T 1061/23 () of 2.7.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T106123.20250702
Datum der Entscheidung: 02 Juli 2025
Aktenzeichen: T 1061/23
Anmeldenummer: 15192178.0
IPC-Klasse: C08G 69/26
C08K 7/14
C08L 77/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: POLYAMIDFORMMASSE, HIERAUS HERGESTELLTER FORMKÖRPER SOWIE VERWENDUNGSZWECKE
Name des Anmelders: EMS-CHEMIE AG
Name des Einsprechenden: Godemeyer Blum Lenze Patentanwälte
Partnerschaft mbB
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6) (2020) Sent 2
Schlagwörter: Spät eingereichte Beweismittel - wären bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Beschwerdeerwiderung - vollständiges Beschwerdevorbringen eines Beteiligten (nein)
Änderung des Vorbringens - Gründe warum Änderung im Beschwerdeverfahren erfolgt (nein)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (nein)
Zurückverweisung - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1731/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 020 746 zurückgewiesen worden ist.

II. Der Anspruch 1 des Streitpatents lautete wie folgt:

"1. Polyamidformmasse, enthaltend oder bestehend aus einem Blend aus

a) 50 bis 90 Gew.-Teile mindestens eines Polyamids, erhältlich durch Polykondensation von 1,5-Pentandiamin oder eines Gemisches aus mindestens zwei Diaminen, wobei 1,5-Pentandiamin mindestens 90 mol-% des Gemisches ausmacht und im Falle eines Gemisches mindestens zweier Diamine das mindestens eine weitere Diamin ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus 1,4-Butandiamin, 2-Methyl-1,5-pentandiamin, 2-Butyl-2-ethyl-1,5-pentandiamin, 1,6-Hexandiamin, 2,2,4-Trimethylhexamethylendiamin, 2,4,4-Trimethylhexamethylendiamin, 1,8-Octandiamin, 2-Methyl-1,8-octandiamin, 1,9-Nonandiamin, 1,10-Decandiamin, 1,11-Undecandiamin, 1,12-Dodecandiamin, 1,13-Tridecandiamin, 1,14-Tetradecandiamin, 1,3-Bis-(aminomethyl)cyclohexan, Bis-(4-amino-3-methyl-cyclohexyl)-methan, Bis-(4-amino-cyclohexyl)-methan, Bis-(4-Amino-3-ethyl-cyclohexyl)-methan, Bis-(4-Amino-3,5-dimethyl-cyclohexyl)-methan, 2,6-Norbornandiamin, 2,6-Bis-(aminomethyl)norbornan, 1,3-Cyclohexandiamin, 1,4-Cyclohexandiamin und Isophorondiamin, mit mindestens einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 4 bis 36 Kohlenstoffatomen oder ein Gemisch mindestens zweier Dicarbonsäuren mit 4 bis 36 Kohlenstoffatomen, sowie

b) 10 bis 50 Gew.-Teile mindestens eines teilaromatischen Polyamids,

wobei sich die Bestandteile a) und b) zu 100 Gew.-Teile addieren und die Polyamidformmasse zusätzlich, bezogen auf 100 Gew.-Teile des Blends der Polyamide a) und b)

c) 10 bis 250 Gew.-Teile Fasern,

d) 0 bis 100 Gew.-Teile mindestens eines Additivs, und/oder

e) 0 bis 100 Gew.-Teile mindestens eines von a) und b) verschiedenen Polymers

enthält oder die Formmasse hieraus besteht."

Der genaue Wortlaut der weiteren Ansprüche wie erteilt ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.

III. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Dokumente herangezogen:

D1: US 2010/0331461 A1

D2: US 2012/0157606 A1

D3: Produktdatenblatt "Selar® PA 3426" aus 2010

IV. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, soweit sie für die vorliegende Beschwerde relevant ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt sei erfinderisch gegenüber D1 als nächstliegendem Stand der Technik.

V. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte folgende Dokumente mit der Beschwerdebegründung vor:

D6: Versuchsbericht aus der Einspruchsschrift

D7: US 5,053,259

D8: Produktdatenblatt "Selar® PA 3426" aus 2017

VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) reichte mit der Beschwerdeerwiderung folgende Beweismittel ein:

D9: DIN-Norm EN ISO 307

D10: Auszug der Homepage "goettferdt.de"

D11: Auszüge aus dem Lehrbuch "Makromoleküle" von H. G. Elias, 1990, Kap. 18.1 und 22.4.1

D12: Auszüge aus dem "Nylon Plastics Handbook" von M. I. Kohan, 1995

D13: Produktdatenblatt zu PA 9T von Kuraray

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 2. Juli 2025 statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung auf Basis eines der mit dem Schriftsatz vom 21. Dezember 2022 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 11 zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.

VIII. Der Hauptantrag ist das Patent wie erteilt (siehe Punkt II.).

Der genaue Wortlaut der Hilfsanträge 1 bis 11 ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.

