T 0792/23 () of 14.11.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T079223.20241114
Datum der Entscheidung: 14 November 2024
Aktenzeichen: T 0792/23
Anmeldenummer: 17020442.4
IPC-Klasse: B05B 13/00
B05B 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PULVERBESCHICHTUNGSANLAGE ZUM BESCHICHTEN EINES WERKSTÜCKS MIT BESCHICHTUNGSPULVER
Name des Anmelders: WAGNER INTERNATIONAL AG
Name des Einsprechenden: Gema Switzerland GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6) (2020) Sent 2
Schlagwörter: Verspätetes Vorbringen - Beweismittel zugelassen (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1639/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 459 642 zurückgewiesen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im vollen Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit).

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 9. Juli 2024 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde zurückzuweisen wäre.

IV. Die Beschwerdeführerin reagierte mit einem Schriftsatz datiert auf den 24. September 2024. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) äußerte sich schriftlich nicht weiter inhaltlich zu der Mitteilung.

V. Am 14. November 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Die Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.

VI. In der folgenden Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente und Beweismittel Bezug genommen:

D3: DE 10 2010 009 069 A1;

D5: US 2003/234272 A1;

D6: DE 198 19 963 A1;

D7: DE 103 59 280 A1;

D15: Kundenbestellung CROMODORA

WHEELS GEMA EUROPE SRL OACS011501507 vom

11. März 2015;

D16: Bestellbestätigung GEMA Switzerland GmbH GIT-

OF-2014-0142-E vom 13. Mai 2015 mit

Bestellnummer 5015-02267;

D17: Layout - technische Zeichnung P106037 der

Bestellnummer 5015-02267;

D18: Lieferpapiere vom 3. Juli 2015 der Bestellung

GIT-OF-2014-0142-E (02267 und 01441);

D19: Rechnung an GEMA Europe Srl vom

3. Juli 2015 der Bestellung GIT-

OF-2014-0142-E;

D20: Inbetriebnahme vom 1. September 2015;

D61: Details zur Pulverbeschichtungsanlage;

D62: Video der CROMODORA Pulverbeschichtungsanlage; D63: Erklärung des Verkaufsleiters bei CROMODORA

WHEELS S.p.A., Herrn Andreoletti vom

31. Juli 2023.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents;

sowie hilfsweise

für den Fall der Zulassung der mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Beweismittel sowie für den Fall, dass die Hilfsanträge relevant würden, die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde und somit die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),

sowie hilfsweise bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung im Umfang eines der mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 10.

Außerdem beantragte sie die Nichtzulassung der mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Beweismittel, nämlich der Dokumente D61 bis D63 sowie der diesbezüglichen Zeugenbeweisangebote. Für den Fall der Zulassung dieser Beweismittel beantragte sie eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.

IX. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (Merkmalsgliederung gemäß angefochtener Entscheidung hinzugefügt):

M1.1 Pulverbeschichtungsanlage zum Beschichten eines

Werkstücks mit Beschichtungspulver,

M1.2 - mit einer Kabine (2), die derart ausgebildet

ist, dass sie das über einen Bodenförderer (100)

angelieferte Werkstück (200) aufnehmen kann,

M1.3 - bei der eine obere Sprühapplikator-Anordnung

(20) vorgesehen ist, um Beschichtungspulver nach

unten zu sprühen,

M1.4 - bei der eine untere Sprühapplikator-Anordnung

(40) vorgesehen ist, um Beschichtungspulver nach

oben zu sprühen,

M1.5 - bei dem die obere und die untere

Sprühapplikator-Anordnung (20, 40) auf dasselbe

Werkstück ausgerichtet sind, und

M1.6 - bei der ein Manipulator (50) vorgesehen ist,

M1.6.1 an dem die obere und die untere Sprühapplikator-

Anordnung (20, 40) befestigt sind, und

M1.6.2 mit dem sie zumindest in Transportrichtung (x)

des Werkstücks (200) bewegbar sind.

X. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer ist eine Wiedergabe der Hilfsanträge nicht erforderlich.

XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der Beweismittel D61, D62 und D63 sowie diesbezüglicher Zeugenbeweisangebote

1.1 Die Beschwerdeführerin legte mit der Beschwerdebegründung erstmalig und ergänzend zu ihrem früheren Vorbringen zu der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" das Dokument D61 vor, das die Skizze einer Pistolenbefestigung an der Cromodora Pulverbeschichtungsanlage der Vorbenutzung wiedergeben soll. Sie legte ferner ein Video D62 vor, dass angeblich die Cromodora Pulverbeschichtungsanlage der Vorbenutzung in Betrieb zeigt. Ergänzend bot sie zu diesem Video die Befragung des Zeugen Herrn Baroni an. Ferner legte sie mit Dokument D63 die Erklärung des Verkaufsleiters bei Cromodora Wheels S.p.A, Herrn Andreoletti, vor und bot diesen als Zeugen an, sollten "weitere Fragen bestehen".

Sie trug vor, dass aus diesen nunmehr vorgelegten Beweismitteln bestätigt werde, dass die an Cromodora Wheels S.p.A. ausgelieferte Pulverbeschichtungsanlage offenkundig vorbenutzt wurde und sämtliche Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beinhalte und damit für die Beurteilung der Frage der Neuheit prima facie hoch relevant sei.

1.2 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass sie mit den Dokumenten D61 bis D63 sowie den diesbezüglichen Zeugenangeboten auf einen Hinweis der Einspruchsabteilung reagierte, welcher erst am 13. September 2022 erfolgte, also zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 15. September 2022. Es sei ihr unmöglich gewesen, die Beweismittel in einem so kurzen Zeitraum anzufordern und vorzubereiten, so dass nur die Möglichkeit geblieben sei, diese mit der Beschwerdebegründung vorzulegen. Dies rechtfertige die erstmalige Vorlage der Beweismittel im Beschwerdeverfahren.

1.3 Die Kammer schließt sich diesem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht an.

Gemäß Artikel 12 (6), zweiter Satz, VOBK lässt die Kammer Beweismittel, die im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen wären, nicht zu, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

Wie von der Beschwerdegegnerin zutreffend vorgebracht wurde, sind die Anforderungen in Hinblick auf die Beweisführung über eine öffentliche Vorbenutzung hinlänglich bekannt (siehe dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, I.C.3.2.4 sowie III.G.4.3.2). Es war daher von einem Einsprechenden zu erwarten, dass bereits mit dem erstmaligen Geltendmachen der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" alle relevanten Beweise vorgelegt werden, so dass sich die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin mit diesen auseinandersetzen konnten, ob auf der Basis der vorgebrachten Beweismittel ersichtlich wird, dass eine offenkundige Vorbenutzung bewiesen ist. Es stand entsprechend in der Verantwortung der Beschwerdeführerin, die von ihr im Einspruchsverfahren erstmals mit Schriftsatz vom 15. Juli 2022 - also nach Ablauf der Einspruchsfrist - geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung "Cromodora" hinreichend darzulegen.

Die Beschwerdeführerin entschied sich indes, anfangs zur Darlegung ihres neu erhobenen Einwands zur Vorbenutzung "Cromodora" allein die Dokumente D15 bis D20 vorzulegen. Sie unterließ die Vorlage der Beweismittel D61 bis D63 und der darauf bezogenen Zeugenbeweisangebote, obwohl zu diesem Zeitpunkt objektiv keine besonderen Hindernisse für eine Bereitstellung dieser Beweismittel bestanden, wie es die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einräumte.

Bereits deshalb konnte der in ihrer Mitteilung vom 13. September 2022 erfolgte Hinweis der Einspruchsabteilung zum Einwand der offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" keinen rechtfertigenden Anlass für die Vorlage weiterer Beweismittel bieten.

