstände der Beschwerdesache, die eine Zulassung der Hilfsanträge 4 bis 10 nach Artikel 12 (6) VOBK rechtfertigen und lässt in Ausübung ihres Ermessens aus Artikel 12 (6) VOBK die Hilfsanträge 4 bis 10 entsprechend ins Beschwerdeverfahren zu.
4.8 Jedoch haben sich weder die Beschwerdeführerin noch die Beschwerdegegnerin in ihrem Vorbringen weitergehend mit Hilfsantrag 4 auseinandergesetzt und sich auch angesichts der oben dargelegten Auffassung der Kammer, die eine neue Beurteilung der Sachlage darstellt, nicht damit auseinandersetzen können.
Es ist daher im Weiteren zu prüfen, ob der Hilfsantrag 4 über die oben dargelegten Schlussfolgerungen hinaus gegenüber der Vielzahl weiterer Einwände der Beschwerdegegnerin auch im Übrigen den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
5. Die Kammer gelangt zu der Überzeugung, dass angesichts dieser Umstände der gebotenen weiteren grundlegenden Auseinandersetzung mit der Angelegenheit besondere Gründe im Sinne des Artikel 11 VOBK vorliegen, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung nach Artikel 111 (1) EPÜ rechtfertigen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.