IX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Parteien sind den unten stehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Sie betreffen:

- die Zulassung der Dokumente D7 bis D13 (Punkte 1. und 2. der Entscheidungsgründe),

- die erfinderische Tätigkeit des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik (Punkt 3. der Entscheidungsgründe) und

- die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 11 sowie die Notwendigkeit einer Zurückverweisung an die erste Instanz (Punkte 4. bis 6. der Entscheidungsgründe).

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der Dokumente D7 und D8

1.1 Die Dokumente D7 und D8 wurden von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Ihre Zulassung zum Verfahren unterliegt dem Ermessen der Kammer gemäß Artikel 12 Absätze 4 bis 6 VOBK.

1.2 D7 und D8 wurden vorgelegt, um das Argument der Beschwerdegegnerin zu entkräften, dass sich die Zusammensetzung des Produkts Selar® PA3426 (erwähnt in Dokument D2) im Laufe der Zeit verändert haben könnte (Beschwerdebegründung, Seite 2, erster Absatz und Seite 12, vierter Absatz).

1.3 Die Beschwerdegegnerin beantragt, das Dokument D8 nicht in das Verfahren zuzulassen, da es nicht prima facie relevant sei. Aus ihm gehe kein weiterer Sachverhalt hervor, wie bereits aus Dokument D3 (Beschwerdeerwiderung, Seite 19, fünfter Absatz und Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 2, siebter Absatz).

1.4 Gemäß Artikel 12 (6) VOBK, sind Beweismittel, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären, nicht zuzulassen, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

1.5 Die Kammer stellt fest, dass der Einwand der Beschwerdegegnerin bezüglich einer möglichen Änderung der Zusammensetzung des Produkts Selar® PA3426 bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht wurde, wie durch den Inhalt der angefochtenen Entscheidung bestätigt (siehe Absatz zwischen Seite 7 und 8). Somit ist die Kammer der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin die Dokumente D7 und D8 bereits im Einspruchsverfahren als Reaktion auf diese Kritik hätte einreichen müssen.

1.6 Unter diesen Umständen hält es die Kammer für angemessen, in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (6) VOBK (zweiter Satz) die Dokumente D7 und D8 nicht zum Verfahren zuzulassen.

2. Zulassung der Dokumente D9 bis D13

2.1 Die Dokumente D9 bis D13 wurden von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht. Ihre Zulassung zum Verfahren, wogegen sich die Beschwerdeführerin wendet, unterliegt auch dem Ermessen der Kammer gemäß Artikel 12 Absätze 4 bis 6 VOBK.

2.2 D9 und D10 wurden vorgelegt, um nachzuweisen, dass die Viskosität der Polyamide 56 (PA 56) und MXD6 (PA MXD6) im Versuchsbericht D6 der Einsprechende nicht klar definiert sei (Beschwerdeerwiderung, Punkt 4.1 auf Seite 4 und 5). Während der mündlichen Verhandlung erklärte die Beschwerdegegnerin, dass sie die Dokumente D11, D12 und D13 für die Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht benötigte (Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 2, dritter Absatz).

2.3 Die Beschwerdeführerin beantragt, die Dokumente D9 und D10 nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie bereits in erster Instanz hätten vorgebracht werden sollen (Schreiben vom 3. Juni 2025, Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2, erster vollständiger Absatz). Außerdem seien die Dokumente D11 bis D13 für die Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant (Schreiben vom 3. Juni 2025, Seite 2, dritter und vierter Absatz).

2.4 Es ist unbestritten, dass die experimentellen Versuchsdaten in D6 schon im Einspruchsverfahren von der Einsprechenden vorgelegt wurden (siehe Einspruchsschrift, Seite 5, vorletzter Absatz bis Seite 7, vorletzter Absatz). Der Einwand der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die Viskosität der in D6 eingesetzten Polyamide wurde außerdem in erster Instanz bereits diskutiert und in der angefochtenen Entscheidung behandelt (siehe Seite 5, dritter Absatz). Somit ist die Kammer der Auffassung, dass die Beschwerdegegnerin die Dokumente D9 und D10 bereits im Einspruchsverfahren als Reaktion auf diesen Einwand hätte einreichen müssen.

2.5 Unter diesen Umständen hält es die Kammer für angemessen, in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (6) VOBK (zweiter Satz) die Dokumente D9 und D10 nicht zum Verfahren zuzulassen.

2.6 Da die Beschwerdegegnerin die Dokumente D11 bis D13 für die erfinderische Tätigkeit nicht benötigt und dies die einzige Frage ist, die für die vorliegende Entscheidung relevant ist (da die Beschwerdeführerin keine weiteren Einwände gegen die erteilten Ansprüche vorgebracht hat), kommt die Kammer zu dem Schluss, dass diese Dokumente für die Entscheidung nicht relevant sind und daher nicht zum Verfahren zugelassen werden (Artikel 12 (4) VOBK).