Die Kammer berücksichtigt bei der Ausübung des ihr aus Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK zustehenden Ermessens ferner, dass der Hinweis der Einspruchsabteilung seinerseits in Reaktion auf den neu erhobenen Einwand der offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" vom 15. Juli 2022 erfolgte. Dieser Einwand wurde erstmalig nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung, mit der den Beteiligten bereits eine vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung zu den Erfolgsaussichten des Einspruchs mitgeteilt wurde, und zum Ende der nach Regel 116 (1) EPÜ von der Einspruchsabteilung gesetzten Frist vorgebracht. Die Beschwerdeführerin konnte angesichts der bereits am 28. Februar 2022 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung am 15. September 2022 und der damit ebenfalls schon von der Einspruchsabteilung unterbreiteten vorläufigen Meinung zu den Erfolgsaussichten des Einspruchs ohnehin nicht auf einen weiteren, ergänzenden Hinweis der Einspruchsabteilung zu ihrer Auffassung hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Einspruchs vertrauen.

Die Kammer ist der Überzeugung, dass die Einspruchsabteilung mit ihrer Mitteilung vom 13. September 2022 in angemessener Weise zunächst die Replik der Beschwerdegegnerin vom 26. August 2022 abwartete und daraufhin mit ihrer Mitteilung kurzfristig Aspekte der mündlichen Verhandlung vorbereitete. Der dort formulierte Hinweis richtete sich an beide Beteiligte und kündigte dabei die Absicht der Einspruchsabteilung an, den auf der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" basierenden Einwand trotz der verspäteten Vorlage zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen.

Der Zweck der Mitteilung der Einspruchsabteilung vom 13. September 2022 bestand also vordringlich darin, einen verfahrensleitenden Hinweis in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu geben. Es wurde damit für die Beteiligten jedoch nicht der Anlass eröffnet, ihr Vorbringen durch die Vorlage neuer Tatsachen oder Beweismittel zu ergänzen.

Im Ergebnis wären nach Überzeugung der Kammer bei sorgfältiger Verfahrensführung die Beweismittel D61 bis D63 sowie die diesbezüglichen Zeugenbeweisangebote zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung von der Beschwerdeführerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt, jedenfalls aber im Einspruchsverfahren, vorzubringen gewesen.

1.4 Mangels überzeugender rechtfertigender Gründe sind daher die mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten bzw. angebotenen Beweismittel, d.h. die Dokumente D61 und D63, sowie das Video D62 und die dazugehörigen Zeugenbeweisangebote, gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.

2. Neuheit gegenüber einer angeblichen offenkundigen Vorbenutzung

2.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" sei, und legte zur Darlegung dieser Vorbenutzung in zulässiger Weise die Dokumente D15 bis D20 als Beweismittel vor.

2.2 Die Beschwerdegegnerin erwiderte auf diesen Einwand unter anderem, dass aus den zum Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung vorgelegten Unterlagen zumindest nicht die Merkmale M1.4 bis M1.6.2 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu entnehmen seien, wie es auch die Einspruchsabteilung in Punkt II.6. der angefochtenen Entscheidung feststellte.

2.3 Auch die Kammer teilt diese Feststellung.

Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss sich ein beanspruchter Gegenstand unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik ergeben, damit auf fehlende Neuheit geschlossen werden kann. Mit anderen Worten muss es außer Zweifel stehen - und nicht nur wahrscheinlich sein -, dass der beanspruchte Gegenstand in einem Dokument unmittelbar und eindeutig offenbart wurde (vgl. RdB, supra, I.C.4.1).

Die Ausgestaltung des Gegenstands der angeblich offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora" ist allein den Zeichnungen des Dokuments D17 zu entnehmen.

Die Einspruchsabteilung stellte zutreffend fest, dass es der Darstellung in Dokument D17 insgesamt an einer genauen Bezeichnung der Bauteile fehlt.

Die wenigen in Dokument D17 enthaltenen technischen Bezeichnungen, wie etwa der Begriff "STROCK", aus dem die Beschwerdeführerin eine Hubbewegung und damit eine Bewegbarkeit eines Manipulators ableiten will, bleiben in ihrer Bedeutung ohne weitere Erläuterungen im Ergebnis unklar.