Hauptantrag (Patent wie erteilt)

3. Erfinderische Tätigkeit gegenüber D1

3.1 Nächstliegender Stand der Technik und Unterscheidungsmerkmal

Die Parteien sind im Einklang mit der Einspruchsabteilung der Auffassung, dass

- Dokument D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellen kann und

- sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von D1 darin unterscheidet, dass die Polyamidformmasse:

i) 10-50 Gew.-Teile eines teilaromatischen Polyamids b)

enthält (angefochtene Entscheidung, Seite 4, Punkt 3.2; Beschwerdebegründung, Seite 7, Punkt 4.2; Beschwerdeerwiderung, Seite 14, erster Absatz).

Die Kammer hat keinen Grund eine andere Sicht zu vertreten.

3.2 Die gegenüber D1 gelöste Aufgabe

3.2.1 Der erste Streitpunkt zwischen den Parteien bezieht sich auf die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe. Während die Beschwerdeführerin der Meinung ist, dass es sich lediglich um die Bereitstellung einer alternativen Formmasse handle (Beschwerdebegründung, Seite 11, zweiter vollständiger Absatz), stimmt die Beschwerdegegnerin der Einspruchsabteilung zu, dass diese Aufgabe in der Bereitstellung von Formkörpern mit verbesserter Dimensionsstabilität im Sinne verringerter Schwindung liegt (angefochtene Entscheidung, Seite 6, vorletzter Absatz; Beschwerdeerwiderung, Seite 14, vorletzter Absatz).

3.2.2 Die Beschwerdeführerin führt hierzu aus, dass die von ihr eingereichten Versuche (D6) zeigen würden, dass bei den getesteten Polyamidformmassen, die unter Anspruch 1 des Streitpatents fallen, keine Verringerung der Schwindung erreicht werde. Diese Ergebnisse würden die beanspruchte technische Wirkung in Frage stellen, insbesondere für den gesamten Umfang des Anspruchs (Beschwerdebegründung, Seite 8, vierter vollständiger Absatz bis Seite 9, vierter Absatz). Ferner macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die Beweislast von der Einsprechenden zur Patentinhaberin wechseln sollte, wenn eingereichte Beispiele Zweifel an der behaupteten technischen Wirkung aufwerfen. Die Patentinhaberin habe jedoch weder Gegenbeweise eingereicht noch die Zweifel überzeugend ausgeräumt. Die Beschwerdeführerin ist außerdem der Auffassung, dass die im experimentellen Teil des Streitpatents berichteten Ergebnisse widersprüchlich und ein weiterer Beweis dafür seien, dass keine technische Wirkung über den gesamten Umfang der Ansprüche erzielt worden sei (Beschwerdebegründung, Seite 9, letzter Absatz bis Seite 11, zweiter vollständiger Absatz).

3.2.3 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Vergleichsversuche nicht glaubwürdig seien. Jedenfalls sei bei widersprüchlichen Ergebnissen der Vergleichsversuche im Zweifel zugunsten der Patentinhaberin zu entscheiden (Beschwerdeerwiderung, Seiten 4 bis 11, Punkte 4.1 bis 4.3). Ferner sei die Kritik der Beschwerdeführerin an den Ergebnissen des Streitpatents unsubstantiiert. Die Beschwerdeführerin ist ferner der Ansicht, dass diese Kritik erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden sei und daher nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden dürfe (Beschwerdeerwiderung, Seiten 11 und 12, Punkt 4.4).

3.2.4 In Bezug auf die vorliegenden experimentellen Nachweise ist die Kammer der Ansicht, dass diese verwendet werden können, um das Vorhandensein einer verbesserten Dimensionsstabilität zu rechtfertigen:

a) Betrachtet man zunächst die Beispiele des Streitpatents (siehe Tabelle 2 und 3), so wird deutlich, dass der Zusatz eines teilaromatischen Polyamids 6I/6T (entsprechend einem anspruchsgemäßen teilaromatischen Polyamids b)) zu verschiedenen Formmassen, die ein Polyamid auf Pentandiaminbasis und Glasfasern enthalten, zu einer Verbesserung der Dimensionsstabilität (im Sinne einer geringeren Schrumpfung längs und quer) des Formteils führt.

b) In Abschnitt 4.4 der Beschwerdebegründung kritisierte die Beschwerdeführerin den experimentellen Teil des Streitpatents. Zunächst sei ihrer Meinung nach bekannt, dass die Messung der Dimensionsstabilität von verschiedenen Faktoren beeinflusst werde. Diese Faktoren seien im Streitpatent jedoch nicht erwähnt worden. Darüber hinaus würden die in den Tabellen 1 bis 3 des angefochtenen Patents angegebenen Ergebnisse mehrere Unstimmigkeiten enthalten. Dies führe zu dem Schluss, dass die angebliche Verbesserung der Dimensionsstabilität nicht glaubhaft sei.

c) Die Kammer stellt jedoch fest, dass diese Kritikpunkte nicht durch Beweise gestützt werden. Insbesondere ist nicht nachgewiesen, dass die Bedingungen für die Messung der Dimensionsstabilität einen solchen Einfluss haben könnten, dass die im angefochtenen Patent erzielten Ergebnisse nicht aussagekräftig sind. Es wurde auch nicht gezeigt, dass die angeblichen Unstimmigkeiten in bestimmten Ergebnissen tatsächlich bestehen und geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Gesamtheit der vorgelegten Versuchsdaten zu wecken. Daher hat die Kammer keinen Grund zu der Annahme, dass die Beispiele des Streitpatents nicht aussagekräftig sind.

d) Ein weitere von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage ist jedoch, ob die verbesserte Dimensionsstabilität über den gesamten Umfang von Anspruch 1 erreicht werden kann.