Bei dem Verständnis des technischen Inhalts des Dokuments D17 konnte sich die Fachperson daher im Wesentlichen nur auf die Zeichnungen selber und ihr Fachwissen über Pulverbeschichtungsanlagen stützen.

Es trifft zwar zu, dass das Dokument eine technische Konstruktionszeichnung darstellt, welche die Fachperson vor dem Hintergrund ihres technischen Verständnisses und ihrer Kenntnisse über technischen Zeichnungen liest.

Die Kammer teilt aber die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass mangels weiterer Angaben erhebliche Zweifel bestehen, ob in Dokument D17 tatsächlich untere Sprühpistolen erkennbar sind, und ob diese unteren Sprühpistolen an dem Manipulator befestigt und mit ihm in Transportrichtung des Werkstücks bewegbar sind.

Für eine Identifizierung dieser Merkmale bedurfte es vor dem Hintergrund der Offenbarung des Dokuments D17 letztlich ausführlicher Erläuterungen durch die Beschwerdeführerin. Es blieb dabei nicht erkennbar, weshalb die Fachperson vor dem Hintergrund ihrer Fachkenntnisse der Offenbarung des Dokuments D17 ohne weiteres die jeweilige Funktion der Bauteile und deren gemeinsame Funktionsweise, insbesondere eine Verfahrbarkeit der Sprühpistolen in eine horizontale Richtung, aus der dargestellten Vorrichtung eindeutig und unmittelbar erkannt hätte.

Angesichts dieser Zweifel ist die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass nicht nachgewiesen wurde, dass die an Cromodora Wheels S.p.A. ausgelieferte Pulverbeschichtungsanlage alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag aufweist, nicht zu beanstanden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist daher bereits neu gegenüber der durch die Dokumente D15 bis D20 dargelegten angeblich offenkundigen Vorbenutzung "Cromodora", so dass es folglich nicht auf die ebenfalls strittige Frage der Offenkundigkeit der Vorbenutzung ankommt.

3. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D6

3.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich zusätzlich gegen die in Punkt II.8.1 der Entscheidungsgründe getroffene Feststellung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Lehre des Dokuments D6 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen beruht.

3.2 Es ist zwischen den Beteiligten unstrittig, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag von der Lehre des Dokuments D6 zumindest durch das Merkmal 1.6.2 unterscheidet, dass der an dem Manipulator befestigte, untere Sprühapplikator und der dort ebenfalls befestigte, obere Sprühapplikator mit dem Manipulator "zumindest in Transportrichtung (x) des Werkstücks (200) bewegbar sind". Dies hatte auch die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt.

3.3 Die Beschwerdeführerin sah in ihrer Beschwerdebegründung ausgehend von diesem Unterscheidungsmerkmal erstmalig als damit verbundene objektive technische Aufgabe, eine Pulverbeschichtungsanlage anzugeben, bei der neben der Oberseite der Werkstücke auch die Unterseite der Werkstücke länger beschichtet werden kann.

Sie formulierte entsprechend die verbundene objektive technische Aufgabe gegenüber ihrem Vorbringen im Einspruchsverfahren um. Gemäß Seite 23, erster Absatz, der Entscheidungsgründe sah sie damals die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer Pulverbeschichtungsanlage, in welcher Werkstücke gleichmäßig von beiden Seiten, insbesondere von unten und oben, beschichtet werden können.

Die Kammer folgt dieser Neuformulierung der objektiven technischen Aufgabe indes nicht.

Die Beschwerdegegnerin wendete dazu nämlich zurecht ein, dass diese Formulierung bereits Lösungselemente der Erfindung enthält, indem auf eine längere Beschichtung der Unterseite des Werkstücks abgestellt wird. Die objektive technische Aufgabe soll sich aber aus physikalischen, chemischen oder sonstigen Wirkungen ergeben, die unmittelbar und kausal mit den technischen Wirkungen der beanspruchten Erfindungen zusammenhängen (vgl. RdB, supra, I.D.4.1, insbesondere mit Bezug auf die T 1639/07).