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine angebliche Verbesserung nur anerkannt werden, wenn glaubhaft ist, dass diese Verbesserung über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt wird (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 11. Auflage, Juli 2025, im Folgenden "Rechtsprechung" genannt, Abschnitt I.D.4.3.1).

e) Die Beschwerdeführerin hat Vergleichstests in Form des Dokuments D6 vorgelegt, um zu zeigen, dass die Wirkung eines semiaromatischen Polyamids auf die Dimensionsstabilität nicht über den gesamten Umfang des Anspruchs 1 hinweg erreicht wird. Für die Kammer sind die experimentellen Ergebnisse von D6 jedoch für diesen Zweck nicht überzeugend. Was zunächst die Wirkung von Polyamid MXD6 betrifft (siehe Tabelle B von D6), so führt die Zugabe dieses teilaromatischen Polyamids zu einer Verringerung der Schrumpfung sowohl in Maschinen- als auch in Querrichtung zu. Somit bestätigt diese erste Versuchsreihe die Ergebnisse im Streitpatent. Obwohl es richtig ist, dass die Zugabe eines Polyamids 6I/6T bei der Wiederholung von Beispiel B3a (siehe Tabelle A von D6) nicht zu einer verringerten Schrumpfung in Querrichtung führt, wird dennoch eine Verringerung in Maschinenrichtung beobachtet. Das Gewicht eines einzelnen negativen Ergebnisses ist jedoch nicht ausreichend, um die beständige Verbesserung der Dimensionsstabilität auszugleichen, die sowohl im Streitpatent als auch zum Teil in D6 beobachtet wurde. Unabhängig von den weiteren Kritikpunkten der Beschwerdegegnerin in Bezug auf D6, ist die Kammer daher der Auffassung, dass D6 die Wirkung von teilaromatischem Polyamid auf die Dimensionsstabilität eher bestätigt als Zweifel daran aufkommen lässt.

f) Für die Kammer ist es auf der Grundlage der im angefochtenen Patent, aber auch in D6 vorgelegten Ergebnisse daher glaubhaft, dass die Zugabe eines semiaromatischen Polyamids (entsprechend dem Unterscheidungsmerkmal) zu einer Verbesserung der Dimensionsstabilität der Formmasse führt.

3.2.5 Aus diesen Gründen wird die zu lösende objektive Aufgabe als die Bereitstellung einer Formmasse mit verbesserter Dimensionsstabilität definiert.

3.3 Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung

3.3.1 Es bleibt zu prüfen, ob es für eine Fachperson, die eine Formmasse mit verbesserter Dimensionsstabilität bereitstellen möchte, offensichtlich war, den Zusammensetzungen von D1 10 bis 50 Gew.-Teile eines teilaromatischen Polyamids hinzuzufügen.

3.3.2 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass D2 vorschlägt, einer Polyamid-Formmasse ein teilaromatisches Polyamid beizumischen, um ihre Dimensionsstabilität zu verbessern (D2, Absatz [0041]). Daher liege es nahe, ein solches Polyamid hinzuzufügen, um die Dimensionsstabilität der Zusammensetzungen von D1 weiter zu verbessern (Beschwerdebegründung, Seite 14, dritter vollständiger Absatz).

3.3.3 Die Beschwerdegegnerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 nicht naheliegend sei, da die Lehre der D2 nicht eindeutig und nicht ohne Weiteres übertragbar sei.

Zunächst würde die Fachperson bei der Lektüre des Dokuments D1, das den herkömmlichen aliphatischen Polyamiden deutlich schlechtere Schrumpfungseigenschaften zuspricht, kein Dokument wie D2 berücksichtigen, das exakt diese nachteiligen Polyamide behandeln würde (Beschwerdeerwiderung, Seite 15, dritter vollständiger Absatz bis Seite 16, zweiter vollständiger Absatz).

Ferner führe D2 die Verbesserung der Dimensionsstabilität keineswegs monokausal auf die Zugabe eines teilaromatischen Polyamids zurück. Vielmehr hebe D2 hervor, dass auch die Mischungsverhältnisse und der Gehalt der kristallinen Polyamide sowie die Art und Menge der Glasfasern entscheidend seien. Die in D2 enthaltenen Beispiele belegen zudem widersprüchliche Ergebnisse: so zeige ein Vergleichsbeispiel ohne Glasfasern die mit Abstand beste Dimensionsstabilität, was im Widerspruch zur Behauptung stehe, Glasfasern trügen stets positiv zur Formstabilität bei. Infolgedessen lasse sich die Rolle des teilaromatischen Polyamids nicht isoliert als maßgeblicher Faktor für die Reduktion der Schrumpfung erkennen (Schreiben vom 30. April 2025, Seiten 6 bis 8).

Darüber hinaus sei die Lehre der D2 auf Pentandiamin-basierte Polyamide wie PA 510 nicht übertragbar, da diese dort weder erwähnt noch angedeutet werden. Vielmehr belege D1, dass glasfaserhaltige Formmassen auf Basis von PA 510 gänzlich andere physikalische Eigenschaften - etwa Glanz, Viskosität und Schrumpfung - aufweisen als entsprechende Formmassen mit PA 6 oder PA 610. Diese Unterschiede bestünden, obwohl die unverstärkten Polyamide sehr ähnliche Ausgangseigenschaften zeigten. Dies verdeutliche, dass die Fachperson nicht erwarten könnte, dass Maßnahmen aus D2, wie die Zugabe eines teilaromatischen Polyamids oder die Variation der Glasfasermischung, bei PA 510 vergleichbare Wirkungen entfalten würden (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 9 bis Seite 10, zweiter Absatz).

Im Rahmen des "could-would"-Ansatzes betont die Beschwerdegegnerin schließlich, dass es nicht ausreiche, dass die Fachperson die beanspruchte Maßnahme hätte durchführen können. Entscheidend sei vielmehr, ob sie sie auch in der Erwartung eines Vorteils oder einer Lösung der technischen Aufgabe vorgenommen hätte. Aufgrund der widersprüchlichen und nicht eindeutig kausalen Lehre der D2 sowie der besonderen Eigenschaften von PA 510 habe es an einer solchen Veranlassung gefehlt. Eine Kombination der Lehren von D1 und D2 wäre daher nur in einer unzulässigen rückblickenden Betrachtungsweise naheliegend (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 10, dritter und vierter Absatz).

3.3.4 In Anbetracht der Argumente der Parteien sind folgende Fragen entscheidend, um zu bestimmen, ob die vorgeschlagene Lösung naheliegend ist:

1. Hätte die Fachperson das Dokument D2 zur Lösung der vorliegenden Aufgabe herangezogen?

2. Ist die vorgeschlagene Lösung angesichts dieses Dokuments offensichtlich?

Diese Fragen werden im Folgenden nacheinander behandelt.

3.3.5 Was die erste Frage betrifft, stellt die Kammer fest, dass D2 Polyamidzusammensetzungen betrifft, die sich unter anderem durch ihre Dimensionsstabilität auszeichnen (Absatz [0004] von D2). Da das durch dieses Dokument gelöste Problem und die betreffenden Zusammensetzungen denen des angefochtenen Patents und des Dokuments D1 sehr ähnlich sind, hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass eine fachkundige Person die Lehre dieses Dokuments nicht ignorieren konnte und es zur Lösung des vorliegenden Problems herangezogen hätte.

3.3.6 Für die zweite Frage schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin an (Beschwerdebegründung, Seite 14, dritter vollständiger Absatz).

Zunächst schlägt D2 eindeutig vor, einer Polyamid-Formmasse ein nichtkristallines Polyamid zuzusetzen, um ihre Dimensionsstabilität zu verbessern (D2, Absatz [0041]). Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, ist dieser Effekt in Absatz [0041] von D2 klar als monokausal beschrieben. Es ist ferner aus diesem Dokument ableitbar, dass das nichtkristalline Polyamid teilaromatisch ist (D2, Absatz [0038]). Schon aus diesem Grund ist für die Kammer naheliegend, eine willkürliche Menge (z.B. 10 bis 50 Gew.-%) eines teilaromatischen Polyamids hinzuzufügen, um die Dimensionsstabilität der Zusammensetzungen von D1 weiter zu verbessern.

3.3.7 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die Fachperson die Wirkung des semiaromatischen Polyamids auf ein Polyamid auf Pentandiaminbasis nicht vorhersehen konnte. Die Kammer hat jedoch keinen konkreten Grund zu der Annahme, dass die Lehre von D2 nicht auf Polyamide auf Pentandiaminbasis angewendet werden könnte. Zumindest schließt D2 diese Polyamide nicht aus (siehe D2, Anspruch 1). Außerdem, nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann eine Maßnahme auch als naheliegend im Sinne des Artikels 56 EPÜ angesehen werden, wenn die Fachperson sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hätte. Mit anderen Worten ist eine Lösung nicht nur dann naheliegend, wenn ein technischer Effekt klar vorhersehbar ist, sondern auch, wenn es realistisch ist, dass mit diesem Effekt gerechnet werden kann (Rechtsprechung, Abschnitt I.D.7.1).

3.3.8 Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall anwendbar. Wie oben dargelegt, lehrt D2 (siehe Absätze [0041] und [0038]) eindeutig, dass die Zugabe eines nicht kristallinen teilaromatischen Polyamids zur Verbesserung der Dimensionsstabilität beitragen kann. Selbst wenn D2 im Gegensatz zu Dokument D1 kein Polyamid auf Pentandiaminbasis beschreibt (sondern aliphatische kristalline Polyamide im Allgemeinen), ist es für eine Fachperson zumindest naheliegend, diese Lehre auf die Zusammensetzung von D1 anzuwenden und damit automatisch zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu gelangen ("obvious to try").