Das Unterscheidungsmerkmal M1.6.2, ebenso wie der Kontext des gesamten Wortlauts des Anspruchs 1 gemäß Hauptanspruch, unterscheidet jedoch nicht zwischen einer Unter- bzw. Oberseite des Werkstücks. Eine nun als Teil der Aufgabe formulierte besondere Behandlung der Unterseite gegenüber der Oberseite ist dem Unterscheidungsmerkmal M1.6.2 damit nicht inhärent, so dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb diese unterschiedliche Betrachtung der Seiten des Werkstücks mit der nunmehr objektiven technischen Aufgabe verknüpft sein sollte.

Die objektive technische Aufgabe liegt nach Überzeugung der Kammer vielmehr in dem Aspekt einer gleichmäßigen Beschichtung des Werkstücks, wie es in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt wurde.

3.4 Zudem ist unabhängig von der Frage der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe das Unterscheidungsmerkmal M1.6.2 des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Lehre des Dokuments D6, aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik, insbesondere den Dokumenten D3, D5 oder D7, nicht bekannt, wie es auch die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt bestritt.

Die Beschwerdeführerin hat auch nicht durch Dokumente nachgewiesen, dass das Unterscheidungsmerkmal eine der Fachperson aus dem allgemeinen Fachwissen geläufige Maßnahme ist oder zum Fachwissen gehört.

Somit wurde bereits nicht hinreichend dargelegt, weshalb die Fachperson zum maßgeblichen Zeitpunkt zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gelangen konnte.

3.5 Darüber hinaus wenden die Beschwerdekammern nach gefestigter Rechtsprechung bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, den sogenannten "could-would approach" an. Danach ist es nicht allein ausschlaggebend, ob eine Fachperson den Gegenstand des Streitpatents hätte ausführen können, sondern vielmehr, ob sie in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre des nächstliegenden Standes der Technik so abgewandelt hätte, dass sie zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren (siehe RdB, supra, I.D.5).

Im gegebenen Fall bleibt jedoch offen, weshalb die Fachperson in Erwartung der tatsächlich erzielten Vorteile, also im Lichte der objektiven technischen Aufgabe, das Unterscheidungsmerkmal in Erwägung gezogen hätte.

Diese Lösung drängt sich nämlich zunächst nicht auf, da es - wie die Beschwerdegegnerin zurecht vortrug - für die vorliegende objektive technische Aufgabe auch andere Lösungsmöglichkeiten, wie etwa eine längere, getaktete Beschichtung des Werkstücks gibt. Die Fachperson hätte daher, selbst wenn sie sich in allgemeiner Weise zum maßgeblichen Zeitpunkt das Unterscheidungsmerkmal eines in Transportrichtung bewegbaren Sprühapplikators aus ihrem Fachwissen herleiten konnte, diese konkrete Lehre nicht unmittelbar zur Lösung der oben formulierten technischen Aufgabe einer zu erzielenden gleichmäßigen Beschichtung des Werkstücks in Betracht gezogen. Vielmehr bedurfte es dafür einer konkreten Anregung.

Eine derartige Anregung muss zwar nicht notwendigerweise dem nächstliegenden Stand der Technik, Dokument D6, zu entnehmen sein, sie muss sich dennoch zumindest aus den Kenntnissen der Fachperson, d.h. dem Stand der Technik bzw. dem allgemeinen Fachwissen, ergeben. Hierzu trug die Beschwerdeführerin im Ergebnis jedoch nicht vor.

Es bleibt folglich offen, weshalb die Fachperson in der Erwartung, die objektive technische Aufgabe zu lösen, die Lehre des Dokuments D6 so abgewandelt hätte, dass sie zu der in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beanspruchten Erfindung gelangt wäre.

3.6 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht im Ergebnis gegenüber einer Kombination der Lehre des Dokuments D6 mit dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Weitere Einwände gegen den Hauptantrag wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

5. Angesichts der oben dargestellten Schlussfolgerungen sind die von den Beteiligten jeweils bedingt gestellten Anträge auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung nicht relevant.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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