3.4 Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber D1 in Kombination mit D2 nicht erfinderisch.

Hilfsanträge 1 bis 11

4. Zurückverweisung - Voraussetzung

4.1 Die Beschwerdegegnerin beantragte, den vorliegenden Fall zur Entscheidung über die Hilfsanträge 1 bis 11 an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 11, vierter vollständiger Absatz). Die Kammer entnimmt den Ausführungen der Beschwerdegegnerin, dass über den Antrag auf Zurückverweisung entschieden werden soll, bevor über die Zulässigkeit der Hilfsanträge entschieden wird.

4.2 Eine Entscheidung über die Zurückverweisung an die erste Instanz kann jedoch nur getroffen werden, wenn Anträge anhängig sind, die Gegenstand des Verfahrens sind oder in das Verfahren zugelassen wurden. Daher ist zunächst der Status der Anträge zu prüfen und eine Entscheidung über ihre Zulassung zu treffen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Parteien kein Recht haben, zu wählen, in welcher Form die Kammer ihre Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ ausübt. Somit ist die Kammer berechtigt, über die Zulassung der Hilfsanträge zu entscheiden, ohne an den Antrag der Beschwerdegegnerin auf vorrangige Behandlung des Antrags auf Zurückverweisung gebunden zu sein (siehe T 1731/19, Punkt 8.2 der Gründe).

5. Zulassung der Hilfsanträge

5.1 Die Hilfsanträge 1 bis 11 wurden während des Einspruchsverfahrens mit Schreiben vom 21. Dezember 2022, etwa zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, eingereicht. In ihrer Beschwerdeerwiderung verwies die Beschwerdegegnerin auf diese Anträge (Seite 1, letzter Absatz). Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrem Schreiben vom 3. Juni 2025 (Seite 3, erster Absatz), die Hilfsanträge wegen mangelnder Begründung nicht zum Verfahren zuzulassen.

5.2 In Bezug auf die Hilfsanträge 1 bis 11 argumentierte die Beschwerdegegnerin, das mit dem Einreichen der Hilfsanträge im erstinstanzlichen Verfahren diese bereits verfahrensgegenständlich und somit auch wirksam Teil des Beschwerdeverfahrens seien (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 11, letzter Absatz bis Seite 12, erster vollständiger Absatz).

5.3 Ferner machte die Beschwerdegegnerin geltend, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, das Patent im Vorgriff spekulativ zu verteidigen. Nach ihrer Auffassung würde eine von den Beschwerdekammern geforderte Substantiierung zwar grundsätzlich eine Stellungnahme zu sämtlichen Anträgen einschließen. Im konkreten Fall hätte dies jedoch bedeutet, dass die Patentinhaberin ohne einen konkreten Angriff der Einsprechenden hypothetische Argumente hätte entwickeln müssen. Dies widerspreche dem Charakter des Einspruchsverfahrens, das auf Angriff und Reaktion angelegt sei. Eine Pflicht zur vorbeugenden Verteidigung gegen nie erhobene Einwände könne der Patentinhaberin daher nicht auferlegt werden. Zudem habe es zu keinem Zeitpunkt Anlass gegeben, die Hilfsanträge vorsorglich zu verteidigen, da weder von Seiten der Einsprechenden noch seitens der Einspruchsabteilung substanzielle Kritik an deren Rechtsbeständigkeit geübt worden sei. Da die Einspruchsabteilung den Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit bereits hinsichtlich des Hauptantrags überzeugend fand, müsse dies umso mehr für die eingeschränkten Hilfsanträge gelten. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie sei ein solches vorauseilendes Verteidigungsvorbringen nicht sinnvoll. Ohne Kenntnis etwaiger Angriffe sei es eine "Förmelei", den gesamten Sachverhalt der Hilfsanträge spekulativ zu verteidigen. Hinzu komme, dass das Vorbringen zur Patentfähigkeit des Hauptantrags uneingeschränkt auch auf die Hilfsanträge übertragbar sei, sodass eine gesonderte Argumentation ins Leere ginge (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 13, vorletzter Absatz bis Seite 14, letzter Absatz).

5.4 Zunächst stellt sich die Frage, ob, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, die Hilfsanträge 1 bis 11 bereits Teil des Einspruchsverfahrens sind. Sollte dies der Fall sein, könnten die betreffenden Anträge nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens angesehen werden, und die Kammer hätte kein Ermessen unter Artikel 12 (4) VOBK, sie nicht zuzulassen.

5.5 Eine Änderung gemäß Artikel 12 (4) VOBK (unter Bezugnahme auf Artikel 12 (2) VOBK) ist ein Teil des Beschwerdevorbringens, der sich nicht auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel bezieht, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen. Mit anderen Worten: dieser Teil geht über den darin festgelegten Rahmen hinaus (siehe Rechtsprechung, V.A.4.2.1).

5.6 In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Ansicht, dass die von der Einsprechenden vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstanden. Daher war es für die Einspruchsabteilung nicht erforderlich, sich in irgendeiner Weise mit den Hilfsanträgen zu befassen. Daraus ergibt sich, dass die Hilfsanträge 1 bis 11 der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde lagen und deshalb nicht automatisch Teils des Verfahrens gemäß Artikel 12 (2) VOBK sind.

5.7 Artikel 12 (4) VOBK spezifiziert weiter, dass, wenn ein Teil des Beschwerdevorbringens nicht die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt, so ist dieser Teil als Änderung zu betrachten, sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde. Die Hilfsanträge 1 bis 11 wurden zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung innerhalb der von der Einspruchsabteilung gemäß Regel 116 EPÜ festgesetzten Frist eingereicht. In dieser Hinsicht ist anzumerken, dass die Patentinhaberin nicht in jedem beliebigen Stadium des Einspruchsverfahrens Anspruch darauf hat, Änderungen vorzunehmen und vor allem nicht ohne die Notwendigkeit, gute Gründe für diese verspätete Einreichung anzugeben (Rechtsprechung, IV.C.5.1.4). Selbst wenn die Hilfsanträge 1 bis 11 innerhalb der vorgeschriebenen Frist eingereicht worden sind, bedeutet dies nicht, dass jede eingereichte Änderung zugelassen werden muss. Die Einspruchsabteilung müsse zunächst feststellen, ob die Änderungen tatsächlich dazu dienten, die Einwände auszuräumen, und ob sie dies in einer den Umständen angemessenen und verhältnismäßigen Weise taten (Rechtsprechung, IV.C.5.1.5). Dies bedeutet, dass die Einspruchsabteilung nach eigenem Ermessen die Hilfsanträge 1 bis 11 für unzulässig erklären konnte. Ferner wird angemerkt, dass im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht wurde, dass die genannten Hilfsanträge während des Einspruchsverfahrens in zulässiger Weise vorgebracht wurden (d.h. dass die Einspruchsabteilung diese Anträge unter Berücksichtigung aller Umstände zugelassen hätte).

5.8 Unter diesen Umständen sind die Hilfsanträge 1 bis 11 eine Änderung gemäß Artikel 12 (4) VOBK, deren Zulassung dem Ermessen der Kammer unterliegt.

5.9 Weiters geht es um die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 11 in Ausübung des Ermessens der Kammer. Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung die vollständige Beschwerdegrundlage der Parteien enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen.

5.10 Daraus folgt, dass eine Patentinhaberin, die mit der Erwiderung auf die Beschwerde Anspruchssätze einreicht, um Auffangpositionen anzubieten, auch die wesentlichen Argumente für diese Hilfsanträge ausdrücklich darlegen muss ("Begründungserfordernis"). Dazu sind Angaben erforderlich, um zu begründen, welche in der Beschwerde gegen die Hauptanträge vorgebrachten Einwände durch die in den Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen ausgeräumt werden und aus welchen Gründen die Patentinhaberin dies für gegeben hält.

5.11 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin die Entscheidung der Einspruchsabteilung angefochten, weil sie die Feststellungen zur erfinderischen Tätigkeit für unzutreffend hält. Die Beschwerdegegnerin verteidigte sich einerseits mit Argumenten zugunsten der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags und andererseits durch den bloßen Verweis auf die bereits in erster Instanz eingereichten Hilfsanträge 1 bis 11. Sollte die Kammer jedoch - wie oben dargelegt - die mangelnde erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags bestätigen, fehlen jegliche Angaben dazu, welche Änderungen in den Hilfsanträgen vorgenommen wurden, welche Begründung ihnen zugrunde liegt und inwiefern sie geeignet sein könnten, die erhobenen Einwände zu überwinden. Ohne eine solche Darlegung kann die Kammer nicht beurteilen, ob die Hilfsanträge prima facie sachdienlich sind. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, ist es nicht Aufgabe der Kammer oder der Einsprechenden, von sich aus zu ermitteln, welche Elemente der Hilfsanträge die Einwände ausräumen könnten; vielmehr liegt diese Verantwortung bei der Patentinhaberin. Eine pauschale Begründung, wonach die Hilfsanträge aus denselben Gründen wie der Hauptantrag erfinderisch seien, genügt offenkundig nicht, um ihre Gewährbarkeit darzulegen, falls die Kammer den Hauptantrag für nicht gewährbar erachtet (Rechtsprechung, V.A.4.3.5.b)). Da eine eigenständige Begründung zur Patentfähigkeit der Hilfsanträge vollständig fehlt, ist das Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerin - insbesondere in Bezug auf die Hilfsanträge 1 bis 11 - entgegen den Anforderungen des Artikels 12 (3) VOBK unvollständig. In dieser Hinsicht steht es gemäß Artikel 12 (5) VOBK im Ermessen der Kammer, das Vorbringen eines Beteiligten nicht zuzulassen, wenn es nicht die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK erfüllt.

5.12 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine Substantiierung der Hilfsanträge weder mit der Beschwerdeerwiderung, noch im Laufe des Verfahrens vor der Beschwerdekammer eingereicht wurde. Dies bedeutet, dass die Zulassung der Hilfsanträge die Kammer und die Beschwerdeführerin vor weitere Schwierigkeiten gestellt hätte. Jede inhaltliche Argumentation zu diesen Anträgen hätte die Beschwerdegegnerin zwangsläufig erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, was zusätzliche Zulassungsprobleme nach sich gezogen hätte.

5.13 Unter diesen Umständen hat die Kammer von dem Ermessen gemäß Artikel 12 (4) und (5) VOBK Gebrauch gemacht und entschieden, die Hilfsanträge 1 bis 11 nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie ohne Begründung eingereicht worden waren.

Weitere Argumente der Beschwerdegegnerin in Zusammenhang mit der Zulassung der Hilfsanträge

5.14 Die Beschwerdegegnerin kritisierte, dass es zu einer ungerechten Verfahrenslage führte, wenn der im Beschwerdeverfahren anfallende Sachverhalt vom Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens abhängig wäre. Hätte die Einspruchsabteilung das Patent in der erteilten Fassung als nicht gewährbar angesehen, wäre zwingend eine inhaltliche Prüfung der Hilfsanträge nötig gewesen, die dann auch deren Überprüfung vor der Beschwerdekammer erfordert hätte. Im vorliegenden Fall - der Zurückweisung des Einspruchs - seien die Hilfsanträge dagegen von vornherein der inhaltlichen Prüfung entzogen. Dies bedeute, dass das Recht auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ faktisch vom Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens abhänge, was eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstelle (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 12, zweiter vollständiger Absatz).

5.15 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Es ist spekulativ anzunehmen, dass die Einspruchsabteilung die Hilfsanträge inhaltlich geprüft hätte, wenn das Patent nicht von der Einspruchsabteilung in der erteilten Fassung aufrechterhalten worden wäre. Entsprechende Anhaltspunkte oder Argumente wurden nicht vorgelegt. Wie bereits dargelegt (Punkt 5.7 oben), hätte die Einspruchsabteilung die Hilfsanträge auch nicht zulassen können. Schon deshalb liegt keine Ungleichbehandlung vor. Hinzu kommt, dass das Beschwerdeverfahren besonderen Regeln unterliegt, die gleichermaßen für alle Parteien gelten (vgl. VOBK, insbesondere Artikel 12 VOBK), um eine Gleichbehandlung der Parteien sicherzustellen. Auch aus diesem Grund ist eine Benachteiligung der Beschwerdegegnerin nicht erkennbar.

5.16 Zum Schluss bemängelte die Beschwerdegegnerin, dass der Einwand der fehlenden Substantiierung der Hilfsanträge ursprünglich nicht von der Beschwerdeführerin, sondern von der Kammer selbst aufgebracht worden sei (Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) VOBK, Punkt 9). Damit habe die Kammer nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ihre Pflicht zur Neutralität nicht erfüllt (Schreiben vom 30. April 2025, Seite 13, dritter vollständiger Absatz).

5.17 Dem kann nicht gefolgt werden. Wie von der Beschwerdegegnerin angemerkt, kam die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 beruht. Es versteht sich von selbst, dass die Kammer die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge dahingehend prüft, ob sie diesen Einwand ausräumen können. Allerdings stellte die Kammer fest, dass die Beschwerdegegnerin, die die Anträge eingereicht hat, keine Ausführungen zur Art der vorgenommenen Änderungen, zu deren Begründung oder zu deren Relevanz für die Überwindung des Mangels an erfinderischer Tätigkeit gemacht hat. Unter diesen Umständen ist die sich daraus ergebende mögliche Nichtzulassung der Hilfsanträge eine Frage der Anwendung der VOBK (insbesondere Artikel 12 (3), (4) und (5) VOBK), die unter anderem die Gleichbehandlung der Parteien sicherstellt und die die Kammer nicht außer Acht lassen kann. Zweifel an der Zulassung der Hilfsanträge zu erheben, ist daher kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, sondern ergibt sich aus der Notwendigkeit zu prüfen, ob die geltend gemachten Einwände auch für die Hilfsanträge fortbestehen. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die Kammer alle Befugnisse der Einspruchsabteilung ausüben kann (Artikel 111(1) EPÜ). Dazu gehört auch die Befugnis, einen verspätet vorgebrachten Antrag nicht zuzulassen.

6. Zurückverweisung - Schlussfolgerung

Da die Hilfsanträge 1 bis 11 nicht zum Verfahren zugelassen wurden, gibt es nichts mehr zu erörtern, und der Antrag auf Zurückverweisung muss deshalb zurückgewiesen werden.

7. Da keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin gewährbar oder zuzulassen ist, ist das Patent zu widerrufen. Über weitere Einwände ist daher nicht zu entscheiden